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DER BAYRISCHE STIER

aus DER SPIEGEL 40/1960

Das erste, was man über Franz -Josef Strauß wissen muß, ist, daß er ein Bayer ist. In der Tat ist er fast ein Bayer aus einer Komischen Oper: der Sohn eines Schlachters, der mit der Tochter eines Brauers verheiratet ist.

Die Bayern sind bierliebend, barock, stämmig und kriegerisch; und Franz -Josef Strauß, der 1915 in München geboren wurde, fehlt keine dieser Stammeseigenschaften. Sein Witz hat die Variationsbreite eines Biergartens, seine Gestik ist barock, seine physische Vitalität ist enorm. Und er glaubt instinktiv, wie die meisten Bayern, daß der Angriff die einzige Art der Verteidigung ist.

Er bedeutet den meisten deutschen Intellektuellen heute das, was McCarthy einstmals den amerikanischen Intellektuellen bedeutete. Für die deutschen Sozialisten ist er einfach der »Parteifeind Nummer 1«. Man kann sagen, daß er heute der mächtigste Mann in Deutschland flach Adenauer ist. Nichts und niemand scheint fähig zu sein; ihn daran zu hindern, an die Spitze zu kommen - außer vermutlich Herrn Brandt.

Und doch ist Strauß nicht einfach ein unbesonnener, kämpferischer Bayer, ein Göring redivivus: Wenn er das wäre, würde er weit weniger gefährlich sein. Die

Bayern sind sprichwörtlich dumm: Aber Franz-Josef Strauß ... hat Verstand. Er ist mehr Nixon als McCarthy ... Und doch war er niemals ein Intellektueller. Die geistige Energie war und ist lediglich eine Funktion seiner ungeheuren Vitalität; es gibt darin nichts vom freien Spiel des echten forschenden und schöpferischen Geistes.

Dies wurde vor zwei Jahren besonders deutlich bei seinem Zusammenstoß mit den 18 prominenten Wissenschaftlern, die das Göttinger Manifest gegen die nukleare Bewaffnung der westdeutschen Armee unterzeichneten. Männer wie Otto Hahn und Werner Heisenberg wurden verächtlich und öffentlich abgetan als »moralische Romantiker« und »weltfremde verschrobene Menschen«. Strauß hat einen beträchtlichen Verstand, aber sein Denken ist das, was die Deutschen Zweckdenken nennen ein Denken mit der Aussicht auf Erfolg.

(Nach dem Kriege) erschien Strauß ohne politische Vergangenheit an der Oberfläche. Genau das Fehlen dieser Vergangenheit war seine Stärke in Bonn. Andere Politiker sind in der

einen oder anderen Beziehung verwundbar: Sie sind Ex-Nazis, Ex -Kommunisten, Ex-Widerstandskämpfer, oder sie haben den Krieg in Stockholm oder New York verbracht. Nichts von alledem berührt Strauß; er hat von den Schmutzaufwühlern nichts zu fürchten. Aber obgleich er keine »Vergangenheit« hat, hatte er immer die politischen Ansichten seiner Umgebung.

Hierin ist er typisch für seine Generation, der harten, opportunistischen, überzeugungslosen Kriegsgeneration, die nun an die aktive Spitze in Deutschland gelangt. Wenn er ein Gegner der Sozialisten und der Liberalen ist, dann verdankt er das seiner kleinbürgerlichen, katholisch-konservativen Umgebung im Laden auf der Schellingstraße. Es ist fast sicher, daß er seine Ansichten von damals nie in Frage gestellt hat und daß sie die unbewußte Grundlage seines politischen Handelns sind. Und doch kann man es kaum glauben, daß der Katholizismus von Strauß sehr viel ernster ist als etwa derjenige des Senators Kennedy. Er ist viel mehr eine politische Tatsache als ein lebendiger religiöser Glaube ...

Der Schlüssel zu Straußens Position liegt in seinen komplexen Beziehungen zu. Dr. Adenauer. Man spricht oft von Strauß als von Dr. Adenauers Lieblingssohn, dem einzigen seiner Untergebenen, den er niemals (bis zum letzten Monat) Grund hatte zu tadeln. In einem gewissen Sinne ist das wahr; die Gedanken der beiden Männer auf den Gebieten der Verteidigung und der Außenpolitik (und Dr. Adenauer hat niemals Zeit für viel mehr gehabt) stimmen sicherlich sehr weit überein ...

Strauß hat die politischen Ansichten seiner Umgebung; er ist - im eigentlichen Sinne des Wortes - ein Opportunist. 1949 wütete er gegen alle, »die sich danach sehnen, wieder ein Gewehr in die Hand zu bekommen«. 1956 brüstete er sich damit, daß die nukleare Nato-Macht stark genug sei, »die Sowjet-Union von der Landkarte zu radieren«. Doch in allen diesen Fällen handelte er lediglich opportunistisch ... Strauß hat niemals irgendein Interesse für andere Gebiete der Politik, wie Finanzen, Erziehung, Gesundheitswesen, Landwirtschaft oder Sozialpolitik gezeigt. Es gibt keinen Beweis dafür, daß ihn noch etwas anderes interessiert als die Macht. Seine zukünftige Karriere wird davon abhängen, welche Gelegenheiten sich ihm bieten.

New Statesman

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