Kriminalkommissar Franz Münchinger war ein Mann von erdiger Schläue und etwas windigem Charme. Was er als Bub im Glasscherbenviertel hinter der Schwanthaler Höh' gelernt hatte, setzte er später in den Frühlokalen und Tanzpalästen der Innenstadt gewinnbringend um. Er kannte die Schliche der Münchner Unterwelt und nutzte die Schwächen der schöneren Töchter.
Der Mann war ein Stenz und als solcher die lokaltypische Ausgabe des Herzensbrechers. Er war aber auch die Ikone des liberalen München, von Lebensart und Lebenslust. Das Volk liebte ihn, weil er Walderdbeeren für seine verwöhnten Gespielinnen kaufte und Weißbier für sich in der Rocktasche trug.
Münchinger, als Kunstfigur erschaffen und als »Monaco Franze« im Abendprogramm mit bestechenden Quoten gesegnet, lebt. Helmut Fischer, der den Monaco damals im Maßstab eins zu eins auf den Bildschirm brachte, steht seither Modell fürs Phantombild vom Lieblingsmünchner. Fischer besitzt die in Bayern begehrte, wenn auch rare Fähigkeit, die Sprache des Volks mit dem Gestus von Welt zu versöhnen. Das macht ihn zum strategischen Objekt weiß-blauer Werber wie Politiker.
Fischer-Monaco aber will in diesem Sommer Subjekt sein. Er versteht sich als politischer Mensch. »Auch der Butterpreis ist politisch«, hat er früher gesagt. Diesmal geht es um mehr.
Sein Freund und Nachbar Christian Ude von der SPD möchte sich am 12. September zum Oberbürgermeister wählen lassen. Weil den freundlichen Anwalt sichtbare Zweifel am eigenen Erfolg plagen, leiht ihm Fischer-Monaco sein unschlagbares Lächeln für die Werbebroschüre. Dazu macht er Wahlkampf in Hinterzimmern und Bierzelten, wo kritische Intelligenz den Fortbestand der »freien Stadt« fordert.
Würden die Wähler ihrem Vorbild folgen - allein die Rückendeckung von Fischer-Monaco für den SPD-Mann Ude müßte den Ausschlag geben. Doch der Wahlhelfer selbst ist anderer Meinung. Sollte die seit dem Krieg meist rot regierte Stadt auch diesmal nicht nach rechts rutschen, so sei dies eher dem Umstand zu danken, daß der Münchner von Haus aus »mißtrauisch und von göttlichem Starrsinn« sei. Die frühere Geschichte zeige aber auch: »Er ist verführbar.«
Der große Verführer, so sieht es Fischer-Monaco, ist schon dabei, ungestört Opfer im Schatten der Frauenkirche zu ködern.
Mit Thesen von mehrheitsfähiger Schlichtheit und ebensolchen Unterstützern versucht er, die Macht der rot-grünen Rathausriege mitten im schwarzen Erbland zu brechen. Auch er zählt sich zu den Monaco-Verehrern. »Unser aller Vorbild« hat er ihn genannt. Nun wirbt er mit Sprüchen um Wähler, die jedem Stenzen zuwider wären: »Ja zur Sicherheit - Ja zu Gauweiler«.
Gauweiler, Staatsminister Dr. Peter, wie ihn die christsozialen Jubelstrategen in den Bierhallen ankündigen, ist über die Provinz gekommen wie eine Feuerwalze über ausgedörrten Busch. »In dieser Stadt wird sich letzten Endes das bayerische Schicksal erfüllen«, sprach er finster zur Eröffnung des Wahlkampfs. Seither versucht er, die durch ständige Schlappen saftlos gewordenen CSU-Anhänger hinter der Fahne bürgerlicher Verdrossenheit zu versammeln.
Ausgerechnet er, der immer höher hinauswollte, als er dann durfte. Der jetzt im bayerischen Umweltressort lahmliegt wie ein Luxusliner im Trockendock. Der Ziehsohn von Strauß und verhinderte Geostratege, der vor fassungslosen Müll- und Wasser-Experten im Ministerium über die Lage im Nahen Osten extemporiert - künftig oberster Dienstherr von Stadtreinigung und Verkehrsbetrieben?
»Darf ich Ihnen ein Brieferl anbieten und ein Käferl für den Kleinen?« fragt der Herr Minister, und die Wochenmarktbesucher im Norden Schwabings sagen nicht nein. Das Schokolade-Käferl schmeckt süß, das Brieferl nicht.
Von wirtschaftsfeindlichem Klima in der rot-grün regierten Stadt ist da die Rede und von »wahnsinniger Verhinderungs-Politik«. Auch davon, daß der Kandidat im Fall seiner Wahl mehr Wachleute in U- und S-Bahn schicken würde statt Frauen in städtisch finanzierte Judokurse.
Die Standbesitzer hat Gauweiler auf seiner Seite, rauhe Niederbayern, die seine Autogrammkarten stapelweise unter die Gurkenkisten klemmen. Leider dürfen sie in München nicht wählen. Die Einheimischen lächeln eher scheu. Den da kennen sie aus dem Fernsehen.
Weshalb hat der eigentlich 1,3 Millionen Mark in elf Jahren von einer Kanzlei bekommen, für die er nicht mehr arbeitet? Und warum geht er mit dem bösen Slogan vom »Tatort München« hausieren, wenn aus der Richtung des bayerischen Innenministers, gleichfalls CSU, verlautet, kaum irgendwo lasse sich sicherer leben als hier?
Die meisten stopfen ihre Käferl schnell ins Einkaufsnetz, während der Minister weiterzieht. Abends erstellen seine Helfer eine Bilanz der ausgegebenen Tiere. Reichweitenanalyse, die Mut macht.
In Wahrheit ist Gauweiler überall präsent, doch nirgends daheim. Er probt den legendären Spagat seines Mentors Franz Josef Strauß mit deutlich geringerem Erfolg. Die Sache der Chip-Produzenten und Waffenschmiede glaubhaft zu vertreten, gleichzeitig die Sorgen der Rentner, die von der Mietexplosion in die unwirtlichen Vorstädte katapultiert werden - schwer für einen, der sich seinen Ruf durch das Talent erwarb, eng umrissene Aufgaben gewissenhaft zu lösen.
Der Kandidat spürt, daß er nicht über ein vergleichbares Register an Tonlagen verfügt wie der verehrte Vorsitzende Strauß und auch nicht wie sein Vorbild Monaco. Der konnte dem Kleinganoven Tierpark-Toni grob kommen und der feineren Gesellschaft mit süßlichem Schmäh. Gauweiler will es allen recht machen und ist doch nie er selbst. Er will Tango und Polka tanzen - und kriegt beides nicht hin.
Sein Platz ist nicht am Mann, sondern hinter dem Mikrofon: Gauweiler ist mit den höheren Weihen des Bierzeltredners versehen, kein unwesentlicher Vorteil in München. Keiner verknüpft kunstvoll wie er das nur scheinbar Zusammengehörige. Er ist Meister im methodischen Kurzschluß.
Nichts gegen deutsche Soldaten in Somalia, sagt Gauweiler, aber was ist mit den wehrlosen Frauen in unseren U-Bahnen? Als Dreingabe beliebt: die Geschichte vom toten Polizisten und dem undankbaren Volk.
»Bad Kleinen«, sagt Gauweiler mit hämisch verzerrter Betonung, während er die Augäpfel rastlos hin- und herwirft, als wolle er die Menschen im Pschorrkeller samt ihrer Biertische einzäunen - Bad Kleinen zeige, wie weit es gekommen sei in diesem Land. Viel Gezeter um einen erschossenen Terroristen, wenig Aufhebens um den toten GSG-9-Mann, gestorben in Erfüllung seiner Pflicht.
Zur Freude des Demagogen ersäuft im Dunst des Bierkellers die Einsicht, daß zwar ein Organ des Staates kontrolliert, nicht aber Trauer amtlich verordnet werden kann.
Im Auslösen kollektiver »Rauschzustände« könne er mit Gauweiler nicht konkurrieren, bekennt der SPD-Kandidat Christian Ude. Auch sei er »nicht so volkstümlich wie Thomas Wimmer, so fleißig wie Hans-Jochen Vogel und so listig wie Schorsch Kronawitter« - seine sozialdemokratischen Vorgänger auf dem höchsten Verwaltungssessel. Sie haben München mit Stimmenanteilen von bis zu 78 Prozent regiert.
Beim Gang durch die rote Ahnengalerie muß Ude tatsächlich ein bißchen bange werden. Der legendäre Wimmer-Damerl, Schreiner aus dem Niederbayerischen, war bekannt dafür, daß er sein Volk am Lachen und dafür Staatsbesucher kurzhielt, mit Weißwurst und Nußhörnchen. Weil der Antifaschist 1945 selbst zum Spaten griff, um den Nachkriegsschutt wegzuschaufeln, war ihm schon früh ein Logenplatz im Mausoleum der Münchner Stadtpolitik sicher.
Dort sehen viele auch den Olympia-Macher Hans-Jochen Vogel, der die Ungnade seiner Göttinger Geburt durch den Hinweis zu schmälern wußte, ein Pferd, das in einem Kuhstall zur Welt komme, bleibe dennoch ein Pferd. Und Schorsch Kronawitter aus der Hallertau, seit Juli im Ruhestand. Mit betont kleinzelliger Politikphilosophie amtierte er 15 erfolgreiche Jahre lang. Ude ist anders. Ein neuer Sozialdemokrat, und doch nicht Toskana. Ein Schwabinger der seltenen Sorte - gebildet und problemnah. Dem Schönen zugetan, und doch kein Snob. Ude argumentiert sachlich, und es fällt ihm nicht schwer: Er redet über Dinge, die er kennt. Drei Jahre lang war er Bürgermeister unter Kronawitter, davor stadtbekannter Mieteranwalt. Ein über Münchens Grenzen hinausreichender Ehrgeiz ist ihm nicht nachzuweisen.
Natürlich weiß er, daß das rote München am Tropf von schwarz regiertem Freistaat und Bund hängt. Daß ihm die Hände gebunden sind, solange die Metropole inmitten des Blasen schlagenden CSU-Sumpfs als lästige Insel »alternativer Spinner« (Gauweiler) gilt, die jeder echte Christsoziale gern fluten würde.
Und doch beackert Ude ruhig sein karges Terrain. Spricht von Kindertagesstätten, Nahverkehr und Literaturhäusern, denn nur da könnte er als Verwaltungschef ansetzen. Der ungestüme Kontrahent hingegen streut Grobkörniges über Sicherheit, Familie, Verkehr und Kultur, beklagt die drohende »Harlemisierung« der Stadt und das »wirre Denken« der Regierenden.
Ob er sich nicht wehren wolle gegen die schwarzen Attacken, muß sich der SPD-Mann fragen lassen. Schließlich sei Wahlkampf. Seine Gegner versuchten eben, sich das bayerische Herzstück zu sichern, sagt Ude. Aus deren Sicht liege das nahe: »Die CSU ist eine Besitzerwerbs- und Verteilungsfirma mit folkloristischer Umhüllung.« Für Udes Verhältnisse ist damit die polemische Schamschwelle schon fast überschritten.
Soziologisch gesehen ist seine Kandidatur ein Wagnis. Die nußbraunen Villenviertler bedient der aufrichtige Mann so wenig wie die Biertischfaschisten. Das bißchen verbliebener Boheme und die Entrechteten garantieren noch keine Mehrheit. Für Ude spricht: Keiner haßt ihn. Gegen ihn könnte entscheiden: Keiner kennt ihn.
Willy Bogner beispielsweise, Inbegriff hausgemachter Münchner Erfolgsgeschichten, hätte sich sicher einen geschmeidigeren Fürsprecher seines Gewerbes gewünscht als einen, der zur Eröffnung der Modewoche selbstironisch in die RTL-Kamera spricht: »Mode? Ein Spaß, den sich vorwiegend andere machen.«
Auch daß Ude zwischen heftig fächelnder Gesellschaft mit seiner Frau scherzte, während Bogners Willy mit Schaffnermütze und Trillerpfeife im Mund das Defilee im Bundesbahn-Ausbesserungswerk einleitete, mag so manchen befremdet haben. Es liegt der Verdacht nahe, daß Ude es mit seinem Freund Fischer-Monaco hält. Auch dem Stenzen fehlte der Wille zur heiligen Andacht, den das gesellschaftliche München regelmäßig einfordert. Verheerend sei es, sprach er einst, »daß wir in München ein Publikum haben, das hint' und vorn von nix was versteht«.
Ob nun München »in guten Händen bleibt« (Ude) oder den Wechsel will, »damit es wieder besser wird« (Gauweiler), ist erstens eine Frage der Perspektive und zweitens unklar. Nach Lage der Dinge scheint es der SPD-Kandidat weniger leicht zu haben als in früheren Jahren. Sicher ist, daß zum erstenmal die Nachkriegsgeneration im Rathaus das Sagen haben wird, vertreten, auch das gab es nicht seit fast 50 Jahren, durch einen Sohn der Stadt.
Die Geschichte von Ude und Gauweiler gleicht der von Billardkugeln, die, präzise angeschossen, V-förmig auseinanderstreben, um sich später wiederzufinden. Der Stoß traf beide zeitig, so daß schon der linke Schüler Ude erste Händel mit dem rechten Schüler Gauweiler zu bestehen hatte.
Während der Apo-Zeit begegneten sich die beiden Jurastudenten in unveränderter Gegensätzlichkeit, wenig später auch als SPD- respektive CSU-Sprecher. Beide besetzten dann die vorhersehbaren Rollen im Münchner Anwaltsspektrum, mit der logischen Folge: Christian Ude verteidigte zwangsgekündigte italienische Mieter, Peter Gauweiler die dafür verantwortliche Brauerei Hacker-Pschorr.
Als höchste Dotierung nimmt der SPD-Mann eine »Löwenpfote« mit ins Rennen, verliehen für mutigen Kampf gegen Mietwucher. Gauweiler hat das Bundesverdienstkreuz und den »Goldenen Filserhut«, ausgelobt von den Freunden heimischen Schrifttums.
Löwenpfote (SPD) wird kämpfen müssen, und er weiß es auch. Er täte sich leichter beim Volk, würde er manchmal seinen Zweifel an endgültigen Wahrheiten ersticken, statt ihn kundzutun. Er schleppt schwer am ewigen Klumpfuß der dialektisch denkenden Genossen: Zweifel ist intellektuell redlich, politisch aber erfolgverhindernd. Starke Politiker zweifeln nicht. Zumindest nicht öffentlich.
Den demagogisch begabteren Christsozialen ist der Aggregatzustand fehlender Selbstgewißheit wesensfremd. Ihr Kandidat tritt immer so auf, als fühle er sich da, wo er sich gerade aufhält, besonders daheim. Filserhut (CSU) changiert: Stahlhelm, Narrenkappe, Doktorhut - das Spektrum ist beachtlich. Er pflegt die Trachtler, lobt die Landesverteidiger, spielt den Dienstmann Aloisius und den Freund der Wissenschaften.
Nur seine Mimik verrät, wann er bei sich selbst angekommen ist. Sobald nicht er, sondern ein anderer spricht, sitzt er da, ein Bündel Loden mit hängenden Schultern. Er hat dann den wehmütigen Ausdruck eines Mannes, der die Zauberformel fürs Glück kennt und sie nicht anwenden darf.
Ergeht aber das Wort an ihn, dann legt er mit maschineller Präzision los, die angegraute Bürste über der Oberlippe wie die Schaufel einer Planierraupe vor sich herschiebend.
Daß so einer beim Bieranstich auf der Wies'n patzen würde, steht nicht zu befürchten. Angst müßte man schon eher haben, daß er noch ein letztes Mal draufhaut, wenn der Wechsel längst im Spundloch steckt.
Kurz und trocken. Y
*VITA-KASTEN-1 *ÜBERSCHRIFT:
Ein ungleiches Duell *
um die Macht im Münchner Rathaus führen Christian Ude (SPD) und der bayerische Umweltminister Peter Gauweiler (CSU). Beim Kampf um die Mehrheit am 12. September vertraut der politische Spätstarter Ude, 45, auf die linke Tradition in der Landeshauptstadt und auf seinen Ruf als Anwalt der Mieter. Gauweiler, 44, setzt sein Prestige als Saubermann und Macher dagegen. Der zurückgetretene Amtsinhaber Georg Kronawitter (SPD) hatte 1990 61,6 Prozent der Stimmen erreicht.