Der Mann von Mannesmann
Die englische »Sunday Times« fürchtete, das Seveso-Gift sei »auf dem Weg nach England«, das französische Satireblatt »Le Canard enchaine« vermutete das Dioxin »auf dem Meeresgrund« vor Marseille. Umweltschützer glaubten, das Supergift sei auf einer Kippe bei Schönberg in der DDR vergraben worden.
Wo waren sie geblieben, die 41 Fässer mit dioxinhaltigen Abfällen vom norditalienischen Unglücksort Seveso? Die Frage beschäftigte im Frühjahr 1983 Politiker und Polizisten, Umweltschützer und Unternehmer in halb Europa.
Denn der französische Spediteur Bernard Paringaux, der den Giftmüll irgendwo versteckt hatte, saß im Gefängnis von Saint Quentin und schwieg. So gerieten vor allem deutsche Politiker und Unternehmen unter Druck: die Düsseldorfer Firma Mannesmann, weil ihre italienische Tochter Mannesmann Italiana den Seveso-Auftrag an Paringaux vergeben hatte; Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU), weil die französische Umwelt-Staatssekretärin Huguette Bouchardeau geheimnisvoll von einer »deutschen Spur« gesprochen hatte.
Zwar hielt es Zimmermann »für so gut wie ausgeschlossen«, daß der Fund in der Bundesrepublik auszumachen sei. Aber die Grünen im Bundestag stellten bohrende Anfragen ("Einführung von Giftmüll aus Seveso"), Kriminalpolizei und Staatsanwälte untersuchten etliche Deponien erfolglos.
Während halb Europa nach der Ladung von Seveso suchte, kam es, am 30. April, zu einer Krisensitzung bei Mannesmann in Düsseldorf. Anwesend war neben den Vorstandsherren Egon Overbeck und Josef Weisweiler sowie dem Generalbevollmächtigten Walter Munding, auch ein Fremder - der Detektiv Werner Mauss: Der sollte die Fässer ausfindig machen.
Der erste Versuch scheiterte. Mauss verschaffte sich Kontakt zu einem französischen Regierungsbeamten, der über den Spediteur Paringaux zwar bunte Geschichten zu erzählen wußte (Paringaux sei Mitglied des französischen Geheimdienstes gewesen und habe in Deutschland Operationen durchgeführt), aber sonst nichts.
Zwei Wochen später, Mannesmann-Vorstand Weisweiler und Innenminister Zimmermann hatten gerade auf einem Gift-Gipfel die Lage erörtert, sprach Mauss bei Zimmermanns Büroleiter Hans-Georg Dusch vor und entwickelte einen Plan: Hinter das Geheimnis der verschwundenen Giftfässer, spekulierte er, könne man durch die Ehefrau des schweigenden Transporteurs, Christine Paringaux, eine gebürtige Münchnerin, kommen. Sie müsse »geknackt« werden, was allerdings nur mit einer aufwendigen Finte zu bewerkstelligen sei.
Dusch war damit offenbar einverstanden. Denn Mauss schlüpfte anschließend in eine Rolle, wie Bundesbürger sie nur aus Geheimdienst-Thrillern kennen: Der Detektiv flog, ausgestattet mit falschen Papieren, quer durch Europa. Er leistete sich teure Hotels und Luxuslimousinen und hielt ständig Kontakt zu seinen Hintermännern, Gewaltigen aus Industrie und Politik.
Um mögliche Spuren in die Bundesrepublik zu verwischen, begab sich der Mann von Mannesmann zunächst nach Athen - getarnt als Urlauber mit Frau und italienischem Schwiegervater. Von Griechenland aus rief er Christine Paringaux in Marseille an und bat sie, »in einer dringenden Angelegenheit« ins örtliche »Frantel«-Hotel zu kommen. Dort ließ er sie erst einmal warten, meldete sich dann kurz und forderte sie auf, in Athen von einer Poststation aus anzurufen - »wegen einer möglichen Telephonüberwachung«.
Als Christine Paringaux verabredungsgemäß zurückrief, gab sich Mauss als Bevollmächtigter einer »großen Firmengruppe« aus, die bei der leidigen Giftsache helfen könne und auch zahle. Mitfinanzier sei »ein italienischer Staatsangehöriger«, die »Kooperation« werde »vertraulich« sein.
Am Abend des 17. Mai informierte Mauss das Bundesinnenministerium und Mannesmann. Er habe die Frau und ihren Anwalt für den kommenden
Tag ins »Grand Hotel« nach Paris bestellt.
Für sich selber orderte Mauss, rollengemäß großspurig, eine Suite im benachbarten Hotel »Ritz«, fuhr mit einem Mercedes 500 vor und hatte frische Personalpapiere - ausgestellt vom niedersächsischen Verfassungsschutz auf den Namen Klaus Möllner.
Beim Treffen im »Grand Hotel« kamen Mauss alias Möllner und Christine Paringaux verblüffend schnell ins Gespräch. Per Telephon informierte Mauss seine Auftraggeber in Düsseldorf und Bonn über den Fortgang.
Während ein deutscher Geheimdienstler unter einem Vorwand anderntags erst mal die Telephonausdrucke des Hotels beiseite schaffte, um die Mauss-Spuren zu vernichten, begaben sich die Gesprächspartner in die Schweiz. Christine Paringaux flog nach Genf, Mauss nach Zürich. Zwei Männer begleiteten Christine Paringaux nach Lausanne, auch Mauss, der in einem Auto des schweizerischen Nachrichtendienstes und ausnahmsweise mit Waffe vorfuhr, hatte offiziellen eidgenössischen Begleitschutz.
Am frühen Nachmittag kurz nach 14 Uhr legte Mauss alias Möllner Bargeld auf den Tisch, das Mannesmann-Manager für das Geschäft bereitgestellt hatten. Rechtsanwalt Jean Pierre Cottier quittierte: _____« Ich, der Unterzeichnete Jean Pierre Cottier, Doktor » _____« der Rechte und Rechtsanwalt, erteile Herrn Klaus Möllner, » _____« wohnhaft in Hannover, Quittung für den Betrag von DM 500 » _____« 000, der mir in bar übergeben wird. Ich werde über diesen » _____« Betrag zugunsten der Empfänger erst verfügen, wenn ich » _____« Kenntnis von der offiziellen Nachricht über die » _____« Entdeckung der 41 Fässer habe, die das Dioxin aus Seveso » _____« enthalten. »
Christine Paringaux teilte mit, daß die Fässer auf dem Gelände einer ehemaligen Metzgerei im französischen Provinznest Anguilcourt-le-Sart lagerten. Mauss informierte unmittelbar danach deutsche Geheimdienstler, die Christine Paringaux' Angaben überprüften und bestätigten. Danach informierte Innenminister Zimmermann per Telex die Pariser Regierung.
Um 16.30 Uhr verbreitete Radio Luxemburg eine erste Meldung über den Fund. In der Lausanner Kanzlei hatten alle auf die Nachricht gewartet, das Geschäft war perfekt, der Fall geklärt.
Die Offerte der Schweizer Behörden, die dubiose Prämie gleich wieder zu kassieren, wies der deutsche Detektiv zurück. Christine Paringaux' Ehemann Bernard, der wenig später nach 56 Tagen Haft freikam, schwieg erwartungsgemäß weiterhin, diesmal für die andere Seite: »Ich sage kein Wort.«