Schmuggel Der goldene Schuß
Die Firma florierte. Modernes Management und rationelles Rechnungswesen, geringe Investitionen und schneller Umsatz ermöglichten schon im ersten Jahr nach der Gründung einen Gewinn von fast drei Millionen Mark.
Dank argloser Geschäftspartner und blinder Behörden wäre die Ertragslage weiterhin rosig geblieben, hätte sich nicht die Staatsanwaltschaft eingemischt und die Millionen-Macher nebst Helfern vor Gericht gebracht -- wegen gewerbsmäßigen Schmuggels, Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung.
Im größten deutschen Goldschmuggel-Prozeß waren nun vor der 9. Strafkammer des Landgerichts Darmstadt sieben Beteiligte angeklagt, von Januar 1970 bis März 1971 mindestens 6476 Kilogramm Barrengold im Wert von 28,6 Millionen Mark mit einmaliger »Raffinesse und Dreistigkeit« (Anklage) aus der Schweiz in die Bundesrepublik geholt zu haben -- ohne Zollanmeldung und damit ohne Zahlung der elfprozentigen Einfuhrabgabe. Dem Gewinn entsprach der Verlust des Fiskus: rund 2,9 Millionen Mark.
Die renommierte Firma Degussa ("Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt«, Sitz Frankfurt) erwarb über ihre Hamburger Niederlassung gutgläubig Barren um Barren des Schmuggel-Goldes und ersetzte den Verkäufern die -- nur scheinbar vorausbezahlten -- Steuer-Millionen. Degussa-Chefjustitiar Karl Feldmann: »Elf Prozent sind eine Aufforderung zum Schmuggel, soviel kann man beim Goldhandel sonst gar nicht verdienen.«
Das hatten auch der Exportkaufmann Armin Krieger, 31, aus dem hessischen Rüsselsheim und der Kunststoff-Kleinfabrikant Rainer Proest, 29, aus dem niedersächsischen Quakenbrück erkannt. Da sie wußten, daß »Gold in der Schweiz frei käuflich und in der Bundesrepublik ebenso von staatlichen Verboten unbehelligt wieder zu verkaufen war« (so der Darmstädter Staatsanwalt Hansjürgen Karge), übernahm Krieger das »Herbeischaffen« des Goldes über die Grenze und Proest den »Weiterverkauf« über seine Banken.
Krieger flog jeweils nach Zürich und kaufte bei der Schweizerischen Kreditanstalt auf dem Flughafen Kloten Goldbarren, die er beim eidgenössischen Zoll korrekt präsentierte und deklarierte. Nach der Landung auf Rhein-Main stapelte er die Barren in Schließfächern, ehe er, nun ohne Handgepäck, die deutsche Zollkontrolle passierte.
Später wurden die Barren, unbemerkt vom Zoll, aus dem Airport-Gebäude geschafft. Dieses wichtige Nachspiel lief deshalb so geschmiert wie die Vorbereitung, weil Krieger Spezialisten aus seinem Kumpel- und Kollegenkreis gegen geringes Entgelt eingesetzt hatte: > Der Speditionskaufmann Lothar Fuchs. 35, auf dem Frankfurter Flughafen tätig, beschaffte und girierte für die Goldkäufe Blanko-Schecks einer nichtsahnenden Firma, er besorgte und stempelte Blankoformulare für Zollanmeldungen. > Der Zollhauptsekretär Walter Körber, 50, auf dem Flughafen eingesetzt, entwendete einen Dienststempel für Zollerklärungen und stempelte auch selbst, wobei er die Registriernummer teilweise abdeckte. > Der Flughafen-Gepäckträger Otto Klee, 46, karrte die Koffer mit unverzollten Goldbarren aus dem Auslands-Ankunfttrakt des Airports, denn er konnte -- so die Anklageschrift -- den Abfertigungsraum »jederzeit ungehindert betreten und wieder verlassen, ohne daß er von einem Zollbeamten kontrolliert worden wäre«.
* Der Importleiter und Hobby-Pilot Bernd Cimadom, 30, beim gleichen Unternehmen wie Fuchs angestellt, und der Privat-Pilot und frühere Flugleiter Gerold Fischer, 35, flogen Barrengold mit einer gemieteten »Cessna« oder einer »Fuji FA 200« zu den Kleinflughäfen Ockstadt (Hessen) oder Karlsruhe. Die Gaunerei flog erst durch Ungeschick auf. Fischer war wieder einmal unangemeldet in Ockstadt gelandet. Krieger fuhr direkt an die Maschine heran und lud die gelbe Fracht in sein Auto. Ein Mitglied der Flugleitung, zufällig Augenzeuge, wurde mißtrauisch und ging zum Rollfeld, von dem sich Pkw und Flugzeug nunmehr »fluchtartig entfernten« (Karge) -- aber die Autonummer wurde notiert.
Als Krieger daheim in Rüsselsheim vorfuhr, wo Proest die heiße Ware übernehmen sollte, wartete dort auch die Polizei. Beide wurden festgenommen, 150 Kilo Goldbarren aus Kriegers Kofferraum sichergestellt. Bis zum Plädoyer des Staatsanwalts sahen zumindest die beiden Hauptangeklagten ihre Straftaten lediglich als listen reiches Kavaliersdelikt.
Erst als plötzlich lange Jahre in der Strafanstalt drohten, fuhr die Verteidigung für die sichtlich schockierten Angeklagten ganz schweres Geschütz auf: Erpressung, grobe Fahrlässigkeit oder gar Mitwisserschaft der Degussa -- es wurde, so Ankläger Karge, »Nebel über die Szene gelegt«.
Der Verteidigung zufolge hatte Rainer Proest bis jetzt den früheren Goldankäufer der Degussa in Hamburg, den Prokuristen August Volles, gedeckt. Dieser Volles habe die »plumpen Fälschungen« auf den Zollbescheinigungen erkannt und Proest erpreßt -- um 100 Mark Schweigegeld je Kilo Gold.
Proest-Verteidiger Wolfgang Telscher aus Bersenbrück: »Mein Mandant ging auf die Erpressung ein, Volles erhielt rund eine halbe Million Mark. Er hatte sogar seine Pensionierung ein halbes Jahr verschieben lassen. um seinen Gewinn noch zu vergrößern.«
Es kam noch dicker: Proest habe Volles deshalb gedeckt, weil dieser ihm versprochen habe, nach Ende des Verfahrens Geldstrafen zu übernehmen -- oder begleichen zu lassen, offensichtlich durch die Degussa.
Aber der »Zündstoff im Goldschmuggel-Prozeß« ("Frankfurter Rundschau") reichte nicht für einen goldenen Schuß, sondern nur für einen Rohrkrepierer. Bei der Vernehmung des jetzt 66jährigen Degussa-Pensionärs bestätigte sich keiner der Verteidiger-Vorwürfe.
Auch die Aussage des eilig für den letzten Prozeßtag zitierten Proest-Freundes Horst Klingenberg -- der von »Erpressung« gehört und Geldgaben in Zigarettenpackungen für Volles gesehen haben wollte -- half den Goldfingern nicht aus der Klemme. Im Gegenteil: Klingenberg saß nun selbst drin, weil er zugab, an Goldflügen beteiligt gewesen zu sein.
Staatsanwalt Karge sah ein »planvoll aufgezogenes Lügengebäude": »Schutzbehauptungen wurden aus den Fingern gesogen und an den Haaren herbeigezogen.« Besonders befremdet war der Ankläger darüber, »daß ein Anwalt Leute durch die Lande schickt, um Zeugen zu beeinflussen«.
Denn zwei Tage nach Karges Strafantrag, am Buß- und Bettag, waren der Bruder des Angeklagten Proest, Roger Proest, und ein Referendar aus der Kanzlei des Proest-Verteidigers Telscher, Thomas Buschermöhle, bei Volles in Hamburg aufgekreuzt.
Das Begehren des Proest-Bruders, untermauert durch den paragraphenkundigen Jung-Juristen: Durch Hinnahme der erkennbaren Zoll-Fälschungen habe sich die renommierte Degussa (Jahresumsatz 2,3 Milliarden Mark, Hauptaktionär der Waschmittel-Milliardär Konrad Henkel) der Steuerhinterziehung mitschuldig gemacht, sie müsse ebenfalls mit einer hohen Forderung der Finanzbehörde rechnen.
Sein Bruder aber, so versicherte Roger Proest, der »bisher nichts über die Degussa ausgesagt hat«, werde weiterhin »keinen Staub aufwirbeln« -- wenn Volles die Degussa umgehend zu dem Versprechen veranlasse, Proests Millionenschulden zu übernehmen.
August Volles ("Ich war über den Strafantrag erschüttert und wollte helfen") schickte tatsächlich eine Niederschrift des Gesprächs an die Degussa. Chefjustitiar Feldmann aus der Frankfurter Firmenzentrale höhnte über die Vermutung, sein Vorstand trete zusammen, »um eine sinnvolle Entscheidung zu fällen, wie man einem Schmuggler helfen kann«. Seine Aussage: »Wir haben uns bei der Degussa niemals mit dieser Frage befaßt.«
Freilich mußte der Degussa-Rechtswahrer einräumen, daß man auch nach einem Hinweis der Zollfahndung »nichts Verdächtiges« und »keine Fälschungen« auf den Belegen entdeckt habe, so wenig wie zuvor die Banken. Die Formfehler und Eintragungs-Retuschen waren inzwischen von Zollexperten erkannt worden. Feldmann argumentierte fröhlich: »Sie wissen ja, wenn ein Deutscher ein Originalformular mit dem Bundesadler sieht, dann ist er schon beruhigt. Daß die Eintragungen gefälscht waren, konnte man nicht wissen.«
Staatsanwalt Karge, der nach dem »inszenierten Stück« die Aussagen von Volles als »schlüssig und widerspruchslos« qualifizierte und bei Proest nun lediglich »noch größere kriminelle Intensität« sah, wurde gleichwohl aktiv: Er leitete drei neue Ermittlungsverfahren ein -- gegen Referendar Buschermöhle wegen Verdachts der Begünstigung, gegen den Zeugen Klingenberg wegen Verdachts der Schmuggel-Beihilfe und gegen Volles -- der nach dem Scheitern angezeigt worden war -- wegen Verdachts der Erpressung. des Meineids und der Steuerhehlerei.
Die 9. Strafkammer in Darmstadt fällte am letzten Freitag die Urteile: vier Jahre und drei Monate Freiheitsentzug sowie 160 000 Mark Geldstrafe für Proest, vier Jahre und 160 000 Mark für Krieger, drei Jahre und 25 000 Mark für Fuchs. Gepäckträger Klee wurde zu zwei Jahren und drei Monaten sowie 20 000 Mark Geldstrafe verurteilt. Die drei anderen Helfer kamen glimpflicher weg: sieben Monate und 1000 Mark für den Zollbeamten Körber, zehn Monate und 3000 Mark für Cimadom, neun Monate und 3000 Mark für Fischer: die Freiheitsstrafen wurden jeweils zur Bewährung ausgesetzt.
Schmerzlicher noch als diese Strafen könnte auf das Septett die Erkenntnis wirken, wieviel bei legalem Handel verdient worden wäre. Seit zwei Jahren ist der Kilopreis für Gold von rund 4400 auf über 6000 Mark gestiegen. Der Verkaufsgewinn bei 6000 Kilo gelagertem Barrengold würde jetzt mithin rund zehn Millionen Mark ausmachen.