Kriminalität Deppen in der Buchhaltung
Peter J. Wilson, ein wahrer Feinschmecker aus dem amerikanischen Stamford, hält einige hundert europäische Köche in Atem. In seinem Testament hat der alte Herr, so es ihn denn je gab, den größten Meistern des Kochlöffels »in Frankreich, in Deutschland und der Schweiz« jeweils 20 000 Dollar vermacht.
Bevor die Bedachten allerdings ihr vermeintliches Erbe antreten, sollen sie Gebühren und Auslagen zahlen. Dies jedenfalls ist aus gleichlautenden Briefen eines Informationsbüros »Inos« im südfranzösischen La Turbie zu schließen.
Mr. Wilson, so die rührende Geschichte, sei »leidenschaftlicher Gourmet« gewesen und habe in den »letzten zehn Jahren seines Lebens« zahlreiche »Spitzenrestaurants in aller Welt und vor allem in Europa« besucht. Den 50 besten Gastronomiebetrieben habe er eine Summe vermacht - »hauptsächlich für die Nachwuchsförderung«.
Die Schreiben sind nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes (BKA) »die neueste Variante einer gigantischen Betrugsserie«. Kriminaloberrat Jürgen Albrecht: »Immer häufiger werden Bundesbürger mit Massenrundschreiben aus dem Ausland gelinkt.«
Auch einige hundert Ärzte sind angeblich glückliche Dollar-Erben. Ihr Gönner, so erfuhren sie per Anwaltspost aus London, heiße »J. C. Martin aus Sciutate Ma. (USA)«. Aus seinem »beträchtlichen Vermögen« habe Martin »einen großen Teil denjenigen Medizinern vermacht, die maßgeblich an der Genesung seines späteren Adoptivkindes beteiligt waren«. Angebliche Erbschaft pro Nachlaßnehmer in diesem Fall: 60 000 Dollar in Aktien.
Die Briefschreiber, die sich diesmal »D. R. Gabler & R. Finnen« nennen, spekulieren darauf, daß jeder Arzt, der schon mal ein Kind geheilt hat, sich angesprochen fühlen müßte. Für die Nachlaßregelung seien vorab 800 britische Pfund (rund 2400 Mark) auf das Konto der Kanzlei zu zahlen.
Die Post an das Duo Gabler und Finnen, das im Anwaltsverzeichnis für England nicht aufgeführt ist, wurde in einem Londoner Tabakladen gesammelt und einmal wöchentlich postlagernd nach Nizza geschickt. Dort verläuft sich die Spur. »Wir können keinen Täter anbieten«, sagt Fahnder Albrecht.
Solche Trickbetrüger, oft international organisiert, verschicken auch an westdeutsche Unternehmen Massendrucksachen mit fingierten Rechnungen. Der Wirtschaft entsteht dadurch alljährlich, schätzt das BKA, ein Schaden von rund 100 Millionen Mark.
Nur wenige Absender werden gefaßt. Sprachhürden und unterschiedliches Recht in Europa lähmen den Fahndungseifer. Auch »strafrechtlich«, meint BKA-Oberkommissar Armin Wellmann, »ist man schnell am Ende«. Oft sind nur Verstöße gegen das Gesetz über unlauteren Wettbewerb zu beweisen.
Wellmann ermittelt zum Beispiel seit Jahren hinter der »Lintel Verlag AG« her, die vorgeblich im liechtensteinischen Schaan, tatsächlich aber in der liberianischen Hauptstadt Monrovia ihren Sitz hat. Das Unternehmen verschickt an westdeutsche Firmen, vor allem an deren Filialen, Zahlkarten etwa für den Eintrag in private Telefon- oder Telefax-Verzeichnisse. Der Betrag, 968 oder 972 Mark, ist in solchen Fällen vom Computer schon eingedruckt.
Die Gestaltung der Formulare, befand das hessische Landeskriminalamt (LKA), verleite »den Empfänger zu der Vermutung, er müsse eine noch offene Forderung« der Bundespost begleichen. Firmen wie Lintel versenden »bis zu 500 000 Rechnungen auf einmal«, schätzen Wiesbadener LKA-Auswerter.
Letzte Woche mußte sich auch das Hamburger Landeskriminalamt mit den faulen Tricks befassen. Zahlreiche Bürger hatten sich über Schmu-Rechnungen des Marol-Verlages aus Triesenberg (Liechtenstein) beklagt, dessen Betreiber mit der gleichen Masche arbeiteten. Bei Rückfragen gab es vom Verlag stets dieselbe Antwort: »Unser Chef, Herr Kurt Beck, ist in Urlaub.«
Windige Firmen, die ähnlich wie Lintel und Marol Belege und Rechnungen für einen Eintrag in obskure Telex-, Telefax- oder Adreßbücher verschicken, melden sich laut Poststempel auch aus den holländischen Städten Rotterdam und Den Haag, aus Eschen und Vaduz in Liechtenstein, neuerdings auch aus dem dänischen Kastrup.
Zwar steht im Kleingedruckten, es handele sich nur um »ein Angebot zur grafisch hervorgehobenen Insertion«. Doch offenbar werde, warnten die Oberpostdirektionen in einem Schreiben an deutsche Unternehmen, »mit der Dummheit oder Arbeitsüberlastung der Adressaten gerechnet«.
Erst »aufgrund näherer Prüfung«, befand das Oberlandesgericht Hamm in einem Fall, könne der Adressat »erkennen, daß die Zusendung des Überweisungsträgers nichts mit einem schon getätigten Geschäft zu tun hat«. Diese Irreführung sei auch »sittenwidrige Werbung«, weil sie »Schwächen in der Organisation eines Betriebs« ausnutze.
Vor allem im Sommer, wenn Vertretungen an der Kasse sitzen, werden Firmen, Verbände und Freiberufler mit fingierten Forderungen überschwemmt. Jede Woche, gestand ein Akquisiteur bei seiner Zeugenaussage vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, habe er rund »3000 Formulare versandt«.
»Zwei bis drei Prozent Deppen in der Buchhaltung« fallen laut BKA auf die Tricks der Inkasso-Branche rein. Obendrein scheuen sich manche Kassenwarte, frühere Fehler einzugestehen und zeichnen sogar Anschlußaufträge. Tatsächlich erhalten einige Firmen dann wertlose Telefon- oder Adreßverzeichnisse, die in geringen Auflagen von beispielsweise nur 1500 Exemplaren gedruckt werden.
Selbsthilfevereine der Wirtschaft wie »Pro Honore« oder »Schutzverband«, seriöse Adreßbuchverleger und die Deutsche Postreklame zeigen die Briefkastenfirmen zwar immer wieder an. Doch »nicht alles, was böse Buben treiben«, sagt BKA-Ermittler Albrecht, »wird vom Strafgesetzbuch erfaßt«.
Auch Abmahnungen und Unterlassungsklagen bringen wenig, wenn die Adressaten in Panama oder Liberia residieren. Alte Firmen werden dann liquidiert, neue gegründet.
Letzte Masche der Inkasso-Branche: Brave Bürger im Rheinland werden um einen Scheck über 87,20 Mark gebeten, zahlbar an eine Briefkastenfirma in Holland. Viele zahlen stillschweigend, damit ihre Ehefrauen nicht kompromittierende Mahnungen in der Post finden: Berechnet werden angebliche Dienstleistungen des Telefonsex-Gewerbes. o