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BETRÜGER Der Koch und die Schwarze Witwe

Nach dem Selbstmord einer alten Frau im Gefängnis fürchtet Bayerns Schickeria peinliche Enthüllungen. Es geht um verschwundene Millionen, SED-Gelder und die Vatikan-Bank. Geleimte Prominente würden darüber lieber schweigen.
aus DER SPIEGEL 43/1999

Sie nahm sich drei Stunden Zeit für sieben Briefe. Hockte in ihrer Zelle im B-Trakt der Justizvollzugsanstalt Aichach, schrieb mit dem Kugelschreiber, adressierte die Kuverts, klebte sie zu. Ein kleiner Stapel war es, Maria Bertrams Bilanz einer beispiellosen Affäre.

Sie schrieb: »Ich bin am Ende u. ich kann nicht mehr. Stück um Stück wurde ich zerbrochen.« Und: »Ich habe Schuhbeck um keine Mark betrogen geschweige um 8,9 Millionen.« Im letzten der nunmehr beschlagnahmten Schreiben dankte sie ihrem Anwalt Dieter Pfannschmidt »für alle Ihre Mühe und Ihren Glauben an mich. Ihre verzweifelte Maria Bertram«.

Dann nahm sich Maria Bertram, 64 Jahre alt, 1,60 Meter groß und wegen eines Magenkrebsleidens 45 Kilogramm leicht, das Band, mit dem Knastkleidung und Bettzeug verschnürt waren. Sie stieg auf den Stuhl, machte einen Knoten um den Fenstergriff, legte die Schlinge um den Hals und ließ sich fallen. Um 21.40 Uhr, am 12. Oktober, wurde ihr Leichnam gefunden.

War es nun das Ende des Skandals oder eher ein neuer Anfang? Alfons Schuhbeck, 50, Prominentenwirt, Fernsehkoch und Buchautor aus Waging am See, hofft, dass es endlich vorbei ist; viele andere Menschen, die eine Menge Geld verloren haben, wünschen, dass das Spiel neu beginnt; und einige, die ihre Millionen zu vergessen versuchen, fürchten peinliche Enthüllungen.

Denn Maria Bertram war eine Zockerin und Betrügerin. Die zarte Seniorin, die neben dem Hünen Schuhbeck wie ein verlorenes Vögelchen wirkte, steht neben dem Koch im Zentrum einer Affäre, die Bayerns höherer Gesellschaft die Moët & Chandon-Laune versaut.

Mit Geschichten von SED-Millionen, die in Schließfächern warteten, oder Erbschaften, die auf Konten der Vatikan-Bank schlummerten, wurden Menschen geködert, die offenbar nicht wussten, was sie tun sollten mit ihrer vielen Kohle. Das Geld ging in kanadischen Immobilien, mit Wertpapieren oder anderen angeblichen »30-Prozent-Rendite-Geschäften« (Schuhbeck) drauf.

Die Deals des ungleichen Paares waren vertrackt - Geschäftsprinzip. Im Gewirr von Firmen und Konten verlor sich jede Fährte von Geld und Schuld. Konto Nummer 884 442 der Firma FIC bei der Citibank in Monte Carlo, das ist die letzte Spur, die manche Anleger haben; andere hatten ihre Schätze gleich bar und ohne Quittung fortgegeben. Konnte ja keiner ahnen, dass mit neuen Einlagen mitunter alte Gläubiger ausbezahlt wurden - und dass Schuhbecks Konto Nummer 322 233 000 bei der Dresdner Bank schon mal bei 4 713 419,51 Mark im Minus stand und 54 502 Mark Sollzinsen fällig wurden.

24 Millionen Mark hat allein der Erbe des Dauerwellen-Imperiums Wella, Bernd Olbricht, verjubelt. Und viele andere waren dabei: Würdenträger beim Bayerischen Rundfunk (BR), aber auch Anwälte, Bankiers und Sänger wie Michael Schanze oder die Tennis-Millionärin Sylvia Hanika. »Soviel Dummheit ist unverzeihlich«, sagt der Münchner Rechtsanwalt Sewarion Kirkitadse, »es ist abenteuerlich, dass erwachsene Menschen so handeln können.«

Das Spiel begann, als Schuhbeck einen Michelin-Stern bekam. Der Freistaat hatte einen neuen Star: den Koch des FC Bayern, den Fernseh-Brutzler mit dem Kosenamen »Fonse«. Sein »Kurhausstüberl« wurde zum Treff der Wichtigen.

Irgendwann sprachen sie dort über »dem Fonse seine Anlagen«. Jemanden an der Börse müsse er kennen, phänomenal seien die Gewinne: »Wann steigst du ein?«

Der Fonse köderte mit einfachen Tricks. Seinen Hubschrauberpiloten ließ er in Gärten am Chiemsee landen und ganze Rosenbeete rasieren, um dann Bares aus der Hosentasche zu ziehen - das wirkte. Dem Multimillionär Olbricht knallte er einmal 4000 Mark auf den Tisch und sprach: »Ich habe einen Zwanziger für dich investiert, da hast du die Rendite.« Schon zahlte Olbricht ein, mehr als nur einen Zwanziger.

Details der vermeintlich grandiosen Geschäfte kannte kaum einer; »es war nur ungefähr die Rede von so was«, von komplexen Finanzmanövern also, gab der geprellte Fernsehmann Helmut Kilian zu Protokoll. Selbst Anwälte, die Gläubiger vertraten, schrieben dem Koch unterwürfigst: »Ich bin ein Verehrer Ihrer Kunst.«

Es muss in etwa so zugegangen sein wie beim Tennispapa Peter Graf in dessen Glanzzeit. Geldkuriere wurden laut Aussagen durchs Land und zur Übergabe an Tankstellen gejagt: Schuhbeck »zog eine Plastiktüte hervor. Diese war voller Geld, er legte das Geld auf den Tisch, teilte es grob in zwei Hälften. Die eine Hälfte gab er mir«. Es waren, so der Bote, »450 000 Mark«.

Alfons Schuhbeck hieß früher Alfons Karg. Er spielte Gitarre in einer Band, als er vor gut 30 Jahren beim reichen Wirt Sebastian Schuhbeck Arbeit bekam. Der Alte begann den Jungen zu mögen. Weil er keine Erben hatte, bot Schuhbeck dem Alfons Ausbildungen in Paris und sonstwo an, falls der sich adoptieren lasse. Ein seltsamer Pakt, doch der Bub schlug ein, wurde Erbe und lernte schnell.

Für eine Gala in Bologna berechnete der Wirt 749 000 Mark. »Original Bayerischen Leberkäse« ließ er in Bottrop produzieren, was die Staatsanwaltschaft interessierte. Eine GmbH gründete er, durch die er Verträge mit sich selbst machen konnte. Eine Firma in Liberia entstand unter dem Präsidenten und Direktor Alfons Schuhbeck - oder war diese Finance International Corporation nur eine Finte? Schuhbeck sei Vermittler für andere gewesen, habe sich »leichtsinnig« zum Präsidenten machen lassen, als die Firma zusammenbrach, und »die Dimension nicht erkannt«, so sein Anwalt Josef Nachmann.

Im November 1997 faxte Interpol »sehr dringend« eine Warnung durch Europa, »dass Schuhbeck, Alfons, 22 Mio USD bei einer Bank in Monaco abheben will«. Laut Selbstauskunft verdiente der Koch zwar zeitweise 427 565 Mark in einem Jahr »aus nichtselbständiger Arbeit« und vieles nebenbei, hatte aber über 52 Millionen Mark »Passiva/Schulden«.

Schuhbeck sei davon ausgegangen, dass »Geschäfte mit jungen Aktien funktionierten«, so Anwalt Nachmann; leider habe er sich auf den Düsseldorfer Anlagejongleur Lutz Winkler eingelassen - der soll vor allem mit kanadischen Penny-Stock-Papieren in 202 Fällen einen Gesamtschaden von rund 57 Millionen Mark verursacht haben. Schuhbeck sagte aus, er sei nie selbst Finanzmakler gewesen. Das Gegenteil war ihm bislang nicht zu beweisen.

Die meisten Anleger hoffen noch auf Rückzahlungen und trauen sich nicht aus der Deckung. Aber für sie ist seltsam, dass die Witwe Bertram verurteilt wurde, während die Staatsanwaltschaft München II gegen Schuhbeck »keine Anhaltspunkte« fand und nun die Ermittlungen einstellte. Der Koch steht sauber da, die angeblich allein Schuldige ist tot. Das Ergebnis hat vielleicht etwas mit Prominenz zu tun und sicherlich eine Menge mit Glaubwürdigkeit.

Maria Bertram, im Zentralregister 1992 bereits 15-mal eingetragen, glaubte am Ende kaum noch jemand. Sie hatte es zu weit getrieben und zu rau, hatte den Anwalt einer Gegenpartei als »kleinen Giftzwerg« und einen Richter als »schwankend und lallend« bezeichnet, wobei »trinkende Richter am Landgericht Traunstein« nichts Ungewöhnliches seien. Prozesse gewinnt so eine Dame kaum, schon gar nicht mit einer derartigen Biografie.

Der Weg des unehelichen Kindes Maria Empl aus Kirchweidach zur »schwarzen Witwe« des Boulevards begann trist. Mit acht Jahren erlitt sie eine Meningoenzephalitis; eine erneute Gehirn-Erkrankung ließ die 19-Jährige »völlig verändert« und »delinquent« (Bertram) zurück; 1960 kam die erste Verurteilung zu 50 Mark Geldstrafe wegen Diebstahls - sie habe sich Tabletten beschaffen müssen, sagte sie.

Aber nach Hauptschule und Lehre als Hotelfachköchin machte sie weiter: Körperverletzung, üble Nachrede, Urkundenfälschung, schließlich Diebstahl und versuchte Erpressung. Den damaligen Innenminister Hans-Dietrich Genscher wollte sie mit einer vorgetäuschten Entführung hereinlegen; sie wurde freigesprochen wegen Schuldunfähigkeit und kam ins Bezirkskrankenhaus Gabersee. Sie sei eine schizoide Person, hieß es, aber das ist lange her. »Keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer psychotischen Störung« fand der Gutachter in Traunstein, »sie wirkte gepflegt, ruhig und kooperativ«.

»Schwarze Witwe« hieß sie, weil erst ihr Ehemann Karl Bertram, ehedem Verlagsdirektor, starb, und sie erbte; später pflegte sie den Bauer Franz Lichtmannegger, und der vererbte ihr rund 20 Schafe und ein »landwirtschaftliches Anwesen, welches neben der Hofstelle ca. 42 Tagwerk landwirtschaftlich nutzbaren Grund und etwa 5 - 6 Tagwerk Streuwiesen« umfasste. Nichts an den Todesfällen war dubios, die Männer starben »eines natürlichen Todes«, so Oberstaatsanwalt Jürgen Michalke.

Dubios trat eher die Witwe selbst auf. Sie war Männern, die auf »Herr Doktor« hörten, gleichsam hörig. Sie fuhr einen BMW 528 i und trat Beratern schon mal ein ganzes Grundstück ab. Ihr Anwalt Pfannschmidt hielt sie für eine »sehr selbstbewusste, liebenswürdige und mit großem Gerechtigkeitsempfinden ausgestattete Frau«, die »am Ende überfordert« war; Staatsanwalt Andreas Bartschmid unterstellt »Planung« und »kriminelle Energie« und lobt zugleich: »Wenn sie redete, fesselte sie alle.«

Die Pfade von Bertram und Schuhbeck kreuzten sich am 7. Oktober 1991, weil beide mit einem Bankdirektor aus Traunstein zu tun hatten, und da begann auch die Zeit der Räuberpistolen. Bertram erzählte, dass sie von 100 Millionen Mark alter SED-Gelder in einem Schließfach wisse, aber Geld brauche, um den Schlüsselinhaber zu bezahlen. Schuhbeck mühte sich um Finanziers, schließlich hatte er die Kontakte. Später ging es um 28 Millionen Franken, die der verstorbene Karl Bertram bei der Vatikan-Bank hinterlassen habe.

Ein Labyrinth aus Papieren, Aussagen, Lügen, Widersprüchen. Sicher ist, dass der Koch selbst einstieg und weitere Investoren fand; die Witwe wurde in der Vatikan-Geschichte wegen Betrugs, Urkundenfälschung und unerlaubten »Erwerbs einer halbautomatischen Selbstladewaffe« zu zwei Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt (JS 40214/96).

Beide unterschrieben viel und viel zu schnell, und das entzweite sie schließlich. Bertram unterzeichnete eine Erklärung darüber, dass sie Schuhbeck 8,9 Millionen Mark schulde; sie habe ihm helfen wollen, aus Steuergründen, sagte sie. Schuhbecks Unterschrift aber erschien unter einem Papier, auf dem steht, »dass sie mir keine 8,9 Mio schuldet«. »Eine Fälschung«, so Schuhbeck-Vertreter Nachmann. Nie gab es Quittungen, doch den Zivilprozess verlor die Witwe.

»Alfons ist ein wertvoller Mensch«, hatte Bertram einmal gesagt. Er habe »in jeder Hinsicht mein Vertrauen u. meine Hilfen missbraucht«, formulierte Bertram, die zur Rückzahlung von fast neun Millionen Mark verdonnert wurde.

In die JVA Aichach kam Maria Bertram, weil es neue Anzeigen gegeben hatte und die Staatsanwälte von Flucht- und Wiederholungsgefahr ausgingen. »Dieses Leben ist kein Leben mehr«, schrieb sie in ihren letzten Minuten.

Wo all die Millionen sind, verriet sie nicht. Oder sie wusste es nicht.

KLAUS BRINKBÄUMER

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