SCHWARZ-SCHILLING Der Bundesbleiminister
Vom Flughafen Tegel brachte ein Kurier der Berliner Polizei den Bescheid per Linienflug nach Frankfurt. Auf dem Rhein-Main-Flughafen wartete eine Streifenwagen-Besatzung der Autobahnpolizei, um die Botschaft im Eiltempo in die hessische Provinz zu transportieren.
Ziel der Boten-Stafette war, am vorletzten Wochenende, die Büdinger »Sonnenschein«-Accumulatorenfabrik, die Familienfirma des Bonner Postministers Christian Schwarz-Schilling. Die Kurierpost enthielt den Bescheid, wichtige Teile des Berliner Zweigwerkes würden ohne Genehmigung betrieben und seien aufgrund einer Entscheidung der 13. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts »sofort« stillzulegen.
Der Richterspruch schlug ein wie eine »kleine Bombe«, nicht nur weil die Sofort-Anordnung »ein vielleicht für die ganze Bundesrepublik einzigartiger Vorgang« ("Die Zeit") war, sondern auch weil die Entscheidung des Verwaltungsgerichts den bisherigen Höhepunkt im Dauerskandal um das Familienunternehmen von Helmut Kohls affärenreichstem Minister markiert.
Zwar setzte am Freitag letzter Woche das Oberverwaltungsgericht (OVG) die von der ersten Instanz angeordnete sofortige Vollziehbarkeit der Betriebsstillegung einstweilen wieder aus; die Oberrichter wollten über die folgenschwere Werksschließung nicht schon im Schnellverfahren entscheiden, versprachen jedoch eine Entscheidung im Hauptverfahren »in kürzester Frist«.
Das OVG warnte aber zugleich, aus seinem Aussetzungsbeschluß »Schlußfolgerungen bezüglich der bevorstehenden Beschwerdeentscheidung« zu ziehen. Denn der Sache nach blieben die Feststellungen des Verwaltungsgerichtes unberührt: Unter der Verantwortung des CDU-Politikers - der ein Vierteljahrhundert lang, bis 1982, »Sonnenschein«-Geschäftsführer war und heute gemeinsam mit Ehefrau Marie-Luise und zwei Töchtern »Sonnenschein«-Gesellschafter ist - waren im Berliner Betrieb illegal Bleischmelzöfen installiert und die Aufsichtsbehörden getäuscht worden.
Ohnehin ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft, die zweimal schon bei Durchsuchungen Akten der Schwarz-Schilling-Firma beschlagnahmen ließ, seit langem wegen »Verdachts der umweltgefährdenden Beseitigung von Abfallstoffen« gegen die »Sonnenschein«-Werksleitung. Überdies haben Anlieger gegen den Minister jetzt Strafanzeige wegen Subventionsbetrugs und Sachbeschädigung, schwerer Umweltgefährdung und Körperverletzung erstattet.
Schwarz-Schilling muß nun damit rechnen, demnächst vor Gericht wie ein ordinärer Umweltgauner behandelt zu werden - eine Aussicht, die nicht nur die Oppositionsparteien zu Rücktrittsforderungen an die Adresse des »Bundesbleiministers« (Grünen-Abgeordneter Otto Schily) veranlaßte, sondern auch den eher konservativen Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) mobilisierte.
»Wie lange noch«, fragte der Kripo-Verband, »können es sich die Mitglieder der Bundesregierung leisten, gemeinsam mit jemandem am Kabinettstisch zu sitzen«, der »in umweltkriminelle Machenschaften verwickelt ist?« Die Zustände bei »Sonnenschein« seien, so der BDK, »getrost dem Bereich organisierte Wirtschaftskriminalität zuzurechnen«.
Öffentliches Aufsehen in Sachen »Sonnenschein« entstand bereits Ende der siebziger Jahre. Anfang 1979 alarmierte der Präsident des Bundesgesundheitsamtes den Berliner Senat mit Meßergebnissen aus der Firmenumgebung, wo Bodenproben »zum Teil beachtlich hohe Bleigehalte« zeigten. Nebenbei wurde bei der Gelegenheit auf dem Gelände auch ein illegal hochgezogener Neubau entdeckt.
Seither machte die Berliner Batteriefabrik, wo 90 von den 200 Millionen Mark Jahresumsatz des Familienunternehmens erwirtschaftet werden, nur noch mit Schreckensbotschaften von sich reden. Zweimal loderten Großbrände auf dem Firmengelände, die Polizei löste Chemiealarm aus. Oft waren Filter defekt,
der TÜV maß an den Wänden hinter einer Filteranlage eine zentimeterdicke Bleistaubschicht.
»Sonnenschein«-Beschäftigte bekundeten, »daß eben Bleistäube, wenn sie aufgetreten sind, mit einem Wasserschlauch abgespritzt« oder bei Nacht einfach in die Umgebung abgeblasen worden seien: »Das ging voll raus.«
In einem Kilogramm Erdboden am »Sonnenschein«-Werkzaun stießen Experten auf 54,4 Gramm Blei. Schneeproben, die im letzten Winter analysiert wurden, wiesen nach dem Urteil von Wissenschaftlern der Technischen Universität »unfaßbar große Verunreinigungen« auf. Professor Günther Axt: »Sollte jemand auf den Gedanken kommen, einen halben Liter davon zu essen, wäre er tot.«
Bürgerinitiativen freilich, die mit Slogans wie »Sonne statt Blei« seit Jahren auf Produktionsbeschränkungen oder auf Schließung der Giftschleuder drängten, hatten lange Zeit die Berliner Behörden gegen sich. Zugunsten der Firma setzte sich 1979 der damalige Umweltsenator Erich Pätzold (SPD) ebenso ein wie noch im Februar dieses Jahres der jetzige Umweltsenator Horst Vetter (FDP), dessen Amt der Firma bescheinigte, sie habe sich »weder in der Vergangenheit noch jetzt rechtswidrig verhalten«.
»Kontrollinstanz und Kontrollierte«, argwöhnte der liberal-konservative Berliner »Tagesspiegel«, säßen in Sachen »Sonnenschein« »in einem Boot«. In der Tat hat der Senat sich über krasse Indizien für »Sonnenschein«-Mißstände hinweggesetzt, weil Umweltschützer nicht ernst genommen wurden und die Möglichkeit einer Werkschließung (240 Betroffene) schreckte. Mittlerweile akzeptiert Umweltsenator Vetter den Vorwurf, daß »die Mitteilungen der Firma nicht genau genug« geprüft worden sind.
Das Versagen der Umweltbehörde liegt nur zum Teil in der Unfähigkeit von Senatsbediensteten begründet, die in der Gerichtsverhandlung, wie Berichterstatter einhellig feststellten, einen »jämmerlichen Anblick« ("Süddeutsche Zeitung") boten. Die »Sonnenschein«-Manager gaben sich offenbar alle Mühe, Umweltschutzauflagen nur schleppend zu erfüllen und die amtlichen Aufseher in die Irre zu führen. So tischte das Unternehmen den Behörden die - falsche - Angabe auf, sämtliche Schmelzöfen seien bereits vor 1971, dem Stichtermin für den Genehmigungszwang bei Altanlagen, errichtet worden. Noch vor dem Verwaltungsgericht blieben die »Sonnenschein«-Vertreter dabei.
Dem Berliner Umweltsenator Vetter stehen nach dem Blei-Desaster schwere Zeiten bevor. Der FDP-Mann - in der Kabinettsrunde des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen ohnehin die schwächlichste Figur - soll demnächst für den Aufsichtsschlendrian in seinem Haus verantwortlich gemacht werden; Alternative Liste und SPD betreiben durch einen Mißtrauensantrag Vetters Abwahl.
Schwarz-Schilling sieht sich derweil peinlichen Fragen nach Zuwendungen aus Bundeshaushaltsmitteln, allein seit 1975 fast 3,5 Millionen Mark, für »Sonnenschein« ausgesetzt. In Berlin war dem Unternehmen gerade ein Sonderkredit über 1,8 Millionen versprochen worden - »aufgrund unrichtiger Angaben« über die Bleischmelzöfen und mithin betrügerisch erlangt, wie Rechtsanwalt Reiner Geulen, der die »Sonnenschein«-Anlieger vertritt, und neuerdings auch Berlins Umweltbehörde der Batteriefirma vorwerfen.
Nicht nur das: Seit längerem schon wird Schwarz-Schilling angelastet, daß er *___vor seiner Ernennung zum Postminister dem Präsidium des ____Bundestages die »Sonnenschein«-Beteiligung an einer ____"Projektgesellschaft für Kabel-Kommunikation mbH« ____verschwiegen hat, für die der Politiker als Mitglied ____des Wirtschaftsausschusses Insider-Informationen ____sammeln konnte (SPIEGEL 48/1982); *___sich nicht scheute, sich als Postminister trotz seiner ____Beteiligung an der »Sonnenschein«-Bleischleuder ____gegenüber dem Innenminister für eine Entschärfung der ____Bleiausstoß-Grenzwerte einzusetzen (SPIEGEL 3/1985); *___teure Flops wie das von den Bürgern weitgehend ____ignorierte Btx-Programm - statt veranschlagter 150000 ____gibt es nur 25000 Anschlüsse - zu vertreten hat ____(SPIEGEL 24/1985); *___durch rigorose Verkabelungsstrategie medienpolitische ____Weichenstellungen zugunsten privater Programmanbieter ____(SPIEGEL-Titel 36/1984) und auf Kosten des ____Fernsehpublikums betreibt (siehe Seite 25).
Trotz alledem glaubt sich Schwarz-Schilling, der in der »Sonnenschein«-Diskussion wieder mal nur eine »politische Verleumdungskampagne« sieht, seines Amtes sicher.
Bonner Journalisten vertraute er letzte Woche an, worauf sich seine Zuversicht gründet: »Ich weiß«, sprach er, »daß Kohl hinter mir steht.«