SYRIEN »Der Befehl kam von Assad«
Chaddam, 74, war bis zum Tod von Präsident Hafis al-Assad im Jahr 2000 dessen engster Berater und koordinierte in verschiedenen Funktionen Syriens Außenpolitik. Nach dem Antritt von Assads Sohn Baschar verblieb er zunächst im Amt des Vizepräsidenten, entfremdete sich aber zunehmend vom neuen Staatschef. Im Juni 2005 erklärte Chaddam seinen Rücktritt und ging ins Exil nach Paris.
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SPIEGEL: Vor fast einem Jahr wurde der libanesische Ex-Premier Rafik al-Hariri ermordet. Jetzt brechen Sie mit dem Regime in Damaskus und werfen dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad vor, die Verantwortung für den Anschlag zu tragen. Haben Sie keine Angst, selbst Opfer eines Attentats zu werden?
Chaddam: Ich habe keine konkreten Hinweise auf solche Pläne, aber in seiner Bösartigkeit und Niedertracht denkt Assad zweifellos darüber nach, was er gegen mich unternehmen könnte. Das macht mir keine Angst. Ich werde alles tun, um mein Vaterland von diesem Regime zu erlösen.
SPIEGEL: Nichts für ungut, aber wer soll ausgerechnet Ihnen das abnehmen? Über 30 Jahre lang waren Sie selbst eine tragende Säule des Regimes.
Chaddam: Nicht jeder im Westen, aber jeder in Syrien weiß, dass ich mich seit dem Tod von Präsident Hafis al-Assad im Jahr 2000 immer weiter von diesem Regime distanziert habe. Heute vertrete ich in allen politischen Fragen eine radikal andere Position als die Führung in Damaskus.
SPIEGEL: Der deutsche Uno-Ermittler Detlev Mehlis verdächtigt syrische Geheimdienstkreise, hinter dem Mord an Hariri zu stehen. Hat er recht?
Chaddam: Dass Damaskus eine Propagandakampagne gegen ihn angezettelt hat, beweist, wie richtig er liegt. Mehlis hat eine beeindruckende Zahl von Beweisen vorgelegt.
SPIEGEL: Sie haben Präsident Assad vorgeworfen, in den Anschlag auf Hariri verwickelt zu sein. Bisher haben Sie ihn aber nicht beschuldigt, selbst den Auftrag dafür gegeben zu haben. Wer hat das nach Ihrer Kenntnis getan?
Chaddam: Der Anschlag auf Hariri war eine logistisch extrem aufwendige Operation, wie sie nur die höchsten Machtzirkel im Libanon und in Syrien ins Werk setzen konnten. Allein war Syriens Statthalter in Beirut, Rustum Ghasali, dazu nicht in der Lage. Und selbst wenn Ghasali eine Hauptfigur in diesem Verbrechen ist - und darauf zielen die Erkenntnisse des Untersuchungsberichts -, kann der Befehl nur von Präsident Baschar al-Assad selbst gekommen sein. Assad hat gesagt: »Wenn irgendein Syrer in dieses Verbrechen verwickelt ist, dann bin ich selbst verwickelt.« In diesem Satz liegt viel Wahrheit.
SPIEGEL: Mehlis' Nachfolger, der belgische Staatsanwalt Serge Brammertz, hat Präsident Assad als Zeugen vorgeladen.
Chaddam: Es spricht doch für sich, wie Assad darauf reagiert hat. Warum sträubt er sich denn, der Uno-Kommission Rede und Antwort zu stehen? Er spricht von der Souveränität eines Staatsoberhaupts. Das ist Unsinn. Auch Libanons Präsident Emile Lahoud hat vor der Kommission ausgesagt. Warum sollte ein Staatspräsident, der ein Mörder ist, Immunität in Anspruch nehmen können?
SPIEGEL: Was macht Sie so sicher, dass Ihre Anschuldigung zutreffend ist?
Chaddam: Ich bin überzeugt: Der Befehl kam von Assad. Er ist ein hochgradig impulsiver Mann, ihm gehen immer wieder die Nerven durch.
SPIEGEL: Warum sollte der Präsident den Befehl gegeben haben? Die Krise, in die dieser Anschlag Syrien und den Libanon stürzte, hat ihm nur Nachteile gebracht.
Chaddam: Der Fall Hariri war ja keineswegs der erste, in dem Baschar al-Assad
die Lage völlig falsch eingeschätzt hat. Eine fatale Rolle hat er beispielsweise auch beim Zustandekommen der für Syrien verheerenden Uno-Resolution 1559 gespielt ...
SPIEGEL: ... in welcher der Rückzug Syriens aus dem Libanon gefordert wurde.
Chaddam: Diesen Vorgang kenne ich sehr genau. Wir hatten ein hervorragendes Kompromissangebot an die Vereinten Nationen: Lasst ihr die Resolution 1559 fallen, dann lassen wir Libanons syrientreuen Präsidenten Lahoud fallen - das forderte schon damals die ganze Welt.
SPIEGEL: Warum kam es nicht dazu?
Chaddam: Weil Assad die Chance verspielte. Vier Stunden lang hatte der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos als Vermittler mit Bundeskanzler Gerhard Schröder, mit Jacques Chirac und mit Tony Blair für eine europäische Unterstützung dieses Plans verhandelt - und erreichte tatsächlich, dass alle zustimmten. Doch im entscheidenden Moment zog Assad das Angebot zurück, und eine Stunde später verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 1559, die Syrien in die tiefste politische Krise seiner Geschichte stürzte.
SPIEGEL: Warum sollte Assad in dieser Krise auch noch den Mord an Hariri befehlen? Das wäre doch politischer Selbstmord.
Chaddam: Genau so ist es aber. Es sind doch immer die Dummköpfe, die sich selbst umbringen. Der Unterschied zwischen Baschar und seinem Vater könnte nicht größer sein. Hafis al-Assad baute auf den Verstand der Menschen, sein Sohn baut auf das Geld, auf seinen materiellen Vorteil. Er ist ein Dummkopf.
SPIEGEL: Wer trifft heute die Entscheidungen in Damaskus? Hat der Präsident wirklich die Macht - oder ist er selbst ein Getriebener, wie vielfach behauptet wird?
Chaddam: Es herrscht ausschließlich die Familie, und zwar im Stil einer Gangsterbande. Vergessen Sie das Parlament, vergessen Sie die Baath-Partei und die Regierung. Die Verantwortung für alles liegt ausschließlich beim Clan der Assad.
SPIEGEL: Ihre Vorwürfe hören sich an, als sprächen Sie über die Verhältnisse im Irak unter Saddam Hussein.
Chaddam: Dieser Vergleich ist durchaus zulässig. Assad selbst verhält sich wie Saddam, seine Familie benimmt sich wie Saddams Familie, und Syriens Sicherheitsorgane handeln genau wie Saddams Schergen. Eines allerdings ist anders: Der Sturz des syrischen Regimes wird friedlich vonstatten gehen, es wird keine Invasion der Amerikaner und keinen Bürgerkrieg geben. Denn die Syrer empfinden ihre Nation als eine Einheit. Die Lage im Irak hat uns Syrer schockiert. Wir wollen unser Land nicht in verschiedene Ethnien, Konfessionen und Regionen aufteilen.
SPIEGEL: Anders als Saddam hat das Regime in Damaskus Rückhalt im Volk.
Chaddam: Die Autorität dieses Regimes hat sich erschöpft. Fünf Jahre ist der Präsident jetzt an der Macht, die Armut ist größer geworden, die Wirtschaft schwächer und unsere Isolation in der Welt fast unerträglich. Das Regime wird leise sein Leben aushauchen.
SPIEGEL: Es heißt, Sie seien dabei, eine Exilregierung zu bilden.
Chaddam: Das ist richtig.
SPIEGEL: Mit wem wollen Sie zusammenarbeiten? Mit den Muslimbrüdern, die Präsident Hafis al-Assad in den achtziger Jahren blutig niederkämpfen ließ - und deren Führer heute wie Sie im Exil leben?
Chaddam: Der Einfluss der Islamisten in Syrien wird überschätzt. Die Muslimbrüder sind nur ein Teil des reichen islami-
schen Mosaiks, das zweifellos den Grundcharakter unseres Landes bestimmt. Aber
warum sollte man nicht auch mit ihnen zusammenarbeiten? Ich würde keine politische Gruppe ausschließen, die sich an demokratische Spielregeln hält.
SPIEGEL: Gilt das auch für die Baath-Partei, die Sie vorvergangene Woche als Verräter bezeichnet und nach fast 60 Jahren Mitgliedschaft ausgeschlossen hat?
Chaddam: Ja. Man sollte mit der syrischen Baath-Partei nicht den Fehler machen, den die Amerikaner mit der irakischen Baath-Partei gemacht haben. Die Baathisten in Syrien sind mehrheitlich längst zu Regimegegnern geworden. Sie sehen jeden Tag die Fehler ihrer Regierung.
SPIEGEL: Und auf welchen Kurs wollen Sie das Land mit diesen ungleichen Partnern bringen? Als engster Gefolgsmann von Hafis al-Assad sind Sie nicht gerade ein demokratisches Vorbild.
Chaddam: Schon eine Woche nach dem Amtsantritt von Baschar al-Assad im Sommer 2000 legte ich ihm eine Denkschrift vor, die auf Öffnung im Inneren drängte. Aber der Präsident wollte zunächst die Wirtschaft reformieren und erst dann politische Öffnungsschritte einleiten. Also arbeitete ich ein Reformprogramm für die Wirtschaft aus.
SPIEGEL: Und was geschah?
Chaddam: Nichts. Noch im gleichen Jahr setzte ich ein Papier zur außenpolitischen Lage Syriens auf. Das hat er nicht einmal gelesen. Und so ging es all die Jahre: Kein Vorschlag wurde umgesetzt. Da verlor ich allmählich die Hoffnung, und am Ende stand mein Rücktritt.
SPIEGEL: Wie lange hält sich Assad noch?
Chaddam: Sein Abstieg hat begonnen. Ich glaube nicht, dass sein Regime dieses Jahr überdauern wird. Der Druck im Inneren und der internationale Druck durch die Hariri-Untersuchung wachsen mit jeder Woche. INTERVIEW: VOLKHARD WINDFUHR,
BERNHARD ZAND
* Links: in Damaskus am 6. Oktober 2003, dem 30. Jahrestag des Beginns des Jom-Kippur-Krieges gegen Israel; rechts: bei einer Demonstration gegen die Uno-Untersuchung des Hariri-Mords am 14. November 2005 in Damaskus.