Der Detektiv und die »Dreckskerle«
Schütteres blondes Haar, etwa 1,70 Meter groß, nicht dick und nicht dünn - er sieht so aus, als ob es Schwierigkeiten machte, ihn nächstes Mal wiederzuerkennen. Davon hat Werner Mauss, 46, seit Jahren profitiert.
In seinem Ledertäschchen hat er nicht nur falsche Personalpapiere, sondern auch echte Photos von Ehefrau und Nachwuchs, die er Gesprächspartnern, wie unlängst dem SPIEGEL, gern präsentiert: »Ist das nicht ein süßes Kind?« Auch das kommt ihm zustatten bei seiner Tätigkeit: das Biedermännische, sei es gespielt oder echt.
Die wenigen Bilder, die von ihm selbst im Umlauf sind, haben nicht gerade die Schärfe von Polizeiphotos. Eine Zeitlang kursierte, was seinem Tun am ehesten entspricht, nur eine Phantomzeichnung von ihm. Auf einem rheinischen Festbankett wurde Mauss zwar gefeiert und geknipst, doch auf den Bildern, die beispielsweise im Büro des Kölner Generalvikars hingen, ist keine Spur von ihm: Mauss ist weggeschnitten.
Leibhaftig bekommt ihn derzeit in der Bundesrepublik niemand zu sehen, weder sein Anwalt, der ehemalige Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU), noch seine Kontaktleute bei Polizei, Verfassungsschutz und BND, mit denen er zusammenzuarbeiten pflegte. Detektiv Mauss, die geheimnisvolle Spürnase, läßt nicht ohne weiteres mit sich reden.
64 Sitzungen lang hat ein Untersuchungsausschuß des niedersächsischen Landtages mit der Suche nach Mauss schon zugebracht, aber alle amtlichen Bemühungen, ihn als Zeugen zu laden, waren vergeblich. Ende dieses Monats verhandelt der Niedersächsische Staatsgerichtshof darüber, ob das Votum der Ausschuß-Minderheit ausreicht, Mauss zwangsweise vorführen zu lassen.
Nur, wo den Mann herholen, der den Bundesnachrichtendienst (BND) ebenso ins Gerede gebracht hat wie die Kripo von Bund und Ländern? Nicht einmal das Bundeskriminalamt (BKA), für das er jahrelang tätig war, konnte oder wollte dem Ausschuß in Hannover helfen. »Trotz bestehender Kontakte zu Herrn Mauss«, teilte die Behörde mit, sei der »gegenwärtige Aufenthaltsort nicht bekannt«.
Mauss heißt er ohnedies nicht mehr, und wenn er sich früher Richard Nelson oder Heinz Franke, Siegfried Schwarz oder Doktor Lange, Reit, Wagner, Fabian, Klaus oder Karras, Claude oder Jacques, Petrus oder Admiral nannte, so mag er heute Meier oder Schulze heißen. Unter dem Namen Herbert Rick hat er zum zweiten Mal geheiratet, und unter diesem Namen hat er sich am 30. April 1983 aus Hannover nach Straßburg abgemeldet, Rue de la Rotonde 12, aber auch dort ist er nicht anzutreffen.
26 Namen hat er nach der Zählung des Juwelier-Informationsdienstes »Markt intern« schon geführt und ist nach eigener Auskunft »säckeweise« mit »Pässen und Ausweisen« ausgestattet. 30 verschiedene falsche Papiere erhielt Mauss für sich und zwei Mitarbeiterinnen allein von amtlichen Stellen in Niedersachsen - Luftfahrerschein, Reisepässe, Personalausweise, Führerscheine, Waffenscheine und zwei Kinderausweise.
»Hilfsweise zur vorläufigen Absicherung« bekam er außerdem noch 1983 zwei »Tarnkennzeichen mit Kfz-Schein auf Tarnnamen A 6«, eine weitere Auto-Legende auf »Tarnnamen A 5«. Unter zwei Decknamen (A 1 und A 5) wurde Mauss beim Einwohnermeldeamt gemeldet, für »A 1« auch eine Postschließfachanlage eingerichtet.
In den ministeriellen »Erläuterungen zur Legendentabelle«, die dem Mauss-Untersuchungsausschuß 1984 vorgelegt wurden, heißt es, »daß die noch nicht zurückgegebenen Tarnpapiere zum heutigen Zeitpunkt lediglich noch zur logistischen Abwicklung durch andere deutsche Sicherheitsbehörden und insbesondere zur Abwendung erheblicher Gefahren für Leib und Leben des M. und seiner Familie benötigt werden«.
Die falschen Namen brauchte Mauss in seinem Metier ebenso wie den Minisender in der Zigarettenschachtel und die automatische Kamera in der Aktenmappe, die Perücke und den Krückstock - Handwerkszeug für einen, der ausgezogen war, »Dreckskerle zu fangen«. So nennt er das Geschäft, Verdächtige zu überführen, die sich rechtmäßig nicht überführen lassen.
Denen war er, wie es gerade kam, mal im staatlichen, mal im privaten Auftrag, auf der Spur. Mal verwischte sich beides. Dann war nicht mehr auseinanderzuhalten, ob Mauss gerade als Detektiv einer Versicherung arbeitete oder als »freier Mitarbeiter« eines Kriminalamtes - oder als beides zugleich.
Immer ging es kreuz und quer. Wollte er als Privatdetektiv an Verdächtige heran, standen ihm die Informationen des Polizeiapparats zur Verfügung; arbeitete er der Kripo in die Hände, honorierten ihn die Versicherungsunternehmen. Daß einer seiner Terroristeneinsätze aus Industriekassen über den BND bezahlt wurde, entspricht genau dem Gemischtwarencharakter seines Gewerbes.
Dem Staat pflegte er so - in einem Arbeitsgang - die Straftäter zu beschaffen und die Versicherungsunternehmen von Schadensersatzforderungen zu befreien. Und bei der Terroristenfahndung konnte er erst recht reklamieren, was er für alle seine Aktionen gern in Anspruch nimmt: im »Dienst am Staat« zu handeln. Das erklärt, warum er gelegentlich wie ein Staatsanwalt Zeugen vorführen ließ und es auch fertigbrachte, daß Kriminalbeamte hinterher das Protokoll der Zeugenvernehmung begannen: »Auf Vorladung erschien ...«
Mauss verkörpert den Ermittler, von dem Polizisten nicht mal träumen dürfen: einer, der sich nicht ans Gesetz zu halten braucht, um Gesetzesbrecher zu überführen; Agent provocateur von Staats wegen und Privatdetektiv in einem; ein Spürhund, der sich beim Schnüffeln weder an behördliche Spesenregeln noch an irgendeinen Dienstplan geschweige denn an eine Vorgesetzten-Order halten muß; einer, der alles nach eigenem Gusto und im eigenen Flugzeug erledigt.
Acht Maschinen, so ermittelte eine »Interessengemeinschaft Luftfahrtgeschichte e. V.«, standen ihm bislang zur Verfügung, zuletzt eine Cessna 340A.
Und wenn er nicht selber am Steuer saß, ließ er sich first class fliegen, wie er first class abzusteigen pflegte. Denn zu seiner Mimikry - »Legende« ist ein Lieblingswort von Mauss - gehörte es zumeist, den großen Maxen zu spielen. Nur aus Tarnungsgründen, sagt er, denn »ein Bulle kann niemals so viel Geld haben«.
Er hatte. Schon vor Jahren bezog er vom Verband der Sachversicherer ein Fixum von 750 000 Mark im Jahr, das BND-Honorar von 842 000 Mark für 15 Monate Terrorismusfahndung ist mithin nicht ungewöhnlich gewesen. Und der Mann hatte ja auch Ausgaben - Maßanzüge mußten es schon sein, hin und wieder war ein Rolls-Royce oder eine Hochseeyacht zu mieten.
Vielleicht ist er wirklich nichts weiter als »ein hochstaplerisch sehr begabt erscheinender Dilettant«, wie der Hamburger Verfassungsschutzchef Christian Lochte ihn nennt. Aber dann hat der unscheinbare Dilettant auf seine krumme Tour mehr zuwege gebracht als so manche gigantische Polizeifahndung.
Er hat, beispielsweise, die Fässer mit dem Seveso-Gift ausfindig gemacht, die im Frühjahr 1983 in halb Europa Aufregung verursachten (siehe Kasten Seite 28). Er trug schon 1970 dazu bei, daß die aus der Haft entsprungenen, wegen Bankraubes und Polizistenmordes Verfolgten Alfred Lecki und Helmut Derks in Spanien gefaßt werden konnten. Und er fingerte auch, daß der 1975 gestohlene Kölner Domschatz - mit goldener Monstranz und wertvollem Geschmeide - zum größten Teil wiederbeschafft werden konnte und die Täter hinter Schloß und Riegel kamen.
Wie kein anderer verstand es der wandlungsfähige Detektiv Mauss, sich an Verdächtige, deren Freunde und Frauen heranzumachen und sich das Vertrauen von Verdächtigen zu erschleichen. Kleinen Ganoven führt er sich als weltläufiger Großkrimineller vor und läßt in den teuersten Lokalen mit Vorliebe Schalengetier auftischen, das für seine schlichten Gäste nur mit Schwierigkeiten aufzubrechen ist.
Auffallend ist, wie konsequent Mauss, ein gelernter Pferdewirt, den es früh ins Detektivgewerbe zog, den ihm gewährten Freiraum am Rande und jenseits der Legalität zu nutzen verstand - unter Einsatz auch privatester Mittel. Der Mann, der es in jeder Hinsicht meisterhaft verstand, Interessen zu verknüpfen, heiratete in erster Ehe eine BND-Mitarbeiterin.
Frau Karin, unter dem gemeinsamen Decknamen Nelson mit Mauss vermählt, war ihrem Mann dann über Jahre auch beruflich unentbehrlich, wie auch seine zweite Frau, eine Italienerin. Mauss zum SPIEGEL: »Ohne eine Frau, die mitzieht, geht so etwas gar nicht.«
»Frauengeschichten« waren es andererseits, die nach der Erinnerung von Kriminalbeamten schon in den sechziger Jahren, als Mauss richtig ins Geschäft kam, im hessischen Landeskriminalamt Gesprächsstoff lieferten. Ob Mauss sich mit der Frau eines Kommissars oder dieser sich mit Frau Mauss eingelassen hatte - darüber ließ sich trefflich tratschen. Aber daß andere Formen von Verquickung vorlagen, war Gegenstand einer amtlichen Untersuchung.
Damals mußten sich Kriminalisten von Vorgesetzten fragen lassen, ob sie dem Privatdetektiv Akten zugänglich gemacht und in seinem Privatflugzeug Kaffeereisen in die Schweiz unternommen hatten. Auch hegten Untersucher damals den Verdacht, daß Mauss Straftaten »praktisch angestiftet« habe, um anschließend die Prämien von Versicherungen zu kassieren.
Noch im September vergangenen Jahres formulierte das Landeskriminalamt (LKA) Hessen in einem Papier für den hessischen Innenminister: Die von Mauss »angestrebten Eigenerfolge mit den daraus resultierenden finanziellen Folgen« seien »zu wenig transparent« gewesen; es hätten sich »Zweifel bezüglich der Rechtmäßigkeit« seiner Arbeitsweise ergeben. Die Zweifel beruhten beispielsweise darauf, wie Mauss nach einem Einbruch bei der »Oel-Becht KG« in Oberursel vorging, bei dem die wertvolle Kundenkartei der Firma abhanden gekommen war. Mauss, der die Straftat aufklären sollte, verkaufte die Kundenkartei an Firmenchef Hans Becht für 50 000 Mark zurück.
Ebenso »merkwürdig«, so ein Kriminalbeamter vor Ort, waren die polizeilichen Erkenntnisse bei Kunstdiebstählen. Aus Kirchen verschwanden immer wieder wertvolle Holzschnitzereien und Steinfiguren. Der wieder einmal eingeschaltete Mauss ermittelte zwar zwei Täter, doch das Diebesgut mußten die Kirchen von Mauss zurückkaufen.
»Gegen Bares«, so ein LKA-Mann, ließ Mauss seinerseits damals in eigenen Angelegenheiten auch mal einen Beamten für sich arbeiten. Solche Gemeinsamkeiten mögen auch ein Grund dafür gewesen sein, daß in Wiesbaden das LKA 1969 seinen Beamten dienstlichen wie privaten Kontakt zu Mauss untersagte. Er bekam Hausverbot - und war wohlgelitten nebenan, beim Bundeskriminalamt.
»Der sprang da rum«, erinnert sich der ehemalige Amtschef Horst Herold an die Anfänge, »meldete Verbrechen, ging beim BKA und bei Landeskriminalämtern ein und aus, und keiner war richtig zuständig für ihn.« Dafür suchte sich Mauss die richtigen Freunde oder Ansprechpartner aus, etwa Gerhard Folger, der einst vom BND zum BKA gewechselt war und heute Abteilungspräsident ist. Wann immer Mauss später wegen allzu ungebändigter Eigenmächtigkeiten Ärger im Amt bekam - Folger hielt stets seine Hand über den V-Mann.
Der wohnte damals in Altstrimmig im Hunsrück. Als Grundstückseigentümer war er für die Borwiese 5 unter Richard Nelson im Grundbuch eingetragen - eine amtlich abgeschirmte Täuschung; Juristen nennen das mittelbare Falschbeurkundung. Das Grundstück hatte eine günstige Lage für einen Piloten. Für monatlich 250 Mark durfte Mauss einen Landeplatz in der Nähe benutzen, der Marlis Theisen gehörte, der Ehefrau des Altstrimmiger Möbelfabrikanten Franz Theisen. Gemeinsam kauften die benachbarten Familien bald auch eine Cessna, die den Partnern immer abwechselnd drei Monate zur Verfügung stand.
Am aufwendigen Lebensstil des Nachbarn war abzulesen, daß er immer besser ins Geschäft kam - mit wem auch immer. Von einem Flugplatzleiter hörte Frau Theisen einmal, beim Betanken der Cessna seien massenweise Geldscheine im Kofferraum zu sehen gewesen. Auch sei das Anwesen, so bekam sie zugetragen, nicht von Mauss alias Nelson bezahlt worden, sondern von »Pullach«, dem Sitz des BND.
Geld in großen Mengen spielte offenbar häufig eine Rolle bei den Geschäften, denen der Nachbar nachging. Ein Direktor der Dresdner Bank erzählte
Frau Theisen, wenn Mauss Geld brauche, werde es ihm von der Zentrale in Frankfurt an das Flugzeug gebracht, und zwar in jeder gewünschten Höhe.
Am Neujahrstag 1971 endete die fliegende Verbindung von Altstrimmig, als die Maschine, die Theisens von Mauss gerade übernommen hatten, wegen eines Defekts in der Benzinleitung notlanden mußte. Mauss, so Marlis Theisen heute, sei vor Schreck »ganz grün« geworden, als er davon erfahren habe. Die Benzinleitung sei, so Sicherheitsbedienstete des US-Flugplatzes Hahn, manipuliert gewesen - ein Anschlag auf Mauss?
Auch den Tod ihres Mannes bringt sie in solchen Zusammenhang: Mit einer anderen Cessna verunglückte Franz Theisen am 11. Mai 1979 bei Nürnberg tödlich, und Marlis Theisen vermutet aufgrund mysteriöser Anrufe aus der Schweiz, daß es sich wiederum um einen Anschlag gehandelt habe, der eigentlich Mauss galt; die Theisen-Maschine stand zumeist auf dem Flugplatz in Altstrimmig, auf dem auch Mauss häufig startete und landete. Im selben Jahr habe Mauss in seiner Flugzeughalle zu Altstrimmig Einschußlöcher festgestellt.
Es gab genug Leute, die Grund hatten, sich an Mauss zu rächen. BKA-Mann Folger gab später zu Protokoll: »Wir wußten, daß Kriminelle sich wiederholt dafür interessiert hatten, wo der V-Mann wohnhaft sei, damit sie mit ihm ''abrechnen'' könnten.« Ein Staatsanwalt: »Ich wundere mich, daß Mauss nicht schon längst mit einer Kugel im Kopf irgendwo liegt.«
Es hätte ihn schon Mitte der siebziger Jahre treffen können, als - so erzählt er - Kriminelle im Auftrag einer militanten Gruppe einen Generalschlüssel für das Wolfsburger VW-Werk besorgen sollten. Sicherheitsbehörden bekamen Wind von dem geplanten Sabotageakt und schalteten Mauss ein. Dem gelang es nach eigener Darstellung, die Übergabe des bereits gestohlenen Schlüssels zu verhindern - und fand sich »als Todeskandidat wieder. Man hatte mich im Verdacht, ein V-Mann zu sein«. Er behauptete, daß in der Gruppe abgestimmt worden sei, ob er erschossen werden solle. Mauss: »Ich hatte einen Fürsprecher. Das war meine Rettung.«
Nicht so gefährlich ging es bei der Jagd auf den steckbrieflich gesuchten Terroristen Rolf Pohle zu. Der Waffenbeschaffer der früheren RAF, die damals noch Baader-Meinhof-Gruppe genannt wurde, war 1976 von einem Westdeutschen, der ihn kannte, auf der griechischen Insel Mykonos gesehen worden. Das Bundeskriminalamt erfuhr davon und setzte Mauss an, der alsbald mit seiner Frau nach Griechenland jettete.
Erst graste er mit einem griechischen Polizeioffizier in einer Militärmaschine die griechischen Inseln ab. Später reiste das »Urlauber-Ehepaar« mit dem Schiff von Hafen zu Hafen. In Athen entdeckten sie Pohle, verloren ihn aber wieder aus den Augen. Aus dem Polizeidossier über Pohle wußte Mauss, daß der Jurist aus München bevorzugt den SPIEGEL und die »Süddeutsche Zeitung« las. Er guckte in dem Stadtviertel, wo er Pohle vermutete, den einzigen Kiosk aus, der beide Blätter führte. Die Verkäuferin bekam ein Fahndungsphoto, die Polizei legte sich auf die Lauer: _(Oben: nach der Festnahme im Juli 1976 ) _(mit Polizeibeamten in Athen; ) _(unten: Kustos mit der Monstranz aus der ) _(wiedergefundenen Beute. )
Als Pohle, der unter dem Falschnamen Adolfo Lopez Christobald Frendle im Hotel »Ilion« abgestiegen war, am Kiosk auftauchte und von der Verkäuferin identifiziert wurde, ließen ihn die Polizisten erst noch geruhsam zu Abend essen und griffen dann zu. Der damalige BKA-Chef Herold lobte »die sehr intelligente Art und Weise« der Aktion.
Dabei hat Mauss vom Terrorismus wenig Ahnung. Im Gespräch kann er »Revolutionäre Zellen« und die »Bewegung 2. Juni« nicht auseinanderhalten. »Politik interessiert mich nicht«, sagte er dem SPIEGEL. Daß er bei der Terrorismusfahndung hinzugezogen wurde, empfand er nachgerade als »Zwangsversetzung«. Das sei ihm alles »so fremd«.
Der frühere nordrhein-westfälische Sozialminister Friedhelm Farthmann hatte mit dem Zwangsversetzten einmal zu tun. Farthmann machte kurz nach Pohles Verhaftung Urlaub auf Korfu, als er im Hotel einen Hinweis vorfand, die Direktion anzurufen. Farthmann: »Dort meldete sich jemand mit der Bemerkung, es spreche die deutsche Polizei.« Es waren Mauss und Frau.
Mauss teilte mit, er komme im Auftrag von Herold und habe ihn vor einem Terroristenanschlag zu warnen. Auf Farthmanns Frage, ob er sich ausweisen könne, habe Mauss entgegnet, er habe mehrere Ausweise, er könne sich aber auf ihn verlassen, er könne ja auch bei Herold anrufen. Farthmann brach seinen Urlaub ab.
Einen Vorteil hatten solche ungeliebten Aktionen für Mauss: Er mußte keine internen Konflikte befürchten, die bei der Verfolgung gewöhnlicher Krimineller immer wieder auftraten, weil die Polizeiinteressen und die Interessen des Privatdetektivs doch mal kollidierten.
Zwar wurde dem V-Mann Mauss, dem mal Tarnpapiere, mal eine Maschinenpistole abhanden kamen, schon in den siebziger Jahren vom BKA eine Abmahnung erteilt. Auch wurde ihm »klar erläutert«, wie es in einem BKA-internen Aktenvermerk heißt, »daß bei den Polizeidienststellen der Länder und Kommunen Vorbehalte gegen seine Person und seine Mitarbeit bestehen, die insbesondere darauf beruhen, daß Herr M. immer wieder versucht hat, die Aktionen der Polizei in seinem Sinne zu steuern«.
Aber die Bedenken der Polizei verflogen, wenn sie mit herkömmlichen Ermittlungsmethoden nicht weiterkam - wie bei der Suche nach dem gestohlenen Kölner Domschatz. Als das Mobile Einsatzkommando (MEK) Anfang 1976 bei der Observation eines verdächtigen Jugoslawen die Zielperson aus den Augen verlor, kam Mauss zum Zuge.
Wiederum für die Versicherung wie für die Polizei tätig, schlüpfte Mauss in die Rolle des Hehlers Jacques. Äußerst geschickt arbeitete er sich über Mittelsmänner in Italien an die Verdächtigen, drei Jugoslawen, heran. Erst entlockte er zweien den Aufenthalt des dritten in Belgrad, dann luchste er diesem gegen etliche Tausender ein paar Stücke aus der Kölner Beute ab - und bugsierte sie den anderen beiden ins Auto.
Prompt flogen die beiden, die er selber unter einem Vorwand auf Reisen geschickt hatte, in der Schweiz auf, worauf sie der Polizei steckten, daß der dritte im Begriff sei, nach Italien zu reisen, »um dort die Beute an den Hehler Jacques zu verkaufen«; auch der dritte wurde festgenommen, in Mailand.
Geführt wurde Jacques/Mauss bei dieser Aktion von dem später in eine Betrugsaffäre verwickelten BKA-Hauptkommissar Hans-Georg Haupt. Und vom Bundeskriminalamt wurde der V-Mann auch weiter eingesetzt, »bis etwa 1979«, wie BKA-Chef Heinrich Boge erklärt. Mauss blieb immer im Geschäft, unbeschadet auch des Umstandes, daß mindestens sechs Strafanzeigen bei verschiedenen Staatsanwaltschaften gegen ihn vorlagen.
Eine der Anzeigen stammt aus dem Jahre 1982, als sich Mauss mit einem Raubüberfall befaßte, der in Pforzheim verübt worden war. Opfer war ein Juwelenhändler, der mit zwei Frauen auf einen Kunden wartete. Beute: Brillanten im Wert von 1,2 Millionen Mark.
Mauss fand, der Überfall sei vorgetäuscht worden, der Juwelenhändler habe in Wirklichkeit nur für maximal 100 000 Mark Diamanten dabeigehabt; die beiden Frauen seien in die Sache verwickelt. Prompt wurden die Überfallenen verhaftet. Bei einer der Frauen fand die Polizei Drogen. Doch die Ermittlungen gegen den Juwelenhändler mußten wieder eingestellt werden, und in der Drogensache sah der Richter mildernde Umstände - weil V-Mann Mauss die Drogen erst beschafft hatte. Die Folge: Strafanzeige gegen Mauss.
Ein Raubüberfall auf einen Juwelier - oder was man dafür halten konnte - war es auch, der einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß in Niedersachsen beschäftigte: eine Kriminalgeschichte, die sich zur Polizeiaffäre ausweitete.
Am 31. Oktober 1981 war der Juwelier Rene Düe in seinem Geschäft in Hannover gefesselt und mit blutigem Schädel aufgefunden worden, anderthalb Zentner Preziosen im Einkaufswert von 13,5 Millionen Mark waren weg - ein Fall, der die »Mannheimer Versicherung AG«, die für den Schaden hätte aufkommen müssen, veranlaßte, den Detektiv Mauss einzuschalten: Raub oder vorgetäuschter Raub?
Unter dem Decknamen Claude machte sich Mauss als Urlauber in Australien an die Düe-Schwester Marion und deren späteren Ehemann Achim Busse heran und wurde, als netter Bekannter, auch dem Juwelier Düe vorgestellt. Der fand den weltläufigen Mann alsbald »sehr sympathisch«, zumal Claude offensichtlich des Juweliers Ärger darüber teilte, daß die Mannheimer Versicherung immer noch nicht gezahlt hatte. Hilfreich steuerte Claude denn auch eine Idee bei: Ob denn nicht noch ein paar Schmuckstücke vorhanden seien, die er, Claude, auffliegen lassen könnte - damit wäre der Verdacht der Selbstberaubung von Düe genommen und die Versicherung müsse zahlen.
Woher auch immer der Juwelier Düe fünfzehn Schmuckstücke aus dem vermeintlich geraubten Gut aufbrachte - als er die Waren über einen Mittelsmann Claude zuspielen wollte, griff die von Mauss alarmierte Kriminalpolizei zu. Im Januar 1984 verurteilte die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Hannover den Juwelier »wegen Vortäuschens einer Straftat, versuchten Betruges und veruntreuender Unterschlagung« zu sieben Jahren Freiheitsentzug (der Bundesgerichtshof hob das Urteil später auf; die Sache muß neu verhandelt werden).
Daß dieser Fall nicht wie die meisten anderen Fälle einfach dem Erfolgskonto des Claude alias Mauss hinzugeschlagen werden konnte, hängt damit zusammen, daß im Verlaufe des Düe-Prozesses die überaus fragwürdigen Methoden des V-Mannes aktenkundig und öffentlich gemacht wurden. Das Urteil beschreibt
präzise, wie die Grenzen zwischen staatlicher Strafverfolgung und ziviler Sachaufklärung verwischt wurden, wenn Claude tätig war. _____« So veranlaßte »Claude«, daß den Zeugen Busse und » _____« Marion Düe über den damaligen Leiter des Verkehrsbüros in » _____« Hannover ... zwei Flüge nach Australien zur Verfügung » _____« gestellt wurden. Die Flugkosten und die Spesen wurden von » _____« der Mannheimer Versicherung getragen. Die Kriminalbeamten » _____« ... riefen diese Auslagen sowie auch spätere Spesen und » _____« Kosten bei der Mannheimer Versicherung ab ... »
Die Polizei begnügte sich dabei mit der Statistenrolle, die Claude/Mauss ihr zugewiesen hatte. _____« Der V-Mann »Claude« ... machte nur gegen den » _____« Angeklagten und seine Familienangehörigen gerichtete » _____« Mitteilungen gegenüber der Polizei und leitete Maßnahmen » _____« ein, er trug jedoch nicht zur Aufklärung des Falles in » _____« der Weise bei, daß er z. B. Angaben zu angeblichen » _____« Mittätern oder Hintermännern machte. »
Das Gericht wollte Claude, der sich zu dieser Zeit auch Nelson nannte, dazu näher befragen, aber das machte Schwierigkeiten. Das niedersächsische Innenministerium als oberste Polizeibehörde teilte der Strafkammer mit, der Zeuge Claude dürfe nur vernommen werden, wenn Zeit und Ort vom Landeskriminalamt bestimmt würden und auf Befragung zur Person verzichtet werde. Erforderlich sei ferner »Totalausschluß der Öffentlichkeit« sowie »Herrichtung des Vernehmungsraumes dergestalt, daß die Verfahrensbeteiligten keinen Sichtkontakt zu dem Zeugen haben«.
Nur so, durch Mikrophonverbindung in ein Nebenzimmer, konnte die Strafkammer den ominösen Claude zweimal vernehmen - nicht etwa im Gerichtsgebäude, sondern in einer hannoverschen Polizeikaserne. Aber die Befragung hatte bald ein Ende: Claude erschien zu einem dritten Termin nicht mehr, worauf dem Vorsitzenden Richter denn doch der Geduldsfaden riß:
»Ich habe mich bisher zurückgehalten. Ich habe so etwas in meiner Praxis noch nicht erlebt. Man läßt die Strafkammer im Regen stehen. Ich will das einmal sagen, damit das für die Öffentlichkeit klar wird. Wir sind zur Wahrheitsfindung verpflichtet. Wir haben eine Aufklärungspflicht. Mir werden die Mittel dazu versagt. Wir werden diesen Herrn Nelson ausschreiben zur Fahndung.«
Das nützte auch nichts. Der Vorführungsbefehl war unter der Adresse Nelson, Borwiese 5, 5581 Altstrimmig, Kreis Cochem/Zell, nicht zu vollstrecken. Nelson antwortete nicht, das Landhaus unweit der Mosel schien nicht mehr bewohnt, sein Privatzoo war verwaist. Bei seinen Tieren, Muffelwild, Steinböcken, auch Pfauen, pflegte Mauss früher gern zu verweilen, »um den Schmutz unter der Woche in dieser frischen Luft loszuwerden«. So sehr widerte ihn der Umgang mit »Dreckskerlen« mitunter an, daß er das Bedürfnis hatte, sich »richtig zu waschen«.
Er ist überhaupt für Ordnung. »Penibel wie ein Buchhalter«, wie er sagt, hat Mauss bislang jeden Abend einen »Tagesbericht« über seine Aktivitäten zu Papier gebracht und, Kopie an die jeweiligen Auftraggeber, in sein Privatarchiv geheftet. Er muß eine füllige Ablage haben. Seit 20 Jahren hat er schon mit den »Dreckskerlen« zu tun. Nun geht es wohl zu Ende mit dem Geschäft.
Der fortwährende Skandal seiner angemaßten Strafverfolgungspraktiken, der sich dank der BND-Verwicklung zur Staatsaffäre ausgewachsen hat, dürfte die Kundschaft abschrecken. Schiere Existenzängste beginnen den Mann zu plagen, der allein für die Entdeckung der Sevesogift-Fässer 300 000 Mark bekommen haben soll, aber bislang, wie er beteuert, »keine Reichtümer« angesammelt hat.
Die beträchtlichen Summen, die er kassiert hat, nehmen sich aus seiner Warte eher bescheiden aus - lediglich 15 000 Mark monatlich habe er von den Sachversicherern bekommen, plus Spesen, aber die hat er »auch wirklich verbraucht«. Wie er denn bloß seinen Lebensabend finanzieren solle, war schon immer ein Thema, mit dem er seine Gäste langweilte. Nun dürfte es ihn noch stärker beschäftigen - keine Rente und alle Versicherungen auf eigene Kosten, wer soll das bezahlen?
Ganz ausgeschlossen ist ja auch nicht, daß der Staat seine schützende Hand von ihm zurückzieht, und wer weiß, ob ihm nicht doch noch einer begegnet, den er ans Messer geliefert hat. Wer ihn sucht, kann selbst den grauen Mauss sicher identifizieren. Besonderes Kennzeichen: fehlende Fingerkuppe am rechten Zeigefinger.
Oben: nach der Festnahme im Juli 1976 mit Polizeibeamten in Athen;unten: Kustos mit der Monstranz aus der wiedergefundenen Beute.