Der gekaufte Kongreß
2. Fortsetzung und Schluß
Seit seiner Gründung vor fast zwei Jahrhunderten hält sich Amerikas Kongreß an einen uralten Brauch aller Stammesgemeinschaften: Er überwacht sich selbst.
Erst auf Druck der Öffentlichkeit ging der Kongreß offiziell daran, für seine Mitglieder Verhaltensregeln aufzustellen. Beide Kammern entschieden sich für ein zweiteiliges System: finanzielle Offenlegung und Ehrenausschuß.
Die Vorschriften. die schließlich zustande kamen, verlangen zwar, daß ein Senator seine Einkommensquellen angibt, die Höhe seiner Steuerzahlungen. die Klienten, von denen er Honorare über 1000 Dollar bekommt, seine beruflichen Bindungen. seine Zugehörigkeit zu Gesellschaften und Verbänden, seine Schulden und seine übrigen finanziellen Interessen aufführt.
Aber alle diese nützlichen Angaben sind geheim: Ohne daß irgend jemand seine Papiere prüft, faltet der Senator sie zusammen und steckt sie in einen Umschlag, den er versiegelt dem bevollmächtigten Prüfer (Comptroller General) übergibt. Normalerweise wird der Umschlag nie geöffnet. Nur wenn der Ehrenausschuß des Senats es verlangt. werden ihm die Angaben mitgeteilt. Das einzige, was ein Senator jährlich öffentlich bekanntgeben muß, sind Honorare von mehr als 300 Dollar und Wahlkampfspenden.
Die entsprechenden Vorschriften des Repräsentantenhauses sind im Vergleich hierzu strenger: Abgeordnete müssen alle kommerziellen Betätigungen angeben, die ihnen mehr als 1000 Dollar im Jahr einbringen, und ebenso Beteiligungen im Wert von mehr als 5000 Dollar. Eine zweite Klausel verlangt, daß Abgeordnete ungesicherte Darlehen von 10 000 Dollar oder mehr angeben, falls sie von ihnen länger als 90 Tage in Anspruch genommen werden.
Doch auch dieses Kontrollsystem hat Mängel. Der Abgeordnete braucht nicht anzugeben. um welche Summe sein Einkommen aus kommerzieller Betätigung 1000 Dollar und der Wert seiner Beteiligungen 5000 Dollar übersteigt -- die Formulare machen keinen Unterschied zwischen einem Hauptaktionär mit Anteilen im Wert von einer Million und demjenigen, der Aktien im Wert von 5500 Dollar besitzt.
Einige Kongreßmitglieder freilich geben von sich aus genauere Auskunft. So legten im Senat Charles Percy. Wayne Morse und Paul Douglas freiwillig ihre finanziellen Beteiligungen offen. Und als Marlow Cook in den Senat gewählt worden war, gab er bekannt. wie viele Anteile er von der Bank von Louisville besaß, und bat, nicht in den Ausschuß für Banken und Währung berufen zu werden. Der Abgeordnete Ken Hechler nahm seinen Ah schied als Oberst der Reserve, weil das Repräsentantenhaus über eine Besoldungsvorlage beriet, die seine Pension um zehn Prozent erhöht hätte.
Die zweite Anti-Korruptionswaffe in dem kläglichen Arsenal des Kongresses sind die beiden Ehrenausschüsse. So ermutigend die Bezeichnung Ehrenausschuß ist, so enttäuschend war dessen Gründung. 1964 wurde in einer Routinesitzung der Antrag gestellt, es solle ein Ausschuß eingesetzt werden, der nicht nur Angestellte eines Senators befragen, sondern bei den Senatoren selbst Untersuchungen vornehmen dürfe. Der Antrag wurde angenommen.
Seinem neuen Sprößling gegenüber empfand der Senat etwa so viel Zunei-
© by Ralph Nader, New York.
gung wie ein Vater, dem man ein uneheliches Kind vor die Haustür gelegt hat. Zwei Jahre lang wurde niemand in den Ausschuß berufen. Nur wenige Senatoren waren erpicht darauf, als Richter über ihresgleichen eingesetzt zu werden. Selbst der reformfreudige Paul Douglas lehnte ab. weil ihm. wie sein Berater sagt, »der Mut fehlte«.
John Stennis aus Mississippi traute sich schließlich zu, wovor andere Angst gehabt hatten. Er wurde der erste Vorsitzende des »Select Committee on Standards and Conduct«, wie der Ehrenausschuß offiziell heißt, der damit 1966 aktionsbereit war. Formell erfügt der Ausschuß über ansehnliche Macht. Er soll Beschwerden entgegennehmen. angebliches Fehlverhalten untersuchen und gegebenenfalls Strafen empfehlen.
Wenn dieser Wachhund überhaupt Zähne hatte, dann biß er sie sich beim ersten Zupacken aus. Nachdem der Ausschuß den Fall Tom Dodd untersucht hatte -- dem Senator war vorgeworfen worden. Wahlkampfgelder für private Zwecke eingesteckt zu haben -, raffte er sich zur Überraschung vieler zu der Empfehlung auf. Dodd einen Tadel zu erteilen.
Offenbar erschöpft on diesem Kampf gegen Dodd, zeigte der Ehrenausschuß bei der Untersuchung des Falls Edward Long viel größere Nachsicht. 1967 hatte die Illustrierte »Life« einen von William Lambert verfaßten Artikel veröffentlicht, in dem behauptet wurde, daß Long mehr als 48 000 Dollar Anwaltshonorare von dem Anwalt der Transportarbeitergewerkschaft, M. A. Shenker, für seine Bemühungen zugunsten des Gewerkschaftsbosses Jimmy Hoffa entgegengenommen hatte.
Der Ausschuß schien die Beschuldigung ernst zu nehmen: 1967 trat er 14mal zusammen, um die Sache zu untersuchen. Dann aber schloß er seine Ermittlung mit einem vier Seiten langen Bericht ab, in dem er Long seinen Segen erteilte. Die Honorare, so hieß es in dem Schriftstück. stammten in Wirklichkeit von fünf Klienten. die Long zusammen mit Shenker betreut habe. Mit dem im Zuchthaus sitzenden Jimmy Hoffa hätten die Gelder überhaupt nichts zu tun,
Lambert veröffentlichte neue Beweise für seine Beschuldigungen. Die Honorare hätten nicht 48 000 Dollar, sondern 160 000 Dollar betragen, überdies sei Longs Sozius ein Anwalt. »der die längste Zeit seiner Karriere Gangster und Spieler von St. Louis und Las Vegas vertreten hat«, und schließlich seien alle fünf Klienten. die Long bezahlten. mit Verbrecherbanden liiert.
Lamberts Enthüllungen veranlaßten den Ehrenausschuß des Senats zu vielversprechenden neuen Untersuchungen. die erst eingestellt wurden, als Long 1968 seinen Senatssitz an Thomas Eagleton verlor. Außerdem wies der Ausschuß auf schwere Fehler der ersten Untersuchung hin.
»Was tut der Ehrenausschuß eigentlich die ganze Zeit?« fragte der »Washington Evening Star«. »Wie konnte der Ausschuß, der Zugang zu Informationen hat, die der Öffentlichkeit unbekannt sind, so feierlich behaupten, er habe »nichts feststellen können', wenn Außenseiter es fertiggebracht haben, den Ehrenausschuß umzustimmen?«
Der Ehren-ausschuß des Repräsentantenhauses, der 1967 mit 400 gegen 0 Stimmen gegründet wurde ("Wer kann schon gegen ehrenhaftes Verhalten stimmen?« fragte ein Abgeordneter aus Kalifornien), tat sich anfangs ebenso schwer. In den ersten Jahren leitete er nur zwei Voruntersuchungen ein.
Bis jetzt hat der Ausschuß eine einzige bedeutendere Untersuchung abgeschlossen: Er wies dem Abgeordneten John Dowdy die Annahme von Bestechungsgeldern nach und stellte daraufhin den Antrag, Parlamentariern sollte in solchen Fällen untersagt werden. einem Ausschuß anzugehören oder im Plenum ihre Stimme abzugeben.
Der Antrag kam jedoch niemals vor das Parlament. William Colmer, der Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses, weigerte sich, diesen Antrag dem Plenum des Repräsentantenhauses vorzulegen. Es war schließlich Dowdy selbst, der aus der Sackgasse einen Ausweg öffnete. In einem Brief an den Sprecher des Hauses, Carl Albert, verpflichtete er sich, weder in Ausschüssen noch im Plenum an Abstimmungen teilzunehmen. Dowdy blieb bei seinem Entschluß bis Mitte 1972 -- da allerdings stellte sich heraus, daß er in einem Ausschuß bei Abstimmungen, deren Ergebnis knapp zu werden drohte, durch einen Stellvertreter seine Stimme hatte abgeben lassen.
Daß sich jemand um ein öffentliches Amt bewirbt mit der heimlichen Absicht. sich durch ungesetzliche Mittel zu bereichern, kommt selten, wenn überhaupt vor. Aber die Atmosphäre im Kongreß hat etwas an sich, das diese Versuchung hervorruft und sie dann übermächtig werden läßt.
Dieses Etwas liegt vielleicht in dem legislativen Vorgang selbst: Gesetze können sich nachteilig auf vermögende Leute auswirken: Politiker brauchen Geld. um im Amt zu bleiben: es ist möglich. Politiker zu beeinflussen, damit sie für oder gegen ein bestimmtes Gesetz stimmen, und vermögende Leute können Politikern Geld geben, um sie zu beeinflussen.
Um die Legislative vom Einfluß persönlicher Interessen vollständig abzuschirmen, müßte vorgeschrieben sein, daß fast sämtliche Wahlkampf kosten von der öffentlichen Hand erstattet werden, daß jeder Parlamentarier seine finanziellen Verhältnisse offenlegt und daß kein Kongreßmitglied außerhalb des Kongresses Rechtsberatung erteilen darf.
Zweifellos würden derlei Vorschriften einen Teil der von außen in den Kongreß gepumpten Gelder überflüssig machen. Doch anfällig für Versuchungen blieben die Parlamentarier noch immer, denn ihr Hauptproblem läßt sich durch noch so ehrenhafte Reglementierungen nicht lösen -- das Problem, wiedergewählt zu werden.
»Alle Kongreßmitglieder haben ein vitales Interesse an ihrer Wiederwahl«, sagt der ehemalige Abgeordnete Frank E. Smith. »einige haben sogar für nichts anderes Interesse.« Wie sehr auch hier die Wirklichkeit der amerikanischen Demokratie von den Idealvorstellungen der Schulbücher abweicht, macht eine Szene aus dem Film »Bill McKay -- Der Kandidat« deutlich:
Der Wahlkampf hat gerade begonnen, und der zum erstenmal aufgestellte Kandidat Bill McKay müht sich, dem bisherigen Senator Crocker Jarmon, der sich zur Wiederwahl stellt, Stimmen abzujagen. McKay ist unterwegs auf einer Weltreise, als die Nachricht kommt, daß draußen in Malibu ein Waldbrand ausgebrochen sei. McKay fährt sofort zum Schauplatz der Katastrophe, um gegen die Mißstände im Landschaftsschutz zu wettern, da sie die Ursache solcher Brände seien.
Der typische Abgeordnete: 52 Jahre alt, siebenmal wiedergewählt.
Während Kameraleute und Journalisten den jungen Kandidaten umringen, landet ein Hubschrauber, und heraus springt Senator Crocker Jarmon. McKay muß hilflos mit anhören, wie sein Gegenkandidat bekanntgibt, der Präsident habe ihm persönlich zugesichert, daß Washington Katastrophenhilfe leisten werde; außerdem werde er, der Senator, einen Gesetzentwurf zum Schutz von Flußlandschaften und deren Eigentum durch Fehler im Landschaftsschutz geschädigt worden sei.
Das Drehbuch ist vertraut. Wer ein Amt hat, verfügt auch über die Macht dieses Amtes und kann sie einsetzen, um wiedergewählt zu werden. Nur in einem Punkt hält sich der Film nicht an die Wirklichkeit -- im Film verliert der bisherige Senator die Wahl. So ist es in der Regel nicht.
In den Wahlen für das Repräsentantenhaus des Jahres 1970 unterlagen nur 17 Abgeordnete, die sich zur Wiederwahl gestellt hatten -- neun in den partei-internen Vorwahlen. acht in den endgültigen Wahlen. Es gab zwar im Repräsentantenhaus (435 Sitze) 54 Neulinge, aber nur die Hälfte von ihnen hatte einen Mandatsinhaber verdrängt, die übrigen dagegen besetzten Plätze von Abgeordneten, die vor der Wahl endgültig ausgeschieden waren.
Im Senat, wo 35 Sitze neu besetzt werden mußten, war die Lage nicht ganz so schlimm. Elf Neulinge wurden gewählt, und von ihnen hatten sechs den Inhaber des Senatssitzes geschlagen. Trotzdem ist in beiden Häusern der Trend klar zu erkennen: Kongreßmitglieder amtieren immer länger. da sie immer öfter wiedergewählt werden. Heutzutage kommt es häufiger vor. daß ein Kongreßmitglied stirbt, als daß es auf die Wiederwahl verzichtet oder im Wahlkampf unterliegt.
Nach den Kongreßwahlen von 1970 war der typische Abgeordnete 52 Jahre alt und gerade zum siebtenmal wiedergewählt worden. Kenneth Harding, der dem Demokratischen Wahlkampfkomitee des Repräsentantenhauses vorsitzt, kommentiert: »Es gibt keine Gründe, weshalb ein Abgeordneter nach seiner ersten oder seinen ersten beiden Legislaturperioden in der Wahl unterliegen sollte, wenn er das Instrumentarium seines Amtes richtig einsetzt.«
Auch bei Abgeordneten überleben diejenigen, die sich am besten anpassen. Ein schon einmal gewählter Parlamentarier hat entscheidende Vorteile gegenüber einem zum erstenmal aufgestellten Kandidaten. Am bekanntesten ist der Vorteil, den die Szene aus dem Film »Der Kandidat« demonstriert: Wer sich zur Wiederwahl stellt, ist bereits in Amt und Würden, er kann im Parlament Gesetzentwürfe einbringen. kann sich auf Gesetze berufen, für die er gestimmt hat, und kann sich gute Einfälle seines Rivalen zunutze machen. indem er sie selbst verwirklicht.
Der zweite entscheidende Vorteil ist finanzieller Natur. Vor den endgültigen Wahlen, die alle zwei Jahre im November stattfinden, braucht der schon einmal gewählte Parlamentarier für die Vorwahl nicht so viel Geld und Kraft einzusetzen wie sein Rivale -- wenn er überhaupt einen hat.
Die große Mehrheit jener Parlamentarier, die seit mehreren Legislaturperioden ihre Sitze innehaben, braucht also nicht zu befürchten, hart kämpfen zu müssen. Von einer Niederlage bedroht sind nur die klapprigen Titanen. die längst alle Segnungen des Senioritätssystems eingeheimst haben.
Trotz dieser automatischen Vorteile und trotz der umfangreichen kostenlosen Publicity, die sie bekommen können, geben die meisten Abgeordneten des Repräsentantenhauses im Wahlkampf mehr Geld aus als ihre Rivalen. Wie aus den Daten hervorgeht, die wir -- die Verfasser der vorliegenden Studie -- zusammengetragen haben, werden von den Kandidaten rund vier Cent pro Wählerstimme ausgegeben; »alte Hasen« legen noch eine Kleinigkeit dazu.
Lkw-Lobby: 30 000 Dollar für ein Schnellstraßen-Gesetz.
Bezeichnend ist, daß der Abstand zwischen den Ausgaben konkurrierender Kandidaten konstant zu bleiben scheint -- wenn der Herausforderer 15 000 ausgibt, spendiert der bisherige Mandatsträger 16 000: legt er 20 000 Dollar an. sind es bei dem alten Parlamentarier 21 500 Dollar.
Daß die alten Parlamentarier den Neulingen Dollar für Dollar die Waage halten können, liegt daran, daß sie leichteren Zugang zu Wahlkampfspenden haben, die von außen kommen. Mandatsträger haben eben den Vorteil, schon einmal Kongreßausschüssen angehört zu haben. Konzerne oder Gewerkschaften wissen, ob ein bestimmter Abgeordneter oder Senator auch in der nächsten Legislaturperiode vermutlich in einen Ausschuß berufen wird, zu dessen Geschäftsbereich Dinge gehören, die für sie wichtig sind.
So war es etwa in den Wahlkämpfen für den Kongreß 1966 und 1968. Dem Unterausschuß für Verkehrswege, der dem Repräsentantenhausausschuß für öffentliche Arbeiten untergeordnet war, lag ein Gesetzentwurf zur Beratung vor, der es Lastzügen mit größerer Tonnage erlauben sollte, Bundesschnellstraßen zu befahren.
Im Falle einer Verabschiedung des Gesetzes wären die Schnellstraßen für
Robert Redford (M.) als McKay.
den normalen Verkehrsteilnehmer gefährlicher geworden, die Straßen hätten sich schneller abgenutzt. Die Folge: kostspieligere Wartungsarbeiten und Reparaturen. Aber die schweren Lastzüge hätten es besser gehabt als zuvor.
Also machte sich die Lastwagenindustrie an die Arbeit und ließ fast 30 000 Dollar an Wahlkampf spenden in die Kassen wichtiger Ausschußmitglieder fließen. Der größte Betrag ging an den Vorsitzenden des Unterausschusses für Verkehrswege. den Demokraten John C. Kluczynski aus Illinois. Kleinere Summen ließ man zwölf anderen Ausschußmitgliedern zufließen, von denen die meisten ebenfalls dem Unterausschuß angehörten.
Damit nicht genug -- die Lastwagenindustrie unterstützte auch die Mitglieder des Geschäftsordnungsausschusses des Repräsentantenhauses. denn der Gesetzentwurf mußte auch diesen Ausschuß passieren. Der Senatsausschuß für öffentliche Arbeiten bekam ebenfalls einen Anteil. Ohne Schwierigkeiten wurde der Gesetzentwurf vom Repräsentantenhaus angenommen, doch überraschenderweise starb er vor der dritten Lesung.
Sobald Zuschüsse zu riechen sind, gewinnt man Stimmen.
Immerhin, die Lastwagenindustrie hatte es versucht. Der Schatzmeister des »Truck Operators Nonpartisan Committee«. eines überparteilichen Verbands der Lkw-Fahrer, erklärte einem Journalisten gegenüber. »Wir tun, was wir können, für Ausschußmitglieder, die imstande sind, uns zu helfen. So einfach ist das.«
Die Zugehörigkeit zu Ausschüssen öffnet den Parlamentariern aber auch den Weg zu jenen Zuschüssen, die von Staatsgeldern für lokale Zwecke abgezweigt werden, und sobald solche Zuschüsse zu riechen sind, gewinnt man Stimmen.
Parlamentarier setzen sich für ihren Wahlkreis ein, wenn es darum geht, einen Löwenanteil an Bundesprojekten und Zuschüssen zu ergattern: für Bundesprojekte wie Postämter. Staudämme, Straßen, Flugplätze, Brücken, Häfen, Bundesgebäude, Militäranlagen. Bewässerungsprojekte, Massenverkehrssysteme, Müllbeseitigungsanlagen, Veteranen-Krankenhäuser, außerdem Zuschüsse für eine Vielzahl von Projekten des Gesundheits-, Bildungs- und Wohlfahrtswesens, des Umweltschutzes und anderer öffentlicher Aufgaben.
Der Hauptvorteil für den Abgeordneten: Die Presse in seinem Wahlkreis berichtet regelmäßig über derlei Projekte und Zuschüsse. Joseph Clark, ehemaliger Senator von Pennsylvanien. beschwerte sich denn auch einmal darüber, daß die Presse in Pennsylvanien von seinen wichtigsten Reden kaum Notiz nahm, daß aber seine Routinemitteilung über die Errichtung neuer Postämter Schlagzeilen machte.
Clarence Long, Abgeordneter aus Maryland, erklärte: »Ein Parlamentarier wird von der großen Mehrheit in seinem Wahlkreis nach den persönlichen Diensten beurteilt, die er seinen Leuten zu Hause leistet, und nach den Aufträgen, die er seinem Wahlkreis verschafft.«
Mehrmals wiedergewählte Parlamentarier beschweren sich andererseits aber auch darüber, im Wahlkampf nur deshalb auf Schwierigkeiten zu stoßen, weil sie eine parlamentarische Vergangenheit haben -- sie behaupten, ihre zum erstenmal aufgestellten Gegenkandidaten nutzten das zu Kritik und Verdrehungen aus, ohne selbst ähnlichen Angriffen ausgesetzt zu sein.
Trotz dieser und einiger anderer Nachteile sind mehrmals gewählte Parlamentarier viel stärker als ihre Rivalen. Einer der größten Vorteile liegt darin, daß ein Abgeordneter schon während seiner Amtszeit um seine Wiederwahl kämpfen kann. Der Kampf um die Wiederwahl beginnt tatsächlich in dem Augenblick, in dem das Kongreßmitglied vereidigt worden ist.
Die vielen Vergünstigungen, die einem Parlamentarier von Amts wegen zustehen -- Freibeträge für Mitarbeiter, kostenlose Reisen zwischen Washington und seinem Wohnort, Zuschüsse für Büroausstattung in Washington und zum Unterhalt eines Büros im Wahlkreis und natürlich das Vorrecht, Post portofrei versenden zu dürfen -- all das bedeutet Unterstützung im ständigen Wahlkampf.
Wer bereits im Amt ist, kann den Wahlkampf schon beginnen, ehe sein Gegenkandidat überhaupt ausgewählt worden ist und ehe die Wähler merken. daß der Wahlkampf schon im Gange ist. Bekennt ein Abgeordneter: »ln einem Jahr ohne Wahlen kann man hinterrücks einen viel wirksameren Wahlkampf führen als wahrend der offiziellen Wahlkampfzeit.«
Abgesehen von dem Zuschuß für Portospesen ist das wichtigste postalische Privileg des Parlamentariers. portofreie Briefe versenden zu dürfen. Ein ehemaliger Abgeordneter sagte zu seinem Sohn, als der zum erstenmal einen Sitz im Repräsentantenhaus errungen hatte: »Wenn du im Kongreß bleiben willst, dann halte dich an meine drei Ratschläge. Erstens: Verschick portofreie Sendungen. Zweitens: Verschick portofreie Sendungen. Drittens: Verschick portofreie Sendungen:
Portofreie Sendungen eines Parlamentariers tragen statt der Briefmarken eine große, verschnörkelte Unterschrift. die angeblich sagt: »Dieser Brief ist Geschäftspost von mir: aber allzuoft bedeutet sie: »Ich will wiedergewählt werden:« Es kann niemanden überraschen, daß die Menge der portofreien Sendungen zunimmt, je näher die Wahlen rücken.
Portofreie Sendungen sind zwar eigentlich nur für den »dienstlichen Gebrauch« und nicht als Hilfe für die Wiederwahl zulässig, doch der Kongreß pflegt eine ziemlich großzügige Interpretation des Dienstgebrauchs- Die bequemste Ausrede bietet eine Bestimmung, nach der beliebige Auszüge aus dem Kongreßprotokoll, dem »Congresssional Record«, als Dienstpost auf Kosten des Steuerzahlers verschickt werden dürfen.
Welche Möglichkeiten für den Mißbrauch sich hier eröffnen, wird deutlich. wenn man bedenkt, daß jedes Kongreßmitglied das Recht hat, irgendeinen Text in das gedruckte Protokoll aufnehmen zu lassen. So brachte der Abgeordnete Alvin E. O'Konski schon im Dezember 1971 -- ein Jahr vor der Wahl -- unter anderen Materialien auch eine »Biographie des Alvin E. O'Konski« in den Congressional Record: Im Wahlherbst 1972 steckte O'Konskis Lebensgeschichte in den Briefkasten seiner Wähler -- als Auszug aus dem Kongreßprotokoll.
»Wer seine Seele verkaufen will, kann Gelder bekommen.«
Andere Parlamentarier lassen schmeichelhafte Bemerkungen über Lokalangelegenheiten, Pfadfindergruppen, Gartenklubs. Debattiervereine und kirchliche Gruppen zu Protokoll nehmen und schicken die entsprechenden Auszüge dann den Umschmeichelten zu. Der Mitarbeiter eines Abgeordneten bezeichnete das Kongreßprotokoll schlichtweg als »eine große politische Trickkiste«.
Ein Kandidat, der sich zum erstenmal um einen Sitz im Parlament bewirbt. muß auf diese Tricks verzichten und Briefmarken verwenden. Wenn er an jeden der 150 000 Haushalte eines typischen Wahlkreises nur je ein Schrittstück versendet, kostet das -- bei 8 Cent Porto pro Stück -- insgesamt 12 000 Dollar, hinzu kommen noch der Druck (der Kongreßmitgliedern zum Selbstkostenpreis berechnet wird) und die Briefumschläge (die ein Kongreßmitglied umsonst bekommt).
Dem kandidierenden Parlamentarier steht -- im Unterschied zu einem Neubewerber -- aber auch die Presse offen. Rund ein Drittel der Repräsentantenhausmitglieder gaben 1965 an, daß die Zeitungen ihres Wahlbezirks alle ihre Mitteilungen wörtlich abdrucken, und ein zweites Drittel bekannte, in der Lokaipresse eine eigene Kolumne zu haben.
Typische Parlamentarier geben im Durchschnitt jährlich mehr als hundert Mitteilungen an die Presse heraus. Den Abgeordneten aus ländlichen Bezirken nutzt diese Unmenge an Pressematerial natürlich mehr als denen aus Großstädten. Einem Kleinstadtredakteur
* Demokratin Bella Abzug in Manhattan-Bronx.
fällt es schwer, die Spalten seiner Zeitung zu füllen, und da er kein Büro in Washington hat, das ihm Material beschafft, muß er sich mehr auf den Lieferanten von Gratisnachrichten stützen als etwa ein Reporter der »New York Times«.
Als Murray Watson in den Vorwahlen der Demokratischen Partei in Osttexas gegen William Poage antrat, nahmen die Lokalblätter von Watsons Kandidatur überhaupt keine Notiz. »Watsons Name tauchte höchstens in den Zeitungsanzeigen auf«, berichtete sein Wahlhelfer Roger Wilson.
Über die Hälfte aller Abgeordneten erscheinen regelmäßig in eigenen Rundfunk- oder Fernsehsendungen. Die Sendestationen übernehmen solche Beiträge gern, weil sie ihre Bereitschaft beweisen müssen, Programme zugunsten der Allgemeinheit auszustrahlen -- sonst verlieren sie die Lizenz.
Die Verfasser dieser Studie haben herausgefunden, daß ein wiederkandidierendes Kongreßmitglied für wöchentliche Informationssendungen 2500 Dollar im Jahr ausgibt, während ein Kandidat, der sich zum erstenmal um einen Parlamentssitz bewirbt, mit 60 000 Dollar rechnen muß.
Die Folge aller dieser Vorteile bei Postsendungen, Pressemeldungen, Hörfunk- und Fernsehsendungen: Ein wiederkandidierender Parlamentarier ist bei den Wählern sehr viel bekannter als ein Neuling, es sei denn, der Herausforderer steckt ungewöhnlich viel Geld in seinen Wahlkampf. Zwar kennt nur die Hälfte der Wähler den Namen ihres Abgeordneten, aber von dessen Rivalen haben noch viel weniger je etwas gehört.
Ganz gewiß haben die Autoren der amerikanischen Verfassung nicht damit gerechnet, daß die Kongreßmitglieder mit solcher Regelmäßigkeit wiedergewählt werden, wie es heutzutage der Fall ist -- nur deshalb haben sie vorgeschrieben, daß die Mitglieder des Repräsentantenhauses alle zwei Jahre neu gewählt werden müssen. Der Senat sollte Kontinuität, das Repräsentantenhaus Wandel widerspiegeln.
Paradoxerweise hat in einer Massengesellschaft. in der jeder Abgeordnete rund eine halbe Million Bürger vertritt, die Wahl für das Repräsentantenhaus genau das Gegenteil dieser Absicht zur Folge.
Ursprünglich sollte diese Bestimmung dem Volk die Möglichkeit geben, alle zwei Jahre seine Vertreter zur Rechenschaft zu ziehen. Jetzt aber gibt die zweijährige Legislaturperiode den Interessengruppen die Möglichkeit, alle zwei Jahre mit »ihren« Abgeordneten abzurechnen.
Der Uneingeweihte hat zwar den Eindruck, der Abgeordnete sei durch die Notwendigkeit der Wiederwahl gezwungen. auf die Meinung seines Wahlkreises Rücksicht zu nehmen. In Wirklichkeit aber nehmen die Abgeordneten auf diejenigen Rücksicht, die ihnen Wahlkampfspenden zukommen lassen. Im Gegensatz zu vielen Wählern kennen die Geldgeber den Namen ihres Kandidaten und wissen, wie er abstimmt.
Der Abgeordnete oder der Senator. der Wahlkämpfe finanzieren muß, sieht sich einem schweren Dilemma gegenüber. Der ehemalige Senator Albert Gore bekannte: »Jeder, der bereit ist. seine Seele zu verkaufen, kann für seinen Wahlkampf ansehnliche Gelder bekommen.«
Der Wunsch, wiedergewählt zu werden, führt jedoch auch zu einer Verzerrung der parlamentarischen Prioritäten -- Ein Abgeordneter kann es sich nicht mehr leisten, in aller Ruhe nach Washington zu fahren, dort seine Arbeit zu tun und gelassen abzuwarten, wie sein Wahlkreis seine Arbeit beurteilt -- statt dessen formt und manipuliert er die Nachrichten, die seine Wähler über ihn lesen und hören werden.
In dem für die Presse bestimmten Material werden die entscheidenden Fragen meistens übergangen, statt dessen versucht der wiederkandidierende Parlamentarier, ein bestimmtes Bild von sich zu geben -- das Bild des umgänglichen Mannes, der sich um die Sorgen seiner Leute daheim kümmert und ihnen möglichst viele Aufträge der öffentlichen Hand verschafft.
Damit verfälschen die Kongreßmitglieder die Maßstäbe, mit denen sie gemessen werden sollten. Sie banalisieren die Arbeit der Gesetzgebung, und sie heben hervor. was sie für ihren Wahlkreis tun.
Dem Wahlkreis Dienste zu erweisen ist sicherlich nicht falsch, aber diese Dienste so stark zu betonen. daß die eigentlich entscheidende Tätigkeit des Gesetzgebens praktisch nicht erwähnt wird, führt nicht nur die Wähler in die Irre, sondern verleitet die Kongreßmitglieder selbst dazu, sich weniger darum zu kümmern, ob etwa zuviel oder zuwenig für die Rüstung ausgegeben wird, als darum, ob Rustungsgelder in ihren Wahlkreis fließen.
»Jeder hat den Volksvertreter, den er verdient.«
Das Volk zieht den Kongreß selten zur Rechenschaft. Zum Teil liegt das daran, daß es sich diese Mühe gar nicht gibt, es sieht sich die Abstimmungslisten und die Informationen über Wahlkampfspenden gar nicht an, es läßt sich einlullen und nimmt seine Abgeordneten als das, was sie sind -- nicht als das, was sie sein sollten. Adlai Stevenson sagte einmal: »Jeder hat den Volksvertreter. den er verdient.«
Aber der Kongreß wird auch deshalb nicht verantwortlich gemacht, weil die Parlamentarier nicht zur Rechenschaft gezogen werden wollen, weil sie die Streitfragen vernebeln und ihre Rivalen übervorteilen können -- dank der Macht und der Privilegien, die sie sich selber gewähren.
Die Staatsbürger können dies ändern. Sie können selbst eine Lobby bilden und ihren Abgeordneten beeinflussen. Sie können ihn abwählen. Sie können ihn zur Rechenschaft Liehen.
Solange die Bürger das nicht tun, können sich die stolzen Herren der Gesetzgebung ihres Lebens freuen, an ihren Pulten ruhig schlafen, sich selber Zuschüsse aus Steuergeldern zuschanzen. Gelder von Interessengruppen annehmen, vor dem Präsidenten kapitulieren, gegen wichtige Gesetzentwürfe Obstruktion treiben und sich in Sicherheit wiegen, weil sie wissen, wie unwahrscheinlich es ist, daß man ihnen dieses Vergnügen und diese Macht jemals wegnimmt.
Tradition und das politische System dieses Landes haben die Amerikaner lange Zeit glauben lassen, daß der Präsident zur Führung berufen sei. Doch der Kongreß kann ein effektiverer Führer und Bewahrer demokratischer Werte sein -- nach dem Niedergang Richard Nixons mehr denn je. Manchen alten Skeptikern in Washington mag das wie ein schlechter Witz vorkommen. Nach Watergate aber hat der Kongreß nur eine Wahl: die Probleme der Zukunft zu ignorieren oder sie endlich ernsthaft anzugehen. Ende