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DER KANZLER SPRICHT

aus DER SPIEGEL 9/1963

Bundeskanzler Adenauer - dessen Sprachgewohnheiten der Norddeutsche Rundfunk zur Zeit in einer Sendereihe des Dritten Programms analysiert (siehe Seite 81) - hat dem Deutschland-Korrespondenten der amerikanischen Funk- und Fernsehgesellschaft CBS, Daniel Schorr, unlängst ein TV-Interview gewährt, das Anfang Februar vom Deutschen Fernsehen übernommen wurde. »Das Adenauer-Porträt der CBS«, notierte die Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit«, »führte das Dasein eines Mannes vor, dem unter allen Staatsmännern der Welt wohl am seltensten ein Satz von Ausdruck und Kraft gelungen ist. Dergleichen Machtlosigkeit über die Sprache ist nicht vorgekommen, seit es deutsche Reichskanzler gibt ...« Dem Sendeprotokoll sind folgende Auszüge entnommen:

ÜBER CHRUSCHTSCHOW

Adenauer: »Ach, der Mann hat ja auch was geleistet, das muß man ja doch sagen, nicht wahr, daß er was geleistet hat. Und wenn Sie denken, er hat es ja nicht leicht gehabt, um an die Stelle zu kommen, die er jetzt einnimmt.«

ÜBER DE GAULLE

Adenauer: »... Ich fand in ihm (beim ersten Besuch auf de Gaulles Landsitz in Colombey-les-Deux-Eglises) einen sehr klugen und weitdenkenden Mann. Sehr großen Eindruck hat auf mich gemacht seine Bibliothek, er hat eine sehr schöne Bibliothek.«

ÜBER KENNEDY

Adenauer: »Mein Verhältnis zu Präsident Kennedy, ich möchte Ihnen das sehr nachdrücklich sagen, ist schon seit November vorigen Jahres sehr gut, seitdem wir beide damals auf seinen Wunsch an zwei Tagen je eine mehrstündige Besprechung unter vier Augen geführt haben, die so intim war, daß er vorgeschlagen hat, wir wollten die Dolmetscher alle Notizen zerreißen lassen. Da hat erst mein Dolmetscher zerrissen und dann sein Dolmetscher.«

ÜBER HINDENBURG

Adenauer: »Sehen Sie mal, Hindenburg war doch ein kompletter Versager, kompletter Versager, der hätte doch nur einfach von den Machtmitteln, die er hatte, Gebrauch machen können. Aber Hindenburg ist niemals sehr klug gewesen.«

ÜBER HITLER

Adenauer: »Ich habe ihn weder gesehen noch gehört irgendwie, ich habe ihn nicht gekannt.«

ÜBER DIE INFLATION 1923

Adenauer: »Durch diese erste große Inflation sind in Deutschland namentlich getroffen worden die Schichten, die mittleren Schichten; und in jedem Staate sind die mittleren Schichten eigentlich das tragendste und vielleicht auch das beste, vom staatlichen Standpunkt aus gesehen, beste Element. Die verarmten bei uns vollkommen, diese Schichten, durch die Inflation der zwanziger Jahre, und es wirbelte eigentlich alles durcheinander.«

ÜBER EIN KRIEGSERLEBNIS IN RHÖNDORF

Adenauer: »Dann sah ich plötzlich eine Granate auf mich zufliegen, und zwar sah ich, daß ein dunkler

Körper, von einer wirbelnden, heißen Lufthülle umgeben, auf mich zuflog, etwas über diesen Weg heraus, ich habe mich sofort auf die Erde geworfen, die Granate ist dann hier eingeschlagen.«

CBS-Korrespondent: »Sie haben Erfahrung.«

Adenauer: »... und dann habe ich, hat sie da unten einen Brunnen kaputtgeschlagen. Erfahrungsgemäß wußte ich, daß die Amerikaner immer drei Granaten auf dasselbe Ziel schossen.«

CBS-Korrespondent: »Wo haben Sie das gehört?«

Adenauer: »Hier (lacht), wir waren ja acht Tage im Feuer.«

CBS-Korrespondent: »Die hätten auf Sie gezielt?«

Adenauer: »Ja - sicher.«

ÜBER DEN WIDERSTAND

Adenauer: »Das Ansehen Deutschlands in der Welt, das befriedigt mich noch nicht ganz. Und ich denke da auch an das Buch von Shirer und an die Filme, die sie jetzt daraus machen, aber, wissen Sie, das Gute, was getan worden ist, der Widerstand, der geleistet worden ist, der war wirklich da, der wird nicht dargestellt, nicht wahr? Zum Beispiel, wie ich doch unter wirklich großer Gefahr jeden Tag den Londoner Sender gehört habe und später den Soldatensender Calais. Das war doch auch ein Beweis dafür des Widerstandes, nicht wahr.«

ÜBER DEN WESTDEUTSCHEN WIEDERAUFSTIEG

Adenauer: »Daß ich alles allein gemacht habe, ist ja nicht richtig, das würde ja falsch sein, aber immerhin, ich trage doch, habe wesentlich dazu beigetragen. Und dann glaube ich, müßten Sie sehen, daß wir in Nato sind, daß wir in EWG sind, in Euratom sind.«

ÜBER AMERIKA

Adenauer: »Hören Sie mir auf mit Ihrer Demokratie! Warum? Haben Sie denn so 'ne große Demokratie? So 'ne starke Demokratie? Weiß ich nicht, weiß ich wirklich nicht. Sie haben manche Sachen, die muten mich sehr undemokratisch an. Ja ...«

CBS-Korrespondent: »Sie können völlig offen sprechen.«

Adenauer: »Ja, wir sprechen ja ganz frei ... ah ... was verstehen Sie unter Demokratie, will ich vorher mal fragen. Verstehen Sie unter Demokratie, daß jeder tun und lassen kann, was er will? Ja, und was haben Sie für ... Sie haben doch noch vor wenig Jahren haben Sie doch noch die Prohibition gehabt, war das denn demokratisch? Daß Sie 'nem armen Kerl nicht mal gönnen, 'nen Schnaps zu trinken?«

ÜBER ENGLAND

Adenauer: »Was die Briten damals (1945) gemacht haben, daß sie mich (als Oberbürgermeister) abgesetzt haben, das habe ich ihnen überhaupt nicht nachgetragen. Es hat mir weh getan.«

CBS-Korrespondent: »Haben Sie Ihrer Meinung nach die Freundschaft der Engländer jetzt gewonnen?«

Adenauer: »Ich habe nicht den Eindruck (lacht).«

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