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Artikel 35 / 78

Den Alterskassen ein Baby schenken?

SPIEGEL-Redakteurin Renate Merklein über Bevölkerungsentwicklung und Rentenfinanzen (l) _____« Hast du, was in der Zeitung stand, gelesen? Der » _____« Landtag ist mal wieder sehr empört von wegen dem » _____« Geburtenschwund gewesen. Auch ein Minister fand es » _____« unerhört. » _____« Geburtenrückgang, hat er noch gesagt, sei, die » _____« Geschichte lehrt es, Deutschlands Ende, und deine » _____« Fehlgeburt hat er beklagt. Und daß er, daß man abtreibt, » _____« gräßlich fände. » _____« Erich Kästner » *
aus DER SPIEGEL 52/1985

Die Spottverse mit dem Titel »Patriotisches Bettgespräch« sind ziemlich alt. Sie stammen aus dem Jahre 1930. Ihr Thema hat in Deutschland längst schon wieder Aktualität. Franz Josef Strauß, Ministerpräsident im Freistaat Bayern und Vorsitzender der zweitgrößten unter den Koalitionsparteien, die in Bonn die Regierung stellen, beispielsweise, sieht - blickt er auf Deutschlands Zukunft - das Ende nahen: Jetzt schon konstatiert er einen »Verfall der biologischen Leistungsgemeinschaft« in diesem Lande. Beim Kanzler Helmut Kohl gehört die bange Frage, wie wir denn »bei der Geburtenrate von heute in 25 Jahren unsere Nato-Verpflichtungen erfüllen« wollten, ohnehin zum Rede-Repertoire.

Im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre gebaren jeweils 1000 Frauen im Mutter-Alter jährlich nur 46 Kinder. Die sogenannte zusammengefaßte Geburtenziffer, die von den Bevölkerungsexperten des Statistischen Bundesamtes jährlich errechnet wird, um zu zeigen, »wie viele Kinder 1000 Frauen im Laufe ihres Lebens zur Welt bringen würden, wenn die gegenwärtigen Geburtenverhältnisse konstant blieben«, sinkt im Trend seit vielen Jahren.

Im ersten Halbjahr 1985 erreichte diese Kennzahl ein neues Jahrhunderttief: Danach sind von 1000 deutschen Frauen während ihrer gesamten Fruchtbarkeitsperiode nur noch 1285 Kinder zu erwarten - und damit viel zuwenig, um die Erhaltung deutscher Art in der bislang gewohnten Menge abzusichern. Dazu nämlich wären - in Anbetracht der zwar geringen, aber nie ganz ausrottbaren Sterblichkeit bei Babys - derzeit 2129 Kinder je 1000 Frauen nötig. Seit 1970 schon liegt die Geburtenziffer unter dieser Marke, die zur Bestandserhaltung nötig wäre.

Fleißige Kommissionen auf Landes-, Bundes- oder Parteienebene, die Szenarien über die künftige Größe des deutschen Volkes entwickeln, kommen allenthalben zu dem Schluß, daß der Bundesrepublik bei »anhaltend niedrigem Geburtenniveau« eine drastische »Verminderung der Einwohnerzahl« drohe - so etwa die vom Bundeskabinett eingesetzte »Arbeitsgruppe Bevölkerungsfragen«. Nach den Modell-Rechnungen dieser Arbeitsgruppe werden im Bundesgebiet Anno 2030 bestenfalls nur noch gut 43 Millionen, schlechtestenfalls gar

lediglich 33,6 Millionen Deutsche leben. Nach dieser düstersten Prognose wird die Zahl der Deutschen in der Bundesrepublik bereits in 15 Jahren um zwölf Prozent und damit von derzeit rund 57 Millionen auf etwa 50 Millionen sinken.

»Raum ohne Volk« - die Paraphrase auf den mehr als fatalen Spruch vom »Volk ohne Raum«, den der deutschnationale Literat Hans Grimm erfunden und die Nationalsozialisten nachgebetet hatten - ist unterdes schon vielen zu solchen Zahlenwerken eingefallen.

Nach der Variante, die von den Rechnern als die offenkundig wahrscheinlichste angesehen wird, gibt es zwar künftig mehr ausländische Zuwanderer, die den entleerten Raum ein wenig wieder füllen; den mangelnden Regenerationsfleiß der Deutschen aber werden sie nach der Annahme der Bevölkerungskalkulatoren nur teilweise ausgleichen können. Trotz der unterstellten Immigrationszunahme rechnen die amtlichen Schätzer damit, daß sich schon für das Jahr 2000 nur noch eine »Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik von rund 59,14 Millionen« ergebe, »die bis zum Jahr 2030 auf rund 45,74 Millionen weiter zurückgeht«.

Damit hätte die kleine Bundesrepublik mit ihren nur 249000 Quadratkilometern Fläche zwar immer noch in etwa so viele Einwohner, wie das Deutsche Reich unter Einschluß aller unterdes abhanden gekommener Ostprovinzen und inklusive Elsaß-Lothringens zur Zeit des Amtsantritts von Kaiser Wilhelm II. aufzuweisen hatte (540500 Quadratkilometer). Gegenüber dem derzeitigen Bevölkerungsstand von 61 Millionen aber wäre das ein Schwund von rund 25 Prozent.

Die Aussicht, zahlenmäßig an Bedeutung zu verlieren, steht freilich nicht allein den Deutschen bald bevor. Die Fruchtbarkeit der Bürger sinkt allenthalben in allen industrialisierten Staaten des Westens.

Für Europa und die anderen industrialisierten Regionen der Welt hat sich jenes »Naturgesetz« nicht erfüllt, das der anglikanische Pfarrer und bis heute berühmteste Bevölkerungswissenschaftler Thomas Robert Malthus (1766 bis 1834) entdeckt haben wollte. Malthus'' Erkenntnis, »daß die Bevölkerung die dauernde Neigung« habe, »sich über das Maß der vorhandenen Nahrungsmittel hinaus zu vermehren«, war freilich bereits im 19. Jahrhundert durch die Entwicklung widerlegt worden.

Zum einen stiegen zwar damals die Bevölkerungszahlen in allen europäischen Staaten zunächst noch kräftig infolge verringerter Sterblichkeit, bei unvermindert hoher, zunächst sogar noch steigender Geburtenrate. Aber schon im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts, also noch zu Malthus'' Lebzeiten, verzeichnete ein großes europäisches Land, Frankreich, einen starken Geburtenrückgang. Und das gleiche geschah später in allen europäischen Staaten (siehe Graphik Seite 70 unten).

Zum anderen erwies sich auch als falsch, daß Volksvermehrung immer »mannigfache Formen des Elends« nach sich ziehen müßte, wie Malthus geglaubt hatte. In England beispielsweise, wo sich die Bevölkerung im Laufe des 19. Jahrhunderts verdreifacht hatte, ist das reale Pro-Kopf-Einkommen während dieser Zeit um jährlich mehr als ein Prozent gestiegen.

Mittlerweile haben alle industrialisierten Länder ganz andere Sorgen als jene, die Malthus für permanent hielt.

Im Bereich der Europäischen Gemeinschaft weist nur noch Irland Geburtenziffern aus, die ein Bevölkerungswachstum auch in Zukunft noch erwarten lassen. In allen anderen Staaten der EG liegen die Geburtenzahlen teilweise seit Jahren weit unter jener Marke, die der einzelnen Nation die bislang gewohnte Größe sichern könnte. Ähnlich ist es in der Schweiz, in Schweden, Kanada, in Japan und auch in den USA. Dort überall ist nationale Schrumpfung angesagt, zumindest dann, wenn der Gebärfleiß sich nicht bald beschleunigt.

In allen diesen Ländern - auch in der Bundesrepublik - waren die Geburten nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst weit über das zuvor, in den 20er und 30er Jahren, gewohnte Maß gestiegen, und zwar so stark, daß dieser Nachwuchs-Schub den Namen »Baby-Boom« erhielt. Dem Boom, der Überhitzungsphase also, folgte eine Baisse bei der Vermehrungstätigkeit, die in allen Staaten im Verlauf der 60er Dekade begann und sich seither nur noch verschärfte (siehe Graphik Seite 68).

In keinem anderen Land fiel allerdings die Fruchtbarkeit bislang so stark wie in der Bundesrepublik, wo schon seit dreizehn Jahren mehr Eingeborene sterben als geboren werden, wo selbst die zugezogenen Fremden nicht mehr sehr viel Vermehrungsfreude zeigen; denn selbst die Gastarbeiterfrauen gebären - einem populären Vorurteil entgegen - weitaus weniger Kinder, als nötig wären, um wenigstens den Bestand der hierzulande lebenden Ausländer zu sichern (siehe Graphik Seite 72). Deshalb auch stehen keinem anderen Staat die Folgen, die ein Geburtenrückgang nach sich zieht, so dicht bevor.

Der Absturz der Geburtenziffern - häufig »Pillenknick« genannt, obwohl er

angesichts von früheren Vermehrungsbaissen kaum durch die seit etwa 1960 überall paraten Antibabypillen hinreichend erklärbar ist - schuf allenthalben schwelende Probleme und manches Schizophrene, zumindest was die Äußerungen und das Handeln der Staatenlenker anbelangt.

Gespaltenen Sinnes sind die Politiker des Westens ohnehin seit langem in Bevölkerungsfragen, je nachdem, ob die Dynamik des eigenen Volkes oder aber das Wachstum der gesamten Menschheit zur Debatte steht. Bei jenem Teil der Weltbevölkerung, der ihrer eigenen und nächstverwandter Nationalität (und Rasse) zugehört, finden sie gemeinhin einen Stopp des Wachstums, erst recht natürlich einen Rückgang, sehr beklagenswert. Zugleich jedoch bejammern sie gern sorgenvoll den Trend zur Übervölkerung der Erde infolge einer hohen Fruchtbarkeit in den Entwicklungsländern (siehe Graphik rechts).

Das deutsche Kabinett Kohl/Genscher fällt keineswegs sehr auf, wenn es sich einerseits der Unterstützung für weltweite Familienplanungs-Programme, »die zu einer Verlangsamung des Bevölkerungswachstums beitragen«, rühmt (so im Bericht über die Entwicklungspolitik), sich andererseits darüber sorgt, wie denn im Inland der Bevölkerungsschwund gewendet werden könne.

Und in Europa zumindest ist auch jene andere Bewußtseinsspaltung, die hiesige Politiker bei dem Gedanken an den Geburtenrückgang stets überfällt, nicht selten, sondern fast normal. Wie hier, so führt die abgesunkene Fruchtbarkeit auch in den anderen Ländern Europas zugleich ein Plus- wie auch ein Minus-Zeichen bei jenen, die sich um sie kümmern.

Als hochwillkommener Segen gilt sie gemeinhin für den Arbeitsmarkt. Denn hier und auch in ganz Europa ist die seit langem niedrige Geburtenrate derzeit die einzige nicht morsche Stütze für die Hoffnung, daß die allzu hohe Arbeitslosigkeit in ein paar Jahren immerhin zurückgehen könnte - weil dann nur noch sehr schwach besetzte Geburtenjahrgänge in das erwerbsfähige Alter kommen, folglich mehr alte Arbeitskräfte ausscheiden als junge hinzutreten werden, weil mithin weniger als früher die angeblich knappe Arbeit begehren.

Doch was vielleicht die mangelhafte Fähigkeit, Erwerbsgelegenheiten zu beschaffen, zwar nicht verbessert, aber doch verdeckt, reißt andere Lücken. Denn der Geburtenrückgang bringt alle Nationen, die sich ein üppiges soziales Renten-Werk anschafften und diese hohen Staatspensionen durch Umlage, also nach »Art von Kettenbriefen« (der französische Sozialwissenschaftler Jean-Jacques Rosa) finanzierten, auf Dauer in ziemlich schlimme Schwierigkeiten - wahrscheinlich zuallererst die Deutschen, da sie beim Nachwuchshecken besonders träge, bei der Verteilung von Pensionsansprüchen jedoch besonders rege waren.

Genau deshalb und - das wird nicht so oft und auch nicht ganz so dröhnend vorgetragen - aus Sorge um die Wehrkraft sowie auch darum, daß die Welt das deutsche Wesen bald entbehren müßte, stehen laute Klagen über die Vermehrungsfaulheit der Bürger bei dem üblichen Lamento, das die Politiker dem Volke vorzuhalten pflegen, unterdes an allererster Stelle. Heiner Geißler, CDU-Generalsekretär und bis Herbst 1985 auch Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, etwa trägt warnend vor, daß »sich ab dem Jahre 2000 die Probleme in der Rentenversicherung dramatisch verschärfen ... wenn es bei der negativen Geburtenentwicklung bleibt«. Möglichst viele Frauen sollen daher den Alterskassen bald ein Baby schenken.

Der Kanzler Helmut Kohl mahnt gelegentlich »das Ja zum Kinde« an, und spricht verdüstert von einer »Katastrophe ... in der demographischen Entwicklung«, auf die das Land nun zutreibe. Franz Josef Strauß schließlich sieht »ein sterbendes Volk«, dem sanierte Haushalte zu hinterlassen, »keinen Sinn« mehr mache.

Visionen, daß sich Deutschland entleeren und damit das deutsche Wesen aussterben könnte, zählen freilich zu den wenigen Konstanten in der deutschen _(der Anteil Japans sinkt von 2,5 Prozent ) _(auf 1,6 Prozent )

Geschichte dieses Jahrhunderts. Die Prophezeiung, den Deutschen stehe die langsame Selbstauflösung bevor, ist immer wieder aufgestellt und dann doch immer wieder durch die Fakten dementiert worden. Schon vor dem Ersten Weltkrieg erschienen warnende Schriften, daß ein damals auch schon beobachtbarer Geburtenrückgang den Bestand der Nation gefährde und deshalb bekämpft werden müsse.

Eine »Erschlaffung des Fortpflanzungswillens« konstatierten zu ihrer Zeit auch die Weimarer Demokraten samt der »Gefahren ... die sich aus dieser Verminderung der ursprünglichen Volkskraft für die Zukunft unserer Nation ergeben« (so etwa der damalige sächsische Innenminister Friedrich Wilhelm Richter, parteilos, vor einem Kongreß des »Reichsbundes der Kinderreichen Deutschlands zum Schutze der Familie e. V.« im Jahr 1930). Und die so artikulierte Sorge blieb in Deutschland eine Art Hintergrundmelodie über den Wechsel von Systemen, über Katastrophen hinweg.

Fast nie schien den jeweiligen Zeitgenossen die jeweils erreichte Geburtenrate den Bestand des Volkes ausreichend zu sichern. Das gilt keineswegs nur für den auf Mehrung der germanischen Rasse wahnwitzig versessenen Diktator des Dritten Reiches. Ihm wäre der Zuchtfleiß, natürlich nur von Eltern nachweislich »Deutschen und artverwandten Blutes« (so etwa Paragraph 1 der sechsten Durchführungsbestimmungen zur Verordnung über die Gewährung von Kinderbeihilfen aus dem Jahr 1937), ohnehin auch dann nicht ausreichend erschienen, wenn er den zu seiner Zeit erreichten - keineswegs sonderlich hohen - Stand weit übertroffen hätte.

Auch unbestritten demokratische Politiker der zweiten deutschen Republik fanden die zu ihrer Zeit beobachtete Fruchtbarkeit des Volkes zu klein. So klagte Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik, in der Regierungserklärung anläßlich seiner Wiederwahl 1953 darüber, daß die »Zusammensetzung der Bevölkerung ... sich stetig zuungunsten des Prozentsatzes der im produktiven Alter stehenden« verändere, »weil die Langlebigkeit wächst und die Geburtenzahl abnimmt«. Zugleich warnte er vor diesem »für unser ganzes Volk im Verlauf einiger Generationen vernichtenden Prozeß«.

Als Adenauer zehn Jahre später von der politischen Bühne abtrat, war davon keine Rede mehr. Im Gegenteil: Über die Einwohnerzahl, die zwischen 1953 und 1963 um gut zehn Prozent zugenommen hatte, schrieb damals etwa die Sozialenquete-Kommission, sie sei weiterhin »in einem stetigen und kräftigen Anwachsen begriffen«. Ähnlich waren viele Jahre zuvor auch die Niedergangsprognosen aus Wilhelminischen und Weimarer Tagen durch Zeitablauf erledigt worden (siehe Graphik Seite 74).

Nicht daß all diese später dementierten Zukunftsbilder von vornherein auf blankem Zweck-Pessimismus ruhten, etwa um Subventionen und Wahlgeschenke zu fordern oder zu bemänteln. Die Aussagen über einen bevorstehenden Niedergang der deutschen Nation aus der Wilhelminischen, der Weimarer wie der Adenauer-Zeit stützten sich samt und sonders auf solide Statistiken und seriöse Vorausberechnungsmethoden - genauso wie die heutigen wieder einmal auf Rückgang programmierten Bevölkerungsprognosen.

Die Schlußfolgerung daraus, daß auch der jetzt vorausgesagte und schon im vorhinein beklagte Schwund an Volk nur eine bald vergessene Prophezeiung bleiben werde, ist - wenn auch naheliegend - nicht unbedingt plausibel.

Denn was die früher vorausgeschätzten Einbrüche dann doch noch abgewendet hat, steht nun wohl nicht mehr zu Gebote. Der drastische Fall der Fruchtbarkeit im kaiserlichen Deutschland etwa, der um 1880 herum begann und bis 1912/13 einen Rückgang der Geburten je 1000 fertiler Frauen um 30 Prozent bewirkte, wurde voll kompensiert: durch einen starken Rückgang der Sterblichkeit vor allem bei Kindern und bei jungen Leuten.

Was die Bevölkerungswissenschaftler nüchtern und so, als gehe es um investive Güter, die »Nettoreproduktionsrate« nennen, wurde dadurch wieder aufgerichtet. Gezählt werden bei dieser Rate nur die Frauen und auch nur ihre weibliche Nachkommenschaft - genauer: Gezählt wird, in welchem Ausmaß eine Frauengeneration durch hinreichend lang überlebende, daher auch wieder gebärfähige Töchter ersetzt wird.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts fiel der Ersatz von Frau durch Frau trotz des Sturzes der Geburtenrate nicht sichtbar ab, weil zugleich mehr Mädchen ihre Kinderjahre überlebten und damit dann als Potential für weitere Reproduktionen zur Verfügung standen.

Deutliche Gewinne an Überlebensfrist speziell für Mädchen und für junge Frauen, die auch zur Zeit von Weimar noch den sinkenden Gebärfleiß teilweise kompensierten, sind als unverhoffte Stütze der nationalen Kopfzahl nun nicht mehr zu erwarten: Denn weibliche Neugeborene haben bereits eine fast 100prozentige Chance, ins Mutteralter zu gelangen: Nach jenen Berechnungen, die bei Versicherungs- und Bevölkerungsmathematikern kühl-distanziert »Absterbeordnungen« heißen, erreichen von 1000 neu zur Welt gekommenen Mädchen mindestens 986 das 15., über 960 auch das 45. Lebensjahr.

Trotz dieser hohen Überlebenschance der neugeborenen Mädchen ist die Nettoreproduktion 1984 auf 0,605 - und damit auf den niedrigsten Wert, der je beobachtet wurde - gefallen; auf 1000 Frauen im gebärfähigen Alter kamen mithin nur noch 605 überlebensfähige Töchter. Die heutige Müttergeneration wird also nur noch zu 60 Prozent durch ihre Töchter ersetzt.

Auch was in der Adenauer-Zeit die Zahl der Bundesdeutschen, speziell der jungen Bürger, unvermutet steigen ließ,

ist nun wohl nicht mehr leicht zu wiederholen: Damals stieg die Bevölkerung mit deutscher Abkunft in kurzer Zeit, von 1950 bis 1961, um fast sechs Millionen.

Der größte Teil davon ging auf das Konto jenes Postens, der bei den Volkszählern als »Wanderungsgewinn« firmiert - obwohl die Bürger, die da kamen, eher geflohen denn gewandert waren: im wesentlichen aus der DDR, die nach Ermittlungen des Bundesinnenministeriums bis 1961 insgesamt (und die erst nach der Flucht geborenen Kinder mitgerechnet) 3,1 Millionen Einwohner an die Bundesrepublik verlor. Weitere 400000 Deutsche gewann damals die Bundesrepublik als Spätaussiedler aus Ost- und aus Südosteuropa dazu.

Heute läßt die DDR meist nur noch Rentner über ihre mittlerweile durch hohe Zuchthausmauern markierte Grenze gen Westen ziehen (natürlich ohne die von ihnen in die dortigen Alterskassen eingezahlten Rentenbeiträge hinterherzusenden). Gewinn an jungem Volk, dazu auch noch an deutschem, durch Wanderung von Ost nach West, ist daher auch in Zukunft wohl kaum möglich.

So bleibt für die Politiker in Bonn, die sich ob des Geburtenschwunds sehr grämen und gern die Aussicht auf mehr Deutsche hätten, nur eine Hoffnung: die Hoffnung auf eine Art von Baby-Boom wie jener, der damals zu Adenauers Zeiten und ein paar Jahre über seine Ära noch hinaus zusätzlich zu den Wanderungsgewinnen für Zuwachs an Eingeborenen sorgte.

Mit weitgehend tatenloser Zukunftszuversicht, die sonst in fast allen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Bereichen sein Markenzeichen ist, mag sich der deutsche Kanzler Helmut Kohl in diesem Falle freilich nicht begnügen.

Nahezu alle Gesetze, die von seinem Kabinett unterdes dem Parlament vorgeschlagen und dort auch folgsam verabschiedet wurden, erhielten eine sogenannte Familienkomponente. Und das hieß immer: Es gab Geld oder geldwerte Vorteile für jene, die nicht nur tätig, sondern mit Erfolg dem schwärenden Geburtenschwund entgegenwirken. Denn angesichts der niedrigen Geburtenrate hatte Helmut Kohl, schon ehe er Kanzler wurde, verkündet: »Für mich ist die Frage der Familienpolitik die zentrale Frage der staatlichen Politik.«

Die Summen immerhin, die von dem Kabinett Kohl/Genscher beantragt und dann vom Parlament bewilligt wurden, um Kinder auch zu einem monetär meßbaren Reichtum für das ansonsten fortpflanzungsfaule Volk zu machen, sind beträchtlich.

Für Vergünstigungen bei der Steuer zugunsten von Bürgern, die Kinder haben oder dieserhalb welche kriegen, werden 1986 alleine zusätzlich 7,7 Milliarden Mark ausgeworfen, die bis 1988 auf über 11 Milliarden steigen sollen. Soviel kostet es den Fiskus, daß Bürger mit nachweisbarem Nachwuchs nicht mehr ihr gesamtes, sondern nur noch ein fiktiv gekürztes Einkommen der Steuer unterwerfen müssen.

Damit wird der größte Teil jener »Reform« genannten Steuerrechtsänderung, mit der die Bundesregierung »leistungsfördernd« wirken wollte - wie es im Text zu dem Gesetzentwurf hieß -, für solche Tätigkeiten ausgeboten, die gemeinhin nicht, zumindest nicht im wirtschaftlichen Sinne als Leistung angesehen werden.

Zu den sehr teuren Steuervergünstigungen kommt noch ein neues Kindergeld für junge Arbeitslose und ein sogenannter Kindergeldzuschlag für »Kleinverdiener« (so der Text des offiziellen Bulletins) hinzu, was beides zusammen nach amtlicher Schätzung weitere 750 Millionen Mark jährlich kostet. Und: sogenannte Baukindergelder, die bislang nur für zweite und weitere Sprößlinge gewährt werden, von 1987 an auch für das erste Kind von Eigenheimern (geschätzter Aufwand: 190 Millionen im Jahr 1988, später mehr). Und: eine Staatsstiftung namens »Mutter und Kind«, die Abtreibungen verhindern soll (Aufwand: 50 Millionen jährlich).

Und: »Erziehungsgelder« für junge sowie »Erziehungszeiten« für ältere Mütter oder Väter als Steigerungsfaktor bei der Rente; das eine - die Erziehungsgelder für frischgebackene Eltern - wird von 1989 an rund drei Milliarden Mark im Jahr kosten. Das andere - die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente altgewordener Eltern - wird nach den Bonner Rechenkünsten Mehrausgaben von maximal 2,7 Milliarden Mark im Jahr und das auch erst weit in der Zukunft fordern; nach der solideren Kalkulation, die der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger vorlegte, muß freilich schon in absehbarer Zeit, gegen Mitte der 90er Jahre, mit größeren Summen und später mit bis zu viermal so hohen Lasten gerechnet werden.

Was die Regierung als Lohn für Fruchtbarkeit zusätzlich auszuwerfen beschlossen hat, steigt mithin bis Ende dieser Dekade auf einen Gesamtbetrag von rund 15 Milliarden Mark im Jahr - Geld, das damit nicht mehr zur Verfügung steht für andere Zwecke, etwa für eine echte Steuersenkung, die den Titel »Reform« verdiente und helfen könnte, die Arbeitslosigkeit einzudämmen.

Daß das viele Geld zur Förderung der Fruchtbarkeit auch wirklich (Leibes-) Früchte tragen werde, ist zudem nicht mehr als eine vage Hoffnung. Aussagen wie jene, daß das »Umschalten des Staates zugunsten der Familie« auf längere Sicht »eine positive Signalwirkung auf die Geburtenhäufigkeit haben könnte« (der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Hansjörg Häfele), sind kaum schlüssig zu begründen - jedenfalls nicht mit Erfahrungen an anderem Orte oder zu anderer Zeit. _(genaue Definition siehe Seite 68 )

Nicht, daß ein Mangel an Erfahrung und Exempeln herrschte. Viele Staaten der Geschichte und der Gegenwart versuchten auf ähnliche oder auch auf andere Art, Geburtenlenkung zu betreiben. Doch richtige Erfolgsgeschichten, also Fälle, in denen die jeweils erwünschte Umkehr des Gebärverhaltens eintrat und das auch eindeutig auf die staatliche Ermunterung zurückzuführen war, gibt es darunter nicht.

Schon Augustus (63 vor Christus bis 14 nach Christus), mehrfach Konsul, später Kaiser des Römischen Reiches, versuchte mit Steuerstrafen für Junggesellen und kinderlos Verehelichte sowie mit Begünstigungen für jene, die sich fruchtbar zeigten, den Bestand an eingeborenen Bürgern zu vermehren. Seine »Lex Julia et Papia Poppaea« von anno neun nach Christi Geburt enthielt im Ansatz schon das Arsenal, das spätere Regenten nutzten, um den Gebärfleiß anzustacheln. Erfolg jedoch wird ihm von den Historikern nicht nachgerufen.

Jean-Baptiste Colbert, Finanzminister im Frankreich des Sonnenkönigs, ließ schon von 1666 an durch ein (erst in der Französischen Revolution wieder abgeschafftes) Edikt die jungen Männer, die vor ihrem 20. Lebensjahr geheiratet hatten, von Steuern und Frondienst befreien, hartnäckige Junggesellen dagegen mit Extra-Abgaben belegen. Viele zusätzliche Untertanen kann der Lohn für frühe Heirat und die Strafe für Ehescheu, die immer auch als Fortpflanzungsverweigerung gedeutet wurde, jedoch nicht eingetragen haben. Frankreichs Bevölkerung wuchs nach der Schätzung von Historikern zwischen Mitte des 17. und Ende des 18. Jahrhunderts nur um 35 Prozent - von rund 20 auf gut 27 Millionen.

In England (inklusive Wales), wo damals bevölkerungspolitisch nichts geschah, mit Ausnahme einer Extra-Abgabe für Junggesellen, die lediglich für eine kurze Frist eingeführt wurde (im Jahre 1695), stieg die Bevölkerung im gleichen Zeitraum weitaus schneller: von rund fünfeinhalb Millionen auf über neun Millionen, mithin um fast 70 Prozent.

Manche anderen Staaten, die - getreu der damals populären Forderung - »zeitiges und öffteres Heyrathen« sowie eine »copieuse Kindererzielung« durch allerlei »Douceurs anzufrischen« suchten (so ein zeitgenössischer deutscher Schriftsteller namens Th. L. Lau), konnten zwar im Gegensatz zu Frankreich eine starke Volkszunahme verbuchen. Das gilt beispielsweise für Preußen, wo Friedrich II. die Frühehen fördern ließ und die bis dahin übliche Strafbarkeit unehelicher Geburten aufhob.

Aber die außergewöhnlich rasche Zunahme der Bevölkerung in Preußen, vor allem im Landesteil Neumark, dessen Einwohnerzahl noch während der Lebenszeit von Friedrich (1712 bis 1786) um fast 50 Prozent anstieg, wird fast ausschließlich der »planmäßigen Herbeiziehung von Wanderungen« zugeschrieben (so etwa vom Bevölkerungswissenschaftler Gerhard Mackenroth).

Noch weitaus weniger ermunternd für die Bevölkerungspolitiker von hier und heute sind all die jüngeren (und daher gut belegten) Beispiele aus diesen und auch anderen Landen. Da ist als erstes: die sogenannte politique nataliste im Frankreich der Dritten Republik (4. September 1870 bis 10. Juli 1940). Da die Geburtenrate in Frankreich anders als in seinen Nachbarstaaten schon von dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts an stark zurückgegangen (siehe Graphik Seite 74) und die »Grande Nation« längst nicht mehr wie einst auch zahlenmäßig die größte in Europa war, entstanden dort schon um 1890 herum Bewegungen »contre la depopulation« - gegen die Entvölkerung.

Bereits von 1913 an zahlte Frankreich Kindergelder zwecks Steigerung des Kindersegens zunächst nur an »bedürftige« Familien mit mindestens vier Sprößlingen, wenig später auch an andere. Doch die Geburten sanken - trotz steter Ausweitung der Familienpolitik, trotz verschärfter Abort-Bestrafung, trotz Unterdrückung aller Reklame für Verhütungsmittel oder -techniken - auch in der Zwischenkriegszeit unvermindert weiter.

In den späten 30er Jahren kamen auf 1000 Französinnen im gebärfähigen Alter nur 860 überlebensfähige Töchter - noch rund zehn Prozent weniger als in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts.

Die Bevölkerungspolitik des deutschen Führers unseligsten Gedenkens hat - dem überkommenen, auch im Ausland

gern gepflegten Vorurteil entgegen - seine Volksgenossen nicht besonders zur Vermehrung stimuliert. Die Fruchtbarkeit der Deutschen stieg zwar prompt von 1934 an - und damit schon im zweiten Jahr nach Hitlers Machtübernahme. Doch wuchs sie nur verglichen mit den Geburtenziffern während der Weltwirtschaftskrise (1929 bis 1932), die überall in der westlichen Hemisphäre die Fruchtbarkeitsraten plötzlich und steil nach unten gedrückt hatte.

Die gezielte Zuchtpolitik und -propaganda der Nazipartei regte die Reproduktion der Reichsdeutschen nicht so rapide an, daß Rekorde zu registrieren gewesen wären. Noch in den letzten Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg lag die Fruchtbarkeit um acht Prozent unter dem Stand von 1925: und das trotz der Vergabe von Ehestandsdarlehen (1000 Reichsmark) schon von Mitte 1933 an, die in Form von Kindern (Wert jeweils 250 Reichsmark, das Doppelte der durchschnittlichen Nettolohn- und Gehaltssumme je Monat von 1936) zurückgezahlt, also - wie es damals hieß - »abgekindert« werden konnten, trotz blecherner Mutterkreuze für Mehrfachmütter, trotz Kindergeld und hoher Steuervergünstigungen (400 Reichsmark Freibetrag im Jahr), die schon 1934 eingeführt worden waren.

Auch die Erfolgsgeschichten über amtlich angereizte Baby-Produktionen im Frankreich der Nachkriegszeit und - als jüngstes scheinbar effizientes Beispiel - die Meldung stolzer Soll-Erfüllungsziffern von den Volksvermehrern aus der DDR sind bei genauer Nachsicht nicht überzeugend. Beides widerlegt zumindest nicht die Hypothese, die bei Bevölkerungswissenschaftlern gängig ist.

»Materielle Beihilfen« für das Kinderkriegen, so hatten Roderich von Ungern-Sternberg und Hermann Schubnell, zwei angesehene Vertreter dieser Zunft, schon 1950 geschrieben, »haben in der Regel die Eigenschaft, nicht nachhaltig wirksam zu sein«. Und: »In den ersten ein bis zwei Jahren können sie tatsächlich die Geburtenhäufigkeit anregen, büßen dann aber diese Wirkung allmählich ein.« Noch nüchterner formuliert es heute ihr Kollege Karl Schwarz: Familienpolitische Hilfen bewirkten bei der Fruchtbarkeit meist nur »Mitnahme-», bestenfalls »Vorholeffekte«.

Daß Frankreich, das nach dem zweiten großen Krieg mehr Geld als je und auch als sonst ein Land für Anreize zur Niederkunft auswarf, zunächst tatsächlich steigende Geburtenziffern registrieren konnte, mag sehr wohl nur solch ein Mitnahmeeffekt gewesen sein. Denn nach dem Krieg kam Kindersegen über den gesamten Erdball nieder.

Die französische Fruchtbarkeitskurve, für deren Hebung Frankreichs Fiskus zeitweilig bis zu 30 Prozent seines Sozialetats ausgab, verlief trotz dieser außergewöhnlich hohen Subventionen bislang nicht anders als die anderer industrialisierter Länder. Frankreich nahm teil an jenem Baby-Boom, der nach dem Krieg zunächst bei den westlichen Siegern, dann - mit leichter Verzögerung - auch bei den Verlierern einsetzte; es erreichte aber längst nicht solche Rekorde bei der Reproduktion wie die Vereinigten Staaten, wo damals keinerlei Kinderprämien ausgesetzt worden waren.

Und die bombastisch hohen Baby-Prämien aus Paris brachten die Nation auch jenem Ziel nicht näher, das sie eigentlich erreichen helfen sollten: dem Ziel, ein »100-Millionen-Volk der Franzosen« heranzuziehen, das Michel Debre, seinerzeit Premier unter Präsident de Gaulle, in den 50er Jahren formulierte. Aus den damals 45 Millionen wurden bislang nur 55 Millionen Franzosen, und bald ist Rückgang angesagt. Frankreich nämlich nahm auch teil am Niedergang der westlichen Fruchtbarkeit, der im Verlauf der 60er Jahre einsetzte und in den 70ern sturzartig verlief (siehe Graphik Seite 68).

Dabei waren die französischen Gebär- und Kinderprämien nicht etwa zwischenzeitlich gekürzt, sondern immer weiter aufgestockt worden: Familiensplitting bei der Steuer, das schon bei einem Kind die Steuerprogression so weit herabdrückt, als wären nur zwei Fünftel vom Einkommen eines alleinverdienenden Familienvaters dem Fiskus unterworfen, und Beihilfen in bar erhöhten etwa 1977, sofern Papa ein Durchschnittsverdiener war, das laufende Nettoeinkommen für diese nur dreiköpfige Kleinfamilie um nahezu 20 Prozent.

Dabei sind Einmal-Zahlungen wie vor- und nachgeburtliche Prämien oder die von den Nazis übernommenen abkinderbaren Ehestandsdarlehen noch nicht gerechnet. Inzwischen beläuft sich der Gewinn, der durch ein zusätzliches Kind maximal erzielt werden kann, auf rund 29000 Franc im Jahr (= 40 Prozent des durchschnittlichen Industriearbeiterverdienstes). Die französische Reproduktionsrate liegt derzeit dennoch um fast 14 Prozent unter der Marke, die den Volksbestand auf Dauer sichert.

Was schließlich die Erfolge der Volks- und Arbeitskräfteplaner der DDR betrifft, so ist nur eines sehr verwunderlich: wieviel an materiellem Anreiz sie ausboten, wie stark sie an den Egoismus appellierten - und das zwecks Schaffung zusätzlicher Sozialisten, mithin zwecks Kreation nie ich-, nur stets aufs Kollektiv bezogener, also »neuer Menschen«. Der Katalog der Fruchtbarkeitsanreize, den die Sozialistische Einheitspartei in ihrem Arbeiter-und-Bauern-Staat zwischen 1972 und 1977 einführte, ist wirklich imponierend umfangreich.

Vieles darunter klingt Bundesdeutschen sehr vertraut, weil es die Bonner Regierung unterdes kopierte. Anderes ist bekannt aus älterer deutscher Zeit. Da wurde etwa eingeführt, *___daß Müttern bei der Berechnung der Rente ein ____Extra-Beitragsjahr für das dritte und jedes weitere ____Kind angerechnet wird und daß sie bei fünf Kindern ____selbst dann ein Altersruhegeld erhalten, wenn sie nie ____selber Beitragsmarken klebten (hier in der ____Bundesrepublik gilt Ähnliches von 1986 an); *___daß erwerbstätige Mütter bei der Geburt des zweiten ____Kindes ein Jahr pausieren, derweil ein Zubrot in Höhe ____des sonst üblichen Krankengelds (mindestens jedoch 300 ____Mark-Ost im Monat) erhalten und hinterher auf ihren ____freigehaltenen Arbeitsplatz zurückkehren können ____(kopiert _(bis 1935 Deutsches Reich, von 1950 an ) _(Bundesgebiet )

von Bonn mit Änderungen schon Mitte 1979, demnächst soll ein ganzes, statt wie bislang ein halbes bezahltes Erziehungsjahr mit Arbeitsplatz-Garantie für alle Mütter schon beim ersten und für alle folgenden Kinder gelten).

Daneben gibt es seit 1972 eine einmalige Gebärprämie von 1000 Ost-Mark, eine Extra-Wochenarbeitszeitverkürzung und sechs Tage Zusatzurlaub für Mehrfachmütter und - wie einst im Dritten Reich - zinslose Ehestandsdarlehen (5000 Mark-Ost), die abgekindert werden können (Wert des ersten Kindes: 1000, des zweiten: 1500, des dritten Kindes: 2500 Mark-Ost; zum Vergleich: das durchschnittliche Arbeitseinkommen 1983: 1097 Mark-Ost im Monat).

Für eine kurze Frist erzielten die Geburtenförderer der SED tatsächlich hiermit und mit bevorzugter Vergabe des Gutes, an dem es in ihrer Mangelwirtschaft am allermeisten fehlt, nämlich mit Wohnungen für fruchtbare Familien, einige Erfolge. Die Deutschen rechts der Elbe legten ein paar Takte beim Bemühen um Vermehrung zu.

Die Reproduktionsrate im SED-Staat, die bis 1975 so gefallen war, daß von 1000 DDR-Bewohnerinnen im gebärfähigen Alter nur noch 730 überlebensfähige Töchter zu erwarten waren, stieg bis 1980 wieder kräftig an: auf 927 Töchter je 1000 Frauen. Seither jedoch sinkt sie wieder (siehe Graphik Seite 68).

Ohnehin war in den späten 70er Jahren nur die Zahl der Erst- und Zweitkinder auf einen Pegel angestiegen, wie er in Zeiten hoher Fruchtbarkeit einst üblich war. Dritte, gar vierte oder fünfte Kinder dagegen gab es - trotz höherer Anreize für solche - wenig.

Nur durchschnittlich zehn Prozent aller zwischen Ende 1975 und Ende 1980 neugeborener DDR-Insassen waren »Kinder höherer Ordnungszahlen«, wie die Bevölkerungswissenschaftler die Babys nennen, die sich Paare über das normale Maß (von heute zwei) hinaus bescheren. In der ersten Hälfte der sechziger Jahre hatte der Anteil der Kinder höherer Ordnung an den gesamten Geburtenzahlen der DDR noch durchschnittlich 32 Prozent betragen.

Dies und das Faktum, daß mittlerweile auch die Zahl der Erst- und Zweitkinder von DDR-Familien wieder sank, spricht für einen bloßen Vorholeffekt. Es spricht für die bei westlichen Experten verbreitete Vermutung, daß junge Ehepaare in der DDR, um die Vergünstigungen schnell zu erhalten, nur ihr jeweils erstes und manchmal auch ihr zweites Kind ein paar Jahre früher ansetzten, als sie es sonst bekommen hätten. Partei und Staat der DDR erzielten mithin als Folge der Familienförderung wahrscheinlich nur »ein zeitliches Vorziehen von Geburten ... ohne daß die durchschnittliche Kinderzahl in den Ehen über das gesamte Leben gesehen wesentlich höher liegt« (so die Bonner Arbeitsgruppe Bevölkerungsfragen).

Trotz der zweifelhaften Resultate, die Kinder- und Geburtenprämien in Ost wie West, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart, erbrachten, bleiben Bonns Politiker ganz fest im Glauben, daß ihre Art der Förderung von Fruchtbarkeit die Bürger dauerhaft zum Kinderkriegen animieren könnte. Denn da gibt es einen großen Unterschied - zumindest propagiert dies oft und gerne die größte der regierenden Parteien, die CDU, in diesem Fall sogar gemeinsam mit ihrer sonst stets streng auf Eigenständigkeit bedachten Schwester, der CSU aus Bayern.

In dem »Bericht der Kommission Familienlastenausgleich der CDU/CSU-Bundestagsfraktion« heißt es etwa, die Regierung wolle und solle gar nicht die freilich - siehe oben - auch vergeblichen Versuche unternehmen, Ehepaare mit Geldgeschenken zu Kindern zu verleiten, »die sie sich ansonsten versagen würden«. Denn: »Eine derartige nur zur Erhöhung der Bevölkerungszahlen ergriffene Politik würde ... dem Menschen- und Familienbild der Union widersprechen.«

Doch gleich anschließend teilt die Kommission dann mit, sie gehe davon aus, »daß die familienpolitischen Maßnahmen auch bevölkerungsrelevante Auswirkungen haben werden«.

Den Widerspruch, daß sie - wenn auch nur sozusagen absichtslos - erreichen möchten, was sie doch andererseits als Ziel ableugnen, erklären Bonns Politiker mit einer sehr aparten Theorie: mit der Behauptung, es gäbe viele »nicht erfüllte Kinderwünsche": Traumbabys, die nun mit monetärem Amtseingriff in die reale Welt befördert würden.

Im nächsten Heft

Ist Armut an dem Kindermangel der reichen Länder schuld? Gibt es ein Bevölkerungsgesetz?

Hast du, was in der Zeitung stand, gelesen? Der Landtag ist mal

wieder sehr empört von wegen dem Geburtenschwund gewesen. Auch ein

Minister fand es unerhört. Geburtenrückgang, hat er noch gesagt,

sei, die Geschichte lehrt es, Deutschlands Ende, und deine

Fehlgeburt hat er beklagt. Und daß er, daß man abtreibt, gräßlich

fände. Erich Kästner

[Grafiktext]

REICHE LÄNDER OHNE ZUKUNFT Die Nettoreproduktionsrate in ausgewählten Industrieländern USA Niederlande Frankreich Dänemark Schweiz Großbritannien Bundesrepublik DDR Nettoreproduktionsrate = Anzahl der je gebärfähiger Frau lebend zur Welt gebrachten Mädchen, die angesichts der Sterbewahrscheinlichkeit selbst Aussicht haben, ins Mütteralter zu kommen Werte über 1 = Kindergeneration stärker, Werte unter 1 = Kindergeneration schwächer als die vorangegangene Generation BEGRENZTE FRUCHTBARKEIT NORWEGEN SCHWEDEN FINNLAND GR. BRITANNIEN SOWJET-UNION IRLAND BUNDES-REPUBLIK DDR POLEN CSSR FRANKREICH RUMANIEN JUGOSLAWIEN PORTUGAL SPANIEN ITALIEN GRIECHENLAND nach: Coale/Watkins, The Decline of Fertility in Europe Beginn des Geburtenrückgangs in europäischen Regionen: 1840 und früher 1840-1890 1890-1920 1920 und später WACHSENDE DRITTE WELT Nach Schätzungen der Vereinten Nationen nimmt die Weltbevölkerung von 4,83 Milliarden im Jahr 1985 auf 8,19 Milliarden im Jahr 2025 zu. Anteile an der Weltbevölkerung nach Regionen (in Prozent): 1985 SÜDASIEN NORD-AMERIKA EUROPA SOWJET-UNION OZEANIEN 0,5 AFRIKA LATEIN-AMERIKA OST-ASIEN 2025 SÜDASIEN NORD-AMERIKA EUROPA SOWJET-UNION OZEANIEN 0,4 AFRIKA LATEIN-AMERIKA OST-ASIEN Nettoreproduktionsrate (= Zahl der lebendgeborenen Töchter einer Frau) in der Bundesrepublik ANNÄHERUNG Ausländer Deutsche AUF NACHBARS PFADEN Langfristiger Vergleich der Nettoreproduktionsrate von Frankreich und Deutschland Deutschland Frankreich Werte über 1 = Kindergeneration stärker, Werte unter 1 = Kindergeneration schwächer als die vorangegangene Generation

[GrafiktextEnde]

der Anteil Japans sinkt von 2,5 Prozent auf 1,6 Prozentgenaue Definition siehe Seite 68bis 1935 Deutsches Reich, von 1950 an Bundesgebiet

Renate Merklein
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