UNIVERSITÄTEN Der Kampf aller gegen alle
Berlin, Brunnenstraße 188 - 190, mitten im alten und neuen Regierungsviertel. Nach und nach betreten drei Frauen und acht Männer mit Aktenkoffern den Konferenzraum im Senatsgebäude: Ein Abteilungsleiter für Wissenschaft, zwei hohe Beamte aus den Ressorts Inneres und Finanzen, ein hoher Beamter des Wissenschaftssenators, natürlich mit Protokollführerin, legen ab.
Nun kommt der Präsident der Humboldt-Universität mit seiner gesamten Führungsspitze: Erster Vizepräsident, eine Vizepräsidentin, Kanzler. Auch ein Vertreter des Personalrats und die Frauenbeauftragte treffen ein. Offenbar handelt es sich um ein bedeutsames Gespräch über folgenreiche Personalentscheidungen, von denen der Ausbau der Hochschule abhängen wird.
Nach einer Stunde ist alles geschafft, die Teilnehmer freuen sich über das entspannte Gesprächsklima und loben den zügigen Verhandlungsverlauf. Das Ergebnis: Der zweite Textentwurf einer Stellenausschreibung für den Posten eines Abteilungsleiters ist fertig.
Ein Beispiel für die Bürokratie, die den deutschen Hochschul-Archipel überwuchert, aber beileibe nicht das einzige.
So geht es nicht weiter - darüber sind sich alle einig, von den Studenten auf den Straßen bis zu den Ministern in den Chefetagen. Den Bildungsnotstand bestreitet niemand mehr: Es gibt zu viele zu schlecht ausgebildete Akademiker, und sie sind im internationalen Vergleich nicht mehr konkurrenzfähig.
Unter der Last des Andrangs wuchert die Bürokratie, Lehre und Forschung sacken ins Provinzielle ab, die hochspezialisierten Studiengänge führen zur Arbeitslosigkeit. Und überall werden die Mittel gekappt.
Aber wie soll es weitergehen? Darüber sind alle Beteiligten - Professoren, Studenten, Verwaltungen, Politiker - zerstritten. Wie der Bildungsnotstand zu beheben ist, weiß fast jeder, wäre plötzlich Geld genug da. Und es weiß im Ernst niemand, weil es bei knappen Kassen bleiben wird.
Letzte Illusionen zerstörte die Bonner Koalition mit einer absurden Erfolgsmeldung: Gerade mal 40 Millionen wurden angesichts der bundesweiten Uni-Streiks der vorigen Woche lockergemacht für Bibliotheken - in etwa eine halbe Promille der Summen, die Deutschlands Hochschulen zusätzlich brauchen.
Die einzige Hoffnung ist für viele (längst nicht mehr für alle) das künftige Hochschulrahmengesetz (HRG), das Reformen ermöglichen oder sogar - wie einige Optimisten verbreiten - erzwingen soll. Sofern sie wollen, dürfen die Länderregierungen danach in Zukunft
* ihre Hochschulen entsprechend deren Leistungen finanzieren (auch wenn strittig ist, wie Forschungsleistung gemessen werden kann);
* die Qualität von Lehre und Forschung periodisch überprüfen (auch wenn strittig ist, wer dann die Qualität bewerten darf);
* die Studiengänge wie in den angelsächsischen Ländern zweistufig einrichten (auch wenn strittig ist, für welche Fächer dies gelten soll);
* die Berufung von Hochschullehrern von der pädagogischen Eignung abhängig machen (auch wenn strittig ist, wie Didaktik und Fachkompetenz aufzurechnen sind).
All dies kann die Universitäten besser, wenn auch nicht unbedingt freier - autonomer - machen. Immerhin, ein Stückchen Freiheit scheint ihnen ziemlich sicher: Sie dürfen in Numerus-clausus-Studiengängen mit eigenen Auswahlverfahren die Studierenden aussuchen (auch wenn strittig ist, ob der Aufwand lohnt und ob das Abitur entwertet wird).
Darüber, ob und wie die Chancen genutzt werden, die das HRG bietet, ist in den letzten Monaten unendlich viel geredet und geschrieben worden. Alle palavern über Strukturwandel und Reformziele, aber eine babylonische Sprachverwirrung macht auch die Bildungspolitiker ratlos.
Und keineswegs sicher ist, daß erreicht wird, was Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers als Folge des neuen Rahmengesetzes verspricht: »Ich will, daß diejenigen entscheiden, die an den Hochschulen sind und nicht die Beamten der Ministerialbürokratie.« Das ist nicht mit Paragraphen allein zu erreichen. Und in der Praxis des Alltags ist oft schwer auszumachen, welche Bürokraten die schlimmeren sind, die an den Unis oder die in den Ministerien.
Wie die Mühsal des antiken Sisyphus, der immer wieder und vergebens versucht, einen Felsbrocken den Hang hinaufzurollen, so nimmt sich heute die Arbeit jener Hochschullehrer aus, die nicht zu den wenigen gut ausgestatteten Boomfächern gehören. Und besonders trist gestaltet sich der Alltag vieler Geisteswissenschaftler.
Dieter Kurth, 55, zum Beispiel, renommierter Ägyptologe an der Universität Hamburg, vertritt eine sterbende Disziplin: Wenn er in Pension geht, wird seine Stelle gestrichen. Und als habe der Sterbeprozeß längst schon begonnen, ist sein kleiner dunkler Büroraum mit verrottetem Mobiliar bestückt. »Als hier vor 18 Jahren eine Versicherung auszog, hat sie die veralteten Möbel als Sperrmüll stehenlassen«, erzählt Kurth, »und bis heute verzichtet die Uni darauf, eigene Möbel anzuschaffen.«
Auf der abgeschabten Tischplatte steht ein grünes Wahlscheibentelefon aus den sechziger Jahren, die Auslegeware wirkt vergammelt, die Tapete rissig. Glühbirnen für die Lampe müsse er selbst mitbringen, sagt der Ägyptologe, seine Materialbeschaffungsanträge seien von der Verwaltung abgelehnt worden, Begründung: kein Geld.
Die Erfahrungen des Professors Kurth mögen kraß sein, eine Ausnahme sind sie nicht. »Hier regnet es manchmal rein«, bemerkt Bernhard Dahme, Professor für Psychologie an der Universität Hamburg, und deutet zur Decke seines Büros. Andere Kollegen berichten von ermüdenden Beschäftigungen mit Anträgen, Gesuchen und Bittstellungen, die alle nur dem einfachen Zweck dienten, die Vorführgeräte in den Seminarräumen funktionstüchtig zu machen. Was in einem Wirtschaftsunternehmen ein paar Stunden dauert, kann in einer Universität schon mal ein ganzes Jahr in Anspruch nehmen.
Die Hochschulen sind Großbetriebe, und so müßten sie auch geführt werden: Kostspielige Forschungsanlagen in den naturwissenschaftlichen und medizinischen Instituten müßten über fremde Geldgeber finanziert und der Studierbetrieb mit seinen komplizierten Regularien durchorganisiert werden.
Eine Universität von der Größe der Hamburger muß Jahr für Jahr mehr als 7000 Fachprüfungen ordnungsgemäß durchführen und verbriefen. Eine effiziente Dienstleistung für Lehre und Forschung ist gefragt. Doch genau daran hapert es, obwohl (oder weil) die Verwaltungsapparate die Übermacht haben.
An Deutschlands Hochschulen sind derzeit 522 000 Menschen beschäftigt - aber nur knapp die Hälfte kümmert sich um Lehre und Forschung. Und nur eine winzige Minderheit, derzeit 7,2 Prozent, sind Professoren. Wie die Lehrenden, so arbeitet auch das Verwaltungspersonal im Staatsdienst. Deren Arbeitgeber ist das Ministerium, ihm sind sie per Dienstrecht verpflichtet und nicht etwa dem Institutsdirektor oder Lehrstuhlinhaber, die für die Qualität von Lehre und Forschung geradestehen müssen.
Dieser Konstruktionsfehler hat zur Folge, daß die Hochschulverwalter wie ein Finanzamt nach dem Regelwerk der Ministerialbürokratie amten und für die Folgen ihres Tuns keine Verantwortung zu tragen brauchen.
Da sah sich zum Beispiel das Sächsische Staatsministerium im März vorigen Jahres veranlaßt, der einzigen Sekretärin des Diplomstudiengangs Journalistik an der Universität Leipzig wegen einer 20 Jahre zurückliegenden Stasi-Sache fristlos zu kündigen. Das Sekretariat funktionierte bis dahin als Anlaufstelle für 1100 Studierende.
Während des folgenden Semesters war das Personaldezernat nicht in der Lage, für Ersatz zu sorgen. Und so quälten sich die zwei Professoren noch des nachts, um Hunderte Seminarscheine und Prüfungsunterlagen auszufüllen, die Korrespondenzen und Formulare für 20 Lehrbeauftrage abzuarbeiten, Material- und Reisekostenabrechnungen der Mitarbeiter zu kontrollieren und immer neue Anträge für die Zuteilung einer Sekretärin abzufassen. Die Personalverwalter zuckten freundlich lächelnd die Achseln. Erst nach einem Jahr schickten sie eine Vollzeitsekretärin als Ersatz - und auch die nur auf Abruf.
In anderen Instituten der Universität Leipzig lassen Professoren die Korrespondenz von Schreibbüros erledigen, die sie aus eigener Tasche bezahlen, weil die behördliche Schreibkraft überfordert ist - zum Beispiel der Politologe Hartmut Elsenhans, dessen Lehrstuhl für Internationale Beziehungen unter dem Papierkram sonst zusammenbräche.
Auch List und Tücke helfen gelegentlich weiter. So bewiesen Ingenieurwissenschaftler der Universität Karlsruhe - der ältesten Technischen Hochschule Deutschlands -, daß Beschaffungsvorschriften auch unterlaufen werden können. Die umweltbewußten Wissenschaftler wollten Energiesparlampen in den Hörsälen montieren lassen, doch die Verwaltung lehnte ab: zu teuer. Daraufhin deklarierte einer der Professoren die Maßnahme als Forschungsprojekt. Und schon waren die Verwaltungsbeamten mit dem Antrag einverstanden.
Erforschen könnte man auch die Ursachen der Energieverschwendung, fanden die Karlsruher Wissenschaftler: Denn abends nach Vorlesungsschluß, wenn die Hausmeister schon Feierabend haben, fühlt sich niemand fürs Lichtausschalten verantwortlich. Die Ingenieure wollten deshalb ein paar Bewegungsmelder installieren lassen, das Stück für 80 Mark. Doch hierfür konnten die Verwalter keinen Etatposten finden; das Projekt mußte sterben.
Vor allem in Zeiten der Mangelverwaltung wächst die Abhängigkeit der Professoren von den Bürokraten, die über den Mangel herrschen. Und wer ihnen nicht liebedienert, wird mit dem Reglementarwesen gepeinigt, mancher schon bis zur psychischen Zerrüttung.
Da erinnert sich ein Rechtswissenschaftler von der FU Berlin an einen mehrjährigen Formularkrieg mit der Verwaltung über die ordnungsgemäße Abrechnung dreier Telefongespräche. Streitpunkt: 18,70 Mark. Im Verlauf der Papierschlacht verpulverte der Wissenschaftler Arbeitstage im Gegenwert von rund 8000 Mark Arbeitgeberkosten.
Der Aachener Professor Paul Beiss, der an der Technischen Hochschule das Institut für Werkstoffkunde leitet, ist immer wieder verblüfft, was sich die Formulartüftler auch an seiner Hochschule alles einfallen lassen. Eine einfache Reisekostenabrechnung umfasse acht DIN-A4-Seiten. »Bei meinem privaten Arbeitgeber war ich es gewohnt, die Quittungen in einen Umschlag zu stecken. Auf den habe ich die steuerlich relevanten Daten notiert. Das war es dann.«
Bis zu 30 Prozent ihrer Arbeitszeit müßten sie »für redundante Verwaltungsabläufe« opfern, war die vorherrschende Meinung, als der SPIEGEL 120 Professoren an 40 Hochschulen befragte. Noch härter treffe es diejenigen, weiß der Hamburger Rechtsprofessor Peter Behrens, die sich zur Mitarbeit in den Selbstverwaltungsgremien bereit gefunden haben. Denn auch viele Gremien arbeiten nach dem Sisyphus-Prinzip, weil sie in Wahrheit nicht sich selbst verwalten, sondern der Verwaltung mit immer neuen Vorlagen zuarbeiten müssen.
Lehrstuhlinhaber und Institutsleiter werden mit aberwitzigen Kontrollmaßnahmen drangsaliert - sogar dort, wo ihnen die Ministerien mehr Freiheit gewährt haben als bislang üblich, etwa im Umgang mit Geld.
Das zeigte sich an der Universität Oldenburg, die als Modellfall gilt. Das Novum ist deren »Globalhaushalt": Das Ministerium in Hannover bestimmt nur noch die Höhe, die Uni selbst die Verwendung der Etatmittel.
In Oldenburg können Beträge für nicht benötigte Mikroskope endlich in die marode Bibliothek investiert werden. Wer die Heizung runterdreht, kann vielleicht vom verbliebenen Geld teilweise eine studentische Hilfskraft bezahlen. Und am Jahresende angesparte Mittel werden einfach im nächsten Jahr abgerufen, während sie nach klassischem Haushaltsrecht verfallen wären.
Solche Selbstverständlichkeiten stellen Unis ohne Globalhaushalt immer noch vor unlösbare Probleme. Ignaz Bender, Verwaltungschef der Universität Trier: »Wenn ich spare, verschenke ich Geld, wenn ich überziehe, stehe ich mit einem Fuß im Gefängnis.«
Vorbei sind in Oldenburg die Zeiten, in denen Ministeriale die Hochschulen behandelten wie nachgeordnete Schiffshebewerke oder Katasterämter. Nie mehr sollten Sachbearbeiter den Hochschulpräsidenten und Professoren ins Handwerk greifen.
So weit, so gut. Doch die Bürokraten treten keineswegs kampflos den Rückzug an. Es war eine Kiste Sekt, die an einem heißen Tag im August Beamte in der Vorprüfungsstelle der Bezirksregierung Weser-Ems in Schwung brachte. Denn unter der Finanzstelle 27 130 000 der Universität Oldenburg fanden sie eine entsprechende Getränkerechnung über 63 Mark. So fragten sie denn beim Präsidenten Michael Daxner an, ob denn »Alkoholgenuß im Dienst durch eine interne Regelung der Hochschule untersagt wurde, so daß der Erwerb grundsätzlich zu beanstanden wäre«.
Es stellte sich heraus, daß Robin Hood den universitären Alkoholgenuß verursacht hatte. Ihm zu Ehren hatte die Universität 300 Gäste ins Oldenburger Kulturzentrum geladen und bei dieser trockenen Party vergleichsweise wenig Sekt an vergleichsweise viele Leute ausgeschenkt. Daxner belehrte dann die Sheriffs im Castle von Weser-Ems: »Bei großen Ausstellungseröffnungen ist es geboten und entspricht dem Stil, den Gästen ein Glas Wein oder Sekt anzubieten.« Erst recht bei einer Ausstellung, die internationale Resonanz findet.
Dann wollten die Prüfer wissen, wofür denn 400 halbe Brötchen gebraucht wurden (für die Teilnehmer einer Sommerhochschule); wer zwölf Flaschen Wein zu je 10,50 Mark getrunken habe (die Gäste bei der Verabschiedung eines Professors) oder warum der Fachausschuß »Systematische Sozialberatung« für 84,50 Mark im Oldenburger Restaurant Rashids gegessen habe.
Als die Beamten schließlich den hohen Kaffeekonsum im Präsidialamt rügten - »Verbrauch in dieser Höhe ist nicht nachvollziehbar« -, verteidigte sich Daxner mit dem Hinweis, der Kaffee-Keks-Konsum ersetze oft Bewirtungen, ohnehin seien die Ausgaben für Bewirtung im Vergleich mit den Sitten an ausländischen Hochschulen »ärmlich« und nicht gerade aufwendig. »Ich halte es schon für bedenklich, in welche Details hier die Erklärungsbedürftigkeit ausufert«, schrieb Daxner. Eigentlich sollte der Globalhaushalt genau diesen Papierkrieg zwischen Universitäten und Behörden eindämmen.
An fast jeder Hochschule geschieht es immer wieder, daß triviale Routinen zu pseudowichtigen Vorgängen aufgeblasen werden. Kampfreden, Parteiprogramme und Bundesgesetze können an diesen Mißständen wenig oder nichts ändern, schon gar nicht angesichts des chronischen Geldmangels, den zu verwalten selbst gewieften Managern schwerfiele.
Glaubt man den von den Ministerien geführten Statistiken, dann haben sämtliche deutsche Hochschulen 1995 für Lehre und Forschung nur 49 Milliarden zur Verfügung gehabt. Dieselbe Summe will das »Unternehmen Zukunft«, die Deutsche Bahn, in den nächsten fünf Jahren in ihr Schienennetz stecken. Der Unterschied: Die Bahn hat auch noch 16 Milliarden für den Kauf neuer Lokomotiven zur Verfügung.
Weil die Bundesländer die Kulturhoheit besitzen, müßten sie eine »angemessene Grundversorgung sichern«, so das Credo der Wissenschaftsminister. Allein dafür aber hätten sie pro Jahr mindestens 5 Milliarden Mark zusätzlich lockerzumachen, errechnete die Hochschulrektorenkonferenz. Der Verband der Hochschullehrer kam auf mindestens 6 Milliarden, andere Hochschulexperten sprechen sogar von 15 Milliarden, die Jahr für Jahr fehlen, um die deutschen Akademiker-Fabriken ordnungsgemäß zu führen.
Statt wenigstens die Grundausstattung zu sichern, wird in vielen Bundesländern der Uni-Haushalt noch weiter gekürzt. In Hamburg zum Beispiel erhielt die Universität - mit 43 000 Studierenden die fünftgrößte in Deutschland - plötzlich 1995 die Order, 28,5 Millionen Mark durch Stellenstreichungen einzusparen: 330 Stellen. Das wären zehn Prozent des Personalhaushalts gewesen - eine undurchführbare Forderung. Jetzt muß die Uni bis zum Jahre 2001 die Hälfte des Kostenvolumens aller freiwerdenden Stellen einsparen, um das Sparsoll zu erfüllen.
Auch Baden-Württemberg, bislang das Akademiker-Musterland, verordnete seinen 63 Hochschulen für 1996 rabiate Kürzungen: 157 Millionen, für 1997 nochmals 75 Millionen. In Sachsen beschloß das Biedenkopf-Kabinett im Juni 1996 den Kahlschlag: Von knapp 11 000 Hochschulstellen sollen 775 weg, gnädigst verteilt auf drei Jahre.
Wenn eine Hochschule schlagartig Wissenschaftspersonal freisetzen soll, vernichtet sie ihr Leistungspotential. So liefern die Hochschulen in Leipzig und Chemnitz brav die verlangten Stellen ab; dumm daran ist nur, daß man sie den Fakultäten weggenommen hat, die jetzt schon Überlast haben, weil die Mitarbeiter in den leerlaufenden technischen Fakultäten zufällig auf unkündbaren Dauerstellen sitzen.
Nirgendwo sonst in Deutschland werden so viele Studienplätze abgebaut wie in Berlin. Heute drängeln sich dort 130 000 Studierende um die verbliebenen 100 000 Plätze. Je nach Prognose soll die Zahl dieser Studienplätze noch bis auf unter 70 000 schrumpfen. Die Metropole verschickt ihre Studierwilligen in die Provinz.
Boris Arendt ist einer von ihnen. Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) beorderte den jungen Berliner ins vorpommersche Greifswald. Anfangs war der Jura-Student skeptisch. Doch mittlerweile läßt er auf die Ernst-Moritz-Arndt-Universität nichts kommen. Gut, ein bißchen langweilig mag die Stadt wohl sein. Dafür seien die Studienbedingungen optimal: intensive Betreuung und intime Atmosphäre.
Davon kann in Berlin keine Rede sein, und die richtig harten Jahre stehen den Hochschulen erst noch bevor. Die Zahl der Professoren schrumpft an der Humboldt-Universität während der nächsten sechs Jahre um ein Viertel, an der Technischen Universität um 20 Prozent, und die Freie Universität muß ihre 750 Professorenstellen auf unter 400 reduzieren. Die Nachfrage nach dem Studienangebot wird im selben Zeitraum aber eher noch steigen. Das heißt: Schließungen, Zusammenrücken oder Zugangsbarrieren.
Rund 10 000 Stellen werden in der Berliner Wissenschaft nach Schätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung insgesamt abgebaut. Dabei bräuchte auch die Hauptstadt jeden Job. So ist die angebliche Boom-Town beim wissenschaftlichen Nachwuchs die wahre Provinz.
Im Gegensatz zu den Hochschullehrern haben die wissenschaftlichen Assistenten in Berlin wie überall meist nur befristete Arbeitsverträge. Wenn Planstellen eingespart werden, greift sich so mancher Verwaltungsbürokrat ein paar dieser Qualifikationsstellen. Die Folge: Jungakademiker brechen ihre Forschungsarbeiten ab und gehen ins Ausland, in die Wirtschaft - oder werden arbeitslos.
Da die Hochschulen in den siebziger Jahren ausgebaut wurden, dauert es noch rund acht Jahre, ehe die Hälfte aller Professoren das Ruhestandsalter erreicht - eine historisch einmalige Chance, Deutschlands Unis mit qualifiziertem Nachwuchs wieder auf Weltniveau zu bringen. Nur: Diesen Wissenschaftler-Nachwuchs wird es nicht geben.
Die Prognose liegt nahe, daß sich mangels Qualität das Mittelmaß auf ganzer Breite durchsetzen wird.
* Amtseinführung des neuen Rektors (M.) am 1. Juli 1994.