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Artikel 13 / 82

SPIEGEL Gespräch »Der Anti-Strauß-Effekt zieht nicht mehr«

Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß über die Wahlaussichten der Bonner Koalition *
aus DER SPIEGEL 5/1986

SPIEGEL: Herr Ministerpräsident, der Wahlkampf beginnt, die Union muß Bilanz machen: Was hätte in Bonn in der zurückliegenden Legislaturperiode besser laufen können?

STRAUSS: Vielleicht ist es nicht sinnvoll, lange darüber nachzudenken, was hätte besser laufen können. Manche Dinge sind eben nicht so gehandhabt worden, wie sie hätten gehandhabt werden sollen. Nicht zuletzt war die Selbstdarstellung der Regierung und die Darstellung der Ergebnisse der Regierungs- und Koalitionsarbeit sicherlich nicht befriedigend. Denn wenn ich die Meinungsumfragen der letzten Zeit nehme, dann sind 52, 53 Prozent für CDU/CSU/ FDP und 47, 48 Prozent für das Modell Hessen, also SPD/Grüne, zwar nicht unbedingt besorgniserregend, aber auch kein Anlaß zu ungetrübter Freude. Angesichts der Unmöglichkeit der Alternative, das Modell Hessen auf Bonn zu übertragen, müßte die Regierungskoalition 60 Prozent haben und das Hessen-Modell bundesweit 40 Prozent.

SPIEGEL: Die Koalition hat ja das große Vergnügen, in einem Konjunkturaufschwung Wahlkampf führen zu können. Gleichwohl müssen Sie damit rechnen, daß die zwei Millionen Arbeitslosen nicht unterschritten werden. Glauben Sie, daß man mit einer anderen Beschäftigungspolitik in diese Aufschwungphase hätte hineingehen können?

STRAUSS: Sie sprechen davon, daß die Jahre vor der Wahl, besonders das letzte Jahr vor der Wahl, in eine Zeit der raschen wirtschaftlichen Erholung, des allgemeinen wirtschaftlichen Aufstiegs fallen. Wenn man daraus entnehmen würde, daß dies alles von selbst gekommen ist, dann wäre das genauso falsch, wie zu sagen, der Regierung gebühre das alleinige Verdienst daran.

Ohne Zweifel haben die zum Teil schmerzlichen Einsparungen, wobei Übertreibungen mit Härtefällen vorgekommen sind - zum Teil ausgebügelt, zum Teil noch nicht ausgebügelt -, erheblich zu diesem Prozeß beigetragen. Daß das nicht von außen den Deutschen geschenkt worden ist, geht auch daraus hervor, daß man im Kreise unserer großen Wirtschaftspartner die Bundesrepublik als eine Konjunktur-Lokomotive betrachtet.

SPIEGEL: Gleichwohl muß diese Konjunktur-Lokomotive immer noch zwei Millionen Arbeitslose ziehen.

STRAUSS: Auch hier gilt es, die Dinge im Zusammenhang zu sehen. In der letzten Phase der Regierung Schmidt hat man schon vorgebaut und von der Unvermeidlichkeit der drei Millionen Arbeitslosen gesprochen, dabei auch die Zahl vier nicht für unmöglich erklärt. Darum ist es ohne Zweifel ein Erfolg wenn der Anstieg der Arbeitslosigkeit gebremst worden ist. Und wenn seit 1984 wieder Arbeitsplätze geschaffen worden sind, wobei ein Drittel auf Bayern, ein Drittel auf Baden-Württemberg entfallen, das restliche Drittel auf die restlichen neun Bundesländer, so ist der Zuwachs der Arbeitsplätze nicht identisch mit der Abnahme der Arbeitslosigkeit, weil wir jetzt für die Jahre bis Anfang der 90er mit einem Zudrang der geburtenstärkeren Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt rechnen müssen.

Das Ganze fällt obendrein noch in die dritte industrielle Revolution, bei der der Ersatz menschlicher Arbeitskraft eine größere Rolle spielt als bei früheren industriellen Revolutionen oder bei Rationalisierungsvorgängen.

Was hätte man besser machen können? Auch wenn ich lästig falle: Eine Steuerreform in einem Zug mit einer Entlastung im ersten Jahr ihrer Einführung von über 20 Milliarden Mark hätte sich auf dem Arbeitsmarkt besser ausgewirkt. Dazu sind die öffentlichen Investitionen nicht in dem Ausmaß gefördert worden, wie es nach meiner Überzeugung notwendig gewesen wäre - siehe die Auseinandersetzung um die Stadtsanierung und Dorferneuerung. Es gab ja doch harte Aussprachen in Bonn, bis es uns gelungen war, den Ansatz auf diesem Gebiet zum Beispiel im Bund zu verdreifachen und bei den Ländern und Gemeinden zu verdoppeln.

SPIEGEL: Sehen Sie die Arbeitslosen als eine wahlentscheidende Größenordnung?

STRAUSS: Es ist wahrscheinlich das Wahlkampfthema Nummer eins. Aber die Hoffnung der Linken, die diese Arbeitslosigkeit geschaffen haben, mit Hilfe dieser Arbeitslosigkeit wieder an die Macht zu kommen, ist natürlich kindisch.

SPIEGEL: Was treibt dann die Union dazu, ausgerechnet in einem Wahljahr _(Mit Redakteuren Dirk Koch und Erich ) _(Böhme, in der Münchener Staatskanzlei. )

über die Änderung des Streikrechts die Konfrontation mit den Gewerkschaften aufzunehmen?

STRAUSS: Die Frage ist, wie häufig bei solchen Formulierungen, falsch gestellt. Es geht darum, die Neutralität des Staates im Arbeitskampf sicherzustellen. Wenn aber die Gewerkschaften mit einem Mann streiken, dann weitere zehn Arbeitslose schaffen und die zehn Arbeitslosen dann dem Beitragszahler überlassen, dann heißt das für mich nicht Neutralität.

Es geht weder um eine Einschränkung des Streikrechts noch um eine Beseitigung der Zahlungen an Arbeitnehmer, die mittelbar von einem Streik betroffen sind. Aber die neue Streikstrategie hat in Verbindung mit Urteilen der Arbeitsgerichtsbarkeit in Bremen und Hessen über die Auslegung des bisherigen Paragraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes die Neutralität des Staates bei Arbeitskämpfen aufgehoben. Den alten, von den Gewerkschaften anerkannten Zustand gilt es durch Präzisierung dieses Paragraphen wiederherzustellen.

SPIEGEL: Es geht doch auch um den Zeitpunkt, zu dem man so etwas machen will.

STRAUSS: Meine Meinung dazu ist nicht neu. Ich war der Meinung, man hätte die Neutralität im Jahre 1984, unmittelbar nach dem Streik, herstellen müssen, so daß der Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen auch der Öffentlichkeit im Bewußtsein geblieben wäre.

SPIEGEL: Was heißt das für das Verhalten des Landes Bayern im Bundesrat?

STRAUSS: Bayern ist nicht dazu berufen, eine Neuvorlage anzustreben. Wir wollen unseren Beitrag zur Herstellung der Neutralität des Staates leisten. Allerdings schienen ja die Dinge, wenn ich mir die täglich wechselnden Zeitungsmeldungen vor Augen halte, anscheinend immer noch nicht abschließend geklärt oder formuliert.

Aber beim CDU-und-CSU-Koalitionsgespräch am letzten Donnerstag ist verbindlich versichert und festgelegt worden, daß es beim Entwurf von Norbert Blüm bleibt, der bei der Kompliziertheit der Materie als der sachdienlichste und ausgewogenste anerkannt wurde.

SPIEGEL: Hilfreich für die Union und ihren Wahlkampf kann das nicht sein.

STRAUSS: Es geht jetzt darum, diese Gesetzesvorlage einzubringen, zügig zu beraten und zu verabschieden. Dann tritt wieder Klarheit ein.

SPIEGEL: Gehört diese Auseinandersetzung nicht in das große Werbeprogramm der FDP aus der letzten Zeit, und ist das nicht sehr koalitionsschädlich?

STRAUSS: Ich habe bei mehreren Gelegenheiten sowohl gegenüber dem Bundesvorsitzenden der CDU wie auch bei den mehrmals bereits abgelaufenen Zehner-Gesprächen sehr eindeutig diesen gleichen Standpunkt vertreten, habe aber festgestellt, daß der Bundesvorsitzende der CDU und sein Generalsekretär in keiner Weise diese Sorge haben.

SPIEGEL: Kann es sein, daß Sie ganz unterschiedliche taktische Ziele im Auge haben: Der Vorsitzende der CDU und sein Generalsekretär wollen einen Koalitionswahlkampf führen, Sie einen Wahlkampf, der der CDU/CSU eine absolute Mehrheit bringt?

STRAUSS: Die Union - und für die CSU haben wir ja die Legitimation, das unmittelbar zu sagen - war, ist und bleibt eine auf dem Boden des christlich-sozialen Gedankengutes stehende Volkspartei. Diese Volkspartei kann nicht Wert darauf legen, daß sie nur einen Teil des soziologischen Spektrums vertritt - Beamte, Angestellte, Arbeiter - und den anderen Teil dem Koalitionspartner überläßt.

SPIEGEL: Sind wir richtig unterrichtet, daß der Vorsitzende der CSU keine gemeinsame Wahlkampf-Plattform mit der CDU anstrebt?

STRAUSS: Diese Frage kann weder mit Ja noch Nein beantwortet werden. Wir werden, wenn ich jetzt mal eine unverbindliche Schätzung anstellen darf, in 80 bis 90 Prozent aller Wahlkampfaussagen identisch sein.

SPIEGEL: Und wo unterscheiden Sie sich?

STRAUSS: Es ist ja ein offenes Geheimnis, daß wir zum Beispiel in der Vertretung der Länderrechte entschiedener sind als die meisten CDU-Länder. Konkretes Beispiel: Die Änderung der Zuständigkeit im Krankenhaus-Finanzierungsgesetz wäre ohne uns nicht gelungen, die Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern wäre ohne uns nicht beendet worden. Oder: Der Schutz des ungeborenen Lebens; die Entschließung, die jetzt der Bundesrat gefaßt hat, ist unter unserem Einfluß entstanden, während es in der CDU ja große Schwierigkeiten gab. Oder: Im Steuerrecht sind wir für größere Lösungen, marktwirtschaftlicher, als man es da oder dort in der CDU ist.

SPIEGEL: Ist ihre Begeisterung für eine gemeinsame Wahlkampf-Plattform deswegen nicht so groß, weil Sie sich, gewitzt durch Erfahrungen mit den Koalitionsverhandlungen 1983, durch eine solche gemeinsame Plattform nicht präjudizieren lassen wollen?

STRAUSS: Die Frage stellt sich deshalb nicht, weil wir in einer gemeinsamen Plattform keinen Positionen zustimmen würden, die wir in der Sache nicht billigen.

SPIEGEL: Gehören zu Ihren zehn Prozent Dissens nicht auch Ihre abweichenden Ansichten in der Außenpolitik, zu SDI, zur Waffenexport-Politik, zu Südafrika? Das sind, wenn man das alles zusammennimmt, schon ganz prächtige zehn Prozent.

STRAUSS: Ich weiß nicht, ob es wirklich sinnvoll ist, Südafrikapolitik, Waffenexport-Politik, SDI unbedingt zum Bestandteil von Wahlkampfprogrammen zu machen. Das sollte gemeinsame Politik sein. Außerdem besteht ja, wenn Sie SDI herausgreifen, doch zwischen der CDU und uns kein Unterschied, sowenig wie zwischen uns und Bangemann. Der Unterschied ist innerhalb der FDP.

SPIEGEL: Aber Genscher hat doch eine ganz andere Linie der Politik vertreten, und es läuft jetzt so, wie er es will.

STRAUSS: Das ist eine Feststellung die vielleicht etwas übertrieben ist, deren Hintergründe und Konsequenzen der Regierungschef verantworten oder zu einem gemeinsamen Konzept zusammenführen muß. Wir waren uns in der letzten Sitzung der Zehner-Gruppe völlig einig, was mit SDI geschehen soll. Daß dann wegen des Koalitionspartners, das heißt, nicht einmal wegen des Koalitionspartners, sondern wegen der Spaltung des Koalitionspartners, der Bundeskanzler in besondere Schwierigkeiten kommt, fällt natürlich nicht in den Verantwortungsbereich des CSU-Vorsitzenden in Sachen Wahlkampfprogramm.

SPIEGEL: Sind Sie sicher, daß Bangemann anderer Meinung ist als Genscher, obwohl er auf der Genscher-Linie verhandelt?

STRAUSS: Sich hier in diese Sumpfwälder locken zu lassen, wäre ein interessantes Thema für, sagen wir mal, ein nächtliches Zechgelage von sechs bis acht Stunden Dauer. Zum Schluß weiß nämlich keiner mehr, wer was wo wann wie wofür steht.

SPIEGEL: Das wollten wir wissen.

STRAUSS: Da sind Sie aber bei mir an der falschen Adresse.

SPIEGEL: Die CSU-Minister im Kabinett haben diesen Beschluß, den Herr Bangemann im Sinne Genschers exekutiert, mitgetragen.

STRAUSS: Zimmermann hat, wie er mir sagte, dagegen Verwahrung eingelegt. Ich war nicht dabei, aber ich gebe das wieder, was er mir in der Sitzung der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth gesagt hat.

SPIEGEL: Ja, er habe am Abend vorher noch ein anderes Papier gesehen, das aber über Nacht zu dem geworden sei, was Sie in Kreuth »Limonadenpapier« genannt haben.

STRAUSS: Ich werde nicht verfehlen, ihn bei der nächsten Gelegenheit danach zu fragen. Ich bin der Meinung, daß allein die Beschränkung deutscher Verantwortung auf gewisse Garantien für die deutsche Wirtschaft natürlich nicht die Palette abdeckt, die abgedeckt werden muß. Wahrscheinlich denkt der Bundeskanzler genauso.

SPIEGEL: Was wäre Ihre Idealvorstellung? Soll die Bundesrepublik viel zahlen?

STRAUSS: Was für uns von Vorteil ist, von wissenschaftlich-technischem und wirtschaftlichem Vorteil ist, können wir nicht umsonst verlangen. Aber die dumme Frage, die ich dann immer höre, ist: Denken Sie hier an 1,2 Milliarden oder an 1,35 Milliarden? Die Frage ist nicht zu beantworten.

SPIEGEL: Kohl argumentiert, die Bundesrepublik solle sich finanziell nicht beteiligen, sie solle nur Rahmenbedingungen schaffen für Firmenbeteiligungen, um deren Rechte zu sichern.

STRAUSS: Die alleinige Sicherung der Rechte der Firmen deckt doch das Problem nicht ab.

SPIEGEL: Wie soll das nach Ihrer Meinung laufen: daß Bonn Forschungsmittel an deutsche Firmen gibt, die sich an SDI beteiligen, oder aber daß es eine deutsch-amerikanische staatliche gemeinsame Förderung gibt?

STRAUSS: Beide Modelle sind denkbar, glaube ich. Wahrscheinlich ist das zweite das Näherliegende. Hier geht es aber nicht um Aufträge an deutsche Firmen, sondern um eine Teilhabe an dem allgemeinen wissenschaftlich-technischen Quantensprung sowie um Berücksichtigung unserer Sicherheitsinteressen, wenn es sich um die Unschädlichmachung der gegen uns gerichteten Kurz- und Mittelstreckenraketen handelt.

SPIEGEL: Wie werden Sie Ihre Wünsche, wie sich die Bundesrepublik verhalten soll, jetzt noch nach Bonn transportieren?

STRAUSS: Bis jetzt sind die Fronten in Bonn noch nicht geklärt. Der Zeitpunkt, ein eigenes SDI-Abkommen herauszuschälen

aus dem Bereich der gesamten wissenschaftlich-technischen Kooperation, soll im Frühjahr liegen. Aber das Ganze ist ein sehr schwieriges Kapitel, bei dem unsere amerikanischen Freunde vielleicht nicht immer alles verstehen, was bei uns geschieht, bei dem Herr Bangemann auch drüben seine Schwierigkeiten hat, Herrn Weinberger und dem nicht zuständigen amerikanischen Handelsminister zu erklären, warum er gekommen ist und was er eigentlich will und welche innenpolitischen Probleme es gibt, die zu seltsamen Verfahren geführt haben.

SPIEGEL: Haben Sie den Eindruck, daß die FDP bei den Stichworten SDI, 116, Steuerpaket, gemessen an ihrem prozentualen Anteil an der Koalition eine zu laute Trompete bläst?

STRAUSS: Zu viele Trompeten.

SPIEGEL: Das macht dann ja auch viel Lärm.

STRAUSS: Es gibt allerdings Doppler-Effekte, die sich gegenseitig aufheben.

SPIEGEL: Sie meinen, wenn der Bangemann gegen den Genscher bläst ...

STRAUSS: ... ja, es gibt ein Doppler-Prinzip. Das ist das Prinzip der geräuscharmen Triebwerke. Wenn nämlich die Bypass-Geschwindigkeit der Luftströmungen bei einem modernen Triebwerk unterschiedlich ist, dann hebt sich ein Teil der entstehenden Geräusche gegenseitig auf. Aber ob das hier vorliegt, weiß ich nicht. Es trompeten halt zu viele.

SPIEGEL: Sind Sie dafür, daß die Grünen im nächsten Bundestag wieder vertreten sind?

STRAUSS: Ich halte die Grünen auch in ihrer Teilung zwischen »Realos« und »Fundamentalos« für ein politisches Phänomen, das nicht unbedingt in das Normalbild einer parlamentarischen Demokratie paßt.

SPIEGEL: Die CSU wird sie also so bekämpfen, daß sie möglichst nicht mehr in den nächsten Bundestag kommen?

STRAUSS: Es ist völlig offen, ob Sie jemanden dadurch schädigen, daß Sie ihn bekämpfen, oder dadurch, daß Sie ihn nicht bekämpfen. Das ist wahlpsychologisch überhaupt nicht mit einem Ja oder einem Nein zu beantworten.

SPIEGEL: Wir fragen deshalb, weil es unter Umständen vom Scheitern der Grünen an der Fünf-Prozent-Hürde abhängen kann, ob die Unionsparteien so die Mehrheit der Mandate erreichen könnten.

STRAUSS: Warum malen Sie immer den Teufel an die Wand und erschrecken die CDU im Konrad-Adenauer-Haus, die keine absolute Mehrheit will.

SPIEGEL: Streben Sie nun die absolute Mehrheit an oder nicht?

STRAUSS: Die maximale Zahl der Stimmen. Es kann die absolute Mehrheit sein, es kann sie aber auch nicht sein.

SPIEGEL: Wir haben schon so manche Hilfe für die FDP erlebt. In Hessen hat die CDU das eine oder andere getan, um der FDP ein Überleben zu ermöglichen. Oft ist es der FDP leichtgemacht worden in den letzten Tagen ...

STRAUSS: ... das wäre also das neue Modell des Wahlplakats des Konrad-Adenauer-Hauses: »Wählt Genscher und damit mich, Kohl, zum Kanzler!«

SPIEGEL: Ja, das war gemeint.

STRAUSS: Das werde ich gleich bei der nächsten Besprechung in Bonn vorschlagen.

SPIEGEL: Wollen Sie Ihren Wahlkampf gegen die FDP führen?

STRAUSS: Wir führen nicht einen Wahlkampf gegen die FDP, sondern die FDP ist für uns eine Konkurrenzpartei, die einzige, die als Koalitionspartei im heutigen Spektrum sich nach einer leidvollen Vergangenheit und einer nicht problemlosen Gegenwart nur in der Koalition mit uns behaupten kann.

SPIEGEL: Ja, und nur im Streit mit Ihnen persönlich. Es ist ein alter Erfahrungssatz: Wenn Strauß und FDP sich streiten, haben beide Seiten bei ihrer jeweiligen Wählerschaft was davon.

STRAUSS: Sie sollten mal ein politisches Poesiealbum mit Sinnsprüchen herausgeben. Ich kann Ihnen ein paar Vorbilder liefern aus der Zeit des Endes der Weimarer Republik, als die Münchner Trambahn ein Preisausschreiben veranstaltete. Preisgekrönter Spruch: »Spring nicht auf, spring nicht ab, denn du springst in dein Grab.«

SPIEGEL: Ist da nicht was dran, daß die FDP, solange sie sich an Ihnen gerieben hat, eigentlich immer eine Überlebensgarantie hatte?

STRAUSS: Das haben Sie von Frau Noelle-Neumann, aber nicht von der Wirklichkeit. Der Anti-Strauß-Effekt zieht doch nicht mehr, wie Sie es vor 20 Jahren unterstellt oder in Ihr Kalkül eingesetzt haben.

SPIEGEL: Ja, er ist sicherlich schwächer geworden.

STRAUSS: Ich streite doch nicht mit Genscher. Ich habe nur eine andere Meinung als er in Sachen SDI, Mittelamerikapolitik, der Nicaragua-Haltung des Auswärtigen Amtes, der törichten Grenada-Erklärung der Bundesregierung - das war eine der dümmsten Erklärungen, die jemals von einer Regienung abgegeben worden ist ...

SPIEGEL: Waffenexportpolitik?

STRAUSS: Die Nicht-Präsenz der Deutschen in der Mittelostpolitik, auch gewisse Fehlansätze in der Afrikapolitik und die Waffenexport-Politik sind keine Angelegenheit für ideologische Übungen. Waffenexport-Politik ist eine Sache, bei der man die Freunde unterstützen, den Frieden fördern, den Ausbruch von Kriegen erschweren und im übrigen eigene Interessen wahrnehmen soll.

SPIEGEL: Sie haben sich auch gegen Bonns Verhalten in der Frage des von Reagan verhängten Libyen-Boykotts ausgesprochen. Sehen Sie dort Wurzeln einer Entfremdung zwischen Washington und der Bundesrepublik?

STRAUSS: Es geht jetzt nicht speziell um die Behandlung Libyens. Dabei gehe ich davon aus, daß man in Bonn zuverlässigere und umfassendere Informationen hat, als ich sie habe. Ich bekomme zwar auch sehr viele Informationen, aber der Umfang der Beteiligung Libyens an diesen unerfreulichen Vorgängen ist nach meinem Informationsbild noch nicht geklärt. Allein, was den sagenhaften Abu Nidal anlangt: Es soll zwei Abu Nidal geben. Der eine ist halb gelähmt im Rollstuhl, der gibt aber die Weisungen, und der andere ist sein Doppelgänger, der eine kosmetische Operation mitgemacht hat, um den echten Abu Nidal darstellen zu können. In dieser Welt von 1001 Nacht scheint ja wirklich alles möglich zu sein.

SPIEGEL: Haben Sie Abu Nidal mal gesehen?

STRAUSS: Ich gehöre zu den wenigen Menschen dieses Jahrhunderts, die ihn nicht gesehen haben.

Aber es ist der Prozeß einer schleichenden Entfremdung zwischen Washington und Bonn, der hier sich verstärkt. Ich behaupte nicht, daß die Amerikaner der Weisheit letzten Schluß immer auf ihrer Seite haben. Ich habe öffentlich - und noch mehr im kleinen Kreise - das Libanon-Engagement der Amerikaner auf dem Hintergrund des Abkommens Beirut/Jerusalem als eine völlige Fehlkalkulation bezeichnet. Ich bin weder ein Wunderkind, noch habe ich überirdische Beziehungen, aber zwei Tage Syrien haben mir ein Meinungsbild geliefert, das dieses Engagement nicht erlaubt hatte.

Und deshalb ist es ja auch nicht so daß ich bezüglich Libyen sage, die Amerikaner haben recht - wenn die Amerikaner hurra schreien, müßten wir auch hurra schreien, aber das amerikanische Bemühen, die Herde des staatlichen internationalen Terrorismus zu bekämpfen, sollten wir ernster nehmen.

SPIEGEL: An dem schleichenden Prozeß der Entfremdung hat Genscher schuld?

STRAUSS: Vielleicht darf ich einen weiteren und abschließenden Begriff einführen. Sehr viele Unionspolitiker betrachten Genscher als den Lordsiegelbewahrer der Außenpolitik des früheren SPD-Bundeskanzlers Helmut Schmidt den Fortsetzer der Außenpolitik der liberal-sozialistischen Koalition und als den Garanten der außenpolitischen Kontinuität der vorangegangenen Regierungen. Das heißt: Die Union hat es also in der Zeit der Opposition in der Außenpolitik gar nicht gegeben. Sie muß also ihre eigene Vergangenheit leugnen oder auffressen.

SPIEGEL: Was heißt das jetzt?

STRAUSS: Das heißt natürlich, daß es da immer Konfliktherde geben wird.

SPIEGEL: Sie haben ja schon bei den Koalitionsverhandlungen ''83 keine Einigung herbeigeführt. Wie werden Sie da auf das Jahr ''87 zumarschieren?

STRAUSS: Ich werde mich gebührend vorbereiten.

SPIEGEL: Haben wir richtig an der Kreuther Tür gehorcht, als wir hörten, Sie hätten gesagt, Genscher sei als Außenminister in einer künftigen Koalitionsregierung nach ''87 nicht mehr tragbar?

STRAUSS: Da haben Sie an der falschen Tür gehorcht.

SPIEGEL: Sie haben in Kreuth Sorgen anklingen lassen, daß es einem Genscher zuzutrauen sein könnte, in einem Salto mortale wieder an die Seite der SPD zu springen.

STRAUSS: Darf ich Ihre Information berichtigen: Ich habe in Kreuth gesagt, daß aus SPD-Kreisen Hinweise gekommen sind, wonach bei einem Teil der FDP - Namen nenne ich nicht - solche Überlegungen oder zumindest Phantasien angestellt werden. Ich habe dazu erklärt: Die Wahrscheinlichkeit ist unerhört gering; denn die FDP kann bei der Vorgeschichte nicht den Koalitionspartner wechseln, ohne sich selber endgültig unglaubwürdig zu machen. Sie ist also an den Erfolg dieser Koalition gebunden. Ich halte das deshalb nur für eine theoretische Gedankenspielerei. Weil: Kommt die FDP nicht herein, dann kann sie sowieso kein Koalitionspartner sein. Aber sie kommt ja wahrscheinlich herein, dann ist nach meiner sicheren Überzeugung die Addition CDU/CSU plus FDP auf alle Fälle stärker als 50 Prozent.

SPIEGEL: Halten Sie denn nun Herrn Genscher als Außenminister in einer Fortsetzung der jetzigen Koalition für tragbar oder nicht?

STRAUSS: Ich glaube, solche Fragen sollte man nicht stellen, dann braucht man sie nicht zu beantworten. Im übrigen hat sich Herr Bangemann als der »geborene Außenminister« bezeichnet, eine Äußerung, die selbst von Ihnen glaube ich, noch nicht einmal beim Horchen an der Tür aus meinem Mund vernommen worden ist.

SPIEGEL: Haben Sie Verständnis für jene Stimmen in der Union, die sagen: Wir müssen wenigstens eine der beiden klassischen Domänen der Union zurückbekommen, entweder Außen- oder Wirtschaftsministerium?

STRAUSS: Die Meinung habe ich immer vertreten. Das hat mit der personellen Konstellation überhaupt nichts zu tun.

SPIEGEL: In dem Zusammenhang gefragt: Wird der bayrische Ministerpräsident, wenn er in diesem Herbst in den bayrischen Landtagswahlen bestätigt wird, weitere vier Jahre bayrischer Ministerpräsident bleiben?

STRAUSS: Das ist eine sehr wahrscheinliche Lösung.

SPIEGEL: Wodurch kann die Wahrscheinlichkeit eingegrenzt werden?

STRAUSS: Bis jetzt ist es noch nicht mal einem Computer gelungen, alle Möglichkeiten ausfindig zu machen.

SPIEGEL: Die Außenpolitik ist, wie man merkt, Ihr Leib- und Magengericht. Wie sieht es denn aus, würden Sie ...

STRAUSS: ... jetzt kommt die Frage: Würden Sie?

SPIEGEL: Würde es Sie reizen, an entscheidender Stelle der Bundesregierung die Außenpolitik wirklich beeinflussen zu können, zumal ja der Einfluß der CSU-Minister bisher in Bonn in mancherlei Gebieten nicht so überschäumend stark ist?

STRAUSS: Sie drücken sich heute mir gegenüber sehr höflich aus. Ich habe schon Äußerungen von Ihnen gehört, die weniger höflich waren.

SPIEGEL: Wir von Ihnen auch.

STRAUSS: Ich habe nicht geschworen, das unbedingt auf mich zu nehmen. Die Vorstellung, daß ich mit heraushängender Zunge darauf warte, daß der Zug nach Bonn bei mir hält und ich einsteigen kann, die ist zwar lohnend für alle möglichen Kommentare, Karikaturen und Klischees; aber die stimmt einfach nicht. Die ist genauso falsch wie die Behauptung, ich hätte das letztemal, sei es Oktober 1982 oder Frühjahr 1983, nicht Mitglied der Bundesregierung werden können. Die Behauptung ist einfach falsch.

SPIEGEL: Das behaupten wir auch gar nicht.

STRAUSS: Das kehrt immer wieder in der »Frankfurter Allgemeinen« oder in anderen Tages- beziehungsweise Wochenzeitungen. Ich hab'' ja nicht vom SPIEGEL gesprochen. Ich hätte im Herbst 1982 das Innen- oder Finanzministerium erhalten können, im Frühjahr 1983 stand das Verteidigungsministerium offen.

SPIEGEL: Gut, das waren Ressorts, die Sie nicht gelockt haben. Die Außenpolitik lockt Sie aber.

STRAUSS: Finanz hätte mich unter Umständen auch schon gelockt, aber ich habe die Aufgabe in Bayern. Die wollte ich nach vier Jahren auch nicht aufgeben.

SPIEGEL: Das Bild der CSU in Bonn, soweit sie in der Regierung sitzt ist nicht gerade begeisternd, und Ihre Einflußmöglichkeiten hier von München aus auf die Performance der Bonner Minister ist ja auch nicht so stark.

STRAUSS: Sie sagen, was nicht begeisternd ist. Jetzt will ich mal ganz klar am Ende unseres Gesprächs erfahren, was begeisternd ist.

SPIEGEL: Wir könnten uns begeistern, wenn Sie sich jetzt dazu bekennen könnten, Außenminister werden zu wollen. Sie haben aber auch die Gelegenheit, ein begeistertes Bekenntnis zu Ihren CSU-Ministern in Bonn abzulegen.

STRAUSS: Warum soll ich ein Bekenntnis ablegen? Ich beurteile sie a) nach den Maßstäben meiner intellektuellen Erkenntnisse ihrer Leistung - die kann auch falsch sein, diese Beurteilung -, b) nach dem jeweiligen politischen Stand und c) mit dem Versuch, jedem gerecht zu werden.

SPIEGEL: Und was ist das Ergebnis dieser Prüfung?

STRAUSS: Das Ergebnis kann man nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Nehmen Sie zum Beispiel den Kollegen Zimmermann. Er hat eine Reihe von guten Entscheidungen getroffen und hat auch Erfolge aufgewiesen; er hat auch Rückschläge erlitten. Allerdings sind seine Rückschläge zum Teil auch auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, die ihm vom Koalitionspartner bereitet worden sind, ohne daß die Union ihm ...

SPIEGEL: ... sagen Sie doch nicht »Union«, sondern: »ohne daß der Kanzler ihm geholfen hätte«.

STRAUSS: ... oder ihn die CDU mit Nachdruck unterstützt hätte. Ich begrüße zum Beispiel das Baugesetzbuch von Schneider. Das ist in meinen Augen ein echter Fortschritt. Dollinger hat in die Verkehrspolitik vernünftige Akzente gebracht. Warnkes Entwicklungshilfepolitik ist im großen und ganzen auf dem richtigen Wege.

SPIEGEL: Und zu Kiechle - fällt Ihnen da was ein?

STRAUSS: Zu Kiechle, natürlich. Wir haben uns ja im Jahre ''84 sehr strittig unterhalten, auch ''85 noch. Wir konnten doch Kiechle in manchen Dingen helfen.

Dabei ist die Stimmung auf dem Lande gegenüber Kiechle oft nicht identisch mit der Stimmung der Delegierten. Die Delegierten der Partei jubeln Kiechle zu, aber auf dem Lande draußen herrscht nicht der gleiche ungetrübte Jubel. Wahrscheinlich kann man aber an die Politik nicht Idealmaßstäbe anlegen, daß also entweder alles in tiefster Verzweiflung sich dahinquält oder in höchster Euphorie jubelnd durch die Lüfte schwebt. .

SPIEGEL: Der Strauß der CSU-Minister in Bonn wäre bunter und interessanter gewesen, wenn der echte Strauß dabeigewesen wäre.

STRAUSS: Das weiß ich doch. Wieviel Leute verdanken mir mit ihre Existenz, von den Karikaturisten angefangen.

SPIEGEL: Ja, auch der SPIEGEL bedankt sich bei Ihnen, nicht nur für dieses Gespräch.

Mit Redakteuren Dirk Koch und Erich Böhme, in der MünchenerStaatskanzlei.

D. Koch, E. Böhme
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