FERNSEHEN / WILMENROD Der Doppelkopf
Vor einigen Tagen konnten sich die 2,7 Millionen Abonnenten des bundesdeutschen Fernsehens zum 130. Male an einer Sendereihe delektieren, die den Zuschauern seit 1953 in regelmäßigen Abständen serviert wird. Sogar der seit vier Jahren periodisch wiederkehrende Einblick in den Mikrokosmos bundesdeutschen Familienlebens, dargestellt von der Normalverbraucher-Familie Schölermann, wird von dieser Standardleistung des Nord- und Westdeutschen Rundfunkverbandes an Lebensdauer noch übertroffen.
Vor allem sind es die perfekten Hausfrauen, die dieser institutionellen 15-Minuten-Sendung immer noch Geschmack abgewinnen, obwohl das Arrangement mittlerweile nicht mehr originell wirkt, sondern manieriert. Auf dem Bildschirm erscheint jedesmal ein menjoubärtiger 52jähriger Bonvivant, der seine Darbietung vertraulich lächelnd mit den Worten »Verehrte Feinschmeckergemeinde« einleitet und dann ein Feinschmeckermahl ankündigt, das er in einer kleinen Brutzelküche zubereitet.
Während er mit modernen Kleinküchengeräten hantiert, die er oft ergänzt - wohl um zu zeigen, wie vielseitig die Produktion der Haushaltsgeräte-Industrie ist -, unterhält er sein Publikum mit kabarettistischen Späßen und Kalauern. Mitunter begleitet er seine Handgriffe auch mit einem kulinarischen Kommentar oder, wie zu Pfingsten, als er einen »Tabule« genannten arabischen Kräutersalat kreierte, mit einer Plauderei über die Jagdgründe, in denen er bisweilen nach Rezepten pirscht.
Der Nimrod der Fernsehküche nennt sich Clemens Wilmenrod; laut Paß trägt er jedoch den Namen eines gefiederten Haustieres, das der televisionäre Koch- und Bratexperte in gerupftem Zustand gern den Infrarotstrahlen seines Grillapparats »Heinzelkoch« aussetzt. Er heißt nämlich schlicht Carl Clemens Hahn und stammt aus dem Westerwalddorf Wilmenrod. Da ihm der Geflügel-Name zu prosaisch erschien, benutzt er den klangvolleren Ortsnamen - allerdings nur für sein künstlerisches Spezialgewerbe.
Der Fernsehkoch ist nämlich gar nicht Koch, sondern Schauspieler. Aber diese Berufsbezeichnung deckt nicht alle Sparten, in denen sich der vielseitige Mime betätigt, nachdem er sich als Bonvivant und Charakterkomiker auf kleinen Bühnen abgestrampelt hatte. Mit seiner Koch-Kabarettistik konnte er sich im Fernsehen wieder hochspielen; gleichzeitig bemächtigte er sich einer Charge, die von westdeutschen Firmen mit einträglichen Gagen honoriert wird.
Die Popularität, die der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod genießt, veranlaßte nämlich viele Werbechefs der Lebensmittel- und Haushaltsgeräte-Industrie, ihm eine Nebenbeschäftigung als Reklamezugpferd einzuräumen. Diese Hand- und Spanndienste wurden mittlerweile für Wilmenrod zur Hauptbeschäftigung. Er kann sich, wie er selbst erzählt, der vielen Werbeaufträge kaum erwehren. Immer mehr Firmen bestellen bei ihm Slogans und Spezialrezepte für ihre Werbetraktate und Reklamebroschüren; meist stellt er - gegen einen angemessenen Aufpreis - auch sein Photo zur Verfügung.
Sagt Wilmenrod: »Die Angebote sind derart zahlreich, daß ich bis zum äußersten sieben und wählerisch sein kann. Ich würde zum Beispiel selbst für 100 000 Mark kein Rezept mit Margarine liefern. Dann würde der Nimbus zerplatzen. Wo ich mich attachiere, sind nur Spitzenqualitäten« - gleichgültig, ob es sich um eine Schmelzkäsesorte, um Fischkonserven oder Kühlschrankmarken handelt.
Die blühenden Übertreibungen der Werbetexter, für die Wilmenrod seine Figur zur Verfügung stellt, und die steigenden Einnahmen aus seinen Reklameaufträgen hoben das von Natur stark entwickelte Selbstbewußtsein des kochenden Schauspielers, der völlig in seiner einträglichen Starrolle aufging.
Wie hoch er sein Amateurtalent einschätzt, bekundete er bei einem Besuch in Kiel, wo er sich in das Gästebuch des Honoratioren-Restaurants »Kieler Kaufmann« als »Bundesfeinschmecker Clemens Wilmenrod« eintrug. Kurz vorher - während des CDU-Parteitags - hatte sich in dem Buch eine andere Bundesgröße verewigt: Konrad Adenauer.
»Sie müssen wissen, daß ich einen sechsten Sinn habe, was die Gourmandise angeht«, so schmeichelt sich Wilmenrod selbst, wobei er das banale Fremdwort wie Parmesankäse auf der Zunge zergehen läßt: »Man könnte mich mit dem Fallschirm über einer mandschurischen Stadt abwerfen. Ich würde, wenn ich etwas essen möchte, genau in das Wirtshaus mit der besten Küche hineintrudeln. Wenn mir am nächsten Tage jemand dazu riete, wäre ich schon dagewesen.«
Diesen selbstgewebten Nimbus machte er mit seiner kulinarisch-literarischen Produktion erst recht populär. Wilmenrod veröffentlichte bisher drei feuilletonistisch zubereitete Kochbücher, in die er Lebens- und Liebesregeln, Reiseerlebnisse und Hinweise auf gute Verdauung und amouröse Erlebnisfähigkeit hineinkomponierte*. Der Hamburger Verleger Kurt Ganske, Inhaber des Hoffmann und Campe Verlags, ließ von Wilmenrods Büchern bisher 150 000 Exemplare drucken; die ersten Auflagen waren sehr schnell vergriffen. Viele Hausfrauen legten Wert darauf, ihren Wilmenrod im Küchenschrank zu haben.
In seinem ersten Opus berichtet der Autor von einem Säugling, der vor 52 Jahren die Windeln benetzte. Der Schreihals sei »in seiner Verwandtschaft dafür berühmt gewesen, daß er die Flaschenmilch zurückwies, wenn sie - für keine noch so feine Zunge seiner Umgebung erkennbar - zu säuern begann. Dieser Knabe war ich. Das Kind, das in tiefer ländlicher Einsamkeit aufzuwachsen das Glück hat, wird von der Natur mit einem unschätzbaren Geschenk bedacht. Ihm schärfen sich Auge und Ohr in bedeutendem Maße; früh ahnt es, was Sonne, Mond und Sterne sind, was Tiere und - was Menschen«.
Das ihm von Geburt anhaftende Talent, feinstzuschmecken, habe ihn später veranlaßt - so deutet Carl Clemens Hahn alias Wilmenrod seinen Drang zum Küchenherd -, »die praktische Kunst der Küche zu studieren«, freilich ohne damit professionelle Absichten zu verbinden, denn in seiner Jugend habe seine ganze Leidenschaft nur den Musen gegolten.
Der Müllers- und Musensohn besuchte zunächst ein Konservatorium in Limburg an der Lahn: »Ich war eine pianistische Hoffnung, es war aber nur eine Pubertätsbegabung.« Dann ging er bei der Düsseldorfer Veteranin der Schauspielkunst, Louise Dumont, in die Lehre und debütierte auch in ihrem Privattheater, dem Dumontschen Schauspielhaus. Darauf folgten Hunger- und Wanderjahre. Während eines Anfänger-Engagements in Stendal mußte sich Wilmenrod - wegen der bescheidenen Gage - mit Nahrung begnügen, die seine feine Zunge beleidigte.
Das änderte sich erst, als ihn 1935 das Residenztheater Wiesbaden engagierte. Von dort aus besuchte er oft seine Schwester Gertrud im Westerwald und nahm bei ihr praktischen Kochunterricht. »Mit Kriegsbeginn«, so schildert der spätere Fernsehkoch die nächste Phase seiner kulinarischen Ausbildung, »wechselte ich an das Komödienhaus nach Dresden über und wurde dort von höchst theaterfrommen ausländischen Studenten der Technischen Hochschule mit Bergen von Zigaretten überhäuft, die ein begehrtes Tauschobjekt für Lebensmittel waren.
»Das Gewonnene allerdings mußte zu Hause in aller Stille bereitet werden. Meine Junggesellenküche wurde zur Künstlerwerkstatt. Und zu den reizenden Gespielinnen, die einem im Laufe eines langen Lebens begegnen, gesellte Amor, der Schelm, eine bezaubernde Französin, mit der ich nicht nur, sondern auch in gastronomische Beziehungen trat. Sie polierte mich - küchentechnisch - auf Hochglanz. Unsere Parties waren geheim, aber berühmt.«
Die französische Gespielin, die eine Pariser Kochakademie absolviert hatte, regte den Schauspieler an, alle nur erreichbaren Rezepte und Speisekarten zu sammeln. Wilmenrod: »Die feinsten Nuancen stammten von ihr selbst.« Diese Sammlung überstand den Krieg unversehrt, während Wilmenrod durch einen sowjetischen Scharfschützenschuß am Ohr perforiert wurde ("Da können Sie eine Zigarette durchstecken"), nachdem er noch 1945 zu den Panzergrenadieren einberufen worden war.
Seine Kriegserlebnisse wollte der amateurschriftstellernde 111-Tage-Krieger unter dem Titel »Ohne mich« veröffentlichen, »aber kein Verleger«, behauptet Wilmenrod, »hatte den Mut, die 400 Skriptseiten zu drucken, obwohl sie von zwölf Verlagsleuten in Fiebernächten gefressen wurden«.
Nach dieser Enttäuschung konzentrierte er seine Fähigkeiten wieder auf Bühne und Amateurkocherei. Als ihn das Hessische Staatstheater nach Wiesbaden engagierte, fand er in der weinfrohen Umgebung genügend Gelegenheiten, seine Rezept- und Speisenkartensammlung fortzusetzen. Auf jeder Party bewies er einen unwiderstehlichen Hang zum Küchenpersonal.
»Wenn wir zum Beispiel bei Kupferbergs (der Sekt-Dynastie) eingeladen waren«, so erinnert sich ein Freund des Hobbykochs, »verschwand er nach dem Essen plötzlich in der Küche, um der Köchin einige Rezepte abzuschmeicheln, die er in ein mit rotem Leder bezogenes Notizbuch eintrug, das er ständig mit sich führte.« Gelegentlich praktizierte er auch nach diesen Regieanweisungen; so briet er beispielsweise während der allgemeinen Hungerjahre bei einem Wiesbadener Entenzüchter für auserlesene Gäste Mastenten.
In der Nachbarstadt Mainz konnte er seine Weinkenntnisse vervollkommnen, nachdem er einer exklusiven Stammtischkumpanei beigetreten war, die sich »Die schwarzen Säue« nannte und die uralte Weinbeize Wilhelmi zu ihrem Lieblingsgehege erkoren hatte.
In diesen anstrengenden Jahren des systematischen Studiums von Küche und Keller fand Wilmenrod eine neue Gespielin, die Verständnis für sein Hobby hatte: die Tochter Erika des Wiesbadener Metzgermeisters Klink, in deren Familienkreis er sich ausführlich über die erlesensten Stücke von Rind, Schwein und Hammel informieren konnte.
Der Metzgermeister ließ es nicht bei dieser Aufklärung bewenden - er gab dem wißbegierigen Junggesellen seine Tochter zur Frau, ungeachtet der Gefahr, daß der Feinschmecker später seine Geschmacksrichtung wechseln und wieder Sehnsucht nach fremden Küchen bekommen könnte. (Die Ehe wurde 1958 geschieden, nachdem Wilmenrod den Gipfel seiner Hobbykoch-Karriere erreicht hatte.)
Mit seiner jungen Frau zog Wilmenrod 1951 nach Lübeck, wo er als Gastschauspieler engagiert worden war. Aber dort hielt er es nur wenige Monate aus. »Das ging mit Krach auseinander«, erinnert sich der Mime, »weil mir der Intendant Mettin eine Filmchance versaut hatte, indem er mich nicht beurlaubte. Dann reiste ich nach Spanien, legte mich drei Monate auf die Balearen und spielte anschließend im Hamburger ,Jungen Theater' den Redakteur in Thornton Wilders ,Unsere Kleine Stadt'. Das schlug ein. Ich bekam endlich Kontakt zum Rundfunk, der mich unter anderem mit Synchronisationen beschäftigte« - bis Wilmenrod plötzlich von einer Fernsehsendung fasziniert wurde:
»Meine Frau und ich sahen einen Berliner Giftforscher mit einer Schlange hantieren - in Großaufnahme. Man sah nur die Hände des Forschers, der das Tier kameragerecht placierte und ihm aus den triefenden Kiefern das glitzernde Gift entnahm. Es war aufregend im Höchstmaße. Nach Schluß der Sendung zerrte ich meine Frau in die nächste Kneipe. 'Stell dir vor', flüsterte ich, 'dieses Biest wäre ein Omelett gewesen.'«
Die sehr praktisch veranlagte Frau Erika begriff sofort: Wenn es für ihren Mann eine Chance gab, aus der Masse der unbedeutenden Schauspieler hervorzudringen, mußte er sie beim jungfräulichen Fernsehen suchen. Ein kochender Schauspieler hatte den Reiz der Originalität. Wenn man ihn vor die Fernsehkamera stellte - jeder Handgriff eine Großaufnahme -, könnte aus dem Hobby eine Institution werden, die des Fernsehkochs.
Die Wilmenrods offerierten ihre Idee dem Hamburger Fernseh-Intendanten Dr. Werner Pleister, der gerade an seinen ersten Fernsehprogrammen tüftelte und den Hobbykoch sofort zur Vorlage von Probetexten und zu Probeaufnahmen animierte.
Am 20. Februar 1953 debütierte Wilmenrod als Fernsehkoch mit einem Expreß-Menü, das er in zehn Minuten zubereitete: Fruchtsaft im Glas, Italienisches Omelett, Kalbsniere gebraten mit Konserven-Mischgemüse, Mokka. Die technische Leitung der Wilmenrod-Sendungen wurde zwei Fernsehleuten übertragen, die vorwiegend wegen ihres gastronomisch klingenden Namens für diese Aufgabe ausgewählt worden waren.
Der Chef vom Dienst hieß Küchenberg, Regisseur war Ruprecht Essberger, der jedoch die Regie bald an seinen Kollegen Alfred Johst abgab. Essberger konnte seine esoterische Geschmacksrichtung nicht mit Wilmenrods Kocherei in Einklang bringen. Er delektierte sich leidenschaftlich an Salzkartoffeln mit Bratensoße und Schokolade; wenn er aber Wilmenrod Zwiebeln oder Kohlköpfe schneiden sah, wurde ihm flau im Magen.
Intendant Pleister und andere Notabeln einschließlich des ehemaligen NWDR -Generaldirektors Adolf Grimme fanden Wilmenrod und seine Produkte großartig. Die wenigen tausend Fernsehabonnenten hatten damals noch keine Meinung. Sie bestaunten den modernen Zauberspiegel, ließen sich beflimmern und von Wilmenrod als »liebe, goldige Menschen« umschmeicheln. Die Zuschauerpost-Redaktion konnte aus den zunächst einlaufenden Briefen nur entnehmen, daß einige Damen der Gesellschaft es schick fanden, wenn Wilmenrod ihnen beispielsweise »Amerikanische Leber mit Sauerkraut« auf dem Fernsehschirm servierte. Etwas einfachere Gemüter ließen sich von dem traulichen Schwulst einfangen, mit dem Wilmenrod zum Beispiel am 8. Oktober 1954 eine kulinarische Heimatschnulze ("Hasenpfeffer à la Urban") zelebrierte.
»Ihr lieben, goldigen Menschen«, so begann er auch diese Sendung, »bevor ich mit dem Dichter ausrufen möchte: Macht Euch auf Ungewöhnliches gefaßt', sei noch erwähnt, daß der ,Hasenpfeffer à la Urban' ein Traditionsgericht aus meiner Verwandtschaft ist. Dort auf dem Westerwald wurde er einst geschaffen - von der Frau eines Jägermannes. Diese gute Frau, die längst der Rasen deckt, war die Schwiegermutter meiner Schwester. Sie gab dieses gewaltige Rezept an die Frau ihres einzigen Sohnes weiter...«
Die Fernseh-Kochrezepte entnahm Wilmenrod meistens seiner eigenen Sammlung, oder er schöpfte sie aus den etwa 200 Standardwerken der internationalen Kochkunst, beispielsweise aus den kulinarischen Enzyklopädien des französischen Küchenmeisters Pellaprat ("Ratschläge aller großen Küchenmeister Frankreichs") und des »Kaisers der Köche«, Auguste Escoffier* ("Der Kochkunstführer").
Echte kulinarische Neuschöpfungen sind selten. Plaudert Wilmenrod aus der Rezeptfabrik: »Wenn Sie heute in einem Hamburger Restaurant Krabben à la Dubarry essen und schmeicheln dem Koch das Rezept ab, so können Sie dasselbe getrost in einem anderen Restaurant als Krabben à la Joséphine deklarieren. Sie müssen nur eine der Ingredienzen weglassen, dann kann er (der Inhaber des Originalrezepts) schon nichts mehr machen.«
In seinen eigenen Rezept-Bestsellern verbreitet Wilmenrod die Version, daß »die weitaus meisten der gesendeten Rezepte meine eigene Erfindung sind«. Dabei sei ihm seine Naturbegabung sehr zustatten gekommen, schon beim Entwerfen eines neuen Rezepts den Geschmack eines fertigen Gerichts auf der Zunge zu spüren. Sein Talent sei etwa der begnadeten Fähigkeit des Komponisten vergleichbar, der sofort die Musik hört, wenn er Noten niederschreibt oder eine Partitur liest. Deshalb spricht und schreibt der Zungenmensch auch immer von »komponieren«, wenn er das Zusammenstellen eines Gerichts meint: Er weckt gern Erinnerungen an den italienischen Opernkomponisten Gioacchino Rossini, der auch als Amateurkoch Weltruf erlangte.
Oft habe er, so berichtet Wilmenrod über sich selbst, am Schreibtisch »komponiert« und die »Kompositionen« achtlos liegenlassen, bis sie von seiner Frau entdeckt und ausprobiert wurden. Wenn er das im Schaffensrausch erzeugte neue Gericht dann kostete, habe er sich jedesmal von dessen Wohlgeschmack überzeugen können. Die geschiedene Frau Erika erinnert sich allerdings nicht an solche Geniestreiche. Sie sagt schlicht: »Er hat oft in der Küche was zusammengebraut, und ich mußte es nachher essen und begutachten.«
Die Experimente am heimischen Herd waren notwendig, weil Wilmenrod jahrelang jeden Monat mindestens zwei Gerichte präsentieren mußte, die auf das Fernsehpublikum Eindruck machen sollten und die er im Schnellverfahren fabrizieren konnte. (Seit 1957 bietet der Nord- und Westdeutsche Rundfunkverband seinen Fernsehkunden nur noch einmal monatlich diesen Genuß.)
Als dem Schaukoch einmal nichts Attraktiveres einfiel, »komponierte« er ein Omelett aus einem Straußenei dessen Inhalt einem Brei aus etwa 30 Hühnereiern entsprach. Die Beschaffungsabteilung des Senders hatte Mühe, zwei Straußeneier - eines zur Probe, das andere zur Vorführung - aufzutreiben; schließlich lieferte ein Tierpark die Eier für 80 Mark das Stück.
Daß eine solche Vorführung für jede Hausfrau völlig wertlos war störte Wilmenrod nicht im geringsten: »Ich bin Schauspieler, ich muß wissen, was wirkt. Was ich sende, geht niemanden etwas an. Ob ich eine Süßspeise mache oder einen Fisch - oder was weiß ich, ist mir völlig anheimgestellt. Als Theatermensch weiß ich genau um die Figur, die von mir verkörpert wird; und was sie braucht, um am Leben zu bleiben.«
In der Tat nimmt die Programmdirektion nach dem Vertrag, den die Sendeleitung mit Wilmenrod abschloß, keinen Einfluß auf seine Themenauswahl. Er braucht den Text seines einstudierten Monologs erst eine Stunde vor Sendebeginn dem Regisseur vorzulegen. Nach kurzer Probe beginnt dann die Live-Sendung, die ihm - wie Regisseur Johst weiß - mit 800 Mark honoriert wird. Bei zwei Sendungen im Monat verdiente er mehr als ein Schauspieler in der Provinz; damit war seine Existenz gesichert.
Bald merkte der Kochspieler, daß er aus der Figur des Fernsehkochs mehr Münze ziehen konnte als aus der Sendung selbst. Die Figur wurde immer populärer, je mehr neue Fernsehteilnehmer registriert wurden; ihr war von der ersten Stunde an ein magisch wirkendes Zeichen aufgeprägt worden.
Berichtet Wilmenrod: »Ich hatte mir meine weiße Kochschürze vorgebunden, da kam fünf Minuten vor Beginn der ersten Sendung der Karikaturist Mirko Szewczuk mit dem Pinsel und sagte: Bleiben Sie mal stehen, das ist mir ein bißchen zu leer auf der Brust.' Machte mit schwarzer Farbe meinen Kopf druff; als die Sendung begann, da war der noch naß. Und der bleibt natürlich druff, dieser Kopf, in alle Ewigkeit.«
Der 1957 verstorbene Karikaturist hatte dem aufgehenden Fernsehstern ein Emblem zugespielt, mit dem sich Wilmenrod später der Lebensmittel- und Haushaltsgeräte-Industrie als lebendes Werbe- und Warenzeichen anbieten konnte. Die erste Firma, die den »Doppelkopf« für ihre Werbung einspannte, war die Flensburger Rumfirma H. H. Pott Nfgr. Der Fernsehkoch lieferte ihr für eine Reklame-Grogfibel fünf Rezepte und verkaufte ihr gleichzeitig sein Doppelkopf-Konterfei für Pott-Rum-Inserate (siehe Seite 47). Über den Preis schweigen sich Pott und Wilmenrod aus.
Der Umgang mit dem Flensburger Rum-Pott ermunterte Wilmenrod, seiner Fernsehgemeinde zu empfehlen, sich einen sogenannten Rumtopf zuzulegen, das heißt, verschiedene Früchte in einen irdenen Topf zu füllen und mit Rumverschnitt zu übergießen. Freilich sagte er nicht, daß Pott-Rum dafür der geeignetste Alkohol sei, aber er stupste die Fernsehteilnehmer auf die Marke, indem er beiläufig bemerkte, daß er seine Kenntnisse »bei einer guten Frau aus Flensburg« angereichert habe, »nämlich der Frau Hermine Pott, aus deren Tagebuch von Anno 1848 das berühmte Rumtopf-Rezept stammt«.
Während er mit Pott Werbegeschäfte machte, pries Wilmenrod den Rumtopf siebenmal in seinen Sendungen, und auch in seinen Büchern besang er ihn als Hausfreund: »Der Rumtopf verbreitet etwas von Wärme und Treue im Hause. Wenn man mal gelegentlich in den Keller kommt, um irgend etwas höchst Profanes zu erledigen, so steht er in der Ecke, der bunte irdene Topf, als ein lieber Freund... Wie könnte man das dunkle Gelaß verschließen, ohne ihn, den Guten, Stillen in der Ecke, begrüßt zu haben.«
Genauso eindringlich lenkte Wilmenrod vor Weihnachten 1957 das Augenmerk der Hausfrauen, die noch nicht ihren Festbraten besorgt hatten, auf eine delikate Möglichkeit: »Es gibt drei sympathische Tiere, die den Weihnachtstisch bei uns bestimmen, die Gans, der Karpfen und der Puter. Letzterer wurde vor langer Zeit von der Englisch sprechenden Welt bevorzugt ist aber jetzt auf dem Wege, auch den deutschen Weihnachtstisch zu erobern. Mit einem Wort in unserer Sprache gesagt: ,Der deutsche Puter marschiert', und das mit Recht«
Nach diesem Prolog zeigte Wilmenrod in einei Doppelsendung (zweimal 15 Minuten mit einstündiger Unterbrechung) die Zubereitung eines Puters. Der Effekt dieser Sendung war in den nächsten Tagen an den Umsätzen der Geflügelgeschäfte abzulesen. Die Vorräte reichten kaum aus, um die Nachfrage zu befriedigen.
Etwa eine Million Hausfrauen hatten die Sendung gesehen und auch im Bekanntenkreis davon berichtet. Der Weihnachtsputer wurde zu einem gesellschaftlichen Attribut. Wer etwas gelten wollte, aß nicht mehr Gans, sondern Puter. Die Puter-Welle, die Wilmenrod ausgelöst hatte, hielt sogar bis Weihnachten 1958 an.
Nur ein Fernsehteilnehmer - Rolf Bölts in Westerscheps, einem Dorf in der oldenburgischen Landschaft Ammerland -weiß, warum sich Wilmenrod plötzlich für den Puter einsetzte. Bölts besitzt die größte Geflügelfarm der westlichen Hemisphäre und ist Millionär in Enten und Puten. Jahresproduktion: eine Million Enten, 30 000 Puter. Beide schnellwachsenden Arten wurden in den USA gezüchtet und werden kontinuierlich mit amerikanischen Brut- und Schlupfmaschinen »hergestellt«; Versorgung und Reinigung sind vollautomatisiert. Die Enten sind in acht Wochen schlachtreif, die Puter in einem halben Jahr.
Da sich viele Hausfrauen - vor der Wilmenrod-Sendung - wegen der etwas komplizierten Zubereitung des bis zu zehn Kilo schweren Großgeflügels nicht an den Puter herangetraut hatten, hatte sich Bölts, wie er selbst berichtet, im Frühjahr 1957 an Wilmenrod mit der Bitte gewandt, dem
Fernsehpublikum die kunstgerechte Zubereitung eines Puters zu demonstrieren. Zur Ermunterung schickte ihm der Geflügel-Millionär mehrmals Zuchtexemplare, an denen sich Wilmenrod erproben konnte. Kurz vor Weihnachten, der konjunkturgünstigsten Zeit, servierte Clemens Wilmenrod dann seinen Puter mit Spezial-Füllung.
Die Funktionäre des Verbandes der Köche Deutschlands, -die diese Sendung kritisch beobachtet hatten, registrierten eine Anzahl Minuspunkte. Sagt der stellvertretende Vorsitzende der Hamburger Sektion des Köche-Verbandes, Heinz Behrmann: »Wilmenrod bewies, daß er nicht einmal einen Puter fachgerecht tranchieren kann. Er säbelte auf dem Brustbein des Puters herum und klopfte Sprüche, anstatt der Hausfrau zu zeigen, wie man die schmackhaften Fleischpartien geschickt vom Skelett löst.«
Außer Kritik erntete »Don Clemente«, wie sich Clemens Wilmenrod - stolz wie ein Spanier - gern nennen läßt, aber auch etwas goldene Handsalbe. Geflügelzüchter Böits ließ Wilmenrod an einer Rezeptbroschüre mitarbeiten, auf deren Umschlag der falsch tranchierende Wilmenrod abgebildet ist. Dafür bekam der Puter-Werber 1000 Mark. Einträglicher war der Verkauf von Rezepten für Werbezwecke der Obst- und Gemüsekonserven-Industrie. Eine nordrhein-westfälische Reklame-Agentur, die das Geschäft vermittelte, belohnte die Werbehilfe mit 2500 Mark.
Die Honorierung der Rezepte - ein Verrechnungsmodus, den Wilmenrod später in seiner Werbepraxis oft anwandte - steht nicht im Widerspruch zu den Buchstaben des Vertrags, den er mit dem Hamburger Sender abschloß. Danach darf der Kochspieler jedes Rezept nach der Fernseh-Uraufführung beliebig verwursten. Da es ihm auch freigestellt ist, welche Genußformel er televisionär darstellen will, ergaben sich daraus interessante Geschäftskombinationen, nachdem es sich unter den Geschäftsleuten herumgesprochen hatte, wie suggestiv Wilmenrods Sendungen auf den Lebensmittelmarkt einwirken.
Das Düsseldorfer Handelsblatt bemerkte schon 1954: »Die Fernsehküche des NWDR mit ihrem einfallsreichen Fernsehkoch hat eine ernste wirtschaftliche Seite... Was dort - geboten und empfohlen wird, hat marktbewegende Tendenzen. Es ist mehr als eine Spielerei mit der Gourmandise, es ist eine Frage des veränderten Absatzes für verschiedene Erzeugnisse, wenn der Fernsehkoch sagt: Nehmen Sie...' Es ist ein Kaufappell, den Zehntausende beachten... Als Wilmenrod Kabeljau auf eine besonders schmackhafte Art darbot, war Kabeljau am nächsten Tag in Düsseldorf restlos ausverkauft.«
Das stolze Bewußtsein, nicht nur der Bundesfeinschmecker, sondern auch ein Bundesverbrauchslenker zu sein, bewog den Fernsehkoch, sich mit der Lebensmittelzeitung in Frankfurt zu arrangieren. Diesem Fachblatt des Einzelhandels signalisiert er regelmäßig vor jeder Sendung die Hauptzutaten, aus denen er sein nächstes Fernsehgericht komponieren will. Sie werden dann mit folgendem Kommentar veröffentlicht: »Erfahrungsgemäß setzt für die Artikel, die Clemens Wilmenrod im Fernsehen für seine Rezepte verwendet, stoßartig Nachfrage beim Lebensmittel-Einzelhandel ein. Es empfiehlt sich daher, diese Artikel vorrätig zu halten.« Für seine Tips empfängt Wilmenrod nach Auskunft der Lebensmittelzeitung »nur ein bescheidenes Honorar«, aber die Sympathie der einschlägigen Interessengruppen ist ihm gewiß.
Besonders dankbar ist ihm der Obst- und Gemüsehandel, der in Bonn einen Werbeausschuß etablierte; er wird vom Deutschen Bauernverband, dem Raiffeisenverband und dem Zentralverband des Deutschen Gemüse-, Obst- und Gartenbaues finanziert. Der Leiter dieses Ausschusses, von Oertzen, demonstriert an folgendem theoretischen Beispiel die Rolle, die er und seine Auftraggeber dem Bundesfeinschmecker zugedacht haben:
»Die Absatzgenossenschaften sitzen auf Bergen von Tomaten. Wilmenrod kommt gerade von einer Italienreise zurück - versehen mit vorzüglichen Tomatenrezepten - und macht nun eine entsprechende Sendung.« Für diese Kollektivwerbung erhalte Wilmenrod kein Honorar, behauptet von Oertzen, aber er verschweigt nicht, daß er den Fernsehkoch Sonderhonorar verdienen ließ, indem er ihn beauftragte, Reklamefeuilletons über Gemüserohkost zu schreiben.
Wegen einer ähnlichen Kollektivwerbeaktion wollte sich unlängst eine milchwirtschaftliche Interessengruppe mit Wilmenrod arrangieren. Sie ließ Mitte April, als die Euter der bayrischen Almkühe vor Milch strotzten, bei ihm anfragen, ob er bereit sei, ein besonders milchproduktereiches Gericht zu erfinden. Nachdem er sich eine kurze Weile geziert hatte, schlug Wilmenrod mit gedämpfter Stimme vor, nach bewährter Methode zu verfahren. Er könne ein konzentriertes Milchrezept in seine Sendungen einschleusen und es dann den Absatzförderungs-Propagandisten der Milchwirtschaft »gegen Zahlung des üblichen Honorars« überlassen.
Als die Milchwirtschaftler bei weiteren Verhandlungen erfuhren, daß bei Wilmenrod 3000 Mark für ein Rezept handelsüblich sind, zuckten sie zurück, wobei sie verkannten, daß ihnen Wilmenrod einen günstigen Tarif für die indirekte Werbemasche eingeräumt hatte. Im konventionellen Werbefernsehen kosten schon 15 Sekunden Sendezeit 2150 Mark.
Freilich wenden sich an Wilmenrod auch Wirtschaftskreise, die nicht erwarten können, daß er sie ins Fernsehspiel bringt. Ihnen liegt daran, ihre Produkte in geschickter Weise mit dem Namen Wilmenrod verquicken zu können. Für solche Geschäfte mit dem Persönlichkeitsrecht hat sich in der Bundesrepublik ein besonderer Markt gebildet. Die Kurswerte der Stars, die sich der Firmen- und Markenwerbung hingeben, werden an den Börsen der Annoncen-Expeditionen und Werbezentralen notiert. Sie liegen zwischen 150 und 5000 Mark für eine Namensnennung und Photoveröffentlichung.
Als neuer Spitzenwert haussiert zur Zeit der ehemalige Quizmaster des Hessischen Rundfunks,Hans-Joachim Kulenkampff,der sich als Annoncen-Kuli für das Wasch- und Reinigungsmittel Rei betätigt. Ilse Werner flötet schon seit längerer Zeit auf Luxor-Seifenreklamen, und 0. W. Fischer stopft etwas mißvergnügt auf Illustriertenseiten seine Shagpfeife mit »Golden Mixture«-Tabak.
Die Industrie-Obligation Wilmenrod hat schon seit längerer Zeit einen festen Kurs, besonders wenn der Bundesfeinschmecker eines seiner Exklusiv-Rezepte zu 3000 Mark mitliefert. Der Firma Otto Richter KG in Kiel, einer der größten westdeutschen Fischkonserven-Fabriken, verkaufte er gleich fünf Rezepte, die Fisch-Richter für die Herstellung seiner sogenannten Meisterkonserven verwendete. Jede Blechkonserve (Fabrikabgabepreis 65 Pfennig, Ladenverkaufspreis eine Mark) wird in eine farbige Pappschachtel verpackt, auf der ein Wilmenrod lächelt.
Richter lud den Werbestar 1957 nach Kiel ein, nachdem sein erster Versuch, eine Luxus-Fischkonserve herauszubringen, die zehn bis fünfzehn Prozent teurer ist als die normale Konserve, im Publikum kein Echo gefunden hatte. Wilmenrod - sagt Richter - habe sofort erklärt: »Lassen Sie nur, wenn ich mich damit befasse, steigt sofort Ihr Umsatz.«
In der Tat hatte der Werbestar nicht zuviel versprochen. Seit jede Luxuskonserve mit dem Wilmenrod-Bild und dem Hinweis garniert wird, daß der Fernsehkoch die Soßen mixte, wuchs Richters Meisterkonserven-Umsatz um etwa tausend Prozent*.
Weniger eindrucksvoll verlief allerdings ein Werbefeldzug, für den das Adler-Käse-Werk Gebrüder Wiedemann, Wangen im Allgäu, den Fernsehkoch engagierte. Wilmenrod war die Zugnummer eines in Anzeigen und Plakaten angekündigten Käse-Wettbewerbs und verteilte zum Schluß die Preise. Sein eigener Preis: 2000 Mark. Adler-Direktor Kulle war von der Werbewirkung etwas enttäuscht: »Der Mann verbraucht sich zu stark. Ein zweites Mal würde ich ihn nicht nehmen.«
Diese Kritik wurde nicht zuletzt dadurch hervorgerufen, daß Wilmenrod außer seinen vielen sonstigen Werbeverträgen auch noch mit dem Warenhauskonzern Hertie einen einjährigen Vertrag abschloß, den er allerdings vor einigen Monaten kündigte. Hertie war berechtigt, in den Standorten seiner fünfzig Warenhäuser das Bildnis des Fernsehstars mit entsprechenden Slogans in der Plakat- und Inseratenwerbung zu verwenden.
Kommentiert Friedrich Aschenbroich, einer der beiden Werbeleiter des Hertie-Konzerns: »Die Hausfrauen denken, was Wilmenrod empfiehlt, muß gut sein.« Deshalb sei der Fernsehkoch als »personifiziertes Symbol« für eine Anzahl Artikel des Warenhaussortiments hervorragend zu verwenden.
Die Hertie-Werbeexperten fanden sogar eine Möglichkeit, ihn für Tretabfalleimer, Wellensittich-Käfige und Wäschetrockenständer Reklame treiben zu lassen. Sie faßten eine Kollektion der billigsten Hertie-Einrichtungsgegenstände in einem Katalog zusammen, der in einer Auflage von zwei Millionen gedruckt wurde und auf jeder Seite das personifizierte Symbol des Hausfrauenvertrauens unter einem Original-Wilmenrod-Rezept zeigt.
»Diesen Katalog«, so spekulierten die Hertie-Werber, »werfen die Hausfrauen nicht wie gewöhnlich nach kurzem Durchblättern weg, sondern bewahren ihn wegen der Wilmenrod-Rezepte auf. Wenn sie dann ein Gericht à la Don Clemente kochen, wird ihnen vielleicht ein Hertie-Artikel auffallen, den sie in dem Augenblick gerade gebrauchen.« So garantiere der Name Wilmenrod einen langfristigen Kaufanreiz.
Da wurde der Hausfrauen-Vertrauensmann plötzlich von Skrupeln befallen. Er löste den Hertie-Vertrag mit der Begründung, der Konzern habe Schindluder mit ihm getrieben: »Mit billigsten Wurst- und Margarinesorten haben sie meinen Namen verkuppelt.« Außerdem sei sein Konterfei in den Druckerzeugnissen des Hertie-Konzerns so verschandelt worden, daß sein Ansehen als Schauspieler und prominente Persönlichkeit darunter leide.
In letzter Zeit engagierte sich Wilmenrod auffallend stark in der Haushaltsgeräte-Branche. So macht er zum Beispiel Reklame für die Kühlschränke der Robert Bosch GmbH, die ihm offensichtlich eine Spitzengage zahlt, denn die Bosch-Werbeabteilung behauptet, ohne die genaue Summe zu verraten: »Wilmenrod ist sehr teuer.«
Der wesentlich kleineren Lübecker Firma Thiel & Söhne AG, die ein neuartiges Elektro-Bratgerät »Bramat« mit Thermostat herausbrachte, berechnete Wilmenrod kulanterweise nur 2500 Mark; die Werbehilfe bestand aus 21 alten Rezepten und einem handsignierten Vorwort für eine Reklamebroschüre. Der Werbeleiter der Firma hofft, daß Wilmenrod den Bratautomaten demnächst in einer Kochsendung auf 2,7 Millionen westdeutsche Bildschirme projizieren läßt.
Anscheinend verspricht sich die Firma von der Darbietung ihres Produkts in Wilmenrod-Sendungen eine ähnliche Umsatzsteigerung, wie sie der Münchner Küchengeräte-Fabrikant Koch, Inhaber der Firma Ritter & Sohn, seit Monaten verspürt: seit nämlich Wilmenrod regelmäßig ein Spezialgerät des Münchner Fabrikanten benutzt - den sogenannten Schneidboy, einen aus fünf scharfen Rotationsscheiben bestehenden Zerkleinerungsapparat.
Wilmenrod dedizierte dem Fabrikanten ein Standphoto aus dem Fernsehstudio, das ihn schneidboyend zeigt. Das Photo wurde in Massenauflage vervielfältigt und an die Vertreter der Firma sowie an Sonder-Vorführtrupps verteilt, die es in den Vorräumen der Warenhäuser und vor großen Haushaltsfachgeschäften immer wieder den Hausfrauen präsentieren. In einer Hamburger Hauptgeschäftsstraße trompetete ein Propagandist wochenlang die Passanten an: »Mit diesem Gerät arbeitet der Fernsehkoch Clemens Wilmcnrod.« Auch in vielen Großstadtzeitungen erschien das Werbephoto.
Mit Hilfe dieser gezielten Reklame wurden 1,5 Millionen Schneidboys reißend abgesetzt. Fabrikant Koch und Fernsehkoch behaupten unisono: »Werbehonorar wurde dafür nichtgezahlt.« Wilmenrod-habe seine Einwilligung zu der Reklameaktion aus Altruismus gegeben und weil er seine Popularität noch steigern wolle. Wilmenrod in Küchendeutsch: »Mit Sch ... zu schmeißen hat hier wenig Zweck, es ist ja sauber, der Kram.«
Der Wohltäter der Küchengeräte-Fabrikanten verschaffte auch der Rudolf Fissler KG in Idar-Oberstein (Spezialität: Universal-Deckelpfannen) und der Firma Westmark in Herscheid-Sauerland erhöhten Umsatz. Nachdem Wilmenrod in der April-Sendung einen Westmark-Tomatenschneider benutzt hatte, wurde dieser simple Apparat (Preis 9,30 Mark) zu einem Verkaufsschlager.
Der Inhaber des renommierten Hamburger Haushaltsgeräte-Geschäfts »Küchen-Schüler« bestätigte: »Mein Bestand wurde schon am Tag nach der Sendung ausverkauft. So ist das immer. Auch Ladenhüter, die bei uns jahrelang herumstanden, werden plötzlich modern, wenn sie Wilmenrod bringt. Eine Anzahl Kleinküchengeräte ist erst durch solche Vorführungen interessant geworden; früher, als die Frauen noch ökonomischer mit ihrem Haushaltsgeld umgingen, war mit diesen Artikeln kein Geschäft zu machen.«
Wilmenrod tut sehr erstaunt, wenn man ihn auf diese Effekte seines Wirkens hinweist: »Mit irgendwelchen Instrumenten muß ich doch arbeiten.' Das ist objektiv richtig. Er macht es jedoch den kritischen Betrachtern seiner Sendung schwer, davon überzeugt zu sein, daß er sich bei der Auswahl seiner technischen Heinzelmänner ausschließlich von sachlichen Erwägungen leiten läßt. Wer sich so wenig wie Wilmenrod gegen die Versuchungen der Wirtschaftsinteressenten abschirmt, gerät in das Zwielicht, das alle Werbung umgibt, die sich nicht eindeutig legitimiert - mag sie auch noch so geschickt in Gelee verpackt sein.
Aber nicht nur wegen seiner Reklamefreudigkeit bot Wilmenrod vielen Kritikern eine offene Flanke. Sein entschiedenster Gegner, der Chefredakteur der Funk- und Fernseh-Illustrierten »Hör zu«, Eduard Rhein, griff ihn auch wegen der Platitüden an, mit denen sich der Schauspieler jedesmal in Pose setzt.
Rhein mißfiel das ganze Kochkabarett; die Sendung solle sich, so forderte er vom Intendanten Pleister, auf den sachlichen Teil beschränken: »Was soll bloß diese versnobte Ausdrucksweise. Wilmenrods Geistreichigkeiten mit Goethe-Zitaten und oft falsch angewendeten Fremdwörtern finde ich beleidigend.« Auch andere Kritiker rügten Wilmenrods Küchenlatein, und die gastronomische Fachzeitschrift »Die Wirtin« zog daraus das Fazit: »Der deutsche Fernsehintendant war nicht gut beraten, als er dem ehemaligen Schauspieler ein Monopol einräumte.« Dafür habe sich Wilmenrod weder durch hohe Darstellungskunst noch durch seine Kochleistungen qualifiziert.
Die Kritiker streiften auch die fachlichen Blößen, die sich Wilmenrod vor der Fernsehkamera gab."Es mißriet ihm mitunter etwas«, verrät der Regisseur seiner Sendungen, Alfred Johst, »und dann unterliefen ihm auch noch Entgleisungen, indem er extemporierte und das nonchalant hinrotzte.«
So polemisierte Wilmenrod zum Beispiel, während er »Arabisches Reiterfleisch« briet, programmwidrig gegen den Libanon, von wo er sein Erfolgsrezept angeblich importierte: »Der Libanon ist ein Randländchen Vorderasiens, welches sich an der Mittelmeerküste erstreckt. Obwohl nur 200 Kilometer lang und etwa 20 Kilometer breit, gibt es dort mehr Spitzbuben als auf der gesamten Nordhalbkugel zusammen.« Die forsche Behauptung wurde von Arabern und deutschen Araberfreunden in Protestschreiben an den Hamburger Sender energisch zurückgewiesen.
Dem Schauspieler drangen jedoch die Kritiken nicht unter die Haut. Er bequemte sich auf Anraten des Intendanten Pleister nur dazu, die saloppe Anrede »Ihr lieben, goldigen Menschen« zu streichen und durch ein pastorales »Liebe Brüder und Schwestern in Lucullus« zu ersetzen.
Darüber beschwerte sich bei Pleister ein hoher Geistlicher, der Theologie-Professor D. Dr. Eckert aus Münster: Die von Wilmenrod gebrauchte Redewendung sei ein Sakrileg, weil der Apostel Paulus in seinem Brief an die Kolosser eine - auf Christus bezogene - ähnliche Form der Anrede gewählt hatte. Sie sei deshalb »nicht beziehbar auf Menschen, deren Gott der Bauch ist«. Man einigte sich auf »Liebe Freunde in Lucullus« und schließlich auf »Verehrte Feinschmeckergemeinde«.
Mit so harmlosen Korrekturen ließen sich die Kritiker aber nicht abspeisen. Sie setzten ihre Angriffe fort und wirbelten 1957 so viel Staub um Wilmenrod auf, daß er es vorzog, für einige Monate zu verreisen. Er folgte der Einladung eines afghanischen Freundes nach Kabul, wo er Stoff für neue Rezeptkompositionen und für das Schlußkapitel seines dritten Buches »Wie in Abrahams Schoß« sammelte.
Sein Freund habe ihm auch' gestattet, berichtet der Bundesfeinschmecker, die Koch- und Lebensgewohnheiten der Haremsfrauen zu studieren. Die Erfahrungen, die Wilmenrod dabei sammelte, ließ er in sein »Brevier für Weltenbummler« einfließen, in dem er jedem Orientreisenden empfiehlt, bei einem Haremsbesuch »die Eier in grüner Soße zu versuchen, die scharf und heiß ist wie die Hölle selbst. Das möge er ungeniert und voller Heiterkeit tun, aber er lasse die Hände sowohl als auch schon seine Gedanken von den Frauen seines Gastgebers«.
Die Haremsdamen, will Wilmenrod festgestellt haben, »sind in puncto Gesundheitspflege und Kosmetik weise und lassen sich durch Reklame nicht kirre machen. Selbstverständlich putzen sie sich mehrmals am Tage die Zähne, aber niemals mit Pasta, sondern mit dem Finger und mit ihrem köstlichen Quellwasser«.
Als Wilmenrod nach mehreren Monaten Fernsehruhe im September 1957 nach Hamburg zurückkehrte, hatte sich der Rauch in Pleisters Küche verzogen. Wilmenrod durfte wieder fernkochen, aber nur halbe Portionen: statt zweimal im Monat nur noch einmal. Ab April 1958 wurde die Kochnummer aus dem Abendprogramm in die Wochenend-Nachmittagssendungen verlegt; daraufhin gab Fernsehkritiker Rhein Ruhe.
Daß Wilmenrod nicht abserviert wurde, verdankt er dem selbstgestrickten Nimbus, der Fernsehstar mit dem größten Briefeingang zu sein. Wilmenrod: »Ich habe nur mal gesagt, man müßte sich auf einer Burg am Rhein langsam vollaufen lassen und in die andere Welt hinüberdämmern. Daraufhin kamen gleich sechs Angebote von Leuten, die mir Burgen verkaufen wollten.«
Die Fülle der Post - jeden Tag mindestens 40 Briefe«, renommiert Wilmenrod sei das beste Kriterium für die Existenzberechtigung seiner Koch- und Bratshow. Er habe »auf eigene Kosten« eine Sekretärin engagiert, die ausschließlich mit der Beantwortung der Briefe beschäftigt sei. Einmal - als ihn 15 000 Zuschriften erreichten - habe er sogar noch zwei Hilfskräfte einstellen müssen. Die Zuschauerpost-Abteilung des Senders registriert im Durchschnitt monatlich nur 600 Briefe, Wilmenrod hingegen will mindestens das Doppelte an Post erledigen.
Regisseur Johst, der seinen Mimen kennt, hält Übertreibungen nicht für ausgeschlossen. Von der Sendeleitung sind Wilmenrods Zahlenangaben niemals nachgeprüft worden. Alle an ihn gerichteten Zuschriften werden von der Poststelle sofort weitergeleitet. Mit der Briefbeantwortung verbindet dann der Hausfrauenfreund gleichzeitig eine Werbung für seine Bücher, indem er jedem Antwortbrief Prospekte des Verlags Hoffmann und Campe beilegt, der zunächst das Porto für die Zuschauerbriefe bezahlte, »bis es dem Hamburger Verlag zuviel wurde«.
Wilmenrod behauptet, daß er jede Zuschrift individuell beantwortet. Kritischen Berufsköchen, die ihn - wegen einiger merkwürdiger Kompositionen - mit Fachfragen in Verlegenheit zu bringen versuchten, blieb er die Antwort schuldig
Die Fachleute nahmen unter anderem Anstoß an Wilmenrods »Venezianischem Weihnachtsschmaus«; Hauptbestandteil: ein paniertes Schnitzel, das Wilmenrod - wider alle kulinarischen Regeln - in Soße tunkte, die das krustige Hemd der Panade durchweicht und in einen unansehnlichen Brei verwandelt.
Die professionellen Feinschmecker mokierten sich auch darüber, daß der Amateurkoch in einer anderen Sendung Sahne mit Madeira vermischte, der die Sahne gerinnen läßt, statt sich mit ihr innig zu verbinden.
Am meisten mißfiel den Berufsköchen Wilmenrods »Blitzgulasch-Suppe«, die er in der letzten Schau des vergangenen Jahres produzierte. In einer seiner imponierenden Viereckpfannen briet er kurz Filetstückchen, schüttete die Würfel in ein vorbereitetes siedendes Suppenbad und riet den Hausfrauen nach einigen Kochminuten, die mit Petersilie und Paprika aromatisierte Gulaschsuppe tunlichst 24 Stunden im Zimmer stehenzulassen; dadurch bekomme sie »erst den richtigen Geschmack«.
»Ich möchte nur wissen, wer das essen soll«, moniert der Hamburger Kochverbandsfunktionär Behrmann, der als Kantinenpächter jeden Tag mehrere tausend Postbeamte und -angestellte speist. »Wenn man kurzgebratenes Fleisch kocht, wird es zäh wie Schuhleder. Außerdem gehört auch die Gulaschsuppe, wenn man sie nicht sofort genießt, in den Kühlschrank. Im warmen Zimmer fängt sie an zu gären und schlägt auf den Magen.«
Derlei Verstöße gegen kulinarische Elementar-Regeln waren Wilmenrod ebenso oft nachzuweisen wie dilettantische Handgriffe und falsche Zungenschläge. Der Schauspieler-Koch setzte sich über jede Fachkritik hinweg und verließ sich darauf, daß ihn der Hamburger Sendeleiter von Plato gegen alle Angriffe abschirmt. Wilmenrod: »Der sagt: 'Ich brauche eine zugkräftige Nummer, deshalb kommen bei mir nur Schauspieler zum Zuge' - aus.«
Was er mit seinen Sendungen bezwecke - so extemporierte Wilmenrod vor der Fernsehkamera -, sei »Spielerei und hat nur den Zweck, daß wir uns ein paar Minuten unterhalten. Mehr ist nicht dahinter«. In einem seiner Bücher phantasierte er: »Notabene, als Amateur kann ich vielleicht eine gewisse Narrenfreiheit für mich in Anspruch nehmen, eine kulinarische, die meine Subjektivität entschuldigt.«
In München wurde dieser Narrenfreiheit indes Einhalt geboten. Die Programmdirektion des Bayerischen Fernsehens brach Wilmenrods Monopolstellung mit Konkurrenzsendungen, in denen zwei routinierte Küchenmeister auftreten: der Wiener Koch Franz Ruhm und der ehemalige Schiffskoch des Norddeutschen Lloyd, Hans Karl Adam, der sich nach 1945 in der historischen Residenz des ehemaligen Reichsküchenmeisters*, Rothenburg ob der Tauber, niederließ, wo er heute ein kleines Hotel besitzt.
Zu diesem Adam, den Wilmenrod heute als seinen intimen Feind bezeichnet, unterhielt er vor einigen Jahren noch beste Freundschaftsbeziehungen. Er ließ sich von ihm nach Rothenburg einladen und in die routinierte Kochpraxis einweihen. Darüber Wilmenrod selbst: »Ich sagte zu Adam, wenn ich doch einen hätte, der mir mal einen Kunstgriff zeigt. Wenn mir mal etwas passiert, bin ich doch völlig hilflos.«
Der Amateurkoch absolvierte bei dem Küchenmeister einen Schnellkursus und lernte erst damals, 1955, »eine Zwiebel zünftig zu schneiden«.
Der in alten Zunftregeln überlieferte Zwiebelschnitt ist nämlich ein Kriterium des Kochhandwerks. Nach dieser Unterweisung ließ sich der Gentleman-Koch von seinem Mentor zwölf Rezepte übereignen, die er in sein zweites Buch »Clemens Wilmenrod bittet zu Tisch« einstreuen wollte. Als Kaufsumme wurden 1500 Mark vereinbart. Dann fuhr Wilmenrod nach Amalfi, um am lauen Gestade des Golfs von Neapel nach italienischen Fisch- und Tomatenrezepten zu angeln. Der Ferienhimmel bewölkte sich, als Wilmenrod von seinem Verlag erfuhr, Adam habe seine Forderung auf 3000 Mark erhöht.
Darüber kann sich der Kochbuch-Autor noch heute nicht beruhigen: »Aha, denke ich, jetzt weiß ich Bescheid, da ist der Verräter. Er hat herausgekriegt, daß das Buch angedruckt werden soll. Und da denkt er, sie können nicht zurück, und deshalb erpreßt er.
»Ich hänge mich ans Telephon: Nicht zahlen, bin morgen abend in Hamburg, werfe mich ins Flugzeug, jage nach Hamburg, bin abends da, schließe mich mit der Sekretärin ein, das Manuskript her. Morgens um fünf Uhr war das neue Buch fertig. Raus die zwölf Rezepte, anderes hinein. Brief diktiert an Adam: Verzichten, Forderung untragbar.-»
Bald darauf kochte Adam im Münchner Werbefernsehen ab; dem Schauspieler Wilmenrod wurde heiß, als er merkte, daß der kleine Küchenmeister seine auffallend lange Nase auch noch in die Töpfe steckte, aus denen Wilmenrod bis dahin ungestört seinen Hauptverdienst schöpfte: Auch Adam verfaßte Rezeptbücher und betätigte sich ebenfalls als Werbekoch,
Der sogenannte Bundesfeinschmecker versuchte indes, den verhaßten Konkurrenten dadurch auszustechen, daß er sich sehr exklusiv gerierte, oft ins Ausland fuhr und beispielsweise mit dem Pariser Television-Kochstar Raymond Oliver Luxuslokale besuchte. Außerdem trat Wilmenrod einer Herrengesellschaft bei, die der Ziehvater der Filmjungfrau Romy Schneider, Großgastronom Hans Herbert Blatzheim, in Köln gründete: dem Klub der Gourmets. Er zählt 25 Amateurköche zu seinen Mitgliedern, darunter einen Hamburger Reeder, einen Kinderarzt und einen Rechtsanwalt. In dieser Tafelrunde betätigt sich Wilmenrod als Arrangeur von Schlemmerdiners, die sich die organisierten Gourmets mehrmals im Jahr geben.
Klubpräsident Blatzheim veranstaltete auch Rezept-Wettbewerbe, weil es ihn ärgerte, »daß man im Ausland behauptet, die Deutschen fressen nur Sauerkraut mit Püree«. Obwohl Wilmenrod in einem dieser Wettbewerbe mit 1000 Mark prämiiert wurde, hält Blatzheim nicht viel von den Kompositionen seines Klubfreundes. Nachdem er Wilmenrods erstes Kochbuch »Es liegt mir auf der Zunge« studiert hatte, konnte er dem Autor den Vorwurf nicht ersparen: »Sie hätten es von einem Küchenmeister redigieren lassen sollen, denn jeder Fachmann kann Ihnen Fehler nachweisen.«
Wilmenrod entschuldigte sich, er habe sein Opus in Eile verfaßt. Das merkt man deutlich an der Diktion mancher Genußformeln, beispielsweise an dem Rezept »Eier Diable«, das zwei Jahre vor dem Erscheinen des Wilmenrod-Erstlings in dem »Almanach der feinen Küche« des Franzosen Marcel X. Boulestin abgedruckt wurde. (Die deutsche Übersetzung erschien im Hamburger Claassen Verlag.) Wilmenrod fand nicht die Zeit, das Rezept wenigstens so umzuformulieren, daß man nicht auf den ersten Blick die Quelle erkennt.
Trotz solcher Unebenheiten und stilistischer Mängel wurde die feuilletonistisch aufgelockerte Rezeptsammlung durch permanente Werbung ein großer Verkaufserfolg. Wilmenrods Verlag legte sie unlängst zum neuntenmal auf (Gesamtauflage 95 000 Exemplare).
Die Buchtantiemen und die Einnahmen aus dem florierenden Werbegeschäft vermochten jedoch in dem Schauspieler Wilmenrod nicht die Sehnsucht nach Bühnenruhm auszulöschen, den er jetzt, nachdem ihn das Fernsehen hochgespielt hat, leichter als früher zu erringen hofft. Er tastete sich zunächst auf die Kleinkunstbühne zurück und trat im Münchner Kabarett »Die Zwiebel« als politisch-satirischer Koch auf. Die Münchner Soubrette Topsy Küppers, deren Wohnung er übernahm, kochte mit.
Im Herbst, so verriet der von Hamburg nach München ausgesiedelte Schauspieler, will er seine Freunde und Verehrerinnen in den bundesdeutschen Landen mit einem komödiantischen Spezialgericht überraschen. Er beauftragte einen Stückeschreiber - »den nach Zuckmayer zweitbesten deutschen Dramatiker«, renommiert Wilmenrod -, eine Komödie zu schreiben, in der er die ihm gemäße Hauptrolle spielen wird: den Prototyp des Gourmets.
Wilmenrod: »Zwei Akte sind bereits fertig. Im nächsten Jahr gehe ich mit dem Stück auf Tournee.«
* Clemens Wilmenrod: »Es liegt mir auf der Zunge«; 138 Seiten; 7,80 Mark. »Clemens Wilmenrod bittet zu Tisch«; 136 Seiten; 7,80 Mark. »Wie in Abrahams Schoß - Brevier für Weltenbummler und Feinschmecker'; 191 Seiten; 12,80 Mark. Alle Bücher erschienen im Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg.
* Kaiser Wilhelm II. gab - dem Meisterkoch diesen Phantasietitel, als Escoffier für kurze Zeit auf dem Hapag-Dampfer »Imperator« Küchenchef war. Escoffier starb 1935 in Monte Carlo.
* Im vergangenen Jahr verkaufte Richter etwa eine Million Packungen Wilmenrod-Konserven.
* Das Kaiserliche Reichsküchenmeister-Amt wurde im 13. Jahrhundert einem Rothenburger Schultheißen verliehen, der wegen seiner Kochkunst berühmt war. Daran erinnert heute noch in Rothenburg das Hotel »Reichsküchenmeister«.
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Wilmenrod als Schauspieler*: »Filmchancen versaut«
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Fachkoch Adam, Anlernling Zu dilettantischen Handgriffen ...
Fernseh-Regisseur Johst ... fatale Zungenschläge
Wilmenrod, Soubrette Küppers* Feinschmeckerkomödie?
* Als Patriarch in »Nathan der Weise«, als Bonvivant in Sacha Guitrys Komödie »Nicht zuhören, meine Damen« und als Randfigur in dem Nachkriegsfilm »Die Frauen des Herrn S.«.
* In George Axelrods Lustspiel »Mephisto und Fäustchen« (1957).