Zur Ausgabe
Artikel 2 / 93

»Der alte Herr gibt sein Bestes«

Von Erich Wiedemann
aus DER SPIEGEL 10/1991

Den anstrengendsten Job im Himmel, so sagen die Leute von Big Oil in Houston (Texas), habe der Schutzengel von Red Adair. Auf 2000 Einsätzen hat Red vier Dutzend Knochenbrüche, unzählige Verbrennungen und einen Scheintod überlebt. Einmal fiel Red in heißes Öl, einmal knackte ihm ein Bagger alle Rippen, einmal schleuderte ihn ein explodierender Bohrturm 15 Meter hoch in die Luft, und mindestens dreimal verlor er durch die Einwirkung giftiger Gase vorübergehend sein Augenlicht.

Red Adair, der berühmteste Feuerwehrmann der Welt, hat seinem Schutzengel in 50 Jahren keine Verschnaufpause gegönnt. Er sagt: »Für die Leute, die ihr Bestes geben, gibt auch der alte Herr da oben sein Bestes.« Er will damit ausdrücken: Diejenigen, die unablässig ihr Bestes geben, das sind vor allem Red Adair und der liebe Gott.

In dem Bürogebäude am Pinemont Drive 1018 in Houston North sieht man auf den ersten Blick, daß ein Held der Nation hier der Hausherr ist. Überall an den Wänden mannshohe Farbfotos von brennenden Öltanks, Bohrlöchern und verknautschten Bohrplattformen. Und überall der Chef mittendrin mit seinem feuerroten Overall.

Im Foyer steht auf einem roten Teppichboden ein hundert Jahre alter roter Pumpwagen der Feuerwehr von Hannover, den deutsche Kunden Red für irgendeine tolldreiste Dienstleistung vermacht haben. Auf dem Kutschbock liegen zwei Helme mit der Aufschrift »Freiwillige Feuerwehr Katzelsdorf«.

Paul Neal Adair, genannt Red, der Feuerrote, ist seit einem halben Jahrhundert Branchenführer im 3-D-Business, wie das in Texas heißt. »3 D« steht für »death, disaster, destruction«. Wo im Öl-Business im großen Stil was schiefging, war Red als Retter zur Stelle.

Red hat 1962 in der algerischen Sahara mit einer Lkw-Ladung Dynamit eine 200 Meter hohe Gasfackel und im April 1977 das Feuer auf der norwegischen Ölbohrinsel »Bravo« gelöscht. Außerdem über 1500 Brände überall auf der Welt, wo der schwarze Saft aus der Erde kommt. Armand Hammer, der Chef von Occidental Petroleum, sagte noch kurz vor seinem Tod: »Für einen Mann von Mitte 70 ist Red ziemlich verrückt, aber er ist noch immer ein verdammt guter Feuerausmacher.«

Jetzt soll Red Adair das große Feuer in Kuweit ausmachen. Die Kuwait Petroleum Corporation (KPC) hat vier Firmen, die Red Adair Company, Boots & Coots Blow out Control, Wild Well Control aus Houston und eine Gesellschaft aus Calgary beauftragt, unter Reds Führung die Feuerlohen zu löschen, die der große Brandstifter von Bagdad auf den Ölfeldern von Kuweit entzünden ließ.

»Big job«, sagt Red. Sogar der große Ausputzer aus Texas hat noch nie mehr als fünf brennende Ölquellen auf einmal gesehen. In Kuweit brennen gut hundertmal so viele. Red hätte nicht gedacht, daß er das auf seine alten Tage noch erleben würde.

Nein, Red ist kein Pyromane, jedenfalls nicht mehr als jeder normale Kleinstadtfeuerwehrmann, der sich den Stolz nicht verkneifen kann, wenn er mit seiner Spritze ganz vorn am Brandherd ist. Er sagt: »Ich freue mich darüber, daß mir der alte Mann da oben das Talent gegeben hat, eine kaputte Sache wieder heilzumachen. Und ich freue mich jedesmal, wenn ich das Talent einsetzen kann, um der Menschheit zu nutzen.«

Wobei Reds Repariertalent auf jene Arten von Reparaturen begrenzt ist, die sich mit Dynamit oder mit einem dicken Hammer ausführen lassen. Die Einzelteile des Rasenmähers, den er letzten Sommer reparieren wollte, so sagt seine Frau Kemmie Lou, hätten wochenlang im Garten gelegen, bis sie ganz verrostet waren.

Das Burkan-Feld, das die Kuweiter der Red Adair Company zum Löschen zugewiesen haben, ist das größte Ölfeld in Kuweit. Es ist noch nicht abzusehen, wann es von Minen geräumt sein wird. Aber Red und seine Crew haben prophylaktisch für diese Woche Flüge nach Dhahran in Saudi-Arabien gebucht.

Außerdem haben sie vier Jumbo-Jets für Material gechartert. Weil die Besatzer die Lager geplündert haben, müssen sie praktisch alles aus Texas mitbringen, was sie brauchen: Werkzeug, Kräne, Bulldozer, Pumpen. Schläuche, Dynamit - vor allem viel Dynamit zum Feuerausblasen. Und ein paar Eimer saure Dillgurken als Betriebsstoff für den Chef. Es heißt, daß Red Adair auf heißen Einsätzen mehr saure Dillgurken futtert als zehn werdende Mütter.

Soviel steht jetzt schon fest: Es wird schwerer, als die dachten. Mitte letzter Woche haben sie die ersten Fernsehbilder aus dem brennenden Minagisch-Ölfeld, nicht weit von Kuweit-Stadt, gesehen. Die Stichflammen waren oben ausgefranst und am Boden von einem breiten Pudding aus glühendem Glibber umwabert.

Das heißt: Die Iraker haben, soweit man das am Bildschirm beurteilen konnte, gründliche Zerstörungsarbeit geleistet. An einigen Zapfstellen haben sie nur die Ventile aufgedreht und das austretende Öl in Brand gesetzt. Solche Brände, sagen Reds Männer, spucken sie mit Bier aus. Aber bei den meisten Quellen sind die sogenannten Christbäume gesprengt, die den Druck und den Ausfluß regulieren.

Es gibt zwei Methoden, die Brände zu stoppen: Entweder man bläst sie einen nach dem anderen mit gut dosierten Dynamitladungen aus. Oder man gräbt jeweils von der Seite einen schrägen Stichkanal bis ins Bohrloch vor und pumpt flüssigen Zement hinein, so daß der natürliche Druck das heiße Öl nicht weiter nach oben treiben kann.

Dann müssen sie das ganze Umfeld unterhalb der Bruchstelle aufgraben, die Pipeline vor dem gesprengten Christbaum abschweißen und neue Ventile aufflanschen. Die ganze Operation dauert pro Brunnen je nach Leitungsdruck ein paar Wochen bis drei Monate.

Weil die Flammen den Sand so aufheizen, daß die Schuhsohlen schmelzen, müssen Gerätschaften und Bedienungspersonal ständig mit Wasser besprüht werden. Dafür braucht man für jede Löschstelle monströse Mengen Wasser. Bevor die erste Löschsprengung angesetzt werden kann, müssen ein paar hundert Kilometer Schläuche verlegt werden, durch die Kühlwasser aus dem Golf zu den Bohrlöchern gepumpt wird.

Was das alles kostet?

Ein Öl-Boß, der so etwas Unangemessenes fragt, muß damit rechnen, daß Red Adair einen Blankoscheck als Vorkasse verlangt. Red ist zwar kein Monopolist mehr wie früher, aber er ist immer noch unumstritten die Nummer 1 im Löschgeschäft. Es ist nicht vorgekommen, daß sein Honorar und seine Spesen höher waren als der Sachschaden, den er verhütet hat.

Am Geld seiner Auftraggeber hat Red Adair noch nie gespart. In Dubai ließ er vor Jahren 30 Boeing-Ladungen Schlamm aus Texas einfliegen, um eine undichte Ölquelle zu stopfen. Die Löscharbeiten auf der Bohrinsel »Piper Alpha« vor Schottland hat er sich von Occidental Petroleum mit pauschal einer Million Bucks pro Tag bezahlen lassen. Spesen extra.

Die Kuweit-Rechnung wird wesentlich höher liegen. Big job, big money. Man muß damit rechnen, daß das ganze Löschunternehmen irgendwas zwischen einer halben und einer ganzen Milliarde Dollar kosten wird. Aber was ist schon eine Milliarde Bucks für ein so reiches Land? Soviel setzt die Kuwait Petroleum Corporation bei guten Förderquoten in weniger als vier Wochen um.

Doch die Hoffnung, daß sie spätestens Ende des Jahres wieder im full swing wird fördern können, haben die Feuerfresser aus Houston den KPC-Bossen ausgeredet. Red Adair veranschlagt die Dauer der Löscharbeiten auf 18 Monate, vielleicht auch mehr. Joe Carpenter vom Konkurrenzunternehmen Boots & Coots meint, es könnten auch leicht zwei bis drei Jahre werden.

Sie hatten alle gehofft, daß Red diesmal die Operation aus der Distanz leiten würde. Aber die Jahrhundertkatastrophe will er nicht verpassen. »Er ist so vital wie in den letzten fünf Jahren nicht mehr«, sagt sein Vize Richard Hatteberg. »Er will wieder mit raus.« Der Koffer mit dem roten Overall und den langen roten Flanell-Unterhosen ist schon gepackt.

Red ist 75 Jahre und kein bißchen leise. Er hat einen feuerroten Mercedes-Sportwagen, eine Flotte von roten Cadillacs, ein riesiges rotes Rennboot, in dem er mit Tempo 160 in der Galveston Bay herumkariolt, um Dampf abzulassen. Was will der Mann denn noch mehr. Will er noch mehr Geld oder noch mehr Thrill?

Beides. In Texas ist Geld machen Thrill. Geld haben allein ist langweilig.

Nein, es ist vor allem das Bewußtsein, einer hochelitären Rauhreitergemeinschaft anzugehören, die mit Dynamit die Welt wieder in Ordnung bringt, wo sie in Unordnung geraten ist. General Schwarzkopf und seine Buddies haben am Golf ihre verdammte Pflicht getan. Jetzt werden Red Adair und seine Buddies ihre verdammte Pflicht tun. Sie sind alle dabei: Dick, Squirt, Boots, Coots, Bum und Drei-Finger-George.

Am Dienstag früh rief George Bush an. »Lassen Sie es mich wissen, Red, wenn ich was für Sie tun kann.« Red Adair hat sich artig bedankt. Aber die Kleinigkeit würden er und seine Jungs schon hinkriegen.

Red ist natürlich stolz, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten ihn persönlich anruft. Er erzählt gern Geschichten von seinen Begegnungen mit prominenten Leuten. Bei jedem einzelnen der letzten fünf US-Präsidenten hat er schon auf der Couch gesessen. Nur die Geschichte von dem Empfang in Buckingham nach dem Piper-Alpha-Unglück erzählt er nicht gern.

Armand Hammer stellte Red einen schlanken Mann im dunklen Anzug vor und sagte: »He, Red, ich möchte Sie mit dem Gentleman hier bekanntmachen.« Red wußte, was sich gehört. Er streckte die rechte Hand aus und sagte »Hi, I am with the Red Adair Company. Who are you with?« Ich bin bei der Red Adair Company, bei wem sind Sie? Der Mann sagte: »I am Prince Philip, I am with the Queen.« Red sagte nur: »Oh, my God.«

Der Größte für Red aber war John Wayne. »The Duke«, wie er ihn nannte, war der Titelheld eines Hollywood-Films über Red Adair. John Wayne ließ alle gefährlichen Szenen von Red doubeln. Trotzdem: Von John Wayne im Kino dargestellt zu werden, schwärmte Red später, das sei für ihn der Höhepunkt seiner Laufbahn gewesen. Red sagt: »The duke is a real hero.« Er ist ein richtiger Held. So was gibt es nur in Texas. o

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 2 / 93
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten