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Umwelt Dekret vom König

Bismarcks Erben und wohlhabende Anwohner rebellieren gegen den Ausbau der IC-Trasse durch den Sachsenwald.
aus DER SPIEGEL 35/1996

Mit landläufigen Bürgerinitiativen haben die Anwohner der schleswig-holsteinischen Gemeinde Aumühle wenig gemeinsam, darauf legen sie Wert. »Hier setzt man sich nicht auf die Gleise und rollt auch keine Transparente aus«, betont der parteilose Bürgermeister Michael Schimanel.

Dafür kommen aus den holzvertäfelten Räumen der Villa an der Bismarckallee, Sitz des Rathauses, geharnischte Schriftsätze an die Deutsche Bahn AG (DB) oder das Karlsruher Bundesverfassungsgericht.

Aus »privaten Geldquellen«, verkündet der Vorsitzende der örtlichen Initiative »Rettet den Sachsenwald«, der vereidigte Baumeister Georg-Leo von Berger, wurden bereits Gutachten für 160 000 Mark in Auftrag gegeben. Ein anonymer Spender überwies 30 000 Mark für »Info-Material«.

Der potente Verein kämpft, Schulter an Schulter mit der ortsansässigen Fürstenfamilie von Bismarck, gegen ein Verkehrsprojekt zur deutschen Einheit: Durch die 5300 Hektar Waldbesitz der »Fürstlich von Bismarck''schen Verwaltung« wird eine Hochgeschwindigkeitstrasse für den InterCity (IC) und InterCityExpress (ICE) Hamburg-Berlin ausgebaut (siehe Grafik).

Ihr »Kultur- und Naturerbe«, so befürchten die Nachkommen des Reichsgründers und Eisernen Kanzlers Otto von Bismarck, werde durch das Projekt weiter zerstückelt.

Das hinderte die Adligen jedoch nicht daran, der Deutschen Bahn einiges Gelände im östlichen Waldgebiet für den Gleisbau zu verkaufen. »Wir leben schon lange gut miteinander«, sagt ein DB-Sprecher.

Nach dem Neubau der Autobahn durch den nördlichen Sachsenwald in die damalige DDR anno 1982 soll der fürstliche Forst weiter für die Eisenbahn und demnächst auch für die Magnetschwebebahn Transrapid dezimiert werden. »Ich möchte Sie freundlichst bitten«, schrieb Ferdinand Fürst von Bismarck schon vor drei Jahren an Bahnchef Heinz Dürr, eine alternative Trassenplanung zu prüfen.

Genutzt hat die Eingabe nichts. Von 1997 an werden täglich rund 264 Güter- und Personenzüge durch den Sachsenwald sausen. Den Vorschlag des Fürsten an Dürr, eine IC-Strecke weiter südlich entlang der Autobahn zu führen, konterte Dürr mit Hinweis auf seine politische Verantwortung: »Dem Verkehrsträger Eisenbahn kommt bei der dauerhaften Überwindung der Teilung Deutschlands eine besondere Bedeutung zu.«

Für die Wiedervereinigung ist der Fürst natürlich auch, aber nicht so laut. In DDR-Zeiten verkehrten auf der Strecke unweit der Bismarcks lediglich ein halbes Dutzend Interzonen-Züge täglich. Jetzt soll sowohl der Güterverkehr von und nach Skandinavien als auch nach Osteuropa durch den Sachsenwald rollen.

Aus »wirtschaftlichen Gründen« beharren die Bahn-Manager auf Ausbau der bestehenden Trasse. Die ist schon ziemlich alt. Per Dekret verfügte der dänische König Christian VIII. im Jahr 1843, daß eine Eisenbahnstrecke durch jenes Areal gelegt werden solle, das später der preußische König Wilhelm I. dem Reichskanzler Otto von Bismarck für dessen Verdienste übereignete. Damals fuhr die Bahn mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 Stundenkilometern, wie Fürst Ferdinand gern betont.

Die geschlängelte Gleislinie durch den Sachsenwald, über die in den dreißiger Jahren der »Fliegende Hamburger« mit bis zu 160 Stundenkilometern von Hamburg nach Berlin raste, entspricht nicht gerade den Bedingungen moderner Schnellverbindungen. Die engen Kurvenradien bremsen die bis zu 200 Stundenkilometer schnellen ICs. Nur mit 140, so räumte die Bahn ein, können die Züge von 1997 an den Forst passieren, später sind nicht mehr als 160 vorgesehen - so wie in der Vorkriegszeit.

Das langt nach Berechnungen der Bürgerinitiative immer noch, den gesamten Sachsenwald mit Lärm zu füllen. Betroffen seien, so die Initiative, nicht nur rund 125 000 Anwohner sowie 1000 Stück Wild, sondern auch das fürstliche Herrenhaus und die letzte Ruhestätte des Ahnherrn Otto im Mausoleum derer von Bismarck.

Ihre Arbeit gefährdet sieht auch die »Otto-von-Bismarck-Stiftung«, die - mit 7,5 Millionen Mark aus der Bundeskasse - derzeit den historischen Bahnhof Friedrichsruh zu einer Forschungsstelle umbauen läßt.

In dem Gebäude, in dem die Gemeinde Aumühle bislang Asylbewerber untergebracht hat, sollen die rund 120 000 Schriftstücke und Dokumente aus Bismarcks Nachlaß wissenschaftlich ausgewertet werden. »Dazu brauchen wir natürlich die nötige Ruhe«, sagt Stiftungsvorstand Schimanel.

Das sieht auch die Bahn ein: Sie hat sich verpflichtet, nicht nur schalldichte Fenster und eine Lüftungsanlage zu bezahlen, sondern auch eine Lärmschutzwand vor dem Stiftungsgebäude zu errichten. Über deren Höhe wird noch verhandelt. Die angebotenen drei Meter sind den Stiftlern zu niedrig.

Für die rund sechs Kilometer durch den Sachsenwald haben die Bahngegner schon jetzt ein bundesweit einmaliges Lärmschutzprogramm für nahezu 30 Millionen Mark durchgesetzt. Bis zu fünfeinhalb Meter hohe Wände sollen den Schienenlärm fernhalten.

Auch ein benachbartes Seniorenheim für wohlhabende Rentner und Pensionäre wird besonders abgedichtet. In den Planungsunterlagen der Bahn war die Wohnanlage irrtümlich als »gewerbliches Mischgebiet« ausgewiesen.

Der Transrapid soll ebenfalls durch den Sachsenwald schweben. Um eine »weitere Verlärmung« seines Waldes abzuwehren, will Ferdinand von Bismarck »alle Klagewege« gegen die Magnetbahn ausnutzen. »Wir sind nicht bereit, Grundstücke für den Transrapid bereitzustellen«, betont der Fürst. Die Transrapid-Trasse ist, anders als die Autobahn, noch nicht im Besitz des Bundes. »Ich kann mir nicht vorstellen«, begründete der klageberechtigte Grundbesitzer Ferdinand von Bismarck in einem Schreiben an den Bahn-Vorstand den Einspruch seines Clans, »daß ein Schnellfahrkorridor neben dem Transrapid sinnvoll sein kann.«

»Beide Systeme haben ihre eigene verkehrliche Berechtigung«, konterte die Bahn lapidar. Dezent erinnerte Dürr den Adligen daran, daß die Bahn den Bismarcks schon genug entgegengekommen sei: Auf »Ihren Wunsch« sei, nach einer Begegnung von Bismarcks mit Dürr in Potsdam, ein »Betriebsbahnhof« in Friedrichsruh in der Planung so weit nach Osten versetzt worden, daß er der Beschaulichkeit der Fürstenfamilie keinen Abbruch tun könne.

[Grafiktext]

Geplante IC/ICE- und Transrapidstrecken

[GrafiktextEnde]

* 1990, in seinem Klub im spanischen Marbella.

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