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Dem Tod oder dem Triumph entgegen

Wer wählt rechtsradikal? Die Republikaner und die anderen Bundesbürger - Ergebnisse dreier SPIEGEL-Umfragen
aus DER SPIEGEL 21/1989

Wird es den Republikanern Ende nächsten Jahres so ergehen wie der NPD im September 1969?

Damals blieb diese rechtsradikale Partei bei der Bundestagswahl knapp unter fünf Prozent. Bis dahin war die NPD bei Landtagswahlen erfolgreich gewesen, seither ist sie auf Bundes- und Landesebene ohne jede Bedeutung.

Die neuen Rechtsradikalen des einstigen Waffen-SS-Unterscharführers, Schauspielers und Journalisten Franz Schönhuber sind tägliches Thema in den Medien, seit sie es bei der Berliner Wahl am 29. Januar aus dem Stand auf 7,5 Prozent gebracht haben und deshalb hoffen, sich bei der nächsten Bundestagswahl - voraussichtlich am 9. Dezember 1990 - in Bonn als fünfte Partei zu etablieren.

Will man ihren Wortführern glauben, so haben sie sogar Chancen, drittstärkste Partei zu werden, noch vor den Grünen und der FDP.

Bei drei SPIEGEL-Umfragen des Bielefelder Emnid-Instituts lag die neue Partei bundesweit im März bei 5, vorher bei 3 und danach bei 4 Prozent. Diese Zahlen lassen offen, ob ihr die Wahl im Dezember 1990 einen Triumph oder den politischen Tod bringt.

Die Umfragen in den vergangenen drei Monaten lieferten eine Fülle von Material, das geeignet ist, ein Bild von den Anhängern der Schönhuber-Partei zu gewinnen und deren Wahlchancen realistisch einzuschätzen.

Eindeutig bestätigen die Umfragen die Vermutung des CDU-Generalsekretärs Geißler, daß viele Wähler der Republikaner »Fleisch vom Fleische der Union« seien. 81 von 100 gaben an, für welche Partei sie sich bei der letzten Bundestagswahl im Januar 1987 entschieden hatten: 51 Prozent nannten die CDU/CSU, 17 Prozent die SPD, je 6 Prozent die FDP oder die NPD sowie 1 Prozent die Grünen.

Dächten alle Deutschen so wie die mittleren Jahrgänge zwischen 25 und 45 Jahren, so hätten die Republikaner kaum eine Chance, in den Bundestag einzuziehen. In diesen Altersgruppen liegen sie deutlich unter 5 Prozent.

Relativ viele Anhänger haben sie unter den jüngsten Wählern zwischen 18 und 25 Jahren, unter den älteren zwischen 45 und 60 Jahren sowie neuerdings insbesondere unter den Deutschen im Rentenalter. Nur bei diesen ältesten Wählern sind die Republikaner laut Emnid einer zweistelligen Zahl von Anhängern nahe.

Wahlanalysen, nach denen es unter den jüngeren Deutschen noch weit mehr, unter den ältesten hingegen weniger rechtsradikale Wähler gebe, beruhen lediglich auf Daten aus Berlin und hessischen Großstädten und sind deshalb - im Unterschied zu den Emnid-Umfragen - nicht für die gesamte Bundesrepublik repräsentativ.

Die Schönhubers sind eine Partei mehr der Männer als der Frauen, mehr der Protestanten als der Katholiken, mehr der Bewohner kleinerer Orte als der größeren Städte.

Überdurchschnittlich viele Parteigänger der neuen Rechtsradikalen gibt es unter den bundesdeutschen Beamten, demnach ist die Popularität der Partei im öffentlichen Dienst nicht auf Polizisten beschränkt.

Die Anhänger der Republikaner sind politisch interessierter als die Durchschnittsdeutschen. Die meisten sehen keinen Grund, ihre Einstellung zu verbergen, und zählen sich zu den Multiplikatoren, die Verwandte, Freunde und Kollegen »von einer Meinung überzeugen« können und wollen.

Ein Wahlerfolg der Republikaner Ende nächsten Jahres könnte die bundesdeutsche Parteienlandschaft nachhaltig verändern.

Brächte die Bundestagswahl ein Ergebnis wie die SPIEGEL-Umfrage im März (SPD 40, CDU/CSU 37, Grüne 9, FDP 8, Republikaner 5 Prozent), so könnte es zwar eine Koalition der beiden Großen geben, die den drei kleineren Parteien weitere Wähler zutreiben und ein Fünf-Parteien-System etablieren würde. Im übrigen reichte es aber nicht zu einer Mehrheit, die herkömmlichen Vorstellungen entspräche: weder für CDU/CSU und FDP noch für SPD und Grüne, noch für SPD und FDP.

Was dann in Bonn arithmetisch nur noch möglich wäre, erscheint aus heutiger Sicht politisch unmöglich: ein Dreierbund entweder der CDU/CSU mit der FDP und den Republikanern oder der SPD mit der FDP und den Grünen.

Weder die eine noch die andere Mehrheit, noch eine Große Koalition wäre von Dauer, und Neuwahlen hätten einen ungewissen, im Zweifel gleichen Ausgang. Die Bundesrepublik schiene unregierbar.

Über die weitere Entwicklung der Republikaner wird in den Zeitungen und auf den Bildschirmen teils mit Zahlen, teils nur in Worten spekuliert. Doch auch die allermeisten Mutmaßungen, die scheinbar präzise in Prozenten ausgedrückt werden, erweisen sich bei näherem Hinsehen als belanglos oder als abwegig.

Das gilt für Schönhubers Behauptung, seine Partei habe ein Wählerpotential von 25 Prozent. Da hat ein Demagoge in die Luft gegriffen.

Es gilt aber auch für andere Zahlen, die aus älteren Untersuchungen zweier angesehener Institute stammen und jetzt des öfteren als angeblich noch immer (oder schon wieder) aktuelle Daten hervorgekramt werden.

Nacheinander hatten vor einigen Jahren das Münchner Sinus-Institut und das Allensbacher Institut für Demoskopie das rechtsextremistische Potential zu beziffern versucht. Allensbach unternahm dies außerdem auch für die Linksextremisten.

Beide Institute hatten mit der gleichen Methode gearbeitet. Sie ließen repräsentativ ausgewählte Bundesbürger zu einer Reihe mehr oder minder radikaler Meinungen ("Statements") Stellung nehmen, und für radikal wurden diejenigen Männer und Frauen erklärt, die einer bestimmten Zahl solcher Äußerungen zugestimmt hatten.

So unterschiedlich wie die Auftraggeber waren auch die Ergebnisse. Sinus arbeitete 1979/80 für die damalige SPD/FDP-Bundesregierung und zählte »13 Prozent der Wahlbevölkerung zum rechtsextremen Einstellungspotential, das heißt, 13 Prozent aller Wähler in der Bundesrepublik verfügen über ein abgeschlossenes rechtsextremes Weltbild«.

Allensbach beschäftigte sich 1983/84 im Auftrag des damaligen CSU-Innenministers Zimmermann mit den 16- bis 25jährigen Deutschen und fand unter ihnen halb so viele Rechtsextremisten (6,2 Prozent) wie Sinus in der Gesamtbevölkerung, signalisierte aber Gefahr auf der Gegenseite: Es gebe unter den jüngeren Bundesbürgern ein linksextremistisches Potential von 12,4 Prozent.

Die Untersuchungen fanden eine positivere Resonanz, als sie es verdienten, denn beide hatten erhebliche methodische Mängel.

Am grünen Tisch setzten die Institute fest, mit wie vielen Antworten man noch als Demokrat, mit wie vielen man schon als Radikaler zu gelten habe. Laut Allensbach ist bereits derjenige ein Linksextremist, der 5 von 20 Statements bejaht, ganz gleich, ob er sich fünfmal zur Gewalt bekennt oder ob er fünf Ansichten zustimmt wie diesen: Links von der SPD müsse es noch eine Partei geben; eine Fabrik, die geschlossen werden solle, dürfe besetzt werden; der Dritten Welt sei eine »kämpferische Solidarität« zu wünschen; die Schlüsselindustrie solle verstaatlicht werden; wer Berufsverbote ausspreche, sei »nicht friedensfähig« (was auch immer Frager und Befragte darunter verstanden haben mögen). Da nimmt es nicht wunder, daß Allensbach 39,2 Prozent der Grün-Anhänger zu Linksextremisten erklärte.

Mehrere Statements zur politischen Gewalt, die Sinus entwickelte und die Allensbach übernahm, hatten überdies mit der bundesdeutschen politischen Wirklichkeit wenig oder nichts zu tun. Es wurden künstliche Welten aufgebaut, in denen Pornos verbrannt, DDR-Fahnen auf westlichen Sportplätzen heruntergeholt und »linke Buchläden ausgeräuchert« wurden.

Mit solchen Szenarien mißachteten die Münchner und die Allensbacher Demoskopen die eigene Erfahrung, daß bei Umfragen gemeinhin um so willkürlicher geantwortet wird, je fiktiver gefragt wird.

Es gibt mithin gute Gründe, die beiden Untersuchungen in den Archiven vergilben zu lassen, statt sich gerade jetzt auf sie zu berufen und - Allensbach folgend - jeden achten jungen Deutschen zum potentiellen Linksradikalen oder - Sinus folgend - jeden achten Erwachsenen zum potentiellen Rechtsradikalen und Parteigänger Schönhubers zu stempeln.

Das wären rund sechs Millionen erwachsene Bundesbürger, etwa doppelt so viele wie in Schleswig-Holstein und Hamburg wohnen.

Die Schönhubers könnten aus dem vollen schöpfen, und es hinge nur noch von ihren Künsten als Roßtäuscher und als Rattenfänger a la Hameln ab, ob sie genügend Anhänger für den Einzug in Bonn gewinnen.

Ließen sich Radikale an der Einstellung zur Gewalt erkennen, so wären die Anhänger der Republikaner keine schlechteren Demokraten als die Wähler der CDU/CSU, der FDP und der SPD. Die lehnen mit Mehrheiten von 90 bis 92 Prozent Gewalt als politisches Mittel ab. 88 von 100 Republikanern äußern sich ebenso.

Das erklärt sich aber nicht aus deren demokratischem Bewußtsein, sondern daraus, daß sie Recht und Ordnung hoch schätzen. Mit der Bundeswehr fühlen sie sich enger verbunden als andere Bundesbürger. Vom Dienst an der Waffe halten sie viel, vom Zivildienst so gut wie nichts, und mit dem »Schutz der Bürger vor Verbrechen«, wie er heutzutage praktiziert wird, sind sie derart unzufrieden, daß sie ihn am liebsten ihrer Partei übertragen würden.

Die Anhänger der Grünen hatten noch vor einigen Jahren eine ganz andere Einstellung zur politischen Gewalt als ihre Landsleute. 1981 sprachen sich nur 45 Prozent für eine gewaltfreie Politik aus. Inzwischen hat sich die Einstellung grundlegend gewandelt, aus der Minderheit ist eine Mehrheit von 71 Prozent geworden.

»Gewalt gegen Sachen« bejahen heute 19 Prozent der Grünen und 6 Prozent der Republikaner, darüber hinaus »Gewalt gegen Personen« 10 Prozent der Grünen und 6 Prozent der Republikaner.

Die Schönhuber-Leute scheinen weniger von der Norm abzuweichen, die das politische System setzt, und sich stärker an die demokratischen Spielregeln zu halten. Doch es wäre eine Fehleinschätzung, sie für bessere Demokraten als die Grünen zu halten. Es ist umgekehrt. Die linken Grünen sind dem demokratischen System stärker verbunden als die rechten Republikaner, wie die SPIEGEL-Umfragen durchgängig belegen.

Als die Emnid-Interviewer von den Befragten wissen wollten, wie sie »ganz allgemein zu der Demokratie in der Bundesrepublik, das heißt zu unseren politischen Parteien und zu unserem ganzen politischen System« stehen, äußerte sich die Hälfte der Grünen, aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Republikaner negativ. Ähnliche Ergebnisse brachten auch andere Fragen, mit denen Emnid das Ausmaß der politischen Unzufriedenheit feststellte.

Was die Bundesbürger insgesamt angeht, so steht nur eine Minderheit dem bundesdeutschen politischen System ablehnend gegenüber. Aber diese Minderheit hat sich - wie der Vergleich mit früheren Umfragen zeigt - in den letzten Jahren von einem Viertel auf ein Drittel vergrößert.

Auch andere Ergebnisse bestätigen diesen Trend: Es gibt mehr Verdrossenheit und weniger Vertrauen. Das ist der Boden, auf dem die Saat der Rechtsradikalen aufgegangen ist.

Wird nicht global nach dem System gefragt, sondern nach den Parteien, so gehen sogar wachsende Mehrheiten auf Distanz.

Nicht mehr 62 Prozent wie im Jahre 1980, sondern nunmehr 75 Prozent stimmten der Meinung zu: »Den Parteien geht es eigentlich nur um die Wählerstimmen, aber nicht darum, was die Leute denken.«

Und von 55 auf 66 Prozent stieg die Zahl derjenigen, die kurzerhand die Politik zu einem »schmutzigen Geschäft« erklärten.

Als die Emnid-Interviewer elf Einrichtungen und Organisationen nannten und jeweils wissen wollten, ob die Befragten ihnen »Vertrauen entgegenbringen«, kamen die Parteien auf den letzten Platz. Nur jeder dritte Bundesbürger vertraut ihnen.

Immer schon gab es einen Kontrast zwischen dem großen Vertrauen etwa zum Bundesverfassungsgericht und dem relativ geringen zu den Parteien. Aber während sich am hohen Ansehen des obersten Gerichts nichts geändert hat, hat sich das Vertrauen zu den Parteien in den letzten Jahren noch vermindert. 1983 äußerten sich immerhin 50 Prozent der damals Befragten positiv, 1986 waren es noch 45, im Dezember vorigen Jahres 38, und nun sind es nur noch 35 Prozent.

Als diese Vertrauens-Frage gestellt wurde, entschied sich sogar eine knappe Mehrheit der CDU/CSU-Wähler für eine negative Antwort. Aber mit 52 Prozent heben sie sich noch deutlich von den Deutschen mit anderer politischer Einstellung ab. Kein Vertrauen zu den Parteien haben 60 Prozent der FDP-Wähler, 66 Prozent der SPD-Wähler, 79 Prozent der Grün-Wähler und sogar 83 Prozent der Wähler der Republikaner.

Welche Frage Emnid auch stellte, stets äußerten sich die Republikaner noch negativer als die anderen Befragten. Daß es den Parteien nur um Stimmen geht und nicht darum, was die Leute denken, meinen zum Beispiel drei von vier Bundesbürgern, aber nahezu alle Republikaner (94 Prozent).

In ihren Köpfen paßt alles zusammen. Sie halten größtenteils nichts von dem politischen System der Bundesrepublik, nichts von den Parteien, nichts von der Regierung in Bonn und nichts von der dortigen Opposition, der roten wie der grünen.

Ihnen sind Konflikte und Widersprüche fremd, die viele andere Bundesbürger empfinden - diejenigen etwa, die das politische System bejahen, aber den Parteien - Teilen des Systems - nicht vertrauen.

Es spricht für die Stabilität des Systems, daß weitaus die meisten Bundesbürger weiterhin Parteien wählen, mit denen sie unzufrieden sind oder denen sie sogar mißtrauen, und daß so wenige sich für die rechtsradikalen Außenseiter entscheiden.

Aber sind angesichts so weit verbreiteter Verdrossenheit die Grenzen nicht fließend? Ist es nicht vielleicht für gar manchen nur ein kleiner, letzter Schritt, die Partei auch nicht mehr zu wählen, der er längst nicht mehr vertraut, und zu denen überzulaufen, die so reden, wie auch ihm oft zumute ist? Ist mithin das Potential der Republikaner überhaupt einzuschätzen und einzugrenzen?

Diese Fragen lassen sich nur Schritt für Schritt beantworten.

Es gab in den letzten Monaten mehr politische Bewegung unter den Bundesbürgern als in manchen Wahlkämpfen. Die CDU/CSU hat bei ihrer Talfahrt von 44,3 Prozent (bei der letzten Bundestagswahl) auf 36 Prozent (bei der letzten SPIEGEL-Umfrage) rund 3,7 Millionen Anhänger nach rechts und links verloren.

Ganz allgemein ist die Einstellung zu den Parteien flexibler geworden, wie der Vergleich von Emnid-Daten aus den Jahren 1981 und 1989 zeigt.

Von 55 auf 47 Prozent ist der Anteil der Stammwähler zurückgegangen. Als Wechselwähler bezeichnen sich nicht mehr 35, sondern 42 Prozent.

Nur 23 Prozent der Bundesbürger zählen sich zu den »überzeugten Anhängern« der Partei, die sie wählen; 53 Prozent sind in »einigen«, 24 Prozent in »vielen« Punkten anderer Meinung als »ihre« Partei.

Daß es mehr Stammwähler als überzeugte Anhänger gibt, bedeutet, daß für viele die Wahl einer Partei fast zu einem leeren Ritual geworden ist, ähnlich wie für viele längst ungläubige Katholiken der Kirchgang.

Gestiegen ist auch die Zahl derer, die aus taktischen Gründen die Partei mal wechseln (etwa um einer größeren zur Macht, einer kleineren über die Fünf-Prozent-Hürde zu helfen), die »ihrer« Partei mal einen Denkzettel verpassen, die aus stummem Protest mal nicht zur Wahl gehen. Lediglich rund einem Viertel der wahlberechtigten Deutschen (28 Prozent) sind all diese Praktiken an Wahltagen fremd.

Nicht wenige Bundesbürger hätten soziale Gründe, politisch verdrossen zu sein. 8 Prozent der von Emnid Befragten bezeichnen ihre wirtschaftliche Lage als »schlecht« oder »sehr schlecht«. 11 Prozent leben in Wohnungen, mit denen sie nicht zufrieden sind, die sie aber nicht wechseln können. 13 Prozent haben ihren Arbeitsplatz verloren oder müssen zur Zeit um ihn bangen. 22 Prozent zählen sich selbst zu jenem Drittel der Deutschen, das nach Meinung vieler Sozialforscher am Wohlstand der Zwei-Drittel-Mehrheit nicht teilhat.

Aber sind, wie oft vermutet wird, die Republikaner die Partei derjenigen, die im Schatten leben und dagegen wenigstens mit dem Stimmzettel aufbegehren sollen? Da muß vor vorschnellem Urteil gewarnt werden.

Unter denen, die arbeitslos sind oder zu werden drohen, gibt es nicht mehr Anhänger der neuen Partei als unter den anderen Bundesbürgern. Hingegen zählte das Emnid-Institut überdurchschnittlich viele Republikaner unter denen, die von der Wohnungsnot betroffen sind, die ihre Lage als schlecht bezeichnen oder sich zum benachteiligten Drittel rechnen.

Aber die Zahl der Republikaner unter diesen Unterprivilegierten ist bei weitem nicht so groß, wie gelegentlich angenommen wird. Es sind nicht so viele, daß sie den Hauptteil der Schönhuber-Anhänger ausmachen.

Und keineswegs läßt sich ein durchgängiger Trend feststellen, daß es um so mehr Anhänger der Radikalen gebe, je schlechter es den Deutschen gehe.

Gewichtiger als alle sozialen Gründe, die Bundesbürger der Schönhuber-Partei zutreiben können, sind politische Motive. Zugespitzt gesagt: Die Republikaner sind weniger eine Protest-Partei, die Unzufriedene aller Art anzieht, als vielmehr eine Weltanschauungs-Partei.

Sie steht weit rechts von der CDU/ CSU - nicht nur nach Ansicht ihrer Gegner, sondern auch nach dem Verständnis ihrer eigenen Anhänger. Auf einer Skala mit zehn Punkten von 1 ("sehr weit links") bis 10 ("sehr weit rechts") ordnen sie selbst sich bei 7.2, ihre Partei bei 8.4 ein (so die Durchschnittswerte).

Stramm rechts sind denn auch die Ansichten der meisten Republikaner. Der Kontrast zu den Meinungen der anderen Bundesbürger ist groß.

60 Prozent der Befragten insgesamt verneinten, aber 67 Prozent der Republikaner bejahten die Frage, ob »Hitler ohne den Krieg und die Judenverfolgung einer der größten deutschen Staatsmänner gewesen wäre«.

66 Prozent der Bundesbürger sind der Meinung, der Nationalsozialismus habe »dem deutschen Volk von Anfang an geschadet«. 58 Prozent der Republikaner sind gegenteiliger Ansicht.

Schlimmer noch: 52 Prozent der Republikaner - gegenüber 18 Prozent der Bundesbürger insgesamt - haben eine negative Einstellung zu den Juden, die heute in der Bundesrepublik leben.

Und bei aller Feindschaft gegenüber den Ausländern, die Emnid bei der Mehrheit der Deutschen feststellte (SPIEGEL 16/1989), gibt es doch einen geradezu rassistischen Fremdenhaß nur bei der Mehrheit der Republikaner.

Der Unterschied deutet sich schon im Sprachgebrauch an. Für die meisten Republikaner, aber nur für relativ wenige andere Deutsche sind die hiesigen Ausländer »Fremde«, während immerhin 38 Prozent der Bundesbürger insgesamt, aber nur 3 Prozent der Republikaner sie »Mitbürger« nennen.

Ein Beispiel des Fremdenhasses, das für viele Ergebnisse steht: Als sie nach Asylanten aus Afrika gefragt wurden, äußerten sich 94 von 100 Republikanern negativ, und nicht weniger als 61 Prozent wählten auf der Skala von +5 bis -5 sogar den negativsten Wert, der sich ihnen bot.

Wie tief diese Meinungen sitzen, zeigte sich, als Emnid die Antworten auf mehrere Fragen miteinander verglich und analysierte.

Das Institut bildete aufgrund der Einstellung zu den heutigen, in der Bundesrepublik lebenden Juden drei Gruppen: eine antijüdische, eine mittlere und eine projüdische. Zwei Zusammenhänge ("Korrelationen") erwiesen sich als stark und durchgängig.

Der erste: Je negativer die Einstellung der Bundesbürger zu den Juden ist, desto zahlreicher sind sie Republikaner. Deren Anteil liegt in der antijüdischen Gruppe bei 21 Prozent, in der mittleren bei 4 und in der projüdischen bei 2 Prozent.

Der zweite: Je negativer die Einstellung zu den Juden ist, desto negativer ist auch die Einstellung zu Ausländern und Aussiedlern. Alter Antisemitismus, der sogar die Hitler-Zeit überlebte, und neue Ausländerfeindlichkeit haben sich da in vielen Köpfen vereint.

Zum Beispiel sind 69 Prozent der antijüdischen Gruppe negativ auch zu den türkischen Gastarbeitern eingestellt, aber lediglich 45 Prozent der mittleren und 32 Prozent der projüdischen Gruppe.

Eine negative Meinung zu den deutschstämmigen Aussiedlern aus dem Osten haben 55 Prozent der ersten, 38 Prozent der zweiten und 27 Prozent der dritten Gruppe.

Das Recht auf Asyl, das jedem politischen Flüchtling gewährt werden muß, wollen 69 Prozent der antijüdischen, 49 Prozent der mittleren und 36 Prozent der projüdischen Gruppe aus dem Grundgesetz streichen.

Auch 77 Prozent der Republikaner bejahen diese Forderung, während die meisten Anhänger der FDP, der SPD und der Grünen das Grundgesetz nicht antasten wollen und die CDU/CSU-Wähler geteilter Meinung sind (51 Prozent dafür, 48 Prozent dagegen).

Auch wenn es um ganz andere Themen geht, äußern sich die meisten Republikaner so konservativ oder reaktionär, daß sich ihre Ansichten von denen der anderen Bundesbürger häufig wie schwarz und weiß unterscheiden. Beispiele, in Klammern jeweils zum Vergleich die Zahlen für die Bundesbürger insgesamt:

62 Prozent der Republikaner (34 Prozent) lehnen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ab.

63 Prozent (49 Prozent) beklagen »ein erschreckendes Absinken der sexuellen Moral«.

66 Prozent (49 Prozent) bejahen den heutigen Abtreibungsparagraphen 218 oder fordern sogar eine noch strengere Regelung.

Wieviel braunen Ballast viele Republikaner in die bundesdeutsche Gegenwart mitschleppen, zeigt ihre Mehrheit von 67 Prozent für »eine Führerpersönlichkeit, die Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert«.

Wären die Republikaner eine Protestpartei ohne ideologische Basis, so dürfte damit gerechnet werden, daß sich ihre Anhänger früher oder später verlaufen. Aber die gemeinsame Gesinnung gibt ihnen »einen Zusammenhalt, der stärker eint als aktuelle Empörung über echte oder vermeintliche Mißstände«, meint der Meinungs- und Wahlforscher Klaus-Peter Schöppner, der in dem Bielefelder Institut die SPIEGEL-Umfragen leitet.

Das Berliner Erfolgserlebnis motiviert weiterhin viele Republikaner, die bis dahin kaum eine Gelegenheit sahen, ihre Einstellung öffentlich wirksam auszudrücken. Jahrelang brachten es rechte Splitterparteien bei Wahlen allenfalls auf eine Eins, meist nur auf eine Null vor dem Komma. Da blieben viele bei der CDU/CSU oder einer anderen Partei, oder sie blieben am Wahltag zu Hause.

Erst der Schock einer schweren Niederlage wird solche Wähler wieder auseinandertreiben, wie der blitzschnelle Niedergang der NPD nach der Bundestagswahl 1969 zeigte.

Derzeit schwankt die Zahl der Schönhuber-Gefolgsleute um 5 Prozent. Nicht einfach ist es festzustellen, wie viele Sympathisanten diese Partei neben ihren Wählern noch hat.

6 Prozent der Anhänger anderer Parteien (vornehmlich CDU/CSU-Wähler) nannten die Schönhuber-Partei an zweiter Stelle, als sie sagen sollten, welche Parteien ihnen »am besten gefallen«. Sogar 13 Prozent jener Befragten, die selbst andere Parteien wählen, wünschen dem Parteichef Schönhuber eine »wichtige Rolle« in der deutschen Politik. Und den Einzug seiner Truppe in Bonn würden - zusätzlich zu den eigenen Wählern - ebenfalls 13 Prozent derjenigen Bundesbürger begrüßen, die selbst diese Rechtsradikalen nicht wählen.

. . . nicht wählen oder noch nicht wählen? Die Vermutung ist irreal, diese Sympathisanten - 6 bis 13 Prozent der Bundesbürger - seien ein Wählerpotential der neuen Partei, könnten ihr in Zukunft sogar zu zweistelligen Wahlerfolgen verhelfen.

Mehr Ewiggestrige und Stockkonservative, als ihm schon zugelaufen sind, wird Schönhuber kaum noch gewinnen können. Zwar gibt es insbesondere unter den Unionsanhängern noch etliche, denen die Gedanken nicht fremd sind, die unter den Republikanern vorherrschen. Aber bei ihnen hat sich bislang die Bindung an »ihre« Partei als stärker erwiesen als diese Einstellung, und so dürfte es im großen und ganzen auch bleiben.

Ausnahmen wird es geben. Zwischen benachbarten Parteien, in diesem Fall zwischen der rechten CDU/CSU und der neuen rechtsradikalen Partei, werden immer Wähler fluktuieren. Aber nach den starken Veränderungen der letzten Monate spricht viel dafür, daß sich künftig die Zu- und Abgänge in etwa ausgleichen und deshalb kaum wahrgenommen werden.

Vielen anderen Sympathisanten der Republikaner ist deren schiefes Weltbild fremd, aber sie sind verdrossen über das, was in Bonn und anderswo geschieht. Sie sind durchaus dafür, daß es »denen da oben« mal gezeigt wird, aber ihnen ist es lieber, wenn das andere besorgen.

Weitaus die meisten Bundesbürger, die so denken, werden ziemlich sicher den großen Schritt von einem Sympathie-Kreuz bei einer Meinungsumfrage zu einem Kreuz auf dem Stimmzettel scheuen.

Nur ein einziges Thema, so scheint es, könnte den Republikanern noch ein paar Prozent Wähler zutreiben. Das zeigte sich, als die Emnid-Interviewer eine Reihe von Aufgaben aufzählten und jeweils fragten, welche Partei sie am besten lösen könne.

Bei den meisten Aufgaben wurde die Partei der Republikaner nur von 2 oder 3 Prozent der Befragten genannt, also nicht mal von allen ihren Wählern. Bis weit in die eigenen Reihen hinein gelten die Schönhubers als inkompetent, wenn es zum Beispiel um Arbeitslosigkeit, um Umweltschutz oder um soziale Gerechtigkeit geht.

Ganz anders fielen die Antworten aus, als gefragt wurde, welche Partei »am besten geeignet ist, das Ausländerproblem vernünftig zu regeln«.

Da nannten 12 Prozent der von Emnid befragten Männer und Frauen die rechtsradikale Partei - mehr als doppelt so viele, wie sie Wähler hat.

Davon, ob demokratische Politiker die Ausländerfeindlichkeit der meisten Deutschen eindämmen oder aber die Schönhubers sie zum Fremdenhaß aufputschen, wird es mithin abhängen, ob sich die neuen Rechtsradikalen bei der Bundestagswahl Ende nächsten Jahres als fünfte Partei etablieren oder ob sie wieder von der politischen Bühne verschwinden. #

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