»Der Mann nutzt seine letzte Chance«
Einen »Tanz auf dem Maulwurfshügel« hätten die Staats- und Regierungschefs samt ihren Außenministern beim Gipfeltreffen der Europäischen Gemeinschaft in Venedig 1980 aufgeführt, sich »wie die Mäuse im Tokajer-Keller« gefühlt und ihre Möglichkeiten zur Lösung des Nahost-Konflikts »naiv und realitätsfern« überschätzt.
Franz Josef Strauß redete sich, Ende Januar vor vertrautem Kreis, in Eifer. Garantien für den Frieden in Nahost hätten die Europäer übernehmen wollen, ganz wie eine Supermacht - »doch wenn's knallt, schicken die doch nicht einmal einen Sanitätshund«. Und: »Diese Garantien sind soviel wert, wie wenn man beim Amtsgericht Tirschenreuth eine einstweilige Verfügung gegen den Einmarsch der Roten Armee erwirkt.«
Und jetzt rede »dieser Genscher« immer noch »solch einen Schmarrn« daher. Bei den Koalitionsverhandlungen nach dem Bonner Wechsel, so der CSU-Vorsitzende, sei auch über die Haltung der Regierung Helmut Kohl zum israelischarabischen Konflikt gesprochen worden. Der freidemokratische Außenminister habe nur »nichtssagende Formeln« zu Papier gebracht. Er, Strauß, daraufhin vor aller Ohren zu Hans-Dietrich Genscher: »Das haben Sie sich wohl aus dem Zettelkasten der Uno-Phraseologie herausgefischt.«
Als Genscher dann auch noch verlangt habe, die Forderung nach Beteiligung der Palästinenser an den Nahost-Gesprächen müsse in den Koalitionskatalog aufgenommen werden, da sei ihm angesichts von soviel »Naivität« und »mangelndem Sachverstand« nur noch Spott übriggeblieben. »Jetzt fassen wir uns alle an den Händen«, habe er nach Genschers Ergüssen die versammelten Größen S.20 von CDU/CSU und FDP aufgefordert, »und singen ein Weihnachtslied.«
Er habe Helmut Kohl gewarnt, berichtete der CSU-Chef weiter, nach dem 6. März diese Art Nahostpolitik weiter zu verfolgen.
Der bayrische Ministerpräsident ist schon mittendrin im neuen Metier: Er will Außenminister werden - wenn die Wähler es zulassen und weder Kohl noch Genscher es verhindern können.
Sein Nahost-Plan steht natürlich längst. Mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak, kürzlich bei ihm zu Besuch, hat er bereits alles durchgesprochen. Der gegenwärtigen Bonner Nahost-Politik begegne der Araber, erzählte Strauß, »nahezu ohne Verständnis«. Für die Ideen des CSU-Vorsitzenden über Wege zum Frieden aber habe Mubarak lebhaftes Interesse gezeigt.
Das Strauß-Konzept: Im Westjordanland soll ein Palästinenser-Staat entstehen, mit allen Souveränitätsrechten. Bis auf eines: Israel müsse die Militärhoheit behalten, denn der Palästinenser-Staat grenze an dessen sicherheitspolitisch heikelste Stelle. Israel messe dort nicht mal 20 Kilometer in der Breite. S.21
Einen Angriff aus Jordanien, wenn er tatsächlich militärisch gut vorbereitet sei, könne Israel nicht abwehren. Deswegen werde es Frieden in Nahost nur geben, wenn alle beteiligten Staaten Israels Sicherheitsinteressen voll berücksichtigen - egal wer in Jerusalem regiere.
Die Israelis müßten freilich, so die Forderung von Strauß, ihre illegal errichteten Siedlungen auf dem Westufer des Jordans räumen. Das gehe mit einem Ministerpräsidenten Menachem Begin nicht, der müsse erst weg. Mit einem Regierungschef Schimon Peres aber, dem gegenwärtigen Oppositionsführer, ließe sich darüber reden, so jedenfalls die übereinstimmende Ansicht von Strauß und Mubarak.
Die weißblauen Grenzen sind dem CSU-Chef längst zu eng geworden. Mit Macht drängt es den 67jährigen wieder hinaus in die große Politik. Das Amt des bayrischen Ministerpräsidenten, das war ganz nett, war angenehme Ruhestatt nach dem Fiasko des Kanzlerkandidaten Strauß im Jahre 1980.
Die Wunden sind vernarbt, sein Selbstbewußtsein ist ungebrochen. Nach wie vor ist FJS überzeugt, die Nummer eins der Unionspartei zu sein, weit mehr von Politik zu verstehen als ein Kanzler Helmut Kohl.
Trotz Opernball in Wien, trotz Hirsch- und Gamsjagd nach Belieben - die Freuden eines bayrischen Regenten wiegen die Langeweile nicht auf, erst recht nicht die schmerzenden Ohnmachtserlebnisse eines Provinzpolitikers.
Der CSU-Vorsitzende weiß, daß er nach dem 6. März die letzte Chance hat, in die Bundespolitik zurückzukehren. Es könnte zugleich die erste - wirkliche - Möglichkeit sein, in Bonn bestimmenden Einfluß auf die Politik zu erlangen. Einer seiner engsten Freunde berichtet aus langen Gesprächen mit Strauß: »Der Mann der Stunde Null sieht seine letzte Chance, und er will sie nutzen.«
Gewinnt die Union die Wahl, möchte Strauß seiner eigentlichen Passion frönen: der Weltpolitik. Der Außenminister Strauß will hinter Kanzler Kohl der Mann sein, der die Bonner Politik grundlegend ändert, der das Wort von der Wende erst wahrmacht.
Strauß glaubt, er allein könne - nach dreizehn Jahren Sozialismus - den historischen Wechsel ins Werk setzen: weg vom Marsch in den Neutralismus und in die Abhängigkeit von den Sowjets, zurück ins Lager des Westens, zurück an die Seite der USA, die der Retter des Abendlandes endlich an ihre Führungsrolle gemahnen und vor weiteren Fehlern im weltweiten Kampf gegen den Sowjet-Imperialismus bewahren will.
Die einstweilen letzte Lektion, was er vom Realpolitiker Strauß zu erwarten hat, erhielt Kanzler Kohl vor wenigen Wochen. Sein Kabinett hatte Amerikaner und Sowjets aufgefordert, sie sollten bei den Genfer Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen in Europa am Ziel der Null-Lösung festhalten. Wenige Tage später bezeichnete Strauß die Null-Lösung als großen Quatsch.
Ein Außenminister Strauß wird nicht eher ruhen, bis er auch die Wende im Innern erzwungen, die Spuren sozialliberaler Politik ausgelöscht hat: Alles will er umkrempeln, das soll bei der Stärkung des Wehrwillens der Jugend anfangen und bei der Entstaatlichung der Sozialpolitik noch lange nicht aufhören.
Doch bisher kann Strauß nicht sicher sein, ob er tatsächlich den Wechsel nach Bonn schafft. Am liebsten würde der Zauderer gebeten werden. Die in Bonn tun ihm den Gefallen nicht, die in München aber drücken ihn: Die CSU-Spitzenpolitiker Max Streibl, Gerold Tandler und Edmund Stoiber wollen, um ihrer eigenen Karriere willen, endlich freie Bahn haben.
Dabei ist der CSU-Vormann überzeugt: Er wird in Bonn gebraucht. Haben S.22 doch die »Dilettanten« (Strauß) unter ihrem Vormann Kohl in den wenigen Monaten seit dem Machtwechsel bewiesen, daß sie »handwerklich einen Fehler nach dem anderen machen« und kein Konzept fürs Regieren besitzen.
Einem Ratgeber vertraute Strauß schriftlich an, was er von Helmut Kohl, der sich so gern als »Enkel Adenauers« bezeichnet, hält: »Sie können mir auch glauben, daß ich vom Erbe Adenauers mehr verstehe als manche, die heute vor lauter Amtswürden und Amtsfreuden in Gefahr sind, die Würde zu verlieren.«
Ende Januar bat Strauß die vier CSU-Minister im Bonner Kabinett, Friedrich Zimmermann (Innen), Oscar Schneider (Wohnungsbau), Werner Dollinger (Verkehr) und Jürgen Warnke (Entwicklungspolitik) zum Morgenappell in seine Münchner Staatskanzlei. »In sehr netter Form«, wie es einer der Geladenen empfand, machte Strauß ihnen klar, auch sie hätten ihn enttäuscht. Auch sie hätten nichts dagegen unternommen, daß es in Bonn nur »bloße Varianten« der alten sozialliberalen Politik gebe, »aber keine Alternativen«.
Es folgte die übliche Litanei: Er habe mit seiner Forderung nach Neuwahlen noch im Jahre 1982 recht behalten. Wenn die Wahl am 6. März verlorengehe, dann sei das Schuld der CDU. Wie die ihren Wahlkampf führe, da könne man sich nur ans Haupt schlagen.
Dann belehrte er das CSU-Quartett über die Grundsätze der Wende: Fehlentwicklungen in der Innenpolitik seien auch nach dreizehn Jahren sozialliberaler Koalition noch korrigierbar, die Richtung der Außenpolitik dagegen lasse sich, wenn überhaupt, dann nur mit größter Kraft und stärkstem Willen umkehren.
Der wendige Zimmermann hatte die Lektion von München begriffen. Wenige Tage nach dem Treffen tat sich der Innenminister als Revanchist hervor. So als wäre in den Ost-Verträgen die polnische Westgrenze entlang von Oder und Neiße nicht faktisch anerkannt worden, erging sich Zimmermann in großdeutschen Parolen: »Tendenzen, die deutsche Frage auf die Bundesrepublik Deutschland und die DDR zu beschränken und die ostdeutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße nicht einzubeziehen, wird es bei der neuen Bundesregierung nicht geben.«
Die Vertriebenenverbände dankten mit Beifall: Das waren neue Töne, jetzt schien es endlich vorbei mit der schlappen Haltung des Kohl-Kabinetts, die von gemäßigten Deutschlandpolitikern vertreten wird. Zumindest verbal bekennen sich der Innerdeutsche Minister Rainer Barzel und der im Kanzleramt für DDR-Kontakte zuständige Staatsminister Phillipp Jenninger zur Kontinuität in der Deutschlandpolitik.
Das mißfällt den Reaktionären in CDU und CSU. Sie empfanden es als völlig unangemessen, daß gleich drei Repräsentanten der Kohl-Regierung, dabei Jenninger und Barzel, den Funktionären des anderen deutschen Staates die Reverenz erwiesen, als die DDR zur Feier ihres 33. Gründungstages in die Godesberger Stadthalle geladen hatte.
Die Hoffnung dieser Ultrarechten richtet sich auf Strauß. Ihnen gefällt es, wenn er verkündet, er habe doch nicht dreizehn Jahre die Ostpolitik der alten Regierung bekämpft, um sie im vierzehnten Jahr fortzusetzen.
Zwar will auch Strauß die Ost-Verträge nicht kündigen ("pacta sunt servanda"). Aber sie mit neuem Leben zu erfüllen, die Beziehungen zur DDR auszubauen, das hat er auch nicht im Sinn.
Er möchte einerseits den Gesprächskontakt zu Moskau nicht abbrechen, auch die wirtschaftlichen Beziehungen nicht beschneiden. Aber andererseits will Strauß endlich das tun, was die Sozialliberalen dreizehn Jahre lang verhindert haben: die Bundesrepublik in einen weltweiten Kampf gegen den Sowjet-Imperialismus führen, gegen diesen »euroasiatischen Landkoloß, der ja wie ein Krake seine Finger in die ganze Welt ausstreckt«.
Klar, daß dann die neuen amerikanischen Mittelstreckenraketen auf jeden Fall in die Bundesrepublik geholt werden, klar auch, daß dann die Ost-West-Spannungen wieder zunehmen. Ein Außenminister Franz Josef Strauß wäre in seinem Element.
Besondere Aufmerksamkeit würde der Bayer Afrika zuwenden, dem »Schicksalskontinent für Europa«. Verkündet er doch schon seit Jahren, »daß man afrikanischen Ländern wirtschaftliche und notfalls auch waffentechnische Hilfe zuteil werden lassen muß, die sich der sowjetischen Expansion widersetzen. Der sowjetischen Expansion müssen definitive Grenzen gesetzt werden«.
Endlich hätte er freie Hand, seinen Freunden in der Republik Südafrika mit fortgeschrittener Waffentechnologie beizuspringen. Schließlich gehe es doch am Kap, so Strauß, auch um die Interessen des Westens, um Bodenschätze und um den Schutz der Seewege. Für Gefühlsduseleien wegen der Rassentrennungs-Politik des Regimes ist da kein Raum mehr. Daß Genschers AA-Experten vor den verheerenden Folgen warnen, die ein S.23 solcher Kurswechsel für die Bonner Beziehungen zu Schwarzafrika haben würde, läßt ihn kalt.
Ohnehin besteht Genschers Afrika-Politik, glaubt Strauß, aus »rührenden Primitivformeln der oberflächlich einleuchtenden Selbstverständlichkeit, hinter der sich leider nichts verbirgt«. Der Bayer meint damit »Phrasen von der Art: Wir müssen das Selbstbestimmungsrecht der Völker unterstützen; wir müssen deshalb rechtzeitig uns auf die richtige Seite stellen und müssen unseren Beitrag zur Befreiung der Schwarzen leisten«.
Wie sehr sich Strauß die Sache Südafrikas, das er oft und gern bereist, zu eigen macht, zeigte sich bei den Koalitionsverhandlungen mit der FDP. Förmlich beschwerte er sich bei Genscher über den Bonn-Botschafter am Kap, Eckehard Eickhoff; der habe an deutsche Besucher ein mit dem AA abgestimmtes Papier verteilt, das kritische Distanz zur Regierung in Pretoria erkennen lasse. Das aber sei eine grobe Einmischung in die inneren Verhältnisse des Gastlandes, der Mann gehöre abgelöst.
Auch anderswo würde Strauß im Kampf gegen die Sowjets gern mitmischen. Er wünscht sich uneingeschränkte westdeutsche Waffenlieferungen an Pakistan, aus denen sich dann die afghanischen Rebellen nach Belieben bedienen könnten. Strauß: »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.«
Diktatoren und Militärregime in aller Welt dürften, wenn sie nur stramm antisowjetisch sind, mit verstärkter deutscher Hilfe rechnen: Zaires Mobutu Sese Seko, Chiles Augusto Pinochet, die Generale in Ankara. Strauß als Außenminister - Gefahr wäre in Verzug.
Kohl aber ist von Beratern umgeben, die immer noch meinen, Strauß wolle schon deswegen nicht gern Außenminister werden, weil er bei Staatsbesuchen vom Protokoll in eine Statistenrolle hinter dem Kanzler gedrängt sei.
Das aber würde den Christsozialen nicht anfechten, solange er seine Ziele nicht in Gefahr sieht. Sein scherzhaftes Apercu, es sei ihm egal, wer unter ihm als Kanzler regiere, ist ernst zu nehmen: Als Mann hinter Kohl will ein Außenminister Strauß darauf sehen, daß auch in anderen Bereichen der Bonner Politik alles in seinem Sinne läuft.
So nörgelte er vor Vertrauten, Kohl besitze kein Konzept gegen die Wirtschaftskrise. Strauß geht davon aus, daß die Arbeitslosenzahlen weiter steigen: In der Union werden bereits statistische Untersuchungen der baden-württembergischen Landesregierung herumgereicht, danach klettert die Zahl der Erwerbslosen Ende dieses Jahrzehnts auf vier Millionen.
Das aufwendige Wohnungsbauprogramm der neuen Regierung hilft da wenig. Es ist, so auch ein CDU-Präsidiumsmitglied, »bloß ein Strohfeuer«. Einmal in Bonn, will der Bayer verhindern, daß Wirtschaftslaie Kohl unter steigendem Druck dem Einfluß jener in der CDU erliegt, die für Steuererhöhungen plädieren. Strauß: »Auf diesem Wege ist die Wirtschaft nicht zu beleben.«
Der allzuständige Strauß glaubt, er sei als Retter unentbehrlich.
Doch auch aus ganz anderem Grund treibt es ihn nach Bonn zurück: Seine Machtstellung an der Spitze der Union bröckelt.
Die Schicksalstage vor und nach dem 17. September vergangenen Jahres, als in der Bundeshauptstadt der Wechsel inszeniert wurde, bescherten dem Bayern ein schreckliches Erlebnis: Er war nicht gefragt, die wichtigsten politischen Entscheidungen seit 1969 wurden ohne ihn gefällt.
Die Beschlüsse, wie Koalitions- und Machtwechsel ablaufen sollten, trafen Kohl und Vizekanzler Genscher, Zimmermann und FDP-Fraktionschef Wolfgang Mischnick. Niemand hörte auf Strauß, als er verlangte, schnellstens - »citissime« - noch 1982 zu Neuwahlen zu kommen. Kohl und Genscher legten den Wahltermin 6. März fest, im Einvernehmen mit CSU-Zimmermann.
Strauß war strikt dagegen, vor Neuwahlen mehr zu tun als unbedingt zur Verabschiedung des Bundeshaushaltes '83 nötig war. Kohl, Genscher und Zimmermann aber beschlossen, ohne auf den Bayern zu achten, daß noch vor dem 6. März per Gesetz der Mieterschutz aufgeweicht, die Rentenanpassung verschoben, die Selbstbeteiligung an den Krankenhauskosten eingeführt wird.
Erst hernach zeigte sich, daß Kassandra wieder einmal recht gehabt hatte: Die Neuerungen lieferten den Sozialdemokraten Wahlkampfschlager; Kohl, Genscher und Zimmermann hatten es nicht bedacht.
Sie grenzten den Bayern aus. Ihm halfen weder das Gewicht des CSU-Vorsitzes noch die Würde des Ministerpräsidenten. Seine Hoffnungen erwiesen sich als trügerisch, er könne von München aus, wohin er sich 1978 in die Staatskanzlei zurückgezogen hatte, genausogut oder gar noch wirkungsvoller als früher die Bonner Politik der Unionsparteien bestimmen.
Ein Strauß-Vertrauter schilderte, wie in Bonn der Zug für den CSU-Chef abgefahren ist: »Um den 17. September standen andere im Führerhaus, stellten andere die Weichen, und als dann Franz Josef mit der Haltekelle kam, hat sich keiner mehr um ihn gekümmert.«
In jenen Tagen fühlte sich Kohl stark genug, seinen Männerfreund vor Mitarbeitern zu verhöhnen: Nun erweise sich ja, daß der Kanzler alles, der bayrische Ministerpräsident aber fast nichts zu sagen habe. Kohl: »Wenn der bayrische Löwe brüllt, verbreitet er nur noch Mundgeruch.«
Einer der engsten Helfer Kohls im Kabinett sieht den CSU-Boß schon endgültig auf dem Altenteil: »Franz Josef kann ja bis zu seinem Lebensende bayrischer Ministerpräsident bleiben. Dann interessiert bald nur noch das Gesundheitskommunique: Macht er es noch lange, S.24 oder stirbt er bald, müssen sich die Nachfolger bereit machen?«
Die Herren könnten sich zu früh gefreut haben. Strauß ist gereizt. Wenn er den Kampf in Bonn aufnimmt, schwingt, wie meist bei seinen Entscheidungen, auch Irrationales mit - so wie 1976 beim Kreuther Beschluß der CSU, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufzukündigen, so wie 1979 beim Griff nach der Kanzlerkandidatur.
Solange nur er seinen schleichenden Machtverlust bemerkte, mochte das noch angehen. Nun aber sehen es auch andere und lassen ihn spüren, wie es um seinen Einfluß in Bonn bestellt ist.
Weniger und weniger stimmt noch das Bild vom starken Mann aus Bayern. Mehr und mehr fällt Strauß zurück in die Reihe jener Provinzpolitiker, die er in der Vergangenheit so gerne überragte.
Ist der Nimbus erst einmal weg, kann Strauß sich ausrechnen, wann er sich auch in der bayrischen CSU nicht mehr durchsetzt. Auch dort steht es mit seiner Autorität nicht mehr zum besten.
Zwar hat es Strauß schon früher nicht immer geschafft, Widersacher in der eigenen Partei durch Befehl von oben zu erledigen. Ließ er dann von seinen Gegenspielern ab und stiegen die dann obendrein auf der Karriereleiter weiter - wie etwa der heutige bayrische Landtagspräsident Franz Heubl -, so wurde das dem Parteichef noch als Zeichen bayrischer Liberalität ausgelegt. Heute aber beschädigen solche Niederlagen seinen ohnehin lädierten Ruf.
Jüngstes Beispiel: Bundesinnenminister Zimmermann, der unter dringendem Verdacht steht, insgeheim gemeinsame Sache mit den Strauß-Gegnern in der Kohl-Regierung zu machen, sollte seinen angestammten Platz drei auf der CSU-Landesliste räumen und auf Platz sieben strafversetzt werden. Doch Zimmermann obsiegte, er hatte die besseren Beziehungen.
Sein Bonner Spezi Theo Waigel, der Zimmermann die Nachfolge im Vorsitz der Bonner CSU-Landesgruppe verdankt, verzichtete zugunsten seines Förderers auf den dritten Platz und gab sich mit der sechsten Stelle zufrieden. Die von Strauß beabsichtigte Demütigung Zimmermanns blieb aus.
Bestürzt hatte Strauß schon zwischen den Jahren, bei einem Gespräch mit Parteifreunden, festgestellt, wie sehr sich die Machtstrukturen in der Bonner CSU-Gruppe verändert haben - zu seinen Ungunsten.
Eine neue Seilschaft hat sich gebildet, angeführt von Kohl-Freund Zimmermann mit seinem CSU-Staatssekretär Carl-Dieter Spranger im Schlepp. Die Querverbindungen reichen zu Theo Waigel, der die Landesgruppe kontrolliert und gegen Strauß in Stellung bringen könnte.
Strauß nimmt es nur als Lippenbekenntnis, wenn Waigel orakelt, vielleicht werde es nach dem 6. März in Bonn »fünf Fraktionen« geben - also neben SPD, FDP, Grünen und CDU auch eine eigene CSU-Fraktion, falls es bei den Koalitionsverhandlungen kracht.
Ebenfalls verdächtig eng scheinen dem CSU-Chef die Kontakte zwischen Zimmermann und dem einflußreichen Chef der bayrischen Landesvertretung in Bonn, Peter Schmidhuber. Angebunden an die Zimmermann-Gruppe sieht Strauß auch den Wohnungsbauminister Oscar Schneider, einer der mächtigsten Bezirksvorsitzenden der CSU.
Strauß ist auch nicht entgangen, wie aufmerksam Kohl die Beziehung zu Zimmermann pflegt. Dem Innenminister zuliebe - um ihn vor dem Vorwurf aus München zu bewahren, er kümmere sich nicht um die Wünsche des bayrischen Ministerpräsidenten - ließ Kohl sein Kabinett den Weiterbau des Rhein-Main-Donau-Kanals beschließen. Im Wahlkampf nutzte das nur den Grünen, rechtliche Bedeutung besitzt der Kabinettsentscheid nicht: Der Haushaltsausschuß des Bundestages nämlich hat sich vorbehalten, jede neue Baumaßnahme zu genehmigen.
Den dritten CSU-Mann im Bonner Kabinett, Werner Dollinger, hält Strauß für ungefährlich, aber nur begrenzt einsetzbar. Der christlich-soziale Senior verdankt seine Berufung zum Verkehrsminister im wesentlichen dem Umstand, daß er kraft Taufe das protestantische Element der CSU in Bonn vertritt.
Auch Jürgen Warnke, der Entwicklungshilfeminister von Straußens Gnaden, kann dem CSU-Chef keine große Hilfe sein. Der einstige Verbandsvertreter der Keramikindustrie arbeitet sich gerade erst in die Entwicklungspolitik ein, im Kabinett ist er das Schlußlicht.
In seiner Not hielt Strauß Umschau, wer denn sonst noch als Bundesgenosse in Frage käme - die Ausbeute war mager: Heiner Geißler vielleicht? Der Familienminister und CDU-Generalsekretär ist zwar mit Helmut Kohl seit längerem über Kreuz. Der alte Strauß-Gegner scheint aber sein Feindbild überprüft zu haben. Ende vergangenen Jahres sei Geißler, meldeten Kundschafter dem Kanzler, bei Strauß gewesen, habe Zimmermann S.25 als heimlichen Kohl-Kumpanen angeschwärzt und über die Regierungskünste des Kanzlers gespottet. Im Gegenzug habe Strauß der Zivildienst-Novelle Geißlers zugestimmt, die vielen in der CSU zu lax ist.
Auch zu Rainer Barzel, ebenfalls kürzlich zur Audienz beim bayrischen Ministerpräsidenten, ließen sich engere Bande knüpfen. Barzel möchte gern nächster Bundespräsident werden. Dafür braucht er die Stimmen der CSU. Aber auch die der CDU - und über die bestimmt Helmut Kohl.
Den eifrigsten Zuträger des CSU-Vorsitzenden, den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Friedrich Voss, hält Kohl von Kabinettssitzungen möglichst fern. Im Ministerium achtet Ressortchef Gerhard Stoltenberg darauf, daß der Strauß-Mann keine intimen Einblicke in die Konzeption des CDU-Ministers gewinnt. Ganz ist es ihm freilich nicht gelungen: Sehr schnell erfuhr Strauß davon, daß sich Stoltenberg den Aktenvorgang seines Amtsvorgängers über die Einführung einer Quellensteuer auf Zinserträge kommen ließ.
Völlig dichtgemacht ist hingegen das Kanzleramt. Nicht ein CSU-Mann sitzt in einer Schlüsselfunktion, kein Strauß-Ohr lauscht, wenn der Kanzler seine engsten Mitarbeiter zu vertraulichen Beratungen zusammenruft.
Am nächsten noch sitzt Norbert Schäfer dran, bis zum Regierungswechsel Sprecher der CSU-Landesgruppe, heute im Bundespresseamt (BPA) Chef der Nachrichtenabteilung. Doch auch er wird nicht zu Kohls Lage-Konferenzen zugelassen. Sein CDU-Amtskollege Wolfgang Bergsdorf aber, Leiter der BPA-Inlandsabteilung, darf teilnehmen - er hat als ehemaliger Büroleiter des Parteichefs Kohl das Vertrauen des Kanzlers.
Auch auf den Strauß-Anhang im Bundestag ist nicht mehr unbedingt Verlaß. Im CDU-Teil der Fraktion ist die noch 1980 stattliche Schar der Bayern-Fans arg geschrumpft, die meisten von ihnen bekennen sich heute zu Kohl. Und in der CSU-Landesgruppe wächst die Zahl der Abgeordneten, die, wie Zimmermann, auf die Zeit nach Strauß setzen.
Das merkt Strauß besonders schmerzlich, wenn Stoiber die Bonner Kameraden verpetzen darf: Strauß müßte, so habe etwa Zimmermann gesagt, »mal konsumiert werden«, der CSU-Chef sei ein »zahnloser alter Löwe«.
Nur wenn er in Bonn wieder Fuß faßt, weiß Strauß, kann er den Verfall seiner Macht noch stoppen, die Abweichler auf Vordermann bringen. Daß ein Kanzler Kohl von seiner Richtlinienkompetenz gegen einen Außenminister Strauß Gebrauch machen würde, kann Strauß sich nicht vorstellen. Und als ein Mann, der in historischen Bezügen denkt, blickt er weit voraus: Nur in Bonn kann er wieder Kanzlermacher sein, wenn Kohls Stern sinken sollte.
Die ideale Voraussetzung für seine Rückkehr wäre eine absolute Mehrheit der Union, möglichst mit einem Vorsprung von etwa zehn Mandaten. In der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU wäre die CSU-Gruppe dann stark wie nie zuvor, gegen die Sperrminorität vom rechten Flügel liefe nichts. Strauß hätte auch ohne eine Sezession das alte Ziel von Kreuth erreicht: Seine CSU würde zur beherrschenden Kraft, und dies ohne das Abenteuer einer bundesweiten Ausdehnung der bayrischen Partei.
Um dieses Ziel zu erreichen, kämpft Strauß gegen die Rückkehr der FDP in den Bundestag. Deswegen ficht er so vehement ("Die Union hat keine Stimme zu verschenken") gegen die Zweitstimmen-Kampagne der Liberalen, die er bei jeder Gelegenheit als »Dummenfang« geißelt.
Aber auch wenn die FDP wieder knapp ins Parlament hineinrutschte, würde Strauß in Bonn seinen Anspruch geltend machen - vorausgesetzt, die Liberalen bekommen nur knapp fünf Prozent der Stimmen. Die CSU, damit rechnet Strauß fest, wird doppelt so viele Mandate erkämpfen wie die FDP.
Strauß will dann argumentieren, die FDP habe keinen Anspruch mehr auf das Auswärtige Amt - schließlich sei sie vom zweiten auf den dritten Platz in der christlich-liberalen Koalition zurückgefallen. Den Posten des Außenministers könne daher mit demselben Recht, mit dem die FDP als derzeit noch zweitstärkster Partner in der Koalition (54 Mandate) das Amt für sich reklamiere, nach dem 6. März die CSU beanspruchen.
Die Liberalen sollen mit dem Innenministerium abgefunden werden. Gegen diesen Tausch könnten sie, so das Konzept, schwerlich etwas ins Feld führen: Auf ihrem letzten Parteitag hätten sie doch gerade die besondere Verantwortung der FDP für die Ausländerpolitik, den Minderheitenschutz und die Rechte des einzelnen gegen die Staatsgewalt herausgestellt - alles Zuständigkeiten des Innenressorts.
Obendrein will Strauß den Freidemokraten großherzig den Posten des Vizekanzlers überlassen: Hinter dem schönen Titel steckt nicht viel.
Setzt Strauß sich durch, hat er einen Doppelsieg errungen. Zimmermann, der mit dem Aufstieg in das Amt eines Bundesministers sein Lebensziel erreicht hat, müßte das Innenministerium schon wieder räumen, die Demontage des Kohl-Kameraden könnte weitergehen.
Zimmermann weiß, daß Strauß auf Rache sinnt. Er hat sich schon mit Parteifreunden beraten, welche Auffangposition für ihn in Frage käme: Die Wahl des bei Gericht bekannten CSU-Politikers fiel - pikant - auf das Justizministerium.
Zwar machen es die Freidemokraten, zuletzt Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff in einem SPIEGEL-Gespräch (8/1983), zur Bedingung für die Fortsetzung der Koalition, daß Hans-Dietrich Genscher das Außenministerium behält. Doch das tut Strauß als Wahlkampfgetöse ab - obwohl er weiß, daß Kohl, um sich den bayrischen Freund vom Leib zu halten, hinter der FDP-Forderung steht. Mag sich der CDU-Kanzler auch jetzt noch im kleinen Kreis dicketun: »Genscher bleibt mein Außenminister« - Strauß glaubt, daß Kohl es sich nicht leisten kann, später S.26 offen für Genscher und gegen Strauß, einen Mann des eigenen Lagers, einzutreten.
Die Rechnung könnte aufgehen: Auch Genscher wird bescheidener. Im vertrauten Kreis deutete er an, er könne, falls die FDP stark dezimiert in den Bundestag zurückkehrt, sich vorstellen, entweder das Auswärtige Amt oder den FDP-Vorsitz abzugeben. Rechtsanwalt Genscher vieldeutig: »Auch im Justizministerium kann man liberale Politik machen.«
Deshalb sieht sich der CSU-Vorsitzende in guter Position, das »Erpressungs-Potential« der FDP sei erschöpft. Beim CSU-Aschermittwoch in Passau höhnte er wie eh und je über die liberalen »Trittbrettfahrer«. Strauß: »Die Freidemokraten haben keine Wahl mehr, als mit der CDU/CSU die Koalition zu machen. Die können doch nicht mehr zurück zur SPD.«
Obendrein will er den Freidemokraten auch noch auf andere Weise die Außenpolitik verleiden. Vor dem CSU-Landesvorstand verkündete Strauß mehrfach, in seinem Alter habe er es ja wohl nicht mehr nötig, sich um irgendeinen Posten zu bewerben. Wenn er aus München weggehe, dann nur zu seinen Bedingungen, dann müsse in Bonn Politik ganz nach seinen Vorstellungen gemacht werden, und dies gehöre auch so festgeschrieben.
Bei Verhandlungen über eine neue konservativ-liberale Koalition will sich der CSU-Chef nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Er ist entschlossen, unerbittlich an seinen Ideen für die Wende auch in der Außenpolitik festzuhalten; seine Rezepte für den Kampf gegen den »expansiven Sowjet-Imperialismus mit Weltherrschaftsanspruch« müssen im Koalitionsvertrag verewigt werden.
Die Abkehr vom bisherigen Kurs soll so abrupt sein, daß für jenen Mann, der neun Jahre lang für die alte Politik stand, sowieso kein Platz mehr im Amt ist: Genscher, »der kleine Bremserjunge« (Strauß), könne sich ja dann mit einem »Wächteramt« bescheiden, das sei ihm gleichgültig.
So möchte Strauß, der sich gern als Mann von Prinzipien sieht, ein vor bald fünf Jahren gegebenes Wort einlösen. 1978 hatte der CSU-Chef auf einem Parteitag getönt, Genscher komme als Außenminister für eine CDU/CSU-geführte Regierung nicht in Betracht: »Ich erlaube mir die Bemerkung, daß für mich Herr Genscher, wenn ich gerade an die deutsche Außenpolitik in Richtung Osten, noch mehr in Richtung Afrika denke, nicht der Außenminister wäre, der unsere politischen Vorstellungen verwirklichen könnte.«
Auch Kanzler Kohl sei, prophezeit Strauß, nach einer Bestätigung am 6. März längst nicht so stark, wie er vorgebe. Seine Bewährungsprobe, so erzählen Strauß-Vertraute über die Einschätzung ihres Chefs, habe Kohl dann ja erst vor sich: Ein Helmut Schmidt sei gefallen, als die Arbeitslosenzahl bei 1,8 Millionen stand. Ob Helmut Kohl wohl glaube, daß er im Kanzleramt überleben werde, wenn die Drei-Millionen-Marke erreicht sei?
Für den Wechsel nach Bonn hat Strauß zu Hause schon alles bereitet. In die Münchner Staatskanzlei holte er seinen Vertrauten Edmund Stoiber auf den Posten des Staatssekretärs. Sollte Max Streibl im Amt des Ministerpräsidenten nachrücken, sitzt der Strauß-Aufpasser schon da.
Auch bei Ehefrau Marianne ist Strauß bereits um das Jawort eingekommen. Obwohl sie ihn viel lieber in München haben möchte, will sie ihren Franz Josef ziehen lassen. »Wenn es denn sein muß«, berichtete Strauß im Freundeskreis, »hat sie gesagt, überläßt sie mir die letzte Entscheidung: 'Politik ist ja dein Beruf.'«
Vor anderen spielt Helmut Kohl immer noch den Mann, der dem CSU-Chef den Umzug nach Bonn schon verleiden werde: »Strauß bleibt in Bayern.« Im kleinen Kreis aber gab er zu, daß auch er sich schon auf einen Außenminister Strauß einstellt.
Kohl: »Den schicke ich dann zu den Nachtsitzungen nach Brüssel. Dann ist er beschäftigt.«