»DER DOKTOR GIBT EUCH JETZT EINE SPRITZE«
Den 7. Mai 1945. Der Chef der vierten Abteilung der Abwehrverwaltung »Smersch« der Ersten Weißrussischen Front, Oberstleutnant Wassiljew, hat den Kriegsgefangenen der deutschen Wehrmacht Helmut Kunz vernommen, wobei Untersuchungsrichter Oberleutnant Wlassow die Übersetzung ins Deutsche und aus dem Deutschen besorgte ...
Frage: Erzählen Sie etwas eingehender, was mit Goebbels und seiner Familie passiert ist.
Antwort: Am 27. April d. J. traf ich vor dem Abendessen Frau Goebbels zwischen acht und neun Uhr im Korridor am Eingang zu Hitlers Bunker. Sie sagte mir, daß sie mich in einer sehr wichtigen Angelegenheit sprechen möchte, und fügte gleich hinzu, die Situation sei jetzt so, daß wir wahrscheinlich sterben müßten. Deshalb bat sie mich, ihre Kinder töten zu helfen. Ich gab mein Einverständnis.
Nach diesem Gespräch führte mich Frau Goebbels in das Kinderschlafzimmer und zeigte mir alle ihre Kinder. Die Kinder machten gerade Anstalten, zu Bett zu gehen, und ich sprach mit keinem von ihnen. In dem Augenblick, als die Kinder zu Bett gingen, kam Goebbels herein, wünschte den Kindern eine gute Nacht und verschwand wieder.
Ich hielt mich etwa zehn bis 15 Minuten im Zimmer auf, dann wurde ich von Frau Goebbels verabschiedet, und ich ging zurück zu meinen Praxisräumen, die in einem der Bunker lagen, ungefähr 500 Meter von dem Bunker entfernt, wo sich Hitler, Goebbels und die anderen Personen des Führerhauptquartiers aufhielten.
Am 1. Mai d. J. gegen vier bis fünf Uhr nachmittags wurde ich in der Praxis von Frau Goebbels angerufen; sie sagte, es sei schon viel Zeit verstrichen, und bat mich, sofort zu ihrem Bunker zu kommen. Dann ging ich zu ihr, nahm aber keine Medikamente mit. Als ich Goebbels' Wohnräume betrat, sah ich ihn selbst, seine Frau und den Staatssekretär des Propagandaministeriums, Naumann, im Arbeitszimmer, wo sie sich über irgend etwas unterhielten.
Ich wartete etwa zehn Minuten vor der Tür des Arbeitszimmers, bis Goebbels und Naumann weggingen. Dann bat mich Frau Goebbels hinein und teilte mir mit, die Entscheidung sei nun gefallen (sie meinte den Entschluß zur Tötung der Kinder), denn der Führer sei schon gestorben, und die Truppen würden ungefähr um acht bis neun Uhr einen Durchbruch versuchen. Deshalb müßten wir sterben, wir hätten keinen anderen Ausweg.
Im Laufe des Gesprächs bot ich Frau Goebbels an, die Kinder ins Lazarett zu schicken und unter den Schutz des Roten Kreuzes zu stellen. Aber sie war damit nicht einverstanden und sagte, die Kinder sollten lieber sterben.
Etwa nach 20 Minuten, als wir noch miteinander sprachen, kam Goebbels in sein Arbeitszimmer zurück und wandte sich an mich mit den Worten: »Doktor, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie meiner Frau helfen würden, die Kinder »einzuschläfern.« Ebenso wie seiner Frau bot ich auch Goebbels an, die Kinder im Lazarett unterzubringen und unter den Schutz des Roten Kreuzes zu stellen. Er antwortete jedoch: »Das geht nicht, es sind doch die Kinder von Goebbels!« Danach ging Goebbels, und ich blieb bei seiner Frau, die sich etwa eine Stunde lang mit Kartenlegen beschäftigte.
Nach etwa einer Stunde kam Goebbels wieder zu uns, zusammen mit dem stellvertretenden Gauleiter von Berlin, Schach ...
Als Schach gegangen war, sagte Frau Goebbels: »Unsere Truppen ziehen nun weg, die Russen können jede Minute hier sein und uns stören. Deshalb müssen wir uns mit der Sache beeilen.«
Als wir, d. h. Frau Goebbels und ich, das Arbeitszimmer verließen, saßen zwei mir unbekannte Personen in Uniform im Vorzimmer, einer von ihnen hatte die Hitlerjugenduniform an; wie der andere gekleidet war, kann ich mich nicht mehr erinnern. Goebbels und seine Frau verabschiedeten sich von den beiden, wobei diese Unbekannten fragten: »Und wie haben Sie sich entschieden, Herr Minister?« Goebbels erwiderte nichts, und seine Frau erklärte: »Der Gauleiter von Berlin und seine Familie bleiben in Berlin und werden hier sterben.«
Nach dem Abschied von den genannten Personen kam Goebbels in sein Arbeitszimmer zurück, und ich ging mit seiner Frau zu ihrer Bunkerwohnung. Im Vorzimmer nahm Frau Goebbels eine mit Morphium gefüllte Spritze aus dem Schrank und gab sie mir. Dann betraten wir das Kinderschlafzimmer, die Kinder lagen schon im Bett, schliefen aber noch nicht.
Frau Goebbels sagte zu den Kindern: »Kinder, habt keine Angst, der Doktor gibt euch jetzt eine Spritze, die jetzt alle Kinder und Soldaten bekommen.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer. Ich blieb dort allein und spritzte das Morphium ein -- zunächst den beiden älteren Mädchen, dann dem Jungen und den übrigen Mädchen.
Ich spritzte am Unterarm unter dem Ellenbogen je 0,5 ccm ein, um die Kinder schläfrig zu machen. Das Spritzen dauerte acht bis zehn Minuten, dann ging ich wieder ins Vorzimmer, wo ich Frau Goebbels antraf. Ich sagte zu ihr, man müsse etwa zehn Minuten warten, bis die Kinder eingeschlafen seien. Gleichzeitig sah ich auf die Uhr. Es war 20.40 Uhr (am 1. Mai).
Nach zehn Minuten ging Frau Goebbels in meiner Begleitung ins Kinderzimmer hinein, wo sie sich etwa fünf Minuten aufhielt und jedem Kind eine zerdrückte Ampulle mit Zyankali in den Mund legte. (Jede Glasampulle enthielt 1,5 ccm Zyankali.) Als wir in das Vorzimmer zurückkamen, erklärte sie: »Jetzt ist Schluß mit allem.«
Dann ging ich mit ihr zum Arbeitszimmer von Goebbels hinunter, wo wir ihn in einem sehr nervösen Zustand, im Zimmer auf und ab gehend, antrafen. Beim Betreten des Arbeitszimmers sagte Frau Goebbels: »Mit den Kindern ist es vorbei, jetzt müssen wir an uns selber denken.« Goebbels erwiderte: »Wir müssen uns beeilen, denn wir haben wenig Zeit.« Dann sagte Frau Goebbels: »Hier im Bunker wollen wir nicht sterben«, und Goebbels fügte hinzu: »Es ist klar, wir gehen in den Garten hinaus.«
Frage: Wo konnte Frau Goebbels Giftstoffe (Zyankali) bekommen?
Antwort: Frau Goebbels selbst teilte mir mit, daß sie das Morphium und die Spritze von Stumpfegger, dem zweiten Arzt Hitlers, bekommen habe. Woher sie die Ampullen mit Zyankali hatte, weiß ich nicht ...
Frage: Haben Sie allein an der Tötung der Kinder von Geebbeis teilgenommen?
Antwort: Ja, ich allein.
Kunz wurde am 19. Mai noch einmal vernommen.
Frage: ... Die Untersuchungsrichter haben Angaben vorliegen, daß Ihnen Dr. Stumpfegger bei der Tötung der Kinder von Goebbels geholfen hat. Können Sie das bestätigen?
Antwort: Ja, ich gebe zu, daß ich während der Untersuchung falsche Aussagen über die Umstände der Tötung der Kinder von Goebbels gemacht habe. Es ist wahr, daß Dr. Stumpfegger mir dabei geholfen hat. Die genauen Umstände der Tötung der Kinder von Goebbels waren so:
Nachdem ich allen Kindern Morphium eingespritzt hatte, ging ich aus dem Kinderschlafzimmer in den benachbarten Raum hinaus und wartete dort zusammen mit Frau Goebbels ab, bis die Kinder eingeschlafen waren. Sie bat mich, ihr zu helfen, den Kindern das Gift zu geben. Das lehnte ich ab und sagte, daß ich dazu nicht genug seelische Kraft hätte. Dann forderte mich Frau Goebbels auf, Dr. Stumpfegger, den ersten Begleitarzt von Hitler, zu holen.
Nach drei bis vier Minuten fand ich Stumpfegger, der im Bunker Hitlers im Speisezimmer saß, und sagte zu ihm: »Doktor, Frau Goebbels bittet Sie, zu ihr zu kommen.« Als ich mit Stumpfegger in den Vorraum zum Kinderschlafzimmer kam, wo ich Frau Goebbels zurückgelassen hatte, war sie nicht mehr dort, und Stumpfegger ging gleich in das Schlafzimmer. Ich aber wartete im Nebenzimmer. Nach vier bis fünf Minuten kam Stumpfegger mit Frau Goebbels aus dem Kinderzimmer heraus, er ging gleich weg, ohne mir auch nur ein Wort zu sagen. Frau Goebbels sagte auch nichts und weinte nur ...
Frage: Warum haben Sie sich bei vorherigen Verhören über die Beteiligung Dr. Stumpfeggers an der Tötung der Kinder von Goebbels ausgeschwiegen?
Antwort: Die Ereignisse in den letzten Tagen vor der Kapitulation der deutschen Truppen in Berlin haben mich sehr mitgenommen, und ich habe diesen Umstand einfach ohne jede Absicht aus dem Blick verloren.