»Der Krieg holt nur Atem«
In der »Discotheque du Tchad« in Ndjamena herrscht Hochbetrieb. Angetrunkene, dunkelhäutige Männer spenden einer eben gekürten, üppigen »Miss Mustang« grölenden Beifall.
Während in der Disco die Reize der Schönheitskönigin mit immer neuen Runden gefeiert werden, ergötzen sich andere Tschader im Freiluft-Kino »Normandie« an dem erotischen Filmwerk »Rote Nächte in Harlem«.
Mit Buhrufen empören sich die afrikanischen Nachtschwärmer, wenn französische »Transall«-Maschinen im Anflug auf den nahen Militärflughafen das Bettgeflüster auf der Leinwand übertönen.
Nordafrika im Humphrey-Bogart-Stil? Krisenherd Tschad nur afrikanisches Provinztheater? Solche Eindrücke sind nur flüchtig. Die Wirklichkeit - so gern die Tschader sie verdrängen möchten - weist auf Krieg.
Renault-Lastwagen ohne Nummernschilder transportieren Geschütze, Munition und Proviant durch die ungepflasterten Straßen von Ndjamena. Nur mit Mühe können die aufgescheuchten Fußgänger den wilden Fahrern ausweichen, die in drei- und viertägigen Gewalttouren die vorgeschobenen Stellungen versorgen.
Die Bewohner des ohnehin bitterarmen Landes, dessen fast 18 Jahre alter Bürgerkrieg den kargen, friedlichen Alltag zur Utopie werden ließ, haben Gewalt und Kämpfe gründlich satt.
»Jetzt glauben wir an den Frieden«, beschließt da einfach der Geschäftsführer des heruntergekommenen Hotels »La Tchadienne«, »für uns ist der Krieg aus.«
Für die Kombattanten und deren Parteigänger aber noch lange nicht. Die Soldaten der Tschad-Armee sind recht kampflustig - oder tun zumindest so. Dazu trägt offenkundig die Anwesenheit der französischen Fallschirmjäger bei, auf deren breiter Armbinde »Instructeur« steht - ein Witz. Denn niemand in Ndjamena zweifelt, daß die martialisch dreinblickenden Repräsentanten Frankreichs auch schießen, wenn es not tut.
Nur die 2500 von Israelis gedrillten Zaire-Soldaten scheinen mehr an den Annehmlichkeiten der Etappe interessiert. An den Hotelbars haben sie sich den Ruf unermüdlicher, wenngleich nicht immer standfester Trinker erworben. Ihre Qualität als Liebhaber schätzt die Damenwelt von Ndjamena ähnlich ein.
Überwiegt also das Etappentheater? Capitain Francois, Kampfflieger aus Kinshasa, ist sich da nicht sicher. »Der Krieg holt nur Atem«, sagt er. »Wenn die Kriegsgefahr wirklich vorüber wäre, hätte man uns längst aus Ndjamena abgezogen und würde uns nicht zu Polizisten der Hauptstadt degradieren.«
Das ist in der Tat zur Zeit die Hauptaufgabe der Helfer vom Kongo. Blutjunge Zaire-Soldaten im gefleckten Kampfanzug patrouillieren in den Straßen. Zaire-Posten mit entsicherten Schnellfeuergewehren sorgen auch für Ordnung vor den beiden größten Hotels, den Gebäuden der Behörden und der strategisch wichtigen Brücke über den Schari-Fluß.
Die auf über 1000 Mann angewachsenen französischen Einheiten treten kaum in Erscheinung. Offiziere und Mannschaften fraternisieren auch nicht so offen wie die Kameraden vom Kongo mit den schwarzen Schönheiten im Schari-Hotel.
Die Rückkehr der Truppen der einstigen Kolonialmacht nimmt der Mann auf der Straße mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. »Gut, sie sind schließlich gekommen, aber erst nachdem wir die Hälfte unseres Landes bereits verloren hatten«, ärgert sich ein Professor der geschlossenen Tschad-Universität.
Ganz im Hintergrund bleiben die neuen Freunde, deren Staat der Armee des Landes für 25 Millionen Dollar Waffen geschickt hat: die Amerikaner. Die »Freunde der Zukunft«, wie ein hoher Regierungsbeamter die Spender bezeichnet, haben drei Waffenexperten geschickt. Die bleiben sorgsam versteckt.
Beamte der US-Botschaft beteuerten dem SPIEGEL, noch wisse man nicht, wie die frischen Beziehungen der Supermacht zum Tschad einzuordnen seien. Die Tschader wissen das sehr wohl. »Food for Peace« steht in fetten Lettern auf dem Portal des Verwaltungsgebäudes von U.S. Aid, denn die Amerikaner schicken nicht nur Waffen.
In Zusammenarbeit mit der Welternährungsorganisation FAO und der Pam (Projet d'alimentation mondiale) sorgen sie dafür, daß täglich Lastwagen aus Nigeria dringend benötigte Nahrungsmittel - Weizen, Zucker, Trockenmilch und Speiseöl - nach Ndjamena bringen.
Die Lastzüge schaffen die Anfahrt aus Lagos in fünf Tagen. Die Märkte sind voll. »Es ist auch alles billiger geworden«, freut sich eine schwarze Dame mit vier schicken Zöpfen, »so darf es bleiben, Inschallah, hoffentlich.«
Die von den USA indirekt subventionierten Lebensmittel gelangen inzwischen sogar ins 800 Kilometer entfernte Abeche, jene 20 000-Seelen-Stadt im Osten, welche die Truppen des Tschad-Präsidenten Hissein Habre ohne Luftdeckung in harten Kämpfen zurückerobert hatten: Von dort führen Wüstenpisten in den befreundeten Sudan und in den Norden.
Weil die Hilfsgüter in Abeche und auch in anderen entlegenen Orten fast nach Fahrplan eintreffen, steht Habre als der Retter da, der den chaosgewohnten Tschadern nicht nur Law and Order bescherte, sondern auch Brot.
In einem Punkt scheinen sich die Bewohner Ndjamenas einig zu sein: »Niemand wünscht sich die Wiederkehr der libyschen Besatzung, auch wenn sie als kurzfristig anwesende Schutztruppe des damaligen Präsidenten Gukuni Weddei ausgegeben wurde«, sagt ein Vorbeter in der mit Saudi-Geld gebauten König-Feisal-Moschee, »außerdem ist Gaddafi ein Ketzer« - weil der Libyer den iranischen Chef-Schiiten Chomeini so nachdrücklich unterstützt.
Ndjamena zählt wieder 400 000 Einwohner. Längst schon sind zahlreiche Flüchtlinge aus Kamerun und dem Süden zurückgekehrt, die dort im Januar 1981 nach der Eroberung der Stadt durch die Libyer und die undisziplinierten Gukuni-Milizen Schutz gesucht hatten.
Eine der größten Nöte ist die Arbeitslosigkeit. Weil noch immer die meisten Unternehmen geschlossen haben, verdingen sich jugendliche Tschader bei den wenigen zurückgekehrten Europäern zu Hungerlöhnen als ungelernte Arbeitskräfte.
Im Einbaum rudern die ganz Armen über den Grenzfluß Schari, um vom kamerunischen Kusseri am anderen Ufer aus sogar in Bierflaschen Benzin zu importieren, das sie dann in Ndjamena am Straßenrand unter dem offiziellen Preis verkaufen.
Aber schon bildet sich wieder eine gar nicht so dünne Schicht von Bessergestellten. Hunderte von Mopeds knattern durch die Stadt. Auch reparierte Pkw älterer Jahrgänge und hin und wieder neue Wagen scheinen Frieden anzuzeigen.
Die Baumwollplantagen und -spinnereien im Süden arbeiten wieder. Die Staatseinnahmen erreichten im ersten Habre-Jahr knapp neun Millionen Dollar, die Regierung zahlt schon seit längerer Zeit wieder halbe Gehälter.
Fast jählings erwachte damit freilich auch die Bürokratie wieder zu neuem Leben. Auf dem Flughafen kontrollieren Sicherheitsbeamte wieder inbrünstig die internationalen Impfzeugnisse, was sich ihre libanesischen Kollegen in Beirut schon seit acht Jahren abgewöhnt haben.
Überraschend viele christliche und animistische Bewohner der Südprovinzen zieht es wieder in die Hauptstadt, meist Mitglieder der aufgeriebenen Miliz des Süd-Tschader Generals Kamuge, die sich freiwillig von der neugeschaffenen Musterungsbehörde einziehen ließen: Ihr eigener Milizen-Chef hatte sie seit über zwei Jahren nicht mehr entlohnt. Präsident Hissein Habre aber zahlt Sold.