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»Der Drogenkrieg ist verloren«

aus DER SPIEGEL 14/1992

SPIEGEL: In ihrem totalen Krieg gegen die Drogen gibt die US-Regierung zwölf Milliarden Dollar pro Jahr aus, doch ein Sieg scheint weiter entfernt denn je. Wie kommt das?

FRIEDMAN: Wie kommt es, daß die sozialistische Regierung der Sowjetunion ein Desaster war, wie, daß die der DDR ebenso erfolglos blieb?

SPIEGEL: Wir wollten eigentlich über die amerikanische Drogenpolitik sprechen . . .

FRIEDMAN: . . . die aber alle Anzeichen eines sozialistischen Programms trägt. Wenn ein privates Unternehmen fehlschlägt, gibt es Verluste, viele werden viel Geld verlieren. Sie haben daher ein starkes Interesse, das Programm bei drohendem Scheitern früh genug zu beenden. Eine Regierung dagegen, deren Programm zu scheitern droht, muß weder Fehler eingestehen noch die Kosten aus eigener Tasche zahlen.

SPIEGEL: Wird das Drogenprogramm deshalb immer umfangreicher? _(* In seiner Wohnung in San Francisco. )

FRIEDMAN: Die Reaktion auf fehlgeschlagene Regierungsprogramme ist immer dieselbe: Man sagt, es müsse nur ein bißchen anders, ein bißchen größer, ein bißchen teurer gemacht werden.

SPIEGEL: Seit wann ist diese Tendenz zu beobachten?

FRIEDMAN: Den Krieg gegen die Drogen begann Richard Nixon 1969. Das Unternehmen mißlang, wurde jedoch in den siebziger Jahren auf Sparflamme weitergeführt. Wieder angefacht wurde der Drogenkrieg durch Präsident Reagan. Er weitete ihn aus, hauptsächlich in Florida, aber gewinnen konnte er ihn auch nicht.

Dann kam Mister Bush, rief den totalen Krieg aus und ernannte unter großem Getöse einen Drogenzar namens William Bennett.

SPIEGEL: Der blieb aber nur 20 Monate im Amt.

FRIEDMAN: Bennett trat zurück, nachdem er aller Welt erklärt hatte, die von ihm eingeleiteten Maßnahmen seien ein voller Erfolg geworden. Das aber war nicht der Fall. Schon 1972 hatte ich den Fehlschlag des Anti-Drogen-Programms der Nixon-Regierung vorhergesagt und eine Freigabe von Drogen gefordert. Ich habe keine Veranlassung, mein damaliges Urteil zu revidieren.

SPIEGEL: Diese Meinung teilen Sie etwa mit dem früheren Außenminister George Shultz und dem Kolumnisten William Buckley. Sie gehören zu einer kleinen Gruppe Konservativer . . .

FRIEDMAN: . . . die Gruppe ist längst nicht mehr klein; ich bin übrigens kein Konservativer, war es nie. Konservativ ist jemand, der die Dinge lassen will, wie sie sind. Das will ich nicht. Ich bin im klasssischen europäischen Sprachgebrauch ein Liberaler.

SPIEGEL: Gut, Sie als Liberaler fordern die Legalisierung der Drogen.

FRIEDMAN: Ich bin für die Abschaffung der gegenwärtigen Prohibition und plädiere dafür, daß Drogen in genau derselben Weise behandelt werden wie derzeit Alkohol und Tabak.

SPIEGEL: Deren Verkauf legal ist.

FRIEDMAN: Mit gewissen Einschränkungen. Alkohol etwa darf nur an Volljährige verkauft werden, nicht vor Kirchgangszeit, mancherorts auch nur in vom jeweiligen Bundesstaat betriebenen Läden.

SPIEGEL: Gehen einem freien Marktwirtschafler auch diese Beschränkungen zu weit?

FRIEDMAN: Es wäre besser, die Gesetze des freien Marktes würden das regulieren. Es kann und darf nicht Sache einer Regierung sein, berauschende Drogen zu verkaufen. Ebensowenig sollte eine Regierung im Lotteriegeschäft tätig sein und das Glücksspiel fördern.

SPIEGEL: Viele Bundesstaaten sehen darin eine gute Einnahmequelle.

FRIEDMAN: Stimmt leider, doch der Staat hat keine Funktion auf dem freien Markt. Er sollte eine demokratisch-politische Einrichtung bleiben.

SPIEGEL: Voraussetzung für eine Legalisierung des Drogenmarktes wäre eine Änderung der entsprechenden Gesetze. Von wem erwarten Sie die Initiative?

FRIEDMAN: Das Hauptproblem muß zunächst vom US-Kongreß in Washington ausgeräumt werden, die Feinregulierung können dann die Staaten selbst übernehmen.

SPIEGEL: Wer soll die Drogen herstellen?

FRIEDMAN: Die, die das am besten können - die pharmazeutische Industrie.

SPIEGEL: Die aber nur ungern mit Produkten in Verbindung gebracht werden will, die süchtig machen können.

FRIEDMAN: Was für einen Unsinn erzählen Sie da! Ein sehr großer Teil der pharmazeutischen Produkte ist schon heute suchtauslösend. Es gibt Leute, die süchtig sind nach Aspirin, abhängig sind von Schlafmitteln oder ohne Schmerztabletten nicht mehr auskommen.

SPIEGEL: Woher würde die Pharmaindustrie in einem legalisierten Drogenmarkt die notwendigen Rohstoffe bekommen?

FRIEDMAN: Das wird schon der Markt regulieren.

SPIEGEL: Können Sie sich Mohnfelder in Kansas und Marihuana-Plantagen in Kalifornien vorstellen?

FRIEDMAN: Warum nicht? Marihuana-Anpflanzungen sind trotz massiver Ausrottungseinsätze der Marihuana-Cops doch auch jetzt da. Marihuana spielt in der US-Drogenpolitik eine Schlüsselrolle. Obwohl nicht ein einziger Fall bekannt ist, daß jemand durch eine Überdosis Marihuana zu Tode gekommen ist und Dutzende wissenschaftlicher Untersuchungen Marihuana als harmlos einstufen, wurde dem Gras der Krieg erklärt.

SPIEGEL: Nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft kletterten daraufhin die Preise?

FRIEDMAN: Ja. Im Vergleich zu anderen Drogen wurde Marihuana erheblich teurer, Kokain und neuerdings Crack wurde für den Verbraucher plötzlich vom Preis und vom Angebot her interessant. Die Drogenprohibition drückte den Konsumenten von einer eher harmlosen Droge zu einer sehr, sehr gefährlichen.

SPIEGEL: Würden Sie in einer freien Drogenmarktwirtschaft beispielsweise zwischen Marihuana und Kokain rechtlich einen Unterschied machen?

FRIEDMAN: Ich würde sie, ähnlich wie Alkohol und Zigaretten, völlig gleichstellen. Es ist kein Verbrechen, Schnaps zu kaufen, wohl aber betrunken zu fahren. Ähnlich würde es mit Drogen sein.

SPIEGEL: Um den Alkoholmarkt als Beispiel zu benutzen: Sehen Sie schon »Heroin-Light« oder ein »Kokain für den Anfänger« im Sonderangebot Ihres Drugstores?

FRIEDMAN: Warum nicht, wir haben ja auch Light Beer und schwach alkoholischen Wein. Für beides gibt es offenbar einen Markt. In dieser Diskussion sollten Sie aber eines nicht vergessen: Der Hauptgewinner eines legalisierten Drogenmarktes ist der Konsument. Denn die legalen Drogen wären sehr viel sauberer, ihr Wirkstoffanteil würde per Beipackzettel ausgewiesen, die Gefahr der Überdosierung nähme ab . . .

SPIEGEL: . . . und die Zahl der Süchtigen stiege steil an, meinen Kritiker.

FRIEDMAN: Es gibt nicht eine einzige empirische Untersuchung, die dieses Argument stützen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Die Abschaffung der Alkoholprohibition hat langfristig zu keinem Anstieg des Alkoholkonsums geführt. Tatsächlich ging die Anzahl der alkoholbedingten Todesfälle zurück, weil der Alkohol reiner war. Und nachdem in Holland Marihuana entkriminalisert wurde, ging der Marihuana-Verbrauch zurück, ähnliche Daten liegen aus Alaska vor, wo der Besitz von Marihuana für den privaten Bedarf jahrelang strafrechtlich nicht verfolgt wurde.

SPIEGEL: Solche Argumente scheinen die Drogenkrieger nicht sonderlich zu beeindrucken.

FRIEDMAN: Zugegeben. Andere Argumente sind viel stärker. Sicher ist, daß die amerikanischen Innenstädte als Folge der augenblicklichen Drogenpolitik kaputtgehen: 10 000 zusätzliche Morde im Drogenmilieu kommen jährlich zusammen, die Gefängnisse sind überfüllt, für die Verfolgung anderer Verbrechen bleibt wenig Zeit. Das führt wiederum dazu, daß die Anzahl der Verbrechen, die nichts mit Drogen zu tun haben, ebenfalls steigt. Es ist beinahe unmöglich, irgendein positives Ergebnis des Krieges gegen die Drogen zu benennen, und ich habe noch nicht einmal die Auswirkungen auf Peru, Kolumbien oder Panama mit einbezogen . . .

SPIEGEL: . . . wohin die Bush-Administration ihren Anti-Drogen-Krieg ausgedehnt hat.

FRIEDMAN: Eine völlig unentschuldbare Maßnahme. Wir zerstören mit dem Einsatz unserer Soldaten, Hubschraubern und Swat-Teams diese Länder, nur weil wir unsere eigenen Gesetze zu Hause nicht durchsetzen können.

SPIEGEL: Eine Legalisierung des amerikanischen Drogenmarktes hätte für Länder wie Kolumbien und Peru erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen, Schadenersatzforderungen sind vorstellbar.

FRIEDMAN: Sicher und zu Recht. Mit unserer Politik haben wir diese Staaten zu einer Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Marihuana und Koka veranlaßt, für die langfristig der Bedarf zurückgeht. Sollten wir morgen früh den Drogenkonsum freigeben, würde der Kokainpreis morgen nachmittag wie ein Stein gefallen sein.

SPIEGEL: Und Zehntausende um ihren Job gebracht haben.

FRIEDMAN: Vorsicht, wen Sie da arbeitslos machen. Denn was die Bauern in Peru derzeit für ihre Kokablätter bekommen, dürfte sich kaum von dem unterscheiden, was sie nach einer Legalisierung bekommen. Ich glaube, die Bauern bleiben im Geschäft, denn sie können die nötigen Grundstoffe wahrscheinlich kostengünstiger liefern als unsere Farmer. Ihren Job verlieren dürften natürlich diejenigen, die derzeit klotzig am Drogenhandel verdienen - die Mitglieder der Kartelle, die Schmuggler und die Pusher.

SPIEGEL: Verdienen dürfte auch der Staat, der die legalen Drogen besteuern würde wie jetzt schon Alkohol und Zigaretten.

FRIEDMAN: Sicher. Doch dem Staat eine neue Einnahmequelle zu verschaffen ist nicht meine Absicht, wenn ich die Legaliserung fordere.

SPIEGEL: Da der jahrzehntelange Krieg gegen die Drogen keine sichtbaren Erfolge gebracht hat, liegt die Annahme nahe, daß starke Kräfte auf und hinter der politischen Szene Geld und Einfluß geltend machen, um die Erfolge weiterhin zu verhindern.

FRIEDMAN: Es besteht jeder erdenkliche Grund zu der Annahme, daß die Leute, die ihr Geld auf dem Drogenmarkt verdienen, alles daransetzen, ihre Einnahmequelle zu sichern. Das ist kein Beispiel für eine Verschwörungstheorie, sondern absehbares Verhalten von Mitgliedern eines Industriezweigs. Da verhalten sich die Drogenbarone nicht anders als die Automobiltycoone.

SPIEGEL: Von einer Legalisierung betroffen wären aber auch die aufgeblähten Drogenverfolgungsbehörden?

FRIEDMAN: Verfolger und Verfolgte im Drogenkrieg haben in gewisser Weise ein gemeinsames Interesse. Den Verfolgten, den Drogenlieferanten und Vertreibern der Drogen sichert die Prohibition ein gutes Auskommen. Das gilt auch für die Verfolger. Ihre Etats werden laufend aufgestockt, die Gehälter erhöht, Ruhm und gute Karrieren sind ihnen sicher.

SPIEGEL: Das klingt nun doch ein wenig nach Verschwörungstherorie.

FRIEDMAN: Nicht unbedingt. Die Fälle von Korruption sind aktenkundig und nehmen zu. Sie können sicher sein, wenn es um einen großen Pott Geld geht, wird es Leute geben, die ihn haben wollen, und klar ist, daß dabei jeder einzelne seine Interessen über die jedes anderen zu stellen versucht. *VITA-KASTEN-1 **ÜBERSCHRIFT:

Rauschgift auf Rezept

sollen 200 Drogensüchtige von ihrem Arzt fünf Jahre lang kostenlos erhalten: Mit diesem in der vergangenen Woche beschlossenen »Modellversuch«, dem Bundesrat und Bundestag erst noch zustimmen müssen, entfachte der Hamburger Senat erneut den Streit über Nutzen und Nachteile der bislang praktizierten Drogenpolitik. Für den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman, 79, sind alle Versuche zum Scheitern verurteilt, dem Drogenproblem mit Strafgesetzen und Polizeimaßnahmen beizukommen. Friedman, Verfechter einer radikal liberalen Markttheorie, streitet seit Jahren für eine völlige Freigabe aller Rauschgifte: Durch staatliche Eingriffe werde nur ein Drogenmarkt mit Wucherpreisen geschaffen, der die Entstehung von Verbrecher-Syndikaten begünstige.

* In seiner Wohnung in San Francisco.

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