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ZEITGESCHICHTE Der letzte Führer

Eine neue Biographie des Großadmirals Dönitz belegt: Hitlers Nachfolger war - entgegen eigener Beteuerung - überzeugter Nazi. *
aus DER SPIEGEL 34/1984

Wasserbomben« habe der britische Historiker und ehemalige Seeoffizier Peter Padfield »auf die ''Legende Dönitz'' abgeworfen«, fand die Londoner »Times«. Fast 40 Jahre lang habe der öffentliche Eindruck von Hitlers »Befehlshaber der U-Boote und Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine« auf »Beschönigungen« beruht.

»Dönitz - des Teufels Admiral« und Hitlers Nachfolger während der letzten Tage des Dritten Reiches - in Padfields Werk soll ihm jene Honorigkeit genommen werden, die ihm Deutschlands rechtskonservative Forscher und Verehrer zugesprochen haben: vor allem ein aufrechter Offizier gewesen zu sein. _(Peter Padfield: »Dönitz - Des Teufels ) _(Admiral«. Ullstein Verlag, Berlin; 608 ) _(Seiten; 48 Mark. )

Der britische Historiker will zeigen, wer Dönitz, am 24. Dezember 1980 als 89jähriger gestorben, »wirklich war": »Der letzte Führer« (so der Untertitel der englischen Ausgabe) als »Lump, Dummkopf, aber auch als Nazi« ("Times").

Geboren wurde der traurige Held am 16. September 1891 in Grünau bei Berlin. Sein früh verwitweter Vater, ein mittelständischer Ingenieur, erzog ihn im Geiste des wilhelminischen Nationalismus. In der Marine verinnerlichte er das Großmachtdenken eines Tirpitz - so erlebte Dönitz den Ersten Weltkrieg als Bewährung, die Kapitulation und die 1918 in den Kriegshäfen ausbrechende Revolution hingegen als Schande.

Ausgeprägter noch als beim Heer war im besiegten Seeoffizierkorps die Distanz zur Weimarer Republik; geringer aber schien die Bindung an Tradition und Komment der bis zum Kriegsende herrschenden Adels- und Offiziersclique. Dönitz-Biograph Padfield meint, daß gerade hier der Grund dafür liege, daß Hitlers Nationalsozialismus in der Flotte so viele frühe Anhänger finden konnte: Im Frühjahr 1932 glaubte

Chefpropagandist Joseph Goebbels seinem Führer nach dem Besuch eines Marinehafens melden zu können, »daß jedermann, Offiziere und Mannschaften, völlig auf seiten der NSDAP« stehe.

Auch Dönitz könne, meint Padfield, »Hitlers Botschaft kaum überhört haben«. Die Personalakten, vom Historiker eingesehen, bestehen aus Lobeshymnen; doch am 1. November 1931 schleicht sich ein Mißton ein. Dönitz sei »sehr ehrgeizig und darauf bedacht, hervorzutreten und sich Geltung zu verschaffen, auch fällt es ihm schwer, sich unterzuordnen und sich auf sein eigentliches Arbeitsgebiet zu beschränken«, urteilt sein Vorgesetzter im Stationskommando der Nordsee, Wilhelm Canaris, später Hitlers Abwehrchef und zeitweilig Verschwörer gegen den »Führer«. Trotz aller Einschränkungen hielt aber auch er Dönitz für einen »vorzüglichen Offizier, dessen Charakterbildung noch nicht abgeschlossen ist«.

Der Brite Padfield glaubt, das Canaris-Urteil bestätige heute die These, daß sich hinter Dönitz'' forschem Auftreten Unsicherheit verborgen habe. In Dönitz'' enger Vaterbindung sieht Padfield eine Ursache dafür, daß der schmächtige Marineoffizier - dem Admiral paßte noch seine Fähnrichsuniform - dem markig vorgetragenen Machtanspruch eines Führers bedingungslos verfiel.

Dönitz'' Marine-Spitzname »Hitlerjunge« zeigt in der Tat, daß seine ideologische Verbohrtheit jedermann auffiel. Bei seinen U-Boot-Fahrern allerdings hieß er »der Löwe«. Als »Hitler-Protege«, so die britische Besatzungsmacht nach dem Krieg, machte er steile Karriere. Deswegen kürzten die Sieger, so Padfield, die Pension des letzten von insgesamt sieben deutschen Großadmirälen, der in kaum mehr als zwei Jahren dreimal befördert worden war, auf die Ruhestandsbezüge eines Kapitäns zur See. Erst die Regierung Adenauer gewährte ihm 1951 die zwar standes-, schwerlich aber geschichtsgemäße Konteradmirals-Pension.

Bonn verbesserte damit die finanzielle Lage eines Mannes, an dessen »Affinität zum Nationalsozialismus« (Padfield) kein Zweifel bestand. Dönitz, der als Reichswehroffizier der ungeliebten Republik gegenüber den Grundsatz strikter politischer Abstinenz des Soldaten vertreten hatte, bekannte 1943 als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine: »Ich bin ein starker Anhänger der Idee der weltanschaulichen Schulung.« Der Offizier müsse »bedingungslos Wächter unseres nationalsozialistischen Staates sein«, verlangte Dönitz noch im Februar 1944 von seinen Flaggoffizieren. Wer dem Anspruch nicht gerecht werde, »muß von mir zerbrochen werden«.

Dieser Tonfall qualifizierte im Nazi-Regime stets für Höheres. Am Heldengedenktag 1944 durfte der Großadmiral an Hitlers Stelle die Front der Ehrenkompanie des Wachregiments »Großdeutschland« abschreiten und in einer vom Reichsrundfunk verbreiteten Rede Durchhalteparolen ausgeben, angekündigt von heroischen Akkorden aus Beethovens Coriolan-Ouvertüre. Es folgte ein Lobgesang auf den Führer, auf seine unvermeidlich siegreiche Kriegsführung und Warnungen vor der »jüdischen Menschenversklavung« und dem »auflösenden Gift des Judentums«. Vor Flaggoffizieren hatte er einmal gar gelobt, er wolle lieber »Erde fressen« als zulassen, daß sein Enkel in »dem jüdischen Geist und Schmutz« heranwächst.

Kein Zweifel, der Mann war Nazi, vielleicht gar »fanatisch«, wie Padfield mit Hinweis auf die zitierten Dönitz-Sprüche meint. Kein Zweifel auch, daß ein Mann, der Hitlers Vertrauen besaß und höchste Ämter bekleidete, die verbrecherische Seite der Naziherrschaft kannte - zumindest hätte erkennen müssen. Doch noch 1975, 19 Jahre nach Ende seiner zehnjährigen Haftstrafe, zu der ihn das Nürnberger Tribunal 1946 verurteilt hatte und die er als »Nummer zwei« im Spandauer Militärgefängnis absaß, begründete Dönitz seine Vasallentreue zu Hitler: »Daß er nicht anständig war, ahnte ich nicht.« Und von den Nazi-Verbrechen, beteuerte er im selben Fernsehinterview, »habe ich erst Ende des Krieges Kenntnis bekommen«.

Padfield mag Dönitz so einfach nicht davonkommen lassen. Doch statt diese peinlich durchsichtige Selbstrechtfertigung für sich allein wirken zu lassen, sucht der Marine-Historiker den konkreten, justitiablen Nachweis für das Mitwirken und -wissen Dönitz'' an Kriegs- und Naziverbrechen. Mehr noch, für Padfield kann es »gewiß nicht den geringsten Zweifel geben«, daß Dönitz »aufgrund der heute vorliegenden Beweise und Erkenntnisse« ... zu denjenigen Kriegsverbrechern gezählt hätte, »die zum Tode durch Erhängen verurteilt wurden«. Doch die Beweise in Form von Urkunden, Dokumenten und Zeugenaussagen bleibt Padfield schuldig.

Mehr noch, er unterliegt immer wieder der Versuchung, zu unterstellen statt zu belegen: Obwohl Dönitz selbst kaum ein Wort über seine erste Begegnung mit Hitler verloren hat, »kann kaum bezweifelt werden, daß er beeindruckt war«. Dagegen »darf bezweifelt werden, daß Dönitz zu seinen Lebzeiten je viel von dieser (Hitlers) Komplexität begriffen hat«. Für den Biographen ist es »durchaus denkbar«, aber eben nicht belegbar, daß Hitler in einer bestimmten Nacht mit Dönitz telephoniert habe, obwohl der Admiral in der Beschreibung dieser Stunden von einem solchen Telephonat nichts erwähnt.

In einem Dönitz-»Erlaß gegen Kritiksucht und Meckerei« vom 9. September 1943 heißt bei der Ermahnung zum »Arbeiten und Schweigen« letzteres nicht lediglich »sich nicht beklagen«, sondern hatte »wahrscheinlich eine Bedeutung, die viel düsterer war«, vermutet Padfield - ohne seine Einlassung mit Dokumenten zu stützen.

Für den britischen Historiker »kann es vernünftigerweise keinen Zweifel daran geben«, daß Dönitz bei einer Gauleiterbesprechung in Posen, zu der er am 6. Oktober 1943 als Gastredner geladen war, »alles mitangehört hat«, was seiner eigenen Rede noch folgte. Beleg: Eine vorzeitige Abreise »wäre eine grobe Unhöflichkeit gegenüber dem Reichsführer (der SS, Himmler) gewesen«. Himmler hatte bei dieser Gelegenheit den Parteiführern eröffnet, daß und wie die sogenannte Endlösung der Judenfrage, der Völkermord, konkret betrieben werde.

Mit dem vergeblichen Versuch, Dönitz'' unbezweifelbar schuldhafte Teilhabe am Nazi-Regime durch sein Mitwirken und -wissen an einzelnen Verbrechen zu belegen, eröffnet Padfield womöglich den Ewiggestrigen die Chance, ihr Dönitz-Bild unversehrt zu halten. So wird es ihnen letztlich zu leicht gemacht, sich dem abschließenden Urteil eines englischen Kritikers zu entziehen: »Es ist offensichtlich, daß Dönitz zwar kaum der Übelste der Lumpen, aber gewiß nicht der unbedeutendste Dummkopf war.« _(Im Sommer 1942. )

Peter Padfield: »Dönitz - Des Teufels Admiral«. Ullstein Verlag,Berlin; 608 Seiten; 48 Mark.Im Sommer 1942.

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