»Der Minister, das ist der Herr neben mir«
Genau wüßte wohl niemand zu sagen, wie eigentlich einer aussehen und sein soll, der in Bonn Minister wird. Über das Gegenteil scheint eher Einigkeit möglich: So wie Jürgen Schmude, 42, jedenfalls nicht.
Wer erwartet schon einen solchen Mann in der Regierung? So linkisch und hilfsbedürftig bei öffentlichen Anlässen, so sanft und sensibel, wenn man näher hinsieht, so langweilig, korrekt und verbindlich in seinen Reden.
Kein Wunder, daß Jürgen Schmude, der seit Februar letzten Jahres im Kabinett Helmut Schmidts das Ressort Bildung und Wissenschaft verwaltet, Bonns unbekanntester Minister ist, unbekannter seit seiner Amtsübernahme sogar als vorher.
Zur Zeit seiner Nominierung wollten immerhin 39 Prozent aller Bundesbürger den Namen Schmude schon einmal gehört haben, nach einem guten halben Jahr Ministertätigkeit waren es nur noch 33 Prozent. Er scheint, wie man so sagt, im Amte aufgegangen.
Wenn er einmal öffentlich Gestalt annimmt, wie im Oktober letzten Jahres in Münster bei einer Podiumsdiskussion vor Studenten, dann macht sich der Gesprächsleiter zum Gaudi der Zuhörer über ihn lustig: »Für alle, die den Minister nicht kennen, das ist der Herr rechts neben mir.«
Wen immer solche Szenen verwundern mögen, den Sozialdemokraten Schmude aus dem niederrheinischen Moers am wenigsten. Er selbst nämlich, so vertraute er einmal der Frau eines Abgeordneten an, die ihn fragte: »Wie wird einer wie Sie eigentlich Minister?', fragt sich das auch, wenn er sich morgens beim Rasieren im Spiegel sieht.
Selbsterkenntnis? Koketterie? Eher wohl Bescheidenheit -- und List zugleich. Denn wer sich mit dem ersten oberflächlichen Eindruck begnügt und sich achselzuckend abwendet, weil Jürgen Schmude doch nur »ein Ritter von der traurigen Gestalt« sei (ein Journalist) oder »auch wieder nur so'n Technokratenarsch« (ein Juso), der ist gleich zweimal reingefallen.
Einmal, weil, nur in Nuancen unterschieden, die Minister der Schmude-Generation im Kabinett Helmut Schmidts wie Dieter Haack, 44, Rainer Offergeld, 41, trotz reger Imagepflege auch Volker Hauff, 38, und Gerhart Baum, 46, alle so sind -- Routiniers des Regierungshandwerks, nahezu beliebig austausch- und verwechselbar.
Zum anderen ist der uninteressierte Beobachter dem Schmude-Trick aufgesessen, sich besonders harmlos und unbedarft zu geben. Denn der Minister fährt nicht schlecht dabei, zu untertreiben und sich unterschätzen zu lassen. Schmudes Ansehen unter Fachleuten in der »Raumstation Bonn« (ARD) nämlich widerspricht völlig seinem öffentlichen Image, oder besser dem Mangel daran.
Wenn Jürgen Schmude am Kabinettstisch den Mund aufmacht, ganz gleich, ob zur Bildungspolitik oder anderen Themen, dann legt der Bundeskanzler seine Nebenbeschäftigung zur Seite und hört aufmerksam zu. Denn Schmude redet keinen Unfug. Kaum jemanden hat Herbert Wehner in der Fraktion so herzlich gelobt wie den leisen Langen aus Moers. Denn auf Schmude ist Verlaß.
Sein Erfolg ist nachprüfbar. Den Wahlkreis Moers hat Jürgen Schmude 1976 mit 61,7 Prozent gewonnen. Seinem CDU-Konkurrenten blieben ganze 31,3 Prozent. Bei den Fraktionsvorstandswahlen der SPD im Dezember 1977 erhielt keiner der 18 Beisitzer so viele Stimmen wie Schmude -- 164 von 198, der gemäßigte Linke gilt auch den rechten Genossen als vertrauenswürdig.
Der Mann ist eine Art politisches Wunder in Bonn. Um ihn gab es nie Skandale, wohin man auch hört, es wird nicht schlecht über Jürgen Schmude gesprochen. Nur wenig. Und wenn doch mal von ihm die Rede ist, dann von einer Art »second hand«-Figur, von einem, der anderer Leute politische Kleider aufträgt -- »Notar des Kanzlers« etwa sei er im Bildungsministerium, »Schützling Wehners« in der Fraktion, »Heinemann-Erbe« von Gesinnung.
Das mag Schmude nicht ganz gerecht werden, eigenständiger ist er schon und ehrgeizig erst recht, aber es liegt in der Konsequenz seiner Überzeugung: Die Sache ist alles in der Politik, die Person ist nichts.
Wie Mirakel à la Schmude entstehen, verdeutlichte er jüngst in Israel. Da kam am See Genezareth bei Begleitern der frivole Wunsch auf, der Chef solle doch mal wie einst Jesus über das Wasser wandeln. Schmude: »Bevor ich das täte, würde ich erst einen detaillierten Referentenentwurf meines Hauses über die Lage der Steine unter der Wasseroberfläche anfertigen lassen.«
Das ist das Erfolgsgeheimnis Jürgen Schmudes. Er berechnet alles, kalkuliert jede Situation, jede Stimmung, jeden Gesprächspartner. Meist ist er dabei sorgfältiger als die anderen. Nie riskiert er Niederlagen durch Voreiligkeit, nie aber auch löst er spontanen Beifall aus.
So sehr versucht er hinter der jeweiligen Sache zu verschwinden, daß man es ihm körperlich ansieht. Auf Pressekonferenzen und bei Reden, in Hörsälen und bei Empfängen duckt er seine 1,91-m-75-kg-Figur zusammen, entschuldigt sich gleichsam dafür, daß er leider auch als Person anwesend sein muß. Oft, wenn er zuhört, hält er die Hand vor den Mund, als wolle er den vorsorglich verschließen für den Fall, daß ihm doch einmal etwas nicht zur Sache Gehörendes entschlüpfen könnte.
Seine Reden im Parlament variieren unermüdlich das Wort »sachlich«. »Sachlichkeit«, »Sachbezogenheit«, »Sachgemäßheit« -- solche Begriffe kennzeichnen nicht nur seinen Stil, sie sind seine Lieblingsvokabeln.
Den Menschen Jürgen Schmude, der sich Gefühle erlaubt und Erholung von ständiger Selbstkontrolle, den gibt es nur nach Feierabend, selten in Bonn, vorwiegend bei seiner Frau und seinen Kindern Kai und Birgit am Wochenende in Moers. Bei solchen Gelegenheiten, die er ausdrücklich für privat erklärt, wird ein anderer Mann sichtbar -ein witziger, empfindsamer, gebildeter. Oft aber ist auch da der Ton ironisch, selbstironisch vor allem. Selbst privat hält er Distanz zu sich selbst.
Für Jürgen Schmude ist theoretisch unakzeptabel, daß beide Sphären sich vermischen, schon, daß etwa seine Familie nach Bonn umsiedelt, erscheint ihm undenkbar.
Sobald er im heimischen Moers mit Sicherheitsbeamten auftaucht, dann zählt nicht der Nachbar Schmude, dann beherrscht seine Bonner Prominenz die Szene. Schmude glaubt, er könne dann manchen in Moers »selbst Pornographie anpreisen. Die würden mich nur andächtig anstarren und sagen: Unser Minister spricht«.
Bei solchen Gelegenheiten dämmert dem kontaktscheuen Mann, daß sein Berliner Kollege Peter Glotz wohl recht hat mit seiner Erfahrung, »daß die meisten Leute wenig danach fragen, was man sagt«, daß sie das für zweitrangig halten.
Vielmehr, so Glotz in seinem politischen Tagebuch »Die Innenausstattung der Macht«, schauen die Menschen den Politikern »auf den Mund, auf die Hände, auf den Anzug, auf die Krawatte ... Sie benutzen alle ihre Sinne, um herauszubekommen: Wer ist der?«
Auch die Gründe für diese Haltung, die Glotz aufführt, sind Schmude geläufig: daß die Menschen sehen wollen, wer das ist, der Staat, der ihnen immer unheimlicher wird, den sie als eine lautlos wirksame Maschine erleben, die Angst erregt.
Schließlich hat Jürgen Schmude selbst oft genug gewarnt vor der Undurchschaubarkeit der Politik, die »zwischen Wut, Zorn und gleichgültiger Abwendung alle die Gefühle (erzeugt), die heute unter dem Stichwort der »Staatsverdrossenheit' zusammengefaßt werden«.
Zuletzt verlangte der Minister im März vor der Evangelischen Akademie in Tutzing vollmundig, daß die »vielfach anzutreffende Staatsverdrossenheit junger Menschen in unserem Lande nicht zunehmen darf und auch nicht Bestand haben«.
Hat man das nicht schon gehört? Von Helmut Kohl etwa? Von wem eigentlich noch nicht? Das ist genau jene »alle Risiken scheuende Sprache der Politiker«, die laut Glotz »zum Geplapper« erstarrt, »das die Fernseher zur Kenntnis nehmen wie das weiße Rauschen«. Und Schmude selbst, gehört er nicht mit seiner Angst, etwas von sich zu zeigen, säuberlich seine Person von der Sache Politik zu trennen, genauso zu jenem Bonner »Maskenzug« (Glotz) wie all die anderen Technokraten?
Jürgen Schmude bestreitet zwar, »daß ich bloß einfach zuklappe im Amt«, betont auch, daß es für seine politischen Ziele nicht wichtig sei, ob nun die Menschen wüßten, »was ich für Kümmerchen habe«. Als wollten nicht die Bürger, gerade weil die politischen Sachverhalte so kompliziert sind, wenigstens wissen, wem sie die anvertraut haben.
Seine Schwierigkeit besteht darin, daß er sich den Gegensatz zum »Zuklappen« nur als Darstellungskunst und Schauspielerei vorstellen kann. Darauf reagiert er durchaus nicht eindeutig. Politiker, die sich »breit, leutselig und redegewaltig« geben, findet er abgeschmackt. Über wichtigtuerische PR-Kunststückchen kann er nur kopfschütteln.
Anders dagegen, wenn der Bundeskanzler, dessen Darstellergabe er genau durchschaut, oder die Minister Apel, Baum und Hauff sich öffentlich in Szene setzen. Denen kann Schmude Respekt nicht versagen, ironische Bewunderung ist unverkennbar. Daß er es ihnen nicht gleichtut, hat nichts mit Prinzipien zu tun, nur mit kritischer Einsicht in fehlendes Talent. Nicht umsonst hat er schließlich neben Jura in Göttingen, Berlin, Köln und Bonn auch Theaterwissenschaft studiert.
Doch weist das Vokabular, mit dem Schmude alle nicht strikt sachbezogenen politischen Auftritte beschreibt, in eine andere Richtung. »Frech« nennt er die von ihm erwähnten Minister, »Gezänk« ist für ihn der Gegensatz zu »sachlich«.
Mit anderen Worten -- Politiker, die nicht nur sachlich sind, sondern spontan, unkontrolliert, emotionsgeladen, benehmen sich wie unartige Kinder.
Das klingt nach späten Träumen eines bürgerlichen Musterknaben. Und daran ist wohl auch Wahres, denn Jürgen Schmude war einmal, wie er es ausdrückt, der feine »Knabe mit dem Pelzkragen«, Sohn eines Millionärs in Insterburg (Ostpreußen), viertes Kind einer leistungheischenden Mutter, die noch heute im Familienkreis »die regierende Frau Schmude« genannt wird.
Aber Ende 1944 -- Sohn Jürgen war acht -- ging diese Welt zu Bruch, mußte die Familie ihre zehn Geschäfte und alle bürgerliche Herrlichkeit zurücklassen. »Mein Selbstverständnis, das der Familie und meiner gesamten gesellschaftlichen Umwelt zerbrachen damals«, erinnert sich der Minister.
Als der Junge Schmude sich nach der ersten Etappe der Flucht auf dem Gut von Verwandten in Pommern wiederfand, nun nicht mehr im Herrenhaus, sondern in der Schnitterkaserne der Landarbeiter, von deren Kindern wegen anfänglicher Lebensuntüchtigkeit verlacht und beklaut, von »denen mit den blanken Knöpfen«, russischen Soldaten, herumkommandiert -- da wurde ihm schmerzhaft klar, »daß man nun zu den ganz anderen gehört«.
Rückblickend konstatiert der Minister, der über sich selbst und seine Jugend so distanziert spricht, als zitiere er aus einem Buch der von ihm geschätzten Autoren Grass, Böll und Lenz, »zwei Konsequenzen aus diesen Erfahrungen, die mich seither geleitet haben bis hin zur SPD«. Erstens: »Niemals habe ich mich mehr groß rausgestellt«, und zweitens: »Mich hat seither keiner mehr aufs Kreuz gelegt.«
Erfolg also durch kalkulierte Zurücknahme der eigenen Person, »tranig wirkende Gelassenheit« (Schmude über Schmude) anstelle von Emotionen -- Karriere durch Anpassung, heißt das gewöhnlich.
So einfach ist es aber nicht. Denn im Gegensatz zu vielen anderen seiner Generation, auch Politikern, hat sich Schmude nicht damit begnügt, Anpassung und Karriere als Selbstzweck zu betreiben. Vielmehr hat er »persönlichkeitsbereichernde Umwege« (Mitscherlich) eingeschlagen, über Christentum und Sozialismus. Gustav Heinemann, in dessen Kanzlei er eintrat, wurde seine Vaterfigur. In der Familie lag weder das eine noch das andere.
Beide Gemeinschaften, denen sich der junge Schmude anschloß, die evangelische Kirche wie die SPD, erlaubten ihm die Nutzung seiner Fähigkeiten, ohne seine Person hervorzukehren. In Nächstenliebe und Solidarität erfüllte er fortan seine »Schuldigkeit gegenüber den Mitmenschen« (Schmude).
Aber sorgfältig wie einer sein muß, der sich selbst nur als Vertreter von Sachanliegen gelten läßt, war die Qualität seiner Arbeit immer unübersehbar, wenn die Suche nach einem guten Mann für einen Job begann. Und selbstlos, wie Schmude sich gemacht hatte, ließ er sich auch stets im Wehner-Sinne »in die Pflicht nehmen«.
So erhielt er 1969 seinen Wahlkreis in Moers. So wurde er 1974 Parlamentarischer Staatssekretär im Bonner Innenministerium. So folgte er 1978 dem Ruf des Kanzlers zur Mitarbeit »im Team« der Regierung. Eigentlich hätte er jedesmal lieber etwas anderes gemacht.
Natürlich hat Jürgen Schmude nach einem Jahr Amtszeit sein. Ministerium fest im Griff, beherrscht die Sachgebiete bis in Nuancen. Aber viel Sache, um sich dahinter zu verstecken, gibt es im kümmerlich mit Kompetenzen ausgestatteten Ministerium für Bildung und Wissenschaft nicht.
Kein Vergleich etwa mit dem Paragraphen-Dschungel und dem taktischen Minenfeld der Deutschlandpolitik -- ein Gebiet, auf dem sich der vorsichtig-hartnäckige Schmude klammheimlich zum Top-Experl en entwickelt hat, seit er in jahrelanger legaler Kleinarbeit seine spätere Frau aus der DDR herübergeholt hatte. Das sind so seine sanften Siege, glanzlos aber real.
In seiner neuen Funklion nun sieht sich der Minister einigermaßen ratlos den zunehmenden Forderungen von vielen Seiten gegenüber, er müsse sich stärker profilieren, müsse mehr kämpfen. Der Kanzler schrieb ihm das. Seine engsten Mitarbeiter versuchen, ihm »Killerinstinkte« anzuerziehen, seine Parteifreunde fordern »mehr Dampf«.
Er sieht es ja ein. Was sähe er nicht ein? Manchmal pfeift er auch schon im Dunkeln: »Ich werde den Kampf suchen, er muß sich nur aus der Sache ergeben.« Die Lehrlingsabgabe der Wirtschaft für zusätzliche Ausbildungsstellen, die wollte er jüngst wild entschlossen durchboxen. Aus Prinzip. Aber ach, die Sachzwänge ...
Tatsächlich haben die einzigen Kämpfe, die sich in seinen Ressort aus der Sache ergaben, schon seine Vorgänger Helmut Rohde (Berufsbildungsreform) und Klaus von Dohnanyi (Hochschulrahmengesetz) ausgefochten. Schmude bleiben nur Nachhutscharmützel. Zudem lähmt ihn der Auftrag des Kanzlers, an der Bildungsfront mit den Ländern Ruhe zu bewahren.
Will er mehr sein als nur »Moderator der Kultusministerkonferenz« (SPD-MdB Hugo Brandt), dann bleibt ihm nur eins: Er müßte sich zum »Überzeugungsminister« (Glotz) machen, eine Art Mittlerrolle übernehmen zwischen den Kulturen der Alten und der Jungen, der Etablierten und Alternativen, der Blassen und Bunten.
Aber es kann einer nicht überzeugen, der von sich selbst so wenig überzeugt ist. »Setzt eine neue Generation neue Akzente?« wollte die Evangelische Akademie Tutzing unlängst von Jürgen Schmude wissen. Er arbeitete lange und sorgfältig, bis er ein seitenlanges, gewundenes »leider nein« aufs Papier gebracht hatte. Dabei hätte der erste Absatz genügt, mit seinen resignierten Verweisen auf »Sachzwänge«, »Leistungen der Vorgänger«, die »Schultern anderer«, auf denen jeder steht, den Mangel an »leeren Seiten«, auf denen man seine eigene Handschrift hinterlassen könne.
Es ist ja alles wahr. Wahr ist aber auch: Sie trauen sich nicht, die Politiker der Schmude-Generation, im doppelten Sinne des Wortes. Auf eine seltsam zeitlose Weise -- Schmude wirkt immer zugleich jünger und älter, als er ist -- erscheint diese junge Ministergarde veralteter, als die Adenauers und Wehners, die Straußens und Brandts es je werden könnten.
Nicht, daß das Schicksal sie nicht gebeutelt hat wie jene, geht ihnen ab, sondern daß sie gar kein Schicksal zulassen. Narben von Niederlagen, die sie als Menschen für Menschen glaubwürdig machen, kerben ihr Gesicht nicht. Nur die Anstrengung, die es kostet, jedem Risiko aus dem Wege zu gehen, hat sie gezeichnet.
Sie wollen immer alles richtig machen. Schmude strengt sich enorm an. Bei einer Diskussion in Wuppertal argumentierte Schmude im Februar so überzeugend zum Thema »Recht auf Arbeit«, daß seine Podiumskontrahenten Liselotte Funcke (FDP) und Heinrich Köppler (CDU) gar nicht so schnell nicken konnten, wie er recht hatte. Aber die meisten Jugendlichen waren längst gegangen, als endlich einer auch noch ihre Gefühle in Worte faßte: »Wenn ich Sie so verständig daherreden höre, und alle anderen nicken, dann weiß ich endlich, warum wir eine außerparlamentarische Opposition brauchen.«
Schmude, dem nicht entgeht, »daß in jeder Uni zum Schluß Leute abtraben«, schiebt es auf die Unrast der Studenten. Nicht darauf, daß er ihnen mit Vernunft kommt, wo sie Emotionen einbringen und erwarten.
* Mit Freunden bei Ausflug zu einer Grillparty.
Es ist dieser Mangel an angemessenen menschlichen Reaktionen auf Menschen, der viele verdrossen macht an einem repräsentativen System, das solche Repräsentanten hat. Aber Schmude läßt sich nicht aus der Reserve locken, ja, manchmal erkennt er seine persönliche Herausforderung nicht einmal mehr, wenn sie ihm begegnet. Das macht ihn nicht nur langweilig, das weckt auch Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit.
Als eine Studentin in Kiel den Minister im vergangenen Jahr »persönlich verantwortlich« machte für Studentenselbstmorde, da hat er nur »überlegt, ob ich mich jetzt aufregen soll«. Und dagegen entschieden.
Schmudes leise Weise ist der »neue Stil« wohl nicht, den Peter Glotz für den Umgang zwischen Regierenden und Volk empfiehlt. Wenn Politik »das Kommunizieren von Menschen miteinander« ist, wie der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter meint, dann wird es Zeit, daß die kalkulierenden Politprofis ihre Selbstisolation aufbrechen, wieder wagen, Menschen zu sein.
»Wir brauchen Menschen mit Selbstbewußtsein«, hat Gustav Heinemann von den Bürgern gefordert. Diesen Appell auch an die Regierenden zu richten, wäre ihm wohl nie in den Sinn gekommen. Er lebte sein Wort. Jürgen Schmude zitiert es.