DER CHEF TRÄGT NIEMALS EIN JACKETT
Im Gefängnis-Krankenhaus von Bayreuth liegt ein deutscher Leidensgefährte des ägyptischen Präsidenten Gamal Abd el-Nasser.
Ebenso wie Nasser, der seine Luftwaffe und sein Gesicht verlor, ist Franz Rademacher, 61, früher Diplomat und Komplice von Adolf Elchmann, ein Opfer des israelischen Geheimdienstes Schin Beth.
Dieser Geheimdienst gilt seit Israels Blitzkrieg als der vielleicht erfolgreichste Dienst der Welt.
Die Spione des Schin Beth spionierten in den vergangenen 14 Jahren in Ägypten, bis schließlich das Land für sie keine Geheimnisse mehr barg. Sie erkundeten nicht nur die ägyptischen Aufmarsch- und Angriffspläne; sie Identifizierten auch die letzte ägyptische Flugzeug-Attrappe auf den 19 militärischen Rollfeldern, so daß auf deren Bombardierung keine Zeit und Kraft verschwendet wurde.
Schin-Beth-Agenten führten durch vorgetäuschte Truppenbewegungen und fingierte Funksprüche den ägyptischen Nachrichtendienst in die Irre.
Der Schin Beth bestach im Irakeinige Wochen vor Kriegsausbruch einen irakischen Piloten, mit dem neuesten, von den Sowjets gelieferten Mig-Modell vom Stützpunkt Raschid nach Israel zu fliegen. An dieser Mig diagnostizierten die israelischen Techniker für ihre Luftwaffe alle wunden Punkte des russischen Düsenjägers; mit dieser Mig übten Israels Mirage-Piloten Schein-Luftkämpfe. Ergebnis: In 64 Luftkämpfen schossen die Israelis 54 Migs ab, ohne eine einzige eigene Maschine zu verlieren. So erging es Gamal Abd el-Nasser. Wie aber war Franz Rademacher ein Opfer des Schin Beth geworden?
Rademacher war am 17. März 1952 vom Nürnberger Schwurgericht wegen Beihilfe zum Totschlag von 1500 Menschen zu drei Jahren und fünf Monaten Gefängnis verurteilt worden. Als sowohl Anklage wie auch Verteidigung Berufung einlegten, wurde Rademacher gegen Kaution freigelassen -- und floh ins Ausland.
Mit einem spanischen Paß, ausgestellt auf den Namen Francisco Rosilio, ließ er sich in Damaskus als Geschäftsmann nieder. Er war so unvorsichtig, an seine Verlobte Juliane Geist in Deutschland zu schreiben. So wurde er entdeckt. Die Bundesregierung beantragte seine Auslieferung.
Aber in der arabischen Welt genoß Franz Rademacher als Held und Märtyrer im Kampf gegen Juden hohes Ansehen. Die Auslieferung wurde abgelehnt.
Doch der Schin Beth gab so leicht nicht auf. In den Akten des syrischen Deuxième Bureau stapelte sich plötzlich Beweismaterial, aus dem hervorging, daß Rademacher beileibe nicht der Freund und Verbündete war, als den ihn die Syrer empfangen hatten, sondern vielmehr ein Verräter an Syrien, vielleicht sogar ein Schin-Beth-Agent.
Anfang 1965 glaubten die Syrer, schlüssige Beweise gegen Rademacher zu besitzen: Er habe während des algerischen Aufstandes geheime Waffenlieferungen von Syrien nach Algerien verraten; die Waffen seien dann von den Franzosen abgefangen worden.
Am 19. März 1965 wurden Franz Rademacher, sein deutscher Partner Springer und ein Mann namens Cohen von der syrischen Polizei verhaftet. Man steckte sie in das stinkendste Gefängnis von Damaskus. Rademacher wurde krank. Seine Moral war gebrochen. Es gelang ihm aber, eine Nachricht hinauszuschmuggeln.
Ein Abgesandter jener Abteilung, die in der Französischen Botschaft die deutschen Interessen wahrnimmt (die diplomatischen Beziehungen zwischen Syrien und der Bundesrepublik sind abgebrochen), durfte ihn besuchen.
»Bitte, holen Sie mich hier 'raus«, flehte Rademacher. »Ich bin Bürger der Bundesrepublik.«
»Sind Sie bereit, nach Deutschland zurückzukehren und sich der Justiz zu stellen?« fragte der Beamte.
»Gewiß. Nur bringen Sie mich um himmels willen hier 'raus.«
Am Freitag, dem 30. September 1966, wurde Franz Rademacher wieder sicher in die Bundesrepublik eingeflogen und in das Gefängnis von Bayreuth gesteckt -- wie später Nasser ein Opfer des raffiniert gefertigten Schin-Beth-Spielmaterials.
Die Fähigkeit, durch langfristige, komplizierte und fortlaufende Täuschungsmanöver den Gegner Irrezuführen und ihn zu Aktionen zu verleiten, die ihm selbst schaden, das ist der höchste, weil schwierigste Qualitätsbeweis, den ein Geheimdienst erbringen kann.
Denn es gehört nicht nur Einfühlungsvermögen, Phantasie und professionelles Können dazu, sich irreführende Informationen auszudenken und sie glaubwürdig an den Feind zu bringen; es müssen auch stets zuverlässige Nachrichten aus feindlichen Quellen beschafft werden, um kontrollieren zu können, ob der Gegner am Köder angebissen hat.
Für die westlichen Geheimdienste, die in Israel arbeiten, ist es keine Überraschung, daß der Schin Beth diese Feuerprobe bestanden hat. Sie wissen seit langem, daß die Israelis über die Vorgänge in den arabischen Ländern besser informiert sind als die Franzosen und Briten mit ihren langjährigen Nahost-Erfahrungen oder die amerikanischen CIA-Agenten mit ihren großen technischen und finanziellen Möglichkeiten.
Der Schin Beth -- die Abkürzung steht für »Scheruth Bitachon« (Sicherheitsdienst) -- ist nahezu ideal geeignet, Informationen über die arabischen Staaten zu sammeln und auszuwerten.
Die Agenten des Schin Beth -- der sowohl für Spionage wie auch für Spionageabwehr zuständig ist -- brauchen nicht wie die britischen und amerikanischen Araber-Experten besondere Kurse am »Nahost-Institut für arabische Studien« in der Nähe von Beirut zu besuchen (das jetzt vorübergehend nach Beaconsfield in England verlegt wurde, wo im Zweiten Weltkrieg deutsche Kriegsgefangene verhört wurden).
Für den Schin Beth arbeiten Männer und Frauen, die in arabischen Ländern lebten, bevor sie nach Israel kamen. Sie sprechen fast besser arabisch als hebräisch; sie kennen die Gedankengänge des Gegners, weil sie wie er zu denken verstehen.
Dabei verfügen der Schin Beth und Israels »Direktorium des militärischen Nachrichtendienstes« unter General Meir Amit zugleich über eine überaus moderne technische Ausstattung. Sie arbeiten mit den neuesten Apparaten zum Abhören von Nachrichten im Schnellfunkverkehr und mit Computern zum Dechiffrieren. Beide Geräte sind im Nahen Osten, wo die Nachrichten im wesentlichen per Funk übermittelt werden, unentbehrlich.
Israels Agenten benutzen modernste Abhörgeräte und Mini-Sender zum Aufzeichnen von Unterhaltungen. Und wie sich während des Blitzkrieges gezeigt hat, beherrschen sie auch die Technik, Radaranlagen des Feindes zu täuschen oder völlig außer Betrieb zu setzen. Denn so, wie der Schin Beth im Außendienst arabische Juden einsetzen kann, so gehören zu seinem Stab Männer, die vor ihrer Einwanderung nach Israel in den besten Radarstör- und Dechiffrierdiensten im Westen ausgebildet wurden.
Und schließlich verfügt der Schin Beth noch über eine dritte Gruppe von Mitarbeitern, um die ihn jeder westliche Geheimdienst beneiden muß: das weltweite Netz jüdischer Mitglieder in nicht-israelischen Geheimdiensten, die nur zu oft bereit sind, den Schin Beth zu unterstützen.
Viele Juden in der CIA, aber auch im französischen und sogar im sowjetischen Geheimdienst arbeiten zugleich und heimlich für den Schin Beth.
Während eines Israel-Besuchs im Jahre 1962 bekam ich selbst einen Einblick, wie sehr die Geheimdienste in aller Welt vom Schin Beth durchsetzt sind. »Was können Sie mir über die Tätigkeit jener kleinen Gruppe von Nazifanatikern sagen, die nach Hitlers Zusammenbruch in den Nahen Osten entkamen und jetzt für Nasser arbei-
* Vor dem Nürnberger Schwurgericht. Im Hintergrund sein Verteidiger.
** Ludwig Pankraz Zind, 60, Studienrat aus Offenburg, 1958 wegen antisemitischer Äußerungen ("Es sind viel zuwenig Juden vergast worden") zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, floh nach Ägypten und lebt heute als Hochschulprofessor in Tripolis (Libyen).
*** Professor Heinrich Karl Kunstmann, vor seinem Tode im März 1964 Chefarzt in Hamburg, ehemaliger Vorsitzender der rechtsradikalen Deutschen Reichspartei.
ten?« fragte ich meine israelischen Freunde.
Als Antwort holten sie eine Akte mit Einzelheiten über Nazis hervor, die inzwischen arabische Namen trugen, in Kairo lebten und die Ägypter in den Methoden der Gestapo und Abwehr unterwiesen.
Die Israelis zeigten mir sogar Photokopien eines Briefwechsels, den ein Nazi in Kairo etwa vier Jahre lang mit einem anderen in Wiesbaden geführt hatte. Inzwischen waren beide tot, deshalb glaube ich, daß die Israelis es für kein großes Sicherheitsrisiko hielten, mir die Photokopien zu zeigen.
Der Nazi in Kairo war Dr. Johannes von Leers, jener fanatische kleine Antisemit, den ich viele Jahre zuvor in Berlin als »Sachverständigen« im Propagandaministerium kennengelernt hatte. Als »Professor Omar Amin« half er Nassers Leuten, die alte Streicher-Propaganda für den arabischen Bedarf neu aufzupolieren.
Der Mann in Wiesbaden war der Vorsitzende der damaligen Nationaldemokratischen Partei in Hessen, Karl-Heinz Priester. So gut es im Schatten des Grundgesetzes ging, hatte er neue rassistische Literatur verfaßt.
Die Korrespondenz zwischen Leers und Priester hatte 1956 begonnen, unmittelbar nachdem Nasser den Suezkanal verstaatlicht hatte. Sie lief bis ins Jahr 1959. Alles war da: Briefe von Priester an Leers, Briefe von Leers und seiner Frau an Priester.
Leers an Priester: »Zind** kommt alle Tage zu uns zum Mittagessen; ein tapferer, gerader Mann.«
Priester an Leers: »Professor Kunstmanns** ist ein tüchtiger Arzt, der ... wenn er nicht so eng in der Bekenntniskirche hinge, wirklich Vertrauen verdiente.«
Ich war sprachlos, als ich das Material sah. Das bedeutete, daß jemand, der für Israel arbeitete, in der Lage war, die Korrespondenz zwischen Ägypten und der Bundesrepublik abzufangen und zu photographieren -- zwei Staaten, mit denen Israel zu jener Zeit keine diplomatischen Beziehungen hatte. Wie also kannten die Israelis die Korrespondenz abfangen?
Die Alliierten der Bundesrepublik haben aufgrund ihres frühen Status als Besatzungsmächte noch Immer das Recht, in Deutschland Post, Telegramme und Telephonate zu überwachen oder das von den deutschen Behörden zu erbitten. Ein mit den Zionisten sympathisierender alliierter Geheimdienstoffizier mußte die abgefangenen Briefe von Leers' und Priesters nach Israel weitergeleitet haben.
Ausländische Zionisten, vor allem in der CIA, in der es besonders viele Israel-Freunde gibt, starten manchmal sogar Sondereinsätze ihrer eigenen Geheimdienste für den Schin Beth.
Während der Suez-Krise von 1956 zum Beispiel, als der israelische Generalstab die erste Invasion der Halbinsel Sinai vorbereitete, erhielt ein deutscher Berater Nassers, der zugleich für den Dienst des Generals Gehlen arbeitete, einen Fragebogen aus Deutschland.
Der Gehlen-Mann in Kairo schickte die erbetenen Informationen ins Gehlen-Hauptquartier Pullach, und die Gehlen-Leute, die damals noch besonder. eng mit der CIA zusammenarbeiteten, gaben sie an die Amerikaner weiter, ohne im entferntesten zu ahnen, daß der US-Offizier, der um diese Informationen gebeten hatte, für den Schin Beth arbeitete und daß »ile von der Gehlen-Organisation besorgten Informationen direkt nach Tel Aviv weitergeleitet würden.
Die westlichen Geheimdienstchefs wissen, daß solche Praktiken üblich sind. Sie drücken aber ein Auge zu: Denn sie profitierten selbst von Nachrichten, die noch bis vor kurzem von den Zionisten im sowjetischen KGB und seinen angeschlossenen Geheimdiensten in Osteuropa durchsickerten. Vor allem aber bewundern sie den Scharfsinn, mit dem die Israelis -- von denen einige früher hinter dem Eisernen Vorhang gelebt haben und dort ein Amt bekleideten -- die Informationen aus dem Osten auswerten.
Um Israel vor dem Eindringen fremder Agenten zu schützen, hat der Schin Beth Mitarbeiter der 70 europäischen, afrikanischen und asiatischen Nationalitäten angeworben, aus denen sich die Bevölkerung des jungen Staates zusammensetzt. Dadurch ist es ihm möglich, neue Einwanderer-Schübe sorgfältig zu beobachten und nach gegnerischen Agenten durchzukämmen.
Aber natürlich hat auch das dichteste Netz seine Löcher. Gelegentlich gelang es einigen schillernden Fischen, durch die Maschen des Schin-Beth-Netzes zu schlüpfen -- so zum Beispiel dem früheren Waffen-SS-Leutnant Ulrich Schönhaft aus Königsberg.
Bei Kriegsende hatte Schönhaft eine Gelegenheit gesucht, ins Ausland zu fliehen. Er fand sie, indem er sich die Papiere eines im Konzentrationslager gestorbenen Juden namens Habriel Süßmann besorgte. Als Habriel Süßmann schloß sich Schönhaft einigen Juden an, die in das damals noch von England verwaltete Palästina auswanderten. Seine Gruppe wurde von den Briten erwischt und als illegale Einwanderer auf Zypern interniert. Dort wurde SS-Mann Schönhaft als Jude Süßmann Mitglied einer zionistischen Untergrundbewegung.
Er entwickelte sich zum Experten, wenn es galt, die englische Polizei zu täuschen und seine Mit-Juden nach Israel einzuschmuggeln,
Als er schließlich selbst in Israel ankam -- er hätte es eher schaffen können, war aber von der Hagana gebeten worden, als besonders nützlicher Mann auf Zypern zu bleiben -, wurde Schönhaft-Süßmann wie ein Held empfangen. Er trat in die israelische Armee ein, und alles wäre gutgegangen, wenn er nicht mit seinem neuen Juden-Leben unzufrieden geworden wäre oder an seinem alten SS-Leben gehangen hätte -- der ägyptische Geheimdienst lockte ihn. Er wurde Spion Kairos. Da erst flog er auf -- und dann erst wurde seine wahre Identität entdeckt.
Die gefährlichsten Spione in Israel arbeiteten für die Sowjet-Union und ihre Satelliten.
Die Sowjet-Union, die Israels Gründung unterstützt hatte, wollte den neuen Staat benutzen, um das Verhältnis zwischen den arabischen Staaten und den Westmächten zu stören.
Seit der Gründung Israels schleuste Moskau regelmäßig Agenten ein. Viele wurden erwischt und verhaftet; einige wurden umgedreht und schickten ihren Auftraggebern nur noch Spielmaterial.
Zwei der verhafteten Agenten waren Spitzenkräfte, die sich in höchste Positionen hineingearbeitet hatten. Dort waren ihnen streng vertrauliche Informationen zugänglich, die -- gelangten sie in falsche Hände -- nicht nur die Sicherheit Israels, sondern auch die der Westmächte gefährden konnten.
Einer dieser beiden Männer war ein älterer (bei seiner Verhaftung 51jähriger) sudetendeutscher Professor mit dem Namen Kurt Sitte. Er war mit Forschungsaufgaben am Technologischen Institut in Haifa betraut, darunter auch mit Arbeiten für die U.S. Air Force.
Während des Dritten Reiches hatte Sitte als Häftling in Buchenwald Freundschaft mit tschechischen Kommunisten geschlossen -- und für die Tschechen spionierte er auch, bis er erwischt wurde.
Ebenso alarmierend war der Fall des 49jährigen Dr. Israel Beer, eines Obersten der Reserve in der israelischen Armee.
Dr. Beer, der zahlreiche militärische Einrichtungen im Westen besucht und auch bei der Bundeswehr Vorträge gehalten hatte, war seit 1939 sowjetischer Agent. Als er sich der zionistischen Untergrundbewegung anschloß, geschah das auf Anweisung seiner kommunistischen Chefs in Moskau. Viele der Informationen, die Beer an die Russen weitergab, waren nach Meinung von Schin-Beth-Experten letztlich für Ägypten bestimmt. Er wurde erst entlarvt, als die Engländer 1961 in London den sowjetischen Spionagering des KGB-Agenten Lonsdale aushoben, dabei auf Beers Fährte stießen und Tel Aviv einen entsprechenden Tip gaben.
Schon David Ben-Gurion, erster Ministerpräsident des Landes und Gründer des israelischen Geheimdienstes, hatte den Nachrichtendienst in zwei Zweige aufgeteilt, die noch heute bestehen: den Schin Beth und das »Direktorium des militärischen Nachrichtendienstes«. Die Chefs beider Dienste unterstehen direkt dem Ministerpräsidenten.
Das »Direktorium des militärischen Nachrichtendienstes« befaßt sich hauptsächlich mit der Auswertung militärischer Informationen. Bis 1962 war General Chaim Herzog, ein gebürtiger Brite, Leiter dieser Gruppe. Dann wurde er zum Militärattaché in Paris ernannt. Nach dem Blitzkrieg avancierte er zum Gouverneur des besetzten Gebietes am Westufer des Jordans, wurde aber schon nach wenigen Tagen wieder gefeuert: Er hatte den unkontrollierten Exodus der Araber über den Fluß in Richtung Osten zugelassen. Dadurch waren zahlreiche ägyptische Agenten und Guerillas entkommen, die in diesem Gebiet durch den israelischen Vormarsch überrascht worden waren.
Herzogs Nachfolger als Direktor des militärischen Nachrichtendienstes ist General Meir Amit.
Während Person und Position von Herzog und Meir Amit nie als Geheimnis gehütet wurden -- beide waren oft bei gesellschaftlichen Ereignissen zu treffen -, ist der Chef des Schin Beth von einem fast undurchdringlichen Schleier der Anonymität umgeben.
Die Identität seines Vorgängers wurde erst offenbar, als er nach einer politischen Meinungsverschiedenheit mit dem damaligen Ministerpräsidenten Ben-Gurion zurücktrat. Es stellte sich heraus, daß er ein ehemaliger Litauer war, Isser Halperin hieß und 1933 nach Israel eingewandert war. Nach seiner Demission soll er Direktor in einer Traktorenfabrik geworden sein.
Der augenblickliche Geheimdienstchef ist selbst Eingeweihten und engsten Mitarbeitern nur unter einem Decknamen bekannt: Yaakouv -- Jakob. Er ist ungefähr 47 Jahre alt und stammt aus Siebenbürgen. Sein Vater war ein reicher Kaufmann, der den hochbegabten Sohn zionistisch erzog und ihn zuerst auf das Gymnasium in Hermannstadt, später auf die berühmte Ecole Polytechnique in Paris schickte.
Yaakouv sieht aus wie ein typischer aschkenasischer Jude aus Mittel- oder Osteuropa, hat einen Quadratschädel mit flachen Wangen, ein nahezu slawisches Gesicht und einen robusten, stark muskulösen Körper. Er ist mittelgroß.
»Wenn man Yaakouv bei einem seiner zahlreichen Spaziergänge in der Ben-Jehuda-Straße trifft«, so erzählte man mir, »würde man ihn für einen Bauern aus irgendeinem Kibbuz halten, der gerade für einen Tag in Tel Aviv ist.«
Sein kahler Kopf -- er trägt niemals einen Hut -- ist braungebrannt und vom Wetter gegerbt wie bei einem Bauern, ebenso die Arme und der Nacken. Er trägt nie ein Jackett, nur eine graue Hose und ein Hemd mit offenem Kragen. Auf seinem linken Unterarm steht seine Lagernummer aus Auschwitz. Mit seiner Frau und seiner Familie wohnt er in Tel Aviv.
Seine Beziehungen zur zionistischen Untergrundbewegung begannen im Vernichtungslager Auschwitz. Sehr schnell war er einer der Zionistenführer des Lagers geworden. List und heimlicher Terror hielten sich in seinem Kampf gegen die SS-Wachen und Kapos die Waage.
Er soll viele Juden vor dem Gaskammer-Tod gerettet haben. Zu ihnen gehörte auch seine Frau, die noch ein Mädchen war, als er sie in Auschwitz kennenlernte.
Nach seiner Freilassung aus Auschwitz wurde Yaakouv Leiter einer zionistischen Untergrundzentrale, die über die Weltflüchtlingsorganisation UNRRA mit der Jewish Agency zusammenarbeitete, um Juden aus dem sowjetisch besetzten Teil Europas nach Israel zu schmuggeln. 1949 wurden die tschechischen Kommunisten auf Ihn aufmerksam. Er mußte fliehen. Kaum in Israel angekommen, bat man Ihn schon, dem neugegründeten Schin Beth beizutreten.
Seine Ernennung zum Chef erfolgte nach dem Rücktritt von Isser Halperin, dessen Stellvertreter er gewesen war.
Als Ben-Gurion 1949 den Schin Beth gründete, wollte er die fähigsten Agentinnen und Agenten aus dem Spionage-, Sabotage- und Fälschungssektor der drei militanten Untergrundorganisationen anwerben, die gegen England für die Unabhängigkeit des Völkerbund-Mandats Palästina und die Staatsgründung Israels gekämpft hatten: aus Hagana, Irgun Zvai Leumi und der Stern-Gruppe.
Ben-Gurion konzentrierte seine Bemühungen jedoch in erster Linie auf die konservative Hagana. Denn wenn eine mächtige Organisation wie der Schin Beth in die Hände radikaler Fanatiker und Extremisten der Stern-Gruppe oder des Irgun geraten wäre, hätte sie leicht das Instrument politischer Abenteurer werden können.
Wie begründet diese Vorsicht gewesen war, zeigte 1954 der unsinnige Versuch des Schin Beth, den Flirt zwischen Washington und Nasser durch Anschläge auf die Büroräume des U.S. Information Service in Kairo und Alexandria zu unterbinden und Nasser und seinen Leuten die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Das Unternehmen scheiterte. Zwei tapfere israelische Agenten, ein Lehrer und ein Mädchen, wurden öffentlich in Kairo gehängt. Minister Pinhas Lavon mußte zurücktreten.
Die Affäre, die noch immer beschönigend »das Mißgeschick« genannt wird, erschütterte die junge Nation zutiefst. Aber seit jener Zeit ist der Schin Beth genau wie der Staat Israel reifer geworden. Und die verwegene Brillanz, mit der Yaakouv und seine Leute den Streitkräften Israels nun den Weg zum Sieg über Nasser ebneten, mag endgültig die Spur auslöschen, die »das Mißgeschick« bis heute noch in der Politik Israels hinterlassen hat.