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STINNES AG Deckel drauf

aus DER SPIEGEL 38/1962

Am Kurszettel der westdeutschen Börsen wird Bankier Hermann Josef Abs bald ablesen können, welch ein schlechtes Geschäft zu Lasten der westdeutschen Steuerzahler er gemacht hat, als er den Hugo-Stinnes-Konzern vor dem Zugriff amerikanischer Geldleute und für Deutschland rettete: die Aktien der Hugo Stinnes AG werden demnächst zum Handel an den Börsen eingeführt.

Im Einvernehmen mit der Bundesregierung hatte Absens Deutsche Bank vor fünf Jahren das Mehrheitspaket der in Baltimore (USA) domizilierenden Hugo Stinnes Corporation für 135 Millionen Mark ersteigert. 100 Millionen Mark waren von der Bundesregierung über die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau beigesteuert, der Rest von einem Bankenkonsortium aufgebracht worden*.

Bund und Banken besitzen seitdem 87,5 Prozent vom Kapital des Konzerns (98,9 Millionen Mark), der heute als Hugo Stinnes AG, Sitz Mülheim an der Ruhr, firmiert. 12,5 Prozent sind in den Händen freier deutscher und ausländischer Aktionäre, die seit mehr als einem Jahr lamentieren, daß keine Börse der Welt die Stinnes-Aktien notiert.

Die Bundesregierung hatte sich im Jahr der Kohlenknappheit, 1957, vom Erwerb des Stinnes-Konzerns eine zweifache Wirkung versprochen. Einmal wollte sie den Kohlebesitz der Gruppe für die deutsche Wirtschaft erhalten. Zum anderen aber schien ihr das Unternehmen mit dem bekannten Namen geeignet, wie die Preussag AG und das Volkswagenwerk privatisiert und der Bonner Eigentumspolitik nutzbar gemacht zu werden.

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl im Jahre 1961 kündigte der damalige Bundesschatzminister Dr. Wilhelmi denn auch termingerecht die Ausgabe von Stinnes-Volksaktien an. Der Ausgabekurs der Papiere sollte 200 Prozent betragen.

Hermann Josef Abs, der von Stinnes -Volksaktien nichts hielt, versprach, auf jeden Fall solle für das repatriierte Kapital der Stinnesgruppe eine Lösung gefunden werden, »die den Interessen und Möglichkeiten der Familie Stinnes entspricht und zugleich zu einer breitenStreuung der Aktien (über die Börse) führt«.

Die Jahre zwischen dem Erwerb und der immer wieder hinausgezögerten Streuung der Aktien unter das Publikum haben Abs und Bonn jedoch das Konzept verdorben.

Die Mitglieder der Familie Stinnes, die bis zum Jahre 1943 die Kapitalmehrheit der Stinnes-Corporation besaß und nach Kriegseintritt Amerikas enteignet wurde, sind heute vom Rückerwerb ihres Eigentums so weit entfernt wie damals. Die Rolle der Stinnes -Aktie als begehrenswertes Volkswertpapier schließlich ist durch den allgemeinen Kursverfall an der Börse und die veränderten Ertrags- und Absatzchancen des Konzerns verpatzt.

Die Haupterwerbszweige der Hugo Stinnes AG - Bergbau, Schiffahrt und Brennstoffhandel - vegetieren nach dem Zeugnis ihres Generaldirektors im Schatten der Konjunktur dahin. Stinnes-Chef Heinz P. Kemper: »Kohle in der Notlage ... Beim Brennstoffhandel ein vollkommener Preisverfall ... Binnenschifffahrt nicht in der Lage, den verschärften Wettbewerb zu bestehen ... Bei der Seeschiffahrt Frachtraten, die praktisch alle Schiffe unwirtschaftlich machen.«

Das bedeutendste Unternehmen der Gruppe, die Steinkohlenbergwerke Mathias Stinnes AG, mußte in diesem Jahr seine Dividende von zehn auf sechs Prozent senken. Selbst dieser reduzierte Gewinnanteil für die Aktionäre war nicht wirklich verdient worden, sondern konnte in dieser Höhe nur dadurch gezahlt werden, daß ein Teil der Rücklagen aufgelöst wurde.

Über die Misere der letzten Jahre und die Zukunftsaussichten der Stinnesschen Kohlengruben gibt das Schicksal der neuen Schachtanlage Wulfen im nördlichen Ruhrrevier Aufschluß. Dort wurden auf der grünen Wiese für 60 Millionen Mark zwei Schächte bis in eine Tiefe von mehr als tausend Meter niedergebracht. Jetzt, da das Kohlefeld erschlossen ist, leidet die Branche Absatznöte. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Hugo Stinnes AG, Franz Heinrich Ulrich, gab deshalb für die Wulfen -Schächte die Order: »Deckel drauf!«

Ulrich, im Hauptberuf Vorstandsmitglied der Deutschen Bank AG, erklärte: »Wulfen wartet auf bessere Zeiten. Vielleicht kommt auch einer, der uns die Anlage abkauft. Wer weiß?«

Die amerikanischen Aktieninhaber, die bis 1957 das Kapital der im Ruhrgebiet ansässigen Firmen hielten, dürfen zufrieden sein. Sie haben rechtzeitig und zu einem guten Preis verkauft. Insgesamt konnten sie das dreißigjährige Engagement, das sie bald nach dem Tode des Gründers Hugo Stinnes senior eingegangen waren, mit Erfolg lösen.

Der Mülheimer Kaufmann Hugo Stinnes hatte bis zum Jahre 1924 nicht weniger als 1535 Unternehmen mit rund 3000 Fabriken und Filialen unter seine Kontrolle gebracht.

Mit gezielten Aktienkäufen trieb Stinnes die Börsenkurse hoch und ließ sie, wenn ihm die Zeit reif schien, durch massierte Verkäufe wieder stürzen. Ängstliche Aktionäre stießen dann ihre Papiere ab, und Stinnes erwarb sie zum niedrigsten Kurs.

Seine beiden ältesten Söhne, Edmund und Hugo, brachten es nicht zu dieser Meisterschaft. Ein Jahr nach Vater Hugos Tod war der des großen Magiers beraubte Stinnes-Konzern total verschuldet. Im Frühjahr 1925 sahen sich die Söhne Wechselschulden von 90 Millionen Mark gegenüber, die binnen vierzehn Tagen beglichen werden mußten.

Stückweise mußten die jungen Herren Stinnes-Betriebe abgeben. Oft wurden Firmen weit unter Wert verkauft, nur um die Gläubiger zu befriedigen. In Stinnes-Hand blieb nur der starke Zechenbesitz, der sich um die Steinkohlenbergwerke Mathias Stinnes AG gruppierte und zu dem das Chemiewerk Ruhröl, die Glaswerke Ruhr und Schifffahrtsunternehmen gehörten. Aber auch dieser Rest war gefährdet:

Sohn Hugo beschaffte deshalb bei amerikanischen Banken eine Sanierungsanleihe von 100 Millionen Mark. Die Amerikaner gaben das Geld unter einer Bedingung: Der Konzern mußte in eine neugebildete Holding, die Hugo Stinnes Corporation, Sitz Baltimore, eingebracht werden, an der die Stinnes -Familie nur einen Anteil von 53 Prozent hielt.

Nach ihrem Kriegseintritt enteigneten die Vereinigten Staaten das in Baltimore deponierte Aktienpaket der Stinnes entschädigungslos, und nach Kriegsende mußten alle Träger des Namens aus den Firmengremien ausscheiden. An die Spitze des Unternehmens trat als Vertrauensmann der Stinnes-Corporation der Kaufmann Heinz P. Kemper, der die zerbombten Betriebe wiederaufbaute.

Die Zechengruppe Mathias Stinnes AG erreichte eine Jahresförderung von fünf Millionen Tonnen Kohle, neue Kokereien und Brikettfabriken entstanden. In der kohlenknappen Zeit wurde die Gesellschaft zu einer Goldgrube.

Diese Zeiten guter Erträge sind vorbei, und der Zeitpunkt, zu dem das mit zum Teil öffentlichen Mitteln erworbene Aktienpaket noch ohne Verlust für den Steuerzahler hätte veräußert werden

können, ist verpaßt. Die Schuld an diesem Versäumnis schieben sich Stinnes -Familie und Bundesregierung gegenseitig zu. In Bonn verweist man auf die langwierigen und bisher erfolglosen Auseinandersetzungen mit dem Stinnes -Clan.

Und Abs erklärte dem SPIEGEL: »Wir warten noch immer auf die Gelegenheit, die Aktien zu verkaufen. Meine Absicht ist es, sie unter Berücksichtigung der Interessen der Familie an die breite Masse zu veräußern. Mit der Familie Frau Cläre Stinnes, geborene Wagenknecht, sind wir in der Betrachtungsweise einig.«

Uneinigkeit bestand allerdings über die Finanzierung der für den Stinnes -Clan in Aussicht genommenen Beteiligung in Höhe von mindestens 25 Prozent des Kapitals. Da die Familie nicht bereit war, ihren früheren Wertpapierbesitz praktisch ein zweites Mal zu bezahlen, forderten Cläre und Otto Stinnes, ihnen den Aktienerwerb durch Bereitstellung eines Kredits zu ermöglichen. Das Darlehen wollten sie zurückzahlen, sobald die Bundesregierung ihnen, wie allen einschlägig Betroffenen, für das verlorene Auslandsvermögen eine Entschädigung gezahlt haben würde*.

Auf der ersten Hauptversammlung der Hugo Stinnes AG, die im vergangenen Monat im Düsseldorfer »Industrie -Club« stattfand, protestierten die freien Aktionäre gegen den schleppenden Gang, den die gesamte Umwandlung genommen hat. Der Vertreter der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz beklagte insbesondere den »Zustand, daß ein amtlicher Börsenhandel ... nicht möglich ist«.

Stinnes-Aktien können derzeit nur bei kleinen amerikanischen Banken »over the counter« verkauft werden. Da die Aktien an keiner Börse notiert werden, kaufen die Banken bei diesem Verfahren die Papiere zu einem recht willkürlich festgesetzten Kurs, der nach Ansicht der Aktionäre niedriger ist, als er bei echter Notierung an der Börse sein würde.

Stinnes-Aktionär Professor Meilicke, ein Bonner Aktienrechtler, der Aktien im Nennwert von 30 000 Mark besitzt, war über die Verschleppungstaktik des Bankenkonsortiums so wütend, daß er die Kleinaktionäre aufforderte, Vorstand und Aufsichtsrat der Hugo Stinnes AG die Entlastung zu verweigern. Der Block der Bankenvertreter aber sprach der Verwaltung das Vertrauen aus.

Aufsichtsratsvorsitzender Ulrich gestand freimütig, daß die Firmenleitung bei der Börsenzulassung kostbare Zeit verloren habe. Ulrich: »Es war sehr schwierig, die Umkonstruktion (von der Hugo Stinnes Corporation in Baltimore/ USA in die Hugo Stinnes AG in Mülheim/Ruhr) vorzunehmen. Das hat lange gedauert.«

Da die Aktie zur Zeit nicht gerade das ist, was man an der Börse ein »Papier mit Goldrand« nennt, wird sich vermutlich nach ihrer Zulassung zum Handel an der Börse die Nachfrage in Grenzen halten. Aus diesem Grunde zögern sowohl die Bundesregierung als auch das Bankenkonsortium, nach der Börsenzulassung die von ihnen gehaltenen Papiere auf den Markt zu werfen.

Die Bundesregierung ist in der peinlichen Lage, sich dem wachsenden Drängen privatisierungsbeflissener Koalitions-Abgeordneter, insbesondere der FDP, ausgesetzt zu sehen, im Falle des Aktienpaket-Verkaufs an die breite Masse aber offenbar werden zu lassen, daß die Stinnes-Repatriierung einen Millionenverlust für den Bund gebracht hat.

An den Wilhelmi-Kurs von 200 Prozent wagt in Bonn ohnehin niemand mehr zu denken. Wie das Börsenpublikum den Wert der Stinnes-Papiere veranschlagt, läßt der Kursstand der Mathias Stinnes AG ahnen. Aktien dieser bedeutendsten unter den heimgeführten Töchterfirmen werden gegenwärtig unter Pari - mit 83 Punkten notiert.

* Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank, Westfalenbank sowie die Bankhäuser Sal. Oppenheim in Köln, Trinkaus in Düsseldorf und Burkhardt in Essen.

* Im »Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes« vom 23. Oktober 1954 hat sich die Bundesregierung verpflichtet, alle Entschädigungsansprüche deutscher Bürger, die während des Krieges im Ausland enteignet wurden, zu befriedigen. Bonn hat jedoch bis heute kein Entschädigungsgesetz vorgelegt.

Vermögens-Geschädigte Cläre und Otto Stinnes: Statt Volksaktien-Aktion ... Regierungs-Bankier Abs

... Warten auf bessere Zeiten

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