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»Den Meister übertroffen«

Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn über den Euro und die deutsch-französische Partnerschaft
Von Romain Leick
aus DER SPIEGEL 50/1997

SPIEGEL: Herr Minister, bekommen Sie manchmal kalte Füße, wenn Sie die historische Stunde der europäischen Währungsunion unausweichlich auf sich zukommen sehen?

Strauss-Kahn: Kalte Füße nicht gerade. Aber ganz sicher verspüre ich eine gewisse Erregung. Uns wird erst jetzt allmählich die Bedeutung dessen klar, worauf wir uns da eingelassen haben. Es gibt dafür kein Beispiel in der Geschichte. Bis vor kurzem führten wir eine eher technische Debatte über die Maastricht-Kriterien: Wer erfüllt sie und wer nicht? Eine beachtliche Minderheit in Frankreich glaubte, daß aus der Währungsunion nichts würde, daß der ganze Plan zusammenbräche oder zumindest verschoben werden müßte.

SPIEGEL: Nun haben sich die Menschen damit abgefunden, aber überzeugt sind viele immer noch nicht, weder in Frankreich noch in Deutschland.

Strauss-Kahn: 99 Prozent der Franzosen sind sicher, daß der Euro zum vorgesehenen Zeitpunkt, am 1. Januar 1999, kommt. Jetzt beginnen sie, sich über die Zeit danach Gedanken zu machen. Es steht eine Menge auf dem Spiel. Aber das löst in mir nicht Angst aus, sondern den ungeheuren Ehrgeiz, die eingegangene Wette zu gewinnen.

SPIEGEL: Wird die Einführung des Euro bei aller Vorbereitung nicht doch ein Schock für die meisten Europäer sein?

Strauss-Kahn: Wir stehen vor einem völlig neuen Abschnitt der Geschichte. Da ist es normal, daß Unsicherheit entsteht, also müssen wir diese Verunsicherung bekämpfen durch Aufklärung.

SPIEGEL: Wer im deutsch-französischen Tandem tut sich denn schwerer beim Aufbruch in das Abenteuer? Die Deutschen, die sich an ihre Mark klammern, weil sie ein Symbol ihrer nationalen Identität geworden ist, oder die Franzosen, denen ihre nationale Souveränität über alles geht?

Strauss-Kahn: Wir müssen uns beide anstrengen. Ich verstehe sehr wohl, welche Überwindung es die Deutschen kostet, den Sprung in den Euro zu wagen. Frankreichs staatliche Einheit ist viel älter als die deutsche; der Franc spielt deshalb für die Festigung unserer Identität keine so große Rolle. Aber Frankreich hat zumindest seit der Revolution von 1789 immer das Gefühl gehabt, ein besonderes, ja fast ein auserwähltes Volk mit einer eigenen Mission zu sein. Von dieser Vorstellung müssen wir uns nun trennen.

SPIEGEL: Ist das für die meisten Franzosen nicht zuviel verlangt? Ihr Premierminister Lionel Jospin beteuert, er werde Europa aufbauen, ohne Frankreich abzubauen. Und Ihre Regierungspartner, die Kommunisten, verlangen ein Euro-Referendum. Geht die Linke auf Distanz zur Währungsunion?

Strauss-Kahn: Nein. Die Kommunisten haben immer für eine Volksabstimmung plädiert. Aber sie machen daraus keine Koalitionsfrage. Im übrigen wissen alle Länder in der Europäischen Union, daß wir weit vom Stadium eines vollständigen Föderalismus entfernt sind. Das kann noch 50 oder 100 Jahre dauern. Genau wie die Franzosen wollen auch die Deutschen ihr Wesen nicht aufgeben. Das soll uns nicht daran hindern, uns in der Wirtschafts- und Währungsunion zusammenzuspannen und einen nie dagewesenen Schritt zu wagen.

SPIEGEL: Die politische Geschichte der Deutschen ist durch den Föderalismus geprägt. Fällt es ihnen deshalb leichter, einen Teil ihrer Souveränität abzugeben?

Strauss-Kahn: Für uns ist ein solcher Verzicht zweifellos schwieriger, denn wie die Briten leben wir in einem zentralistischen Staat. Diese Art staatlicher Pyramide macht es uns andererseits aber auch leichter, eine neue europäische Superstruktur als Dach über den Nationalstaaten zu akzeptieren. Die Wege, die Deutschland und Frankreich nach Europa führen, sind unterschiedlich, aber am Ende treffen wir uns an einem gemeinsamen Punkt.

SPIEGEL: Im Wahlkampf hat sich Ihre Sozialistische Partei noch sehr viel skeptischer gegenüber dem Euro gezeigt. Was hat den Gesinnungswandel bewirkt?

Strauss-Kahn: Wir haben nie einen Widerwillen gegen den Euro empfunden. Die französischen Sozialisten sind seit Beginn des Jahrhunderts, seit Jean Jaurès, internationalistisch und gesamteuropäisch ausgerichtet. Die europäische Einigung folgt insofern einer Logik der Linken. François Mitterrand hat sich wie kein anderer für den Maastricht-Vertrag eingesetzt. Wir wollten allerdings, daß der Euro ein Erfolg wird. Das Projekt ist einfach zu wichtig, als daß wir das Risiko des Scheiterns eingehen könnten.

SPIEGEL: Sah Ihnen der Euro anfangs zu sehr nach einem deutschen Modell aus?

Strauss-Kahn: Wir haben den Stabilitätspakt, den die Deutschen wünschten, nicht in Frage gestellt. Wir wollten aber sichergehen, daß Europa auch ein Instrument des Wachstums und der Beschäftigung wird. Das haben wir erreicht; beide Elemente sind jetzt als gleichrangig festgeschrieben.

SPIEGEL: Sie haben das ursprüngliche deutsche Konzept des Stabilitätspakts abgeschwächt. Die Sanktionen für Länder, die gegen die Haushaltsdisziplin verstoßen, greifen nicht automatisch.

Strauss-Kahn: Die Fassung, die wir jetzt haben, ist in Ordnung. Alle bleiben der Stabilität verpflichtet. Wenn Sanktionen in Kraft treten, ist es ohnehin schon zu spät. Wichtig ist, daß wir die Währungsunion auf zwei Füße gestellt haben - finanzielle Disziplin und Wachstum. Ein Europa, das nichts gegen die Arbeitslosigkeit und nichts für die Erhaltung des Sozialstaats tut, wäre unseren Bürgern nicht zumutbar.

SPIEGEL: Sie haben auch die Schaffung eines sogenannten Euro-Rats durchgesetzt, der die Wirtschaftspolitik der Partnerstaaten koordinieren und ein politisches Gegengewicht zur Europäischen Zentralbank bilden soll. Den Deutschen hat das nicht geschmeckt.

Strauss-Kahn: Theo Waigel und ich haben uns im Oktober geeinigt. Es gibt kein Land, in dem die nationale Zentralbank, so unabhängig sie auch sein mag, ganz allein handelt. Sie steht immer in einem Dialog mit der Regierung. Das gilt auch für die Deutsche Bundesbank. Wir brauchen also auf europäischer Ebene ein Gremium, das diesen Dialog mit der Europäischen Zentralbank führt.

SPIEGEL: Ohne ihr Weisungen zu erteilen?

Strauss-Kahn: Die Unabhängigkeit der Bank steht gar nicht zur Debatte. Sie braucht aber einen politischen Partner. Denn entstünde der Eindruck, daß sie völlig eigenmächtig handelt, könnten die Völker Europas sie für alles verantwortlich machen, was in der europäischen Wirtschaft passiert: Wachstum, Beschäftigung oder Arbeitslosigkeit. Ihr Mandat beschränkt sich aber darauf, über die Stabilität der Preise zu wachen. Für die Wirtschaftspolitik bleiben die Minister - einzeln oder kollektiv - zuständig. Wenn das nicht so wäre, würden sich die Bürger am Ende gegen die Europäische Zentralbank wenden.

SPIEGEL: Sie tun ja geradezu so, als müßte sie vor einer politischen Revolte geschützt werden.

Strauss-Kahn: Für sich allein genommen hat sie keine politische Legitimation.

SPIEGEL: Aus dem Euro-Rat sollen alle ausgeschlossen sein, die nicht an der Währungsunion teilnehmen. Die Briten beklagen sich heftig darüber. Schaffen Sie nun endgültig ein Zwei-Klassen-Europa?

Strauss-Kahn: Wir wünschen, daß die Briten der Währungsunion so rasch wie möglich beitreten. Solange sie aber draußen bleiben, haben sie auch im Euro-Rat nichts zu suchen. Wer frisch verheiratet ist, will nicht, daß ein Dritter ins Ehebett steigt.

SPIEGEL: Wieviele Länder werden sich denn Ihrer Meinung nach ins gemeinsame Bett legen?

Strauss-Kahn: Ich habe den Kanzler Kohl sagen hören neun bis elf. Das scheint mir eine realistische Prognose. Ich hoffe, daß es eher elf als neun sein werden.

SPIEGEL: Kohls Schätzung läßt aber offen, ob Italien von Anfang an dabeisein wird.

Strauss-Kahn: Frankreich wollte immer eine möglichst große Euro-Zone. Wir wünschen die Teilnahme Italiens; die makroökonomischen Zahlen der Italiener sprechen dafür, daß sie es schaffen.

SPIEGEL: Für die Deutschen wäre die Teilnahme Italiens indes ein Signal, daß der Euro schwach bleibt.

Strauss-Kahn: Das ist eine falsche Reaktion. Wir wollen einen Euro, der so stark ist wie jetzt die Mark oder der Franc, und den werden wir auch bekommen.

SPIEGEL: Wie definieren Sie die Stärke des Euro? Über den Wechselkurs nach außen oder über die Preisstabilität im Innern?

Strauss-Kahn: Selbstverständlich ist die Stabilität der Preise entscheidend. Wenn die gegeben ist, wird der Euro auch als internationale Reservewährung attraktiv. Es braucht vielleicht etwas Zeit, aber ich bin sicher, daß der Euro dem Dollar ebenbürtig wird.

SPIEGEL: Trotzdem hält sich in Deutschland der Verdacht, daß Frankreich gern ein bißchen Inflation in Kauf nähme, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Strauss-Kahn: Eher hätten die Franzosen Grund, beunruhigt zu sein, denn seit geraumer Zeit ist in Deutschland die Inflation höher als bei uns.

SPIEGEL: Ist es nicht so, daß die Deutsche Bundesbank durch ihre Zinspolitik Frankreich zur Stabilität und zur Politik des starken Franc gezwungen hat, sehr zum Mißfallen der Pariser Regierung?

Strauss-Kahn: Na gut, dann hat eben der Schüler den Meister übertroffen.

SPIEGEL: Wird der Euro nicht am Ende alle Länder in eine Zwangsjacke stecken, obwohl etwa die wirtschaftliche Lage in Portugal sich nicht mit der in Deutschland vergleichen läßt?

Strauss-Kahn: Es gibt Unterschiede zwischen Portugal und Baden-Württemberg, aber wie groß sind die Unterschiede zwischen Portugal und Vorpommern? In jedem Mitgliedsland der Europäischen Union gibt es Regionen mit unterschiedlicher Wirtschaftskraft. Mit diesem Gefälle müssen wir jetzt schon fertig werden; der Euro macht das nicht schlimmer.

SPIEGEL: Die Währungsunion gleicht einer Ehe, die im Himmel geschlossen wurde - eine Scheidung ist nicht vorgesehen. Kann so ein Projekt funktionieren, ohne daß es einen Notausgang gibt?

Strauss-Kahn: Es wird gelingen, gerade weil es keinen Notausgang gibt. Am Hochzeitstag sollte man nicht schon die Scheidung einkalkulieren. Denn tut man das, steuert man geradewegs auf die Trennung zu.

SPIEGEL: Zumindest in der Pariser Kohabitations-Ehe scheint es aber zu kriseln. Der gaullistische Präsident Jacques Chirac und der sozialistische Premier Jospin streiten sich öffentlich über die 35-Stunden-Woche oder die Beschäftigungspolitik. Spricht Paris in Europa noch mit einer Stimme?

Strauss-Kahn: In Frankreich führen wir untereinander eine öffentliche Diskussion, manchmal fliegen Funken zwischen Präsident und Premier. Aber wenn Frankreich dann nach außen auftritt, spricht es mit einer Stimme. Bei unseren deutschen Freunden läuft es oft genau umgekehrt. Sie bringen ihre Debatte im Innern nicht zu Ende und reden draußen mit verschiedenen Zungen.

SPIEGEL: Ist der deutsch-französische Motor, der die EU immer angetrieben hat, etwas ins Stottern geraten?

Strauss-Kahn: Wir haben ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis, wenn auch vielleicht ohne jene Intimität, die Mitterrand und Kohl verband. Aber so etwas wächst nur mit der Zeit.

SPIEGEL: Spüren Sie manchmal bei Ihren konservativen deutschen Partnern Mißtrauen gegen die Roten in Frankreich?

Strauss-Kahn (lacht): O ja. Deutsche mißtrauen den französischen Roten, und Franzosen mißtrauen deutschen Reaktionären. Aber wenn wir am Tisch zusammensitzen, gehen wir vernünftig miteinander um. Ich sehe keine Situation, in der ideologische Vorurteile Kompromisse vereitelt hätten. Letztlich hat sich die deutsch-französische Solidarität als haltbar erwiesen. Sonst wäre Europa schon gescheitert.

SPIEGEL: Und doch brechen immer wieder Interessenkonflikte aus. Sie haben Ihre Bonner Partner kalt erwischt, als Sie urplötzlich Jean-Claude Trichet, den Präsidenten der französischen Notenbank, gegen den Niederländer Wim Duisenberg für den Spitzenjob der Europäischen Zentralbank nominierten. Was bezwecken Sie mit diesem Manöver?

Strauss-Kahn: Wir halten uns nur an den Vertrag von Maastricht. Der sieht vor, daß die Staats- und Regierungschefs den Präsidenten der Europäischen Zentralbank ernennen. Wir sehen keinen Grund, uns mit einer Vorentscheidung abzufinden, welche die Chefs der nationalen Zentralbanken unter sich verabredet haben.

SPIEGEL: Hatten Sie das Gefühl, man wollte Sie mit vollendeten Tatsachen überrumpeln?

Strauss-Kahn: Wenn die Entscheidung beim Europäischen Rat liegt, dann ist es doch ganz normal, daß Paris zur gegebenen Zeit einen Kandidaten benennt. Ich bin überrascht, daß die anderen überrascht sind.

SPIEGEL: Unter welchen Bedingungen wären Sie bereit, Trichet zurückzuziehen?

Strauss-Kahn: Wir halten seine Kandidatur aufrecht.

SPIEGEL: Stimmt es, daß es eine geheime Absprache zwischen Frankreich und Deutschland gab, wonach Bonn die Pariser Zustimmung zu Frankfurt als Sitz der Europäischen Zentralbank mit einer Gegenleistung belohnen wollte?

Strauss-Kahn: So sagt es jedenfalls Staatspräsident Chirac; ich selbst war nicht dabei, das geschah vor unserer Regierungszeit.

SPIEGEL: Hätte man diese Angelegenheit nicht im stillen beilegen können?

Strauss-Kahn: Wieso eigentlich? Es gibt nichts zu verstecken, an unserem Vorschlag ist nichts Anstößiges. Die Entscheidung soll öffentlich getroffen werden, und es wäre unnatürlich, wenn es nur einen Kandidaten gäbe. Ich habe Trichet als einen äußerst unabhängigen Zentralbankchef schätzen gelernt. Wenn er Präsident der Europäischen Bank wird, ist auch deren Unabhängigkeit über jeden Zweifel erhaben.

SPIEGEL: Das Abenteuer Euro hat noch nicht richtig begonnen, und schon bürdet sich die EU den nächsten großen Brocken auf - die Erweiterung um neue Mitgliedsländer in Osteuropa. Fürchten Sie nicht, daß sich Europa zuviel zumutet?

Strauss-Kahn: Tatsächlich besteht die Gefahr, daß wir entscheidungsunfähig werden oder in mehrere Gruppen zerfallen. Deshalb müssen wir auf dem Weg der Erweiterung mit Bedacht vorangehen.

SPIEGEL: Woran denken Sie?

Strauss-Kahn: Wir brauchen eine Reform der Gemeinschaftsinstitutionen, bevor über die Aufnahme neuer Mitglieder entschieden wird. Soweit sind wir noch nicht, der Gipfel von Amsterdam im Juni hat nicht genug erreicht. Deshalb können wir mit den Beitrittskandidaten zwar Gespräche führen, aber zu einer Aufnahme darf es noch nicht kommen.

SPIEGEL: Der Beitritt der sehr viel ärmeren osteuropäischen Staaten wie Polen, Tschechien oder Ungarn wäre nicht ganz billig.

Strauss-Kahn: Deshalb muß erst einmal der finanzielle Rahmen festgelegt werden. Als Finanzminister kann ich nicht dulden, daß die EU sagt: Nehmt sie auf, über die Rechnung sprechen wir später. Auch das ist ein Beitrag zur Stabilität. Ich hoffe, daß wir uns auf dem Gipfel in Luxemburg Ende der Woche über diese Rahmenbedingungen einigen.

SPIEGEL: Herr Minister, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

[Grafiktext]

Deutschland und Frankreich: Handelsbilanz, Bruttoinlandsprodukt,

Inflationsrate und Arbeitslosenquote

[GrafiktextEnde]

* Mit Redakteuren Lutz Krusche und Romain Leick in Paris.

Lutz Krusche
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