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SEKTEN »Den Gegner ruinieren«

Mit brutalen Methoden setzten Scientologen bei der Washingtoner Finanzbehörde ihre Anerkennung als Kirche durch - und verschafften so dem obskuren Kult Respekt.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Das Jahrzehnt des großen Durchbruchs begann schlecht für Amerikas Scientologen. Vom schicken Image eines Jungdynamiker-Kults mit Schwerpunkt bei den Schönen und Schönlingen von Hollywood war Anfang der Neunziger noch nicht viel zu spüren; kein Studiochef hätte es gewagt, für die bizarre Glaubensgemeinschaft einen Finger zu rühren, geschweige denn einen offenen Brief an Helmut Kohl zu unterzeichnen.

Wenn irgendwo, fühlte die Sekte sich damals nicht in Deutschland verfolgt, sondern in dem Land, in dem der einstige Science-fiction-Autor L. Ron Hubbard seine Kirche 1954 gegründet hatte - in den USA. Selbst in der angeblichen Heimat der Frommen und Freien, wo wirklich ein jeder nach seiner Fasson selig werden kann, fielen die Jünger des wirren Sternenkriegers Hubbard unangenehm auf.

Wie heute in Deutschland, galt Scientology anfangs auch in Amerika als gefährliche Organisation. Ein Report des Nachrichtenmagazins time beschrieb 1991 das Wirken der Sekte als »ungeheuer gewinnträchtige Gaunerei im Weltmaßstab, die am Leben gehalten wird durch eine mafiaartige Einschüchterung von Mitgliedern und Kritikern«.

Hunderte von Aussteigern bezeugten Horrorgeschichten, jammerten über den Verlust ihrer Ersparnisse. Einige verklagten gar ihre mit viel Psycho-Schnickschnack operierende Kirche wegen geistigen und physischen Terrors. Cynthia Kisser, Direktorin des Cult Awareness Network, einer Gruppe, die sich um Sektenopfer kümmerte, bezeichnete Scientology damals als den »wohl rücksichtslosesten, terroristischsten, klagewütigsten und lukrativsten Kult, den dieses Land je gesehen hat«.

In verschiedenen Urteilen geißelten US-Richter Scientology als »korrupt, verderblich und gefährlich«. Auch der Kampf um Anerkennung als Kirche und um die damit verbundene Steuerbefreiung blieb lange ohne Erfolg. Noch 1992 befand der US Claims Court, daß der »kommerzielle Charakter von Scientology« offensichtlich sei.

Doch dann kam, wie aus heiterem Himmel, die Wende: Völlig überraschend erließ Amerikas Steuerbehörde, der Internal Revenue Service (IRS), am 13. Oktober 1993 fast 150 Scientology-Körperschaften die Umsatzsteuer. »Der Krieg, der alle Kriege beendet«, war gewonnen, wie Sektenchef David Miscavige jubelte; die Abgabebefreiung galt hinfort als amtliches Gütesiegel.

Schon vier Monate später erschien jedenfalls im Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums erstmals der Hinweis, der gerade erst im eigenen Land als Kirche anerkannte Psycho-Konzern werde in Deutschland diskriminiert. Während der gereizten Kontroverse zwischen Bonn und Washington zu Jahresanfang über die angemessene Behandlung von Scientology befand Außenamtssprecher Nicholas Burns kategorisch: »Wir betrachten Scientology als Religion, weil sie durch die amerikanische Regierung von der Steuer befreit wurde.«

Wie diese Steuerbefreiung wirklich zustande kam, enthüllte jetzt die new york times. Nach Dutzenden von Interviews und langem juristischem Gezerre um die Herausgabe von Dokumenten gelang es dem Reporter Douglas Frantz, die Tricks nachzuzeichnen, mit denen die Hubbard-Anhänger um ihre Anerkennung als Religionsgemeinschaft gekämpft hatten - Methoden, die ganz und gar nicht zum Mantel verfolgter Unschuld passen.

Um Hubbards »Zivilisation ohne Wahn, ohne Kriminelle und ohne Krieg« zu erreichen, müssen Interessenten in Beratungssitzungen, den sogenannten Auditings, von Problemen und Konflikten »gereinigt« werden. Daß solche Seelenwäsche Geld kostet, hatte den IRS 1967 zu der Einschätzung bewogen, daß die Aktivitäten der Sekte vornehmlich zur Vermehrung von Mr. Hubbards persönlichem Reichtum dienten; eine schon gewährte Steuerbefreiung wurde wieder aufgehoben.

Die Scientologen schlugen zurück: Mit der »Operation Schneewittchen«, angeführt von Hubbards dritter Frau Mary Sue, starteten sie 1973 einen Generalangriff auf die staatlichen Steuereintreiber. Scientologen ließen sich im Justizministerium und beim IRS anheuern, um herauszufinden, was die Behörden über Hubbard und seine Anhänger wußten. Sie brachen nachts in Büros ein und kopierten »bergeweise Dokumente«, so die new york times.

Selbst ein perfekter Lauschangriff gelang Hubbards Jüngern: Unmittelbar vor einer wichtigen Sitzung über die künftige Behandlung des Kults konnten die cleveren Schnüffler den Konferenzsaal verwanzen. Die Codenamen für einzelne Abschnitte der Operation hatte Hubbard sich selbst ausgedacht. Doch »Happy«, »Bashfull«, »Doc« und die Namen der anderen vier Zwerge brachten kein Glück - Operation Schneewittchen flog auf. Zusammen mit zehn weiteren Scientology-Führern mußte Mrs. Hubbard wegen »Verabredung zu einer strafbaren Handlung« ins Gefängnis.

Der nächste Angriff auf die verhaßten Steuereintreiber verlief erfolgreicher. Sektenmitglieder gründeten 1984 eine Organisation, die sich vornahm, angebliche Willkürakte der Steuerbehörden aufzudecken. Die Gruppe, deren Verbindung zu Scientology sorgsam getarnt war, enthüllte in der Tat ein paar Korruptionsfälle.

Die Scientology-Dissidentin Stacy Young, vor ihrem Ausstieg mit der Attacke auf die Steuerbehörde betraut, berichtet heute, daß gegenüber den Gegnern fast jedes Mittel recht gewesen sei: »Feinde verfolgt man, setzt ihnen zu, schüchtert sie ein und versucht, ihre Verbrechen aufzudecken, bis sie einlenken und kompromißbereit sind.«

Um ans Ziel zu gelangen, heuerten die Scientologen Privatdetektive an, die sich an wichtige IRS-Beamte hängten. »Ich suchte nach wunden Punkten«, sagt Michael Shomers, der 18 Monate lang für Scientology danach geforscht hat, welcher IRS-Agent zuviel trank oder eine Affäre hatte. Ergebnisse seiner Recherchen, etwa der Bericht über eine spesenaufwendige IRS-Konferenz in den Pocono-Bergen von Pennsylvanien, wurden in seriöse Zeitungen lanciert.

Zu der Schnüffelei bekannte sich Scientology stolz im sekteninternen Hausblatt: »Unser Angriff lähmt deutlich ihre Verteidigungskraft, und unsere Aufdeckung ihrer Verbrechen zeigt langsam politische Wirkung. Ein Grabenkrieg hat begonnen, und es gibt noch kein Anzeichen für einen Sieger.«

Um das Blatt zu wenden, setzte Scientology auf ein weiteres erprobtes Mittel. Die Sekte überzog die Steuerbehörde mit insgesamt etwa 50 Klagen, die zum Teil von hochbezahlten Anwälten aus prominenten Kanzleien geführt wurden - getreu nach dem Motto des Kultgründers: »Der Zweck einer Klage ist die Störung und Entmutigung (eines Gegners). Natürlich, falls möglich, sollte sie ihn auch vollständig ruinieren.«

Der juristische Druck war immerhin so groß, daß Sektenführer Miscavige ohne jede Anmeldung einen Termin beim damaligen IRS-Chef Fred Goldberg bekam. Der Scientologe, so jedenfalls läßt er heute verbreiten, wollte sehen, ob sich die Probleme mit der Steuerbehörde nicht auf höchster Ebene lösen ließen.

Es klappte. Was Firmen oder Privatleuten, die sich die Feindschaft des IRS zugezogen haben, fast nie gelingt, schaffte ganz offenbar der Sektenführer: Der Fiskus richtete unabhängig vom üblichen Instanzenweg einen Ausschuß ein, in dem alle Schwierigkeiten unbürokratisch aus dem Weg geräumt wurden. Der Vorsitzende dieser Gruppe kann sich in 30 Jahren IRS-Tätigkeit nur an einen weiteren Fall erinnern, in dem ähnlich unkonventionell verfahren wurde.

Nicht einmal die Gerichtsentscheidung des Claims Court von 1992, die Scientology als kommerziellen Konzern beschrieb, konnte den IRS aufhalten. Der zuständigen Abteilung für Steuerbefreiung wurde per Dienstanweisung auferlegt, sich nicht darum zu kümmern, ob sich die Kirche zu sehr als Unternehmen aufführe oder ob sich ihre leitenden Angestellten exorbitante Gehälter genehmigten.

Der Sieg der rabiaten Kultanhänger war so vollständig, daß sich der IRS sogar verpflichtete, ein Informationsblatt über die Sekte und ihren Gründer zu verteilen, das »vollständig und äußerst akkurat« war, wie Miscavige triumphierte.

Vor 10 000 Anhängern in einem Stadion von Los Angeles, wo der smarte Kultführer den Durchbruch zur Respektabilität feierte, pries er das Infoblatt der Steuerbehörde: »Wir selbst haben es geschrieben, und der IRS wird es an jede Regierung der Welt schicken.«

Die Botschaft kommt auch heute noch an. Daß der Report der new york times dazu führen könne, die Sekte in den USA neu zu bewerten, hielt Außenamtssprecher Burns vorige Woche für wenig wahrscheinlich: »Der steuerfreie Status der Church of Scientology ist sicher, das Finanzministerium hat nicht die Absicht, daran etwas zu ändern.«

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