DER ABGEORDNETE ALS MARKENARTIKEL
»Wahl und Werbung - kleine Winke für den Wahlkampf« heißt eine ohne Verfasser- oder Herausgabe-Vermerk gefertigte CDU - Interne Schrift für die nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen. Sie gibt einem imaginären christdemokratischen Wahlaspiranten Gerhard Schmidt vertrauliche Tips für die Wahlwerbung und warnt ihn davor, bei seiner Propaganda allzuviel von politischen Grundsätzen zu reden. Statt dessen soll er sich Im politischen Kampf lieber an die Prinzipien der Markenartikelwerbung halten. In der Schrift, deren Werbe-Tendenz Rückschlüsse auf Niveau und Stilmittel der Wahlkampagne zum Bundestag 1961 zuläßt, heißt es:
Nicht, wie etwas ist, sondern wie die Leute meinen, daß es sei, das entscheidet die öffentliche Meinung über etwas, auch über einen Kandidaten. Wir nennen dieses »Bild« mit einem englischen Fachausdruck das »image« (sprich: immätsch) einer Sache, eines Markenartikels und ebenso einer Person des öffentlichen Lebens ...
Das Meinen der Leute hat leider nicht sehr viel mit ihrem Wissen oder ihrer Überzeugung zu tun. Es wird mehr von ihren Gefühlen, ihrem Gemüt und eben ihren Vorurteilen bestimmt. Man wirbt deshalb leider nicht allein durch gute Argumente, durch vernünftige Darlegungen.
Nichts überzeugt so sehr wie der Erfolg. Am erfolgreichsten ist immer der Erfolg! Die Leute wollen schließlich von Ihrem Erfolg profitieren. Haben Sie kleine Erfolge in Ihrem Leben gehabt, so schämen Sie sich ihrer nicht; haben Sie größere Erfolge gehabt, so verschweigen Sie sie um so weniger. Also: Wirb durch Überredung - wirb mit Erfolg! ...
Persönliche Angriffe lösen vorwiegend Mitleids- und Schutzgefühle für den Betroffenen aus. Angriffe und Anklagen müßten deshalb massiv und total vernichtend sein, sonst fallen sie auf den Angreifer zurück; auch sollten sie von einer höheren Ebene her kommen ...
Private Meinungen und Gefühle, ob X oder Y Ihnen gefällt oder nicht das ist jetzt alles ganz unwichtig. Sie wissen ja selbst: Es ist besser, Sympathien und Antipathien, Meinungen und Urteile für sich zu behalten. Mit wem Sie auch immer in diesen Tagen sprechen, er muß von Ihnen erfahren, daß Sie sich »interessanterweise« gerade für seine Anliegen als Mitbürger interessieren und darum sich einsetzen wollen ...
Schlüsselfiguren - die Soziologen nennen sie »key-persons« und »Multiplikatoren« - sind die Leute, die als Vorgesetzte, leitende Beamte, Direktoren, als Vorsitzende und Vorstandsmitglieder von Gesang-, Sport- und anderen Vereinen einen großen persönlichen Wirkungs- und Bekanntenkreis haben. Regen Sie Ihren Kreisvorstand an, lieber Freund Schmidt, diese im genannten Sinne wesentlichen Persönlichkeiten zu einem kleinen Empfang einzuladen. Es braucht kein großer Aufwand getrieben zu werden, aber die Einladung sollte ausdrücklich sehr vornehm gehalten und auch das Lokal müßte gut sein. Eine ganz dringende Bitte: Die Einladungen unbedingt persönlich adressieren und eine Antwort erbitten (U.A.w.g. - »Um Antwort wird gebeten") ...
Sehr viele werden aber zu Ihrem Empfang nicht kommen können oder wollen ... Sie sollten deshalb mit Ihrem Kreisvorstand eine Liste der wichtigsten Leute Ihres Gebietes zusammenstellen, die Sie unbedingt brauchen müßten: den Chefredakteur der Zeitung, die Präsidenten der berufsständischen Kammern, Verbände und Vereinigungen, die Vorsitzenden oder Vorstände der wichtigsten Vereine. Mancherorts sind auch die kleineren Vereine, Sport- und Vergnügungsgesellschaften tunlichst hierbei zu beachten. Vergessen Sie auch in keinem Falle die Pfarrer! ...
Da fährt ein Filmwagen durch Ihren Wahlkreis ... Der Techniker des Filmwagens ist auch nur ein Mensch. Es schadet also nichts, ihm ein freundliches Wort, ein paar Zigaretten und vielleicht ein Glas Bier zu spendieren ... Nach dem ersten Filmstreifen schaltet unser Techniker den Film aus, drückt Ihnen ein Mikrophon in die Hand, kündigt Sie vielleicht mit kurzen Worten an, und Sie haben jetzt die Gelegenheit, 2 Minuten (in Worten: zwei Minuten) - In keinem Falle länger! - zu sagen, daß Sie der CDUKandidat Gerhard Schmidt sind und im Namen der CDU eine unterhaltsame Veranstaltung wünschen ... machen Sie einen Scherz, wenn Sie dazu eine passende Idee haben ...
Schützenfeste, Sängerfeste und Sportveranstaltungen mit dem genügsam bekannten »anschließenden gemütlichen Beisammensein« sind glänzende Gelegenheiten, immer wieder in kleinerem Kreise und in einer völlig unpolitischen Stimmung bescheiden und scheinbar ungezielt darauf hinzuweisen, daß Sie sich demnächst in die Politik zu stürzen gedächten und als Kandidat für die CDU aufgestellt sind ...
Der persönliche Brief des Kandidaten an seinen Wähler bedeutet, wenn er natürlich und menschlich geschrieben ist, geradezu eine Wohltat für das Gemüt des Empfängers. Denn der Brief zeigt ja an, daß Sie sich höchstpersönlich die Mühe machen, jeden einzelnen Ihrer vermutlichen Wähler anzusprechen ... Wenn Sie sich alle diese persönliche Bemühung nicht leisten können, weil Ihnen die Zeit und die Helfer beim Adressenschreiben fehlen, dann können Sie sich heutzutage an ein Werbe- und Adressenbüro wenden, das Ihnen die Mühe des Adressenschreibens abnimmt ... Zu erschwinglichen Preisen kann man heute mit Rotaprint oder einem ähnlichen Verfahren auf Schreibmaschinenpapier Briefe herstellen, die echten Briefen täuschend ähnlich sind ...
Bei der Abfassung eines Wählerbriefes muß man Mut haben, und zwar Mut zum Ungewöhnlichen und sogar zum scheinbar Unseriösen ... Lassen Sie durchblicken, daß Sie eine gute Zigarre sehr zu schätzen wissen. Haben Sie keine falsche Scheu. Sagen Sie ruhig, daß Ihr Ältester leidlich gut malt, Ihre Frau gut kocht und auch sonst weiß, was sie will, und daß Ihr verstorbener Vater sich über Ihre politische Aktivität wundern würde.
Bekennen Sie ruhig, daß Ihre Frau sauer ist, wenn Sie sich Abend für Abend für das Allgemeinwohl einsetzen und daß Sie Im Grunde lieber faulenzen möchten und ganz gern viel Geld hätten. Es ist auch keineswegs eine Schande, es hat sogar einen guten Effekt, wenn Sie bedauern, mitteilen zu müssen, daß Sie früher in der Schule nicht gerade die besten Zeugnisse erzielt haben ... Schreiben Sie um keinen Preis in der Welt großartige Ausführungen zur Außenpolitik und zur gescheiterten Gipfelkonferenz. Überlassen Sie das getrost der oberen Etage ...
Unter einem Prospekt verstehen wir
eine Werbeschrift mit mehreren Seiten in Bild und Text ... Gleich oben auf der ersten Seite soll es prangen: Ein schönes Bild, ein wirklich schönes Bild! Es darf Sie, lieber Freund Schmidt, von der allerbesten - wie man sagt - von der Schokoladenseite zeigen. Und dann sollte es ein Bild sein, daß Sie in einem privaten Rahmen und in einer menschlich persönlichen Pose zeigt ...
Bitte, keinen dürren Lebenslauf, keine monotone Aufzählung von Daten, sondern eine glaubwürdige und charmante Beschreibung der Persönlichkeit, wobei ruhig ein paar sparsame Lichter der Übertreibung aufgesetzt werden dürfen ... Seien Sie nicht böse, wenn wir noch einmal wiederholen: Politische Aussage - ganz kurz und klar! ...
Eine Anzeige, die ins Auge springen will - und das muß sie, wenn sie überhaupt wirken soll -, erfordert den entsprechenden Umfang ... Man kann für die Gestaltung einer Anzeige im Grunde keine Rezeptbücher verfassen, aber es gibt eine Faustregel: so groß wie möglich, so schreiend wie möglich und so originell wie möglich. Die moderne Inseratenwerbung der Markenartikelindustrie hat hier schon manchem Politiker gute Tips gegeben .
Die Wirksamkeit der Plakatwerbung liegt in der Geschlossenheit der Motive ... Zuweilen ... bietet ein Werbefachmann eine zündende Wahlparole, die werbewirksamer ist als ein politischer Slogan. Auch für Plakate gilt die eiserne Regel: Möglichst wenig Worte, keine programmatischen Manifeste!
Beachten Sie unbedingt noch folgendes: Unser Schriftzeichen »CDU« ist genormt. (Das Muster ist durch die Bundesgeschäftsstelle erhältlich.)