Zur Ausgabe
Artikel 13 / 83

BREMEN Der macht's

Hans Koschnick, Bürgermeister in Bremen, gilt den Bürgern im kleinsten Bundesland als unersetzlich. *
aus DER SPIEGEL 40/1983

Zwei Tage nach seinem Sieg zog Bremens Bürgermeister Hans Koschnick parteiintern eine skeptische Bilanz. »Wenn die Wahl anders ausgegangen wäre«, hielt er den Genossen in der Gaststätte »Strandlust« vor, »hättet ihr gesagt, das war alles viel zu lahmarschig, da ist kein Pep mehr drin, und ihr hättet mich heute geschlachtet.«

Seit dem unerwartet klaren Erfolg der Bremer SPD am vorletzten Wochenende aber gilt der »große Manitou« bei den Parteifreunden im kleinsten Bundesland wieder als »Hans im Glück«. »Zu Koschnick«, sagt Jugendsenator Henning Scherf, »gibt es keine Alternative.«

Das müssen die Bremer Wähler auch so gesehen haben. Sie gaben ihrem Bürgermeister Koschnick, dessen Bekanntheitsgrad nur von dem auf dem Markt stehenden steinernen Roland übertroffen wird, trotz Werftenkrise und hoher Arbeitslosenrate eine satte parlamentarische Mehrheit.

Die SPD, die seit Kriegsende ununterbrochen und die letzten zwölf Jahre mit absoluter Mehrheit allein regiert, steigerte ihren Anteil noch einmal um 1,9 Prozentpunkte und stellt nun mit 51,3 Prozent der Stimmen 58 von 100 Abgeordneten. Überdurchschnittlich zugelegt hat die SPD in ganz unterschiedlichen Gegenden, in Villenvierteln ebenso wie am Hafen.

Im Stadtteil Gröpelingen etwa, in dem Koschnick geboren ist und in dem die Krupp-Werft »AG Weser« mit ihren 2200 Beschäftigten geschlossen werden soll, erzielte die SPD mit 67 Prozent der Wählerstimmen einen ihrer größten Erfolge. In dem Arbeiterwohnbezirk, in dem neben der Werft Getreidemühlen wie Hafenbetriebe angesiedelt sind und in dem Schiffbauer und Schweißer ihr Häuschen haben, brachten die Angst um Arbeitsplätze und das Ansehen des Bürgermeisters den Sozis ein Plus von 4,1 Prozentpunkten.

»Gerade in Krisenzeiten«, erklärt Koschnick seinen Wahltriumph, »wissen die Arbeitnehmer sehr genau, wem sie Vertrauen schenken können, wer für sie da ist.« Sie begriffen offenkundig auch, daß allenfalls Werftbesitzer Krupp in Essen und die Bundesregierung das Werftendesaster verhindern könnten. Koschnick: »Die Bremer setzten der Bonner Politik ein deutliches Signal entgegen.«

Die anderen Parteien boten allerdings auch weder politisch noch personell eine verlockende Alternative: *___Die CDU (33,3 Prozent, 37 Mandate), die in Bonn zwar ____den Kanzler, in Bremen aber nur den gelernten Lehrer ____Bernd Neumann als Koschnick-Konkurrenten stellte, legte ____nur wenig zu und darf, wie in 24 Jahren zuvor, wieder ____nicht mitregieren; *___die FDP (4,5 Prozent, 1979: 10,7), die mit ihrem ____Spitzenkandidaten Horst-Jürgen Lahmann erst gegen die ____Wende in Bonn stand, sich dann mit Parteichef ____Hans-Dietrich Genscher _(Bei der Abgabe seines SPD-Mitgliedsbuchs ) _((unter Koschnicks Hand), auf der ) _(Betriebsversammlung der »AG Weser« am ) _(23. September. )

arrangierte und nun gerne mit der SPD koaliert hätte, ist erstmals nicht mehr im Parlament vertreten; *___die Grünen (5,4 Prozent, fünf Mandate), die sich gegen ____zwei weitere grün-alternative Gruppierungen ____behaupteten, beerbten die nach rechts abgedriftete ____"Bremer Grüne Liste«, die 1979 als erste ____Alternativ-Gruppe mit vier Abgeordneten in ein ____Landesparlament eingezogen war.

Der Sieg der linken Landes-SPD, der dem Unterbezirksvorsitzenden Hans Dieter Müller wie das Weltkrieg-I"Wunder an der Marne« vorkommt, wäre ohne den starken Spitzenmann Hans Koschnick, 54, wohl kaum so deutlich ausgefallen. Zwar kommt bei Bremer SPD-Wählern gut an, daß die Sozialdemokraten gegen die Raketen-Rüstung stehen, daß sie für Arbeiterkinder Gesamtschulen, reichlich Kindergärten und Lehrer haben, daß sie genug Sportstätten, Krankenhausbetten und Geld für soziale Randgruppen übrig haben.

Doch vor allem der Person des Bürgermeisters, der seit 16 Jahren und damit am längsten unter den Ministerpräsidenten regiert, schreiben Wahlforscher den Erfolg zu. Seine Kompetenz ist unbestritten, auf sein Wort bauen die Bremer, auch politische Gegner.

Als Sohn eines Drehers geboren, der als Kommunist während der Nazizeit mehrfach in Gestapo-Haft kam, verfügt der sensible Autodidakt Koschnick über Eigenschaften, die ihn wiederholt für höchste Partei- und Staatsämter ins Gespräch brachten: Sachverstand, Fleiß und Pflichtgefühl.

Der gelernte Verwaltungsbeamte und frühere ÖTV-Sekretär, der Kanzler Kohl ebenso duzt wie seinen Konkurrenten Neumann, wurde mit 34 Jahren der jüngste westdeutsche Innenminister, mit 38 der jüngste Regierungschef eines Bundeslandes. Koschnick, der manchmal noch schneller redet, als er denkt, und das Wort »Bundespersonalvertretungsgesetz« in zwei Silben schafft, blieb stets unangefochten im Amt.

Der Werder-Fan, Skat- und Doppelkopfspieler, der kumpelhaft mit den Genossen und locker mit Wirtschaftsbossen umgehen kann, ist für seine Parteifreunde unersetzlich. »Der Hans«, heißt es unter Genossen, »der macht''s.«

Solches Zutrauen von der Basis wie von Parteioberen brachte Koschnick auch den stellvertretenden SPD-Vorsitz ein, den er für vier Jahre übernahm. Er glättete, als Kompromißvirtuose, regionalen Basis-Streit und erledigte weltweite Missionen für die Partei. Weil er aber mit dem damaligen Kanzler Helmut Schmidt nicht konnte, der ihm von oben herab kam, und wohl auch, weil die Probleme in Bremen wuchsen, verzichtete Koschnick 1979 auf seine bundespolitischen Aktivitäten.

Als Ende August bekannt wurde, daß die traditionsreiche Krupp-Werft »AG Weser« geschlossen werden soll, zeigte sich der »demokratische Sozialist« (Koschnick über Koschnick) persönlich betroffen. Und als Werftarbeiter ihn auf einer Betriebsversammlung zwei Tage vor der Wahl als »Arbeiterverräter« und »Werftenkiller« beschimpften, als der Betriebsratsvorsitzende der Werft, Hans Ziegenfuß, sein SPD-Mitgliedsbuch zurückgab und die Belegschaft 250 000 Flugblätter mit einem Wahlaufruf gegen die SPD verteilte, fühlte sich Koschnick »tief verletzt«. Doch nach dem spontanen Zuspruch vieler Genossen mit Telegrammen und einem Fackelzug stand für ihn fest: »Jetzt erst recht.« Das Vorgehen

der Werftarbeiter brachte für die SPD, die an einen Sieg gar nicht mehr glauben wollte, den wohl entscheidenden Ruck. Der emotionalisierte Wahlkampf mobilisierte SPD-Stammwähler und weckte bei Wechselwählern Wohlwollen für die Genossen. Koschnick: »Die Bremer haben verstanden, daß der Senat ja keine Schiffbauaufträge vergeben kann.«

Bei der Abgabe seines SPD-Mitgliedsbuchs (unter Koschnicks Hand),auf der Betriebsversammlung der »AG Weser« am 23. September.

Zur Ausgabe
Artikel 13 / 83
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren