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»Der Krieg ist nun leichter zu ertragen«

Viereinhalb Jahre haben die Amerikaner Kambodscha bombardiert. Am vorigen Mittwoch fielen die letzten Bomben. Das fast zwölfjährige direkte militärische Engagement der USA in Indochina ist zu Ende. Aus Pnom Penh berichtet SPIEGEL-Korrespondent Tiziano Terzani:
Von Tiziano Terzani
aus DER SPIEGEL 34/1973

Seit dem frühen Mittwochmorgen machten sich Gruppen von Flüchtlingen, beladen mit ihrer kärglichen Habe, auf den Marsch aus Pnom Penh zurück in ihre Heimatdörfer.

Für sie war der Krieg gleichbedeutend mit dem Dröhnen der achtstrahligen B-52-Maschinen, mit den US-Bomben -- die innerhalb von Sekunden ihre Dörfer zerstören und sie selbst vernichten konnten. Dies war nun vorbei.

In Pnom Penh herrschte nach Monaten der Detonationen am Stadtrand, dem Beben der Häuser zum ersten Mal wieder Ruhe. »Der Krieg«, so ein Student vor der buddhistischen Universität, »hat eine neue Dimension bekommen. Er ist nun leichter zu ertragen.«

Der US-Bombenstopp zwang Pnom Penh zu einer neuen Strategie. Außenstützpunkte werden aufgegeben, die Truppen in die Hauptstadt zurückgezogen. »Uns bleibt keine andere Wahl. Was nützt es, wenn wir Siem Reap oder Kampong Cham halten, aber Pnom Penh fällt«, meint Brigadegeneral Diem Del, Kommandeur der Streitkräfte von Takhmau.

Ständig rollen Truppentransporte aus den Provinzen in die Stadt, während in den Gärten in aller Eile frische Rekruten ausgebildet werden. 45 Lastwagen mit Stacheldraht und acht Bulldozer treffen aus der 248 Kilometer entfernten Hafenstadt Kompong Som ein. Pnom Penh soll in eine Festung verwandelt werden.

Zur Zeit ist PnomPenh keine belagerte Stadt. Die Hauptstraßen ins Landesinnere sind offen, aber die Regierungssoldaten haben sie nicht unter Kontrolle. Die Guerillas haben sich lediglich auf 500 bis 1000 Meter von den Straßen zurückgezogen. Sie lassen Nachschub-Konvois passieren, weil sie selbst von den in die Stadt gebrachten Nahrungsmitteln versorgt werden.

»Die andere Seite«, so Ministerpräsident In Tam zum SPIEGEL, »macht weiter Verhandlungsvorschläge. Sie schickte kürzlich zwei buddhistische Mönche als Vermittler. Aber ihre Bedingungen waren unannehmbar. Sie forderten mich auf, mit ihren Führern in Pnom Basset (einem Hügel nördlich Pnom Penhs) zu verhandeln. Aber ich kann nicht gehen. Ich habe keine Garantie für meine Sicherheit.«

Die Ausschaltung der Lon-Nol-Gruppe und eine neue Regierung sind die für Pnom Penh unannehmbaren Bedingungen der Roten Khmer. Nun wollen sie die Hauptstadt mit Gewalt nehmen, meint In Tam. In Pnom Penh seien umfangreiche Waffenlager der Roten Khmer entdeckt worden und genügend Raketen, um alle Panzer der Regierungstruppen zu zerstören.

Nach der Einstellung der amerikanischen Bombenangriffe bewegen sich die Bürger von Pnom Penh frei zwischen den Regierungsgebieten und den Zonen der Roten Khmer. Ein 40jähriger Mann ist gerade aus einem »roten« Dorf 20 Kilometer vor Pnom Penh in die Hauptstadt gekommen, um geborgtes Geld einzutreiben. Er ließ sich in alten Banknoten auszahlen, die noch nicht die Aufschrift »Republik Khmer« tragen und auf der »anderen Seite«, bei den Roten, immer noch gültig sind. Er berichtet, daß der Bombenstopp in seinem Dorf am 15. August überschwenglich gefeiert wurde.

Die Bewohner verbrachten zum erstenmal die Nacht wieder in ihren Häusern. Nach seinen Angaben hat die Volksbefreiungsarmee im Dorf einen Brunnen gegraben, eine Straße gebaut und jeder Familie ein Stück Land zur Bestellung zugeteilt. Die Soldaten, alles Freiwillige, helfen den Bauern bei der Bestellung der Felder. Jeder Dorfbewohner habe zwei Kleiderstoffe erhalten. Es gebe genug zu essen, Mangel besteht nur an Medikamenten.

Nach dem Ende des amerikanischen Bombenstopps werden 90 Prozent des Landes von den Roten Khmer kontrolliert. Die Republik Khmer, 1970 nach dem Sturz Sihanouks mit amerikanischer Hilfe aus der Taufe gehoben, ist heute nicht mehr als eine Republik Pnom Penh.

Vor der amerikanischen Hilfe kämpften nur kleine Gruppen im Dschungel gegen das damalige Sihanouk-Regime. Es herrschte Friede. Nach Millionen amerikanischer Bomben gibt es heute Tausende von gut ausgebildeten Guerillas. Das Land ist verarmt und weitgehend zerstört.-

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