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Der Hitler von Bagdad

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 34/1990

Mit dem Namen Chamberlain verbindet sich heute nicht mehr der des Vaters Sir Joe, der bis 1901 eine kaum noch mögliche Verständigung mit dem Deutschen Kaiserreich der Schlieffen und Tirpitz suchte; nicht mehr der des Sohnes Sir Austen, der nach dem Ersten Weltkrieg ein erfolgreicher Schatzkanzler (und potentieller Außenpolitiker) war.

Vielmehr denkt man an den Premierminister Sir Neville Chamberlain von 1938, den Mann mit dem Regenschirm, dem sein Stiefbruder Austen geraten haben soll, die Finger von der Außenpolitik zu lassen.

Das kann aber ein britischer Premier nicht. Neville Chamberlain hat, als er noch Schatzkanzler war, als erster die Aufrüstung gegen Hitler betrieben. Nicht sein mit Hitler geschlossenes Münchener Abkommen war falsch, sondern dessen Verpackung ("Peace for our time"). Daß Hitler ein tollwütiger Wolf war, konnte damals nicht unterstellt, es mußte erprobt werden, zumal man Stalin für schlimmer hielt.

Ein Krieg anläßlich der Sudeten-Krise wäre für Deutschland und Großbritannien gleichermaßen riskant gewesen. Das hätte sich kein britischer Premier, auch nicht der Abenteurer Churchill, leisten können. Nur Hitler wollte va banque spielen, da er den größten friedlichen Sieg in der Tasche hatte, und das machte ihn nur noch wütiger.

So gehen denn alle Vergleiche zwischen Hitler und Saddam Hussein fehl. Hitler wollte die Welt mitsamt sich selbst in die Luft sprengen. Bei Saddam ist das schwer vorstellbar.

Die Notwendigkeit, diesen Friedensbrecher jetzt in die Knie zu zwingen, ihm das geraubte Kuweit wieder zu entreißen, sollte jeder Abendländler erkennen. Auch Deutschland wird sich über Frankreichs »Führungsrolle« samt eingebauten Alleingängen nur noch klammheimlich mokieren, sich aber künftig den Entscheidungen stellen.

Saddam Hussein ist sowenig ein Hitler wie ein Gaddafi, sowenig wie es einst Nasser oder Chomeini waren. Wer soll denn noch alles Hitler sein? Allenfalls will der Iraker lieber sterben, als das geraubte Gut herausgeben, aber auch das ist schon zweifelhaft.

Der Mann ist gefährlich genug, besonders für Israel. Aber wer hat ihm denn die modernsten Waffen verkauft, gegen den Iran? Das war doch vor allem Frankreich. Wer hat mit der Intelligenz einer Ameise den Saddam-Gegner Iran bestechen wollen? Das waren die USA, und das noch mit Bande in Richtung Mittelamerika.

Die Verrückten sitzen ja nicht nur in Teheran, Bagdad und Tripolis. Saßen sie nicht auch, getarnt als Oberstleutnants, im Weißen Haus? Welche Rechnungen hat man sich in Paris gemacht, als man Saddam gegen den Iran aufrüstete? Solange die Großmächte sich das Recht nehmen, verrückt zu spielen, sollten wir Neu-Deutschen eine Mittelmacht bleiben. Aber vielleicht lernen ja auch sie. In Kuweit jedenfalls wird es ernst.

Nichts wiederholt sich. Aber wie konnte man nach dem Ersten Weltkrieg den Frieden erhalten, wenn man Japan 1931 in die Mandschurei ließ, Italien 1935 nach Abessinien? Wie, wenn Hitler 1936 vertragswidrig ins demilitarisierte Rheinland einziehen durfte? Wie, wo man doch Spanien als Probebühne benutzte? Heute muß ganz ausgeschlossen bleiben, daß Saddam Hussein seine Beute für sich behalten darf. Aber wäre das so ausgeschlossen, wenn er, mit Kuweit, nicht über 30 Prozent der heute bekannten Ölreserven verfügen würde? Wie, wenn er die Freilassung sämtlicher westlicher Geiseln aus arabischer Hand anordnen könnte?

Fundamentalisten sind immer gefährlich. Aber er ist keiner, sondern nur ein größenwahnsinniger Diktator. Und bleibt es nicht auch gefährlich, daß die amerikanische Nahost-Politik von den Fundamentalisten in Israel abhängt? Hat Saddam Hussein nicht acht Jahre die Blutsäufer des Ajatollah bekämpft?

Man sieht, Verwirrung genug. Aber schließlich, wenn das Pulverfaß explodiert, wird es am Ende recht gleichgültig gewesen sein, wer die längste Lunte am frühesten gelegt, wer sie angezündet hat. Einstweilen scheint es so, als hätten wir in George Bush einen recht kühl kalkulierenden Chef der westlichen Welt.

Solchen Chefs werden auch wir die militärische Unterstützung auf Dauer nicht verweigern können - vorausgesetzt, sie fangen nicht wieder an, Amok zu laufen.

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