REISEN Der Anmarsch
Die Deutsche Botschaft in Washington gleicht zur Zeit eher einem Reisebüro der freien Welt als einer diplomatischen Vertretung. Denn so geflissentlich deutsche Wirtschaftszaren, wie Schlieker, Beitz und sogar Regierungsbankier Abs, bei ihren Geschäftsreisen nach Amerika die Hilfe der Botschaft vermeiden, so selbstverständlich bedient sich jeder reisefreudige Bundestagsabgeordnete dieser Institution.
Als Vorboten kleineren Kalibers trafen im Januar zu Nato- und Montan-Verhandlungen die Generale Röttiger und Kammhuber, der Militärexperte der CDU -Fraktion, Oberst a. D. Berendsen, und Montan-Vizepräsident Etzel ein. Im Februar werden Bundespressechef Felix von Eckardt, SPD-Chef Erich Ollenhauer, CDU-Außenpolitiker Kurt-Georg Kiesinger und Konrad Adenauers Staatssekretär Hans Globke folgen. Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß hat in letzter Minute abgesagt. Besorgt warnte die Londoner »Times«, die Deutschen wollten wohl »jede Gelegenheit ausnutzen, die sich für sie aus dem Niedergang der Beziehungen Amerikas mit England und Frankreich ergibt«.
Für März ist ein dreitägiger Staatsbesuch des Bundespräsidenten Heuss vorgesehen; Außenminister Heinrich von Brentano wird den Bundespräsidenten protokollgemäß begleiten. Nach seinen drei Washingtoner Tagen möchte Professor Theodor Heuss auf einer vierzehntägigen Privatreise Land und Leute kennenlernen. Ihm soll dafür ein Flugzeug der US-Regierung zur Verfügung gestellt werden; er wird Gast auf allen bundeseigenen Territorien - so etwa im National-Park - sein. Alle anderen Kosten müssen aus seiner Privat-Schatulle bestritten werden. In der letzten Phase seines Besuches wird der Bundespräsident zwei oder drei Tage in der Nähe New Yorks in einer Villa leben, um seine emigrierten Freunde aus vergangenen Tagen empfangen zu können.
Der einzige Besucher, für dessen geplanten Besuch im April einstweilen weder Pläne noch Programme bestehen, ist Bundeskanzler Konrad Adenauer. Er hat nämlich bisher weder eine Einladung, noch besteht ein offizieller Anlaß, nach Amerika zu kommen. Allein, jedermann in Washington ist überzeugt, daß er sich das eine oder andere rechtzeitig verschaffen wird.
Amerikas politische Klatschbase Nummer 1, Radiokommentator Drew Pearson, meinte erst kürzlich, der deutsche Kanzler bemühe sich bereits um einen neuen Ehrendoktorhut, made in USA, um das geliebte Amerika noch vor den Wahlen wiederzusehen.
Diese Anhäufung bundesrepublikanischer Reisender kommt nicht von ungefähr. Sie rührt von den bevorstehenden Bundestagswahlen 1957 her. Oppositionsführer Erich Ollenhauer möchte in den USA den Wahlkampf eröffnen. Bundeskanzler Konrad Adenauer möchte seine Triumphtournee von 1953 wiederholen. Damals stieß er als in Amerika gefeierter und gesalbter Staatsmann wie der große Manitu aus den Wolken zum CDU-Parteitag in Hamburg, um den ergriffenen Christdemokraten die Siegeszuversicht und Grüße des großen Bruders im Weißen Haus zu überbringen. Diesmal hofft er, daß eine verdünnte Neuauflage noch einmal ähnliche Resultate zeitigt.
Für Erich Ollenhauer gilt das Gegenteil: Er möchte nicht Gewesenes bewahren, sondern Nicht-Bestehendes schaffen. Für ihn kommt es darauf an, in Washington salonfähig zu werden, den Kongreß, die Regierung und die öffentliche Meinung Amerikas zu überzeugen, daß nicht nur die CDU, sondern auch die SPD von freiheitsliebenden, pro-westlichen Demokraten geführt wird. Schließlich möchte der SPD-Chef den Wählern in der Bundesrepubik demonstrieren, daß auch er in Washington empfangen wird.
Um das alles - wenn es gelingt - schwarz auf weiß nach Hause zu tragen, wird er den Kameramann Luppa der Neuen Deutschen Wochenschau mitbringen, dessen Filmwerk über den Kanzler -Besuch 1953 in den USA auf die Sozialdemokraten einen offenbar unauslöschlichen Eindruck gemacht hat. Ob indessen Luppa kurbeln kann, was die Sozialisten sich erträumen, ist noch ungewiß: Außer einem Essen mit dem ehemaligen US-Vizekönig von Deutschland, John McCloy, und dem ungekrönten König der Juden, Nahum Goldmann, hat Erich Ollenhauers Reisemarschall, der in New York lebende Genosse und einstige SPD-Reichstagsabgeordnete Gerhard Seeger, bisher kaum eine filmreife Szene festlegen können.
Sein Typ ist nicht gefragt
Das State Department wird dem SPD-Boss zwar ein Essen geben, aber einstweilen steht noch nicht fest, ob John Foster Dulles zugegen oder in Urlaub sein wird. Auch eine Audienz bei Präsident Eisenhower ist vorläufig nur sozialistisches Planziel. Dem SPD-Hauptquartier in der Bonner Friedrich-Ebert-Allee blieb nichts anderes übrig, als das Weiße Haus über die deutsche Botschaft in Washington wissen zu lassen, daß Erich Ollenhauer seine insgesamt elftägige Reise von Küste zu Küste, von San Francisco bis Chicago, jederzeit für eine solche Unterredung mit Amerikas Staatschef unterbrechen würde.
Zur Bearbeitung der amerikanischen Presse sind Cocktails mit dem Herausgeber der »New York Times«, Sulzberger, und dem Herrscher über »Zeit« und »Leben«, »Time«- und »Life«-Verleger Henry Luce, festgelegt. Der Versuch, den deutschen Oppositionsführer in einer der großen politischen Fernsehsendungen unterzubringen, mißlang dagegen kläglich. Sein Typ ist nicht gefragt.
Ein Versuch, ihn vor dem National Press Club sprechen zu lassen, wurde gar nicht erst unternommen. Denn Kenner der amerikanischen Verhältnisse befürchten, das Auditorium würde halbleer sein; außerdem bevorzugt der »Press Club«, für den zwei Deutsche in einem Monat zu viel wären, Außenminister Heinrich von Brentano als Gast. Für Erich Ollenhauer bleiben nur die in den »Overseas Writers« zusammengeschlossenen journalistischen Auslands-Experten übrig.
Im Gegensatz zur oft erprobten politischen Fairneß des Außenministers Heinrich von Brentano, der seine Botschaft in Washington angewiesen hat, Erich Ollenhauers Besuch so zu unterstützen und vorzubereiten, als ob Brentano selbst käme, steht das Verhalten der CDU-Fraktion, die es für richtig hält, zur selben Zeit, da sich der Sozialistenführer in den USA nach Kräften um Anerkennung müht, ihren außenpolitischen Experten Kurt-Georg Kiesinger ebenfalls über den Ozean zu entsenden.
Offensichtlich hoffen die Christdemokraten, daß der träge Charme und die intelligente Beredsamkeit ihres Fraktions -Beaus mit dem Silberhaar ausreichen, um etwaige Grillen zu verscheuchen, die der SPD-Chef in amerikanische Hirne gesetzt haben könnte. Angeblich reist der Vorsitzende des außenpolitischen Parlamentsausschusses zur jährlichen Konferenz des sogenannten Bilderberg-Kreises, die vom 10. bis zum 12. Februar im eleganten und selbst in dieser Jahreszeit sonnig-warmen Brunswick in Georgia stattfindet.
Der Bilderberg-Kreis hat seinen Namen von dem holländischen Schloß Bilderberg, in das der niederländische Prinzgemahl Bernhard im Mai 1954 erstmalig eine sagenumwobene Gruppe internationaler Politiker und Industriekapitäne, Snobs und Kronenkraxler zu einem Gründungstreffen westlicher Elite einlud. Spätere Konferenzen fanden in Barbizon in Frankreich, im Garmisch-Partenkirchener »Alpenhof« (1955) und in Kopenhagen (1956) statt. Die Liste der Bilderberg-Mitglieder reicht vom Nato-General Gruenther bis »Daily Express«-Reporter Sefton Delmer, vom Sozialisten-Troubadour Carlo Schmid bis zum Montan-Unions-Vater Jean Monnet. Die Konferenzen dienen einem unverbindlichen Plausch über politische und wirtschaftliche Entwicklungen in der freien Welt.
Aus Kurt-Georg Kiesingers US-Reiseprogramm geht denn auch eindeutig hervor, daß die Gespräche im Bilderberg -Kreis nicht der einzige Anlaß seiner Amerikareise sind. Auch er will unter dem Motto »Jedes MdB einmal quer durch USA« die übliche Rundfahrt durch den Kontinent antreten und vor allem sowohl vor als auch nach dem Bilderberg-Treffen an der Stätte von Erich Ollenhauers Wirken - in Washington - nach dem Rechten sehen.
In einer Eigenschaft, die man schwerlich anders als die eines Kontrolleurs bezeichnen kann, wird schließlich nach Abreise der beiden Rivalen Ollenhauer und Kiesinger Konrad Adenauers Staatssekretär Hans Globke Ende Februar im Land der unbegrenzten Möglichkeiten eintreffen. Die Nachricht von seinem Unmut über die SPD-Aktion ist indessen schon vor seiner Abfahrt nach Washington gedrungen.
Offiziell will er Verwandte im »schwarzen« New Orleans besuchen. Für wie wichtig Bundeskanzler Konrad Adenauer Globkes Mission erachtet, zeigt der Umstand, daß der Kommentator der Nürnberger Rassegesetze statt in New Orleans in New York zu landen gedenkt, wo mehr Menschen mosaischen Glaubens leben als im ganzen Staat Israel.
Simplicissimus, München
Die Zugvögel
US-Besucher Globke
Verwandte im schwarzen New Orleans