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MITBESTIMMUNGSRECHT Der Mann im blauen Kittel

aus DER SPIEGEL 15/1950

Drei Monate lang brüteten die Vertreter der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Organisationen in Hattenheim am Rhein über die Mitbestimmungsansprüche des DGB. Vergebens: es schlüpfte kein Osterküken heraus.

Die Unternehmerverbände weigerten sich, ihre Aufsichtsratssessel mit »betriebsfremden Gewerkschaftsfunktionären« zu teilen, ließ Dr. Raymond - Sprecher der Arbeitgeberkommission - die Konferenz platzen. Allenfalls ein Drittel der Aufsichtsratssitze mit Betriebsräten besetzen zu lassen, wollte er den Gewerkschaften zugestehen, und zwar mit Betriebsräten der jeweiligen Betriebe und nicht mit hauptamtlichen DGB-Funktionären, wie von Gewerkschaftssprecher Erich Bührig vorgeschlagen.

Bei der geforderten paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte aller Betriebe über 1500 Belegschaftsmitglieder würden 5000 »Volksaufsichtsräte« gebraucht. Sollte die radikale Forderung eines Teils der DGB-Funktionäre durchgehen, in allen Betrieben über 150 Mann Belegschaft Aufsichtsorgane einzurichten, würden sogar über 30000 Arbeitnehmervertreter »mitbestimmen«, führte Dr. Raymond das gewerkschaftliche Mitbestimmungsrecht ad absurdum.

Das sei ein gewagter »Vorsozialisierungsvorstoß«. Zentralistische Machtgelüste wurden Bührigs Funktionärkörper vorgeworfen. Die gesamte Wirtschaft solle durch gewerkschaftliche Anmaßung zentralistisch gesteuert werden. Zur östlichen Planwirtschaft sei dann nur noch ein kleiner Schritt. Mit Anspielung auf ausländische Kreditgeber: »Die Aussichten für ausländische Kapitaleinlagen werden dann immer magerer!« stieß Raymond die Gewerkschaftler vollends vor den Kopf.

DGB-Bührig verzichtete auf neue Gegenvorschläge und reiste mit seiner Kommission ab. Als magere Ausbeute der drei Monate Hattenheim nur die Zusicherung des »außerbetrieblichen Mitbestimmungsrechtes« in der Aktentasche. Das ist jedoch nur kärglicher Vergleich Man einigte sich auf die Schaffung eines gemeinsamen Direktoriums, des »Bundeswirtschaftsrates« (100 Delegierte). Er soll alle Arbeitgeber- und Arbeitnehmerfragen lösen. Als nachgeordnete Instanz sollen Landeswirtschaftsräte mit je 30 Gewerkschafts- und Unternehmervertretern gebildet werden.

Diese Zugeständnisse kosteten die Industriellen keinen Pfennig, denn die Kosten für die Besoldung dieser neuen Hierarchie der Wirtschaftsräte soll der Bundesregierung bzw. den Landesregierungen überlassen werden Das »innerbetriebliche Mitbestimmungsrecht« dagegen käme teurer zu stehen. Seine Verwirklichung würde das private Einflußvermögen der Unternehmer beträchtlich reduzieren. Der DGB verlangt unter anderem, »daß alle Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaften. die sich mit Arbeits-, Sozial- und Personalpolitik befassen, der Zustimmung der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten bedürfen.«

»Ja, wenn es noch Betriebsräte aus den jeweiligen Betrieben wären, die in die Aufsichtsräte delegiert werden sollen«, versuchte Dr. Raymond die Forderung des DGB abzuschwächen. Auf diesen Kompromiß ging Erich Bührig jedoch nicht ein. Schon vor 1933 durften Betriebsräte gelegentlich an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen. Das hatten sich die Gewerkschaftler nach 1918 erkämpft. Die Betriebsräte waren jedoch nur Statisten in diesem Gremium von Wirtschaftsexperten, ohne Einfluß auf entscheidende Vorgänge in den Betrieben; zumal es ihnen an ökonomischem Wissen fehlte, um am Vorstandstisch mitzureden.

Mit geschulten Funktionären gedenkt der Bundesvorstand des DGB heute den ausgefuchsten Aktionären und Industrievertretern eher gewachsen zu sein. Die Realisierung dieser Forderungen wäre für westdeutsche Begriffe eine Revolution, vorausgesetzt, daß der DGB tatsächlich seine Souveränität gegenüber allen liberalistischen Strömungen behaupten könnte.

Umsonst betonte Erich Bührig die loyalen Absichten seiner Gewerkschaftler, umsonst hatten ihn die ideologischen Stabshelfer des Bundesvorstandes vom wirtschaftswissenschaftlichen Institut des DGB in Köln mit diplomatischen Reserven ausgerüstet: Die Verwirklichung des Mitbestimmungsrechts schaffe eine neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die Industriearbeiter würden entproletarisiert und zu »Wirtschaftsbürgern«.

Obwohl Bührig den marxistischen Klassenkampfgedanken namens seiner Gewerkschaften in Hattenheim zu Grabe trug. erntete er nur Mißverständnis bei der Unternehmerkommission. »Der Mann im blauen Kittel« könne mit solchen theoretischen Begriffen wie »Wirtschaftsbürger« nichts anfangen. Für ihn sei die Lohntüte ausschlaggebend. Die könnte ihm nur eine bewegliche Wirtschaftsführung, ohne Beeinträchtigung durch eine diktatorische Zentrale, garantieren. Im Ernst befürchten die Unternehmerverbände eine Beeinträchtigung ihrer Rationalisierungsbestrebungen durch den Einfluß des DGB.

Nun soll die Bundesregierung die Streitfrage um das gewerkschaftliche Mitbestimmungsrecht lösen. Bundesarbeitsminister Storch hat jetzt die schwierige Wahl, zwischen den Vorschlägen der Arbeitnehmerverbände und der Gewerkschaften. Beide Organisationen bestehen darauf, bei den Arbeiten am Gesetzesentwurf hinzugezogen zu werden

Der DGB ist guter Hoffnung, seitdem Oberkommissar McCloy die Suspendierung des bereits vor zwei Jahren in Hessen verfügten Betriebsrätegesetzes aufgehoben hat. Damit tritt jetzt in Hessen ein Gesetz in Kraft, das den Betriebsräten weitgehende Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen garantiert. Auch in Württemberg-Baden erlangt ein ähnliches so lange auf Eis gelegtes Gesetz jetzt Rechtskraft Die Präzedenzfälle dienen nunmehr Minister Storch als Richtschnur.

Ob allerdings der Gewerkschaftsbund mit seiner Kardinalforderung durchdringt, auch Funktionäre in die Aufsichtsräte der industriellen Großunternehmen zu delegieren bleibt abzuwarten. Der DGB beruft sich dabei auf das Aktienrecht, nach dem die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat nicht betriebsgebunden sei

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