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RUDOLF AUGSTEIN Der illegale Staat

Der illegale Staat _____« Denn Raub begeht am allgemeinen Gut, wer selbst sich » _____« hilft in seiner eignen Sache. » _____« Friedrich Schiller: »Wilhelm Tell« » *
Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 47/1985

Selten noch ist ein Gemeinwesen allein aufgrund seiner inneren Korruption zusammengebrochen. Ein Anstoß von außen mußte dazukommen. Das gilt sogar für den ehedem Kirchenstaat des Papstes. So mag man sich beruhigen. Auch die Bundesrepublik wird an ihren Korruptionsaffären und deren (Nicht-)Bewältigung kaum zugrunde gehen. Es ist ja auch, außer immer denselben Zeitungen und Zeitschriften, niemand beunruhigt.

Die Bevölkerung interessiert sich für das Spendengebaren der Parteien ähnlich intensiv wie für den bezopften Großen Zapfenstreich, von dem sich rühren zu lassen eine gehörige Portion Staatsverliebtheit oder schlichte Dämlichkeit gehört. »Nicht mal so'n Fest kriegt er hin«, höhnte der Viersterne-General a. D. Gerd Schmückle über den Minister Wörner.

Oder irren wir uns vielleicht? Sollte der sogenannte »kleine Mann«, sollte die »kleine Frau« mitgekriegt haben, daß in diesem Parteiensystem der jeweils Verantwortliche auf seinem Posten hocken bleibt, indem er zwei, drei Untergebene an seiner Statt opfert, sie in die pensionsberegnete Wüste schickt? Da halten wir es anders als im wahrlich noch korrupteren Japan, wo gelegentlich der Chef zurücktritt, wenn die Untergebenen Mist gebaut haben.

Aber vielleicht sollte sich herumgesprochen haben, daß es zweierlei Recht gibt, weil die Parteien und der von ihnen okkupierte Staat ihre eigenen Gesetze nicht beachten, weil sie unerschütterlich auf neue Gesetzesverletzungen sinnen, wenn die vorangegangenen aufgeflogen sind?

Da sind ja Bürger, die so eben mal den Bundesnachrichtendienst anzapfen können, ihm Geld zur Verfügung stellen und von ihm Geld zur Verfügung gestellt bekommen ("Mischfinanzierung"), so als ob die Dienste nicht ausschließlich hoheitsstaatliche, fest umrissene Aufgaben wahrzunehmen hätten. Fast fühlt man sich ans alte Spanien erinnert, wo der Berufsträger einerseits General, in seiner Freizeit aber Friseur war.

Wieder geht es um einen Chef, der nicht geopfert werden darf, da sonst das gesamte Koalitions- und Korruptionsgefüge ins Rutschen käme, anders als im Fall des BND-Chefs Hellenbroich, für den kein Regenschirm bereitstand.

Klaus Kinkel, nun ausgerechnet Staatssekretär im Bundesjustizministerium, zur Zeit der Untat Chef des BND, ist Genschers Vertrauter und der eigentliche Minister in seinem Ministerium.

Sein damaliger Vorgesetzter als Kontrolleur der Dienste, Manfred Schüler, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, steht außerhalb der Schußlinie, weil nicht mehr im Dienst. Er hat (alles?) gewußt. Schülers Vorgesetzter Helmut Schmidt, preußisch-hanseatisch-protestantisch, hat offenbar Anweisungen gegeben, ihn mit heiklen Problemen gar nicht erst zu befassen, Schmidt-Hase.

Will man so regieren? Ja, so will und wird man regieren. Jeder erteilt jedem Absolution, und die Grünen zählen nicht.

Wohl mag es Dinge geben, die ein Staat als sein Arkanum hütet. Aber dieser Mischstaat eignet sich dazu offenbar nicht. Es kommt doch alles heraus, siehe den preußischen Edelmann Eberhard von Brauchitsch.

Das alles hat keine Folgen? Es wird seine Folgen schon lange gehabt haben. Der Schwarzarbeiter sieht nicht ein, warum er weiß arbeiten soll. Der ehrliche Steuerzahler, es gibt ihn ja, wird verunsichert.

Der junge Mann, der zweifelt, ob er beim Bund dienen will, hört auf zu zweifeln. Der Beamte schränkt seine Dienstzeit bis unter die Baumgrenze ein und fordert das Doppelte.

Der grüne Abgeordnete fährt im Dienstwagen über 800 km mit Chauffeur zu einer Popveranstaltung, obwohl er per Freifahrtschein einen zeitgünstigen Zug hätte benutzen können. Jeder tut nur noch das Nötigste, wie im Sowjetreich, oder auch das Unnötigste. Subventionen? Aber ja doch. Leistung? Beide Hände stehen erwartungsvoll offen.

So geht es zu in einem Tom-Tom-Staat, der lächerlich wirkt, weil er lächerlich ist.

Staatstragendes PS: Korruption gibt es immer und überall. Gefährlich ist nur der Rütlischwur, alles auszuschwitzen oder auszusitzen ("In keiner Not uns trennen und Gefahr"). Irgendwann werden die Leute beim Großen Zapfenstreich dann lachen.

Denn Raub begeht am allgemeinen Gut, wer selbst sich hilft in seiner

eignen Sache. Friedrich Schiller: »Wilhelm Tell«

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