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NORD-SÜD-KANAL Der nasse Traum

aus DER SPIEGEL 38/1962

Hamburg hat den Bundesverkehrsminister Dr. Hans-Christoph Seebohm in der Falle. Das glaubt jedenfalls Senatspressechef Erich Lüth nach dem Angebot der Freien und Hansestadt, den Bau einer Wasserstraße zwischen Oberelbe und Mittellandkanal mit rund 200 Millionen Mark vorzufinanzieren. Lüth: »Diesmal kann uns Seebohm nicht wieder entwischen.«

Über ein Dutzend Jahre lang hat der Bundesverkehrsminister es verstanden, allen Hamburger Kanalwünschen auszuweichen. Seebohm verteilte seine Etat-Millionen auf andere Projekte, gab auch der Bundesbahn reichlich und ließ die Hamburger vergebens nach einem Nord-Süd-Kanal rufen, durch den - so der Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Helmuth Kern - zwischen Hamburg und Salzgitter »ein zweites Industrieballungszentrum an der Ostseite des EWG-Raumes« als »Gegengewicht zum Ruhrgebiet« entstehen könnte.

Nun glauben die Hamburger, den hartnäckigen Kanalgegner Seebohm endlich ausmanövriert zu haben: Ihre Offerte ist so bemessen, daß damit alle Baukosten für die neue Wasserstraße in den nächsten vier Jahren gedeckt werden könnten; der Bund brauchte erst danach in das 665-Millionen-Mark-Projekt einzusteigen.

Der Bundesverkehrsminister kann denn auch kaum noch umhin, das Hamburger Angebot anzunehmen, hat er sich doch in den eigenen Fußangeln verfangen: Um die Hamburger zu beruhigen, hat er den Bau eines Nord -Süd-Kanals als Leertitel in das Wasserstraßenbauprogramm 1963 bis 1966 eingesetzt - in der Gewißheit, daß der Leertitel wegen Ebbe in der Bundeskasse nicht aufgefüllt und der Kanal mithin nicht gebaut werden kann.

Dank jahrelang geübter Verzögerungstaktik konnte der Minister bisher jeder grundsätzlichen Entscheidung über den Kanalbau aus dem Wege gehen. Dabei beeindruckte es ihn wenig, daß die sozialdemokratische Hochburg an der Elbe im Konkurrenzkampf gegen die europäischen und die westdeutschen Häfen an der Rhein- und Wesermündung immer weiter zurückfiel.

Um so verbissener kämpfte die in die »Königsberglage« (SPD-Bundestagsabgeordneter Hellmut Kalbitzer) gedrückte Hansestadt um den Nord-Süd -Kanal, der ihr den lebenswichtigen Anschluß an das westdeutsche Wasserstraßensystem verschaffen soll (siehe Graphik).

1951 gelang es den Hamburger Kanalkämpfern, sich Bundesgenossen zu verschaffen: Der »Nordsüdkanal-Verein e.V.« wurde gegründet, eine Interessengemeinschaft, in die Städte wie Lübeck, Lüneburg und Uelzen sowie das Industrierevier um Salzgitter Bürgermeister, Senatoren, hohe Beamte und Wirtschaftsführer delegierten.

Seebohm bemitleidete die vereinigten norddeutschen Kanalkämpfer: Sie stritten für ein »Phantasieprojekt«.

Tatsächlich hatte der Minister zunächst wenig Mühe, den Ansturm der Kanalfreunde abzuwehren. Erst als der Kanalverein den renommierten Verkehrswissenschaftler Professor Predöhl von der Universität Münster als Gutachter anheuerte, sah sich Seebohm seinerseits nach wissenschaftlicher Schützenhilfe um.

Er suchte sie beim Leiter des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der Universität Köln, Professor Berkenkopf, der dem Bundesverkehrsministerium als ständiger wissenschaftlicher Berater zur Seite steht.

Doch das Berkenkopf-Gutachten traf den Geschmack des Auftraggebers nicht: Seebohm hält die Expertise, die ihm seit rund einem Jahr vorliegt, noch immer zurück.

Klagte der sozialdemokratische Hafenfachmann Helmuth Kern: »Man hält das Berkenkopf-Gutachten so geheim, daß es nur wenige kennen.« Und die »Welt« höhnte, das Gutachten habe den Bonnern wohl »zunächst die Sprache verschlagen«.

Tatsächlich hat der Minister, der sich »der Bundesbahn und anderen politisch verhätschelten Projekten zuliebe« ("Welt") gegen den Kanalbau sperrt, wenig Grund, die Arbeit seines Gutachters publik zu machen: Berkenkopf plädiert - wie sein Kollege Predöhl für den Nord-Süd-Kanal.

Die Gutachter befanden, daß nicht nur Hamburg, sondern auch der Ostseehafen Lübeck, die wirtschaftlich schwachen Zonenrandgebiete Niedersachsens und das Industrierevier um Salzgitter von dem neuen Binnenschiffsweg profitieren würden. Beispielsweise wäre der Wasserweg von Salzgitter über den Nord-Süd-Kanal nach Hamburg nur 197 Kilometer lang, während der Kanalweg nach Bremen 270 und nach Emden gar 407 Kilometer mißt.

Ferner prophezeite der Seebohm-Berater Berkenkopf dem noch nicht gebauten Kanal für das Jahr 1970 einen Gesamtgüterverkehr von zwölf Millionen Tonnen und sagte voraus, der Massenguttransport könne auf dem Nord-Süd-Kanal billiger bewältigt werden als auf den Schienen der Bundesbahn.

Nicht gewillt, sein liebstes Kind Bundesbahn einer derart gefährlichen Konkurrenz auszusetzen, suchte der Verkehrsminister aus der Klemme herauszukommen, indem er die am Kanal interessierten Länder Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit der Eröffnung schreckte, nach dem Bau des Nord-Süd-Kanals müßte auch der Mittellandkanal in ganzer Länge für Schiffe mit 2,50 Meter Tiefgang ausgebaut werden. Das würde rund eine Milliarde Mark kosten, und an dieser Summe müßten sich die drei Länder natürlich beteiligen.

Empörte sich die »Welt": »Hier hört nun allmählich der längst traurig gewordene 'Spaß' auf.«

Gutachter Berkenkopf widerlegt seinen Auftraggeber Seebohm mit der Berechnung, daß 87 Prozent des erwarteten Verkehrs über den Nord-Süd -Kanal und den voll ausgebauten Ostteil des Mittellandkanals laufen würden. Der Ausbau des nicht »vollschiffigen« Westteils des Mittellandkanals sei deshalb nicht notwendig.

Seebohms Verzögerungstaktik hat auch seine Parteifreunde verärgert. Der Hamburger CDU-Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Erik Blumenfeld ereiferte sich in einem Schreiben an Seebohm, der Bundesverkehrsminister habe seine »grundsätzliche Abneigung gegen das Nord-Süd-Kanal-Projekt« erkennen lassen.

Blumenfeld: »Sie haben sowohl vor unserer Partei wie auch vor der Presse

in Lübeck in mehr oder weniger offener Form gegen den Nord-Süd-Kanal Stellung genommen.«

Lokalpatriotisch gesinnte Hamburger Christdemokraten hatten dem Senat hinterbracht, Seebohm habe am 15. Februar vor dem Bundesverkehrsausschuß der CDU in Lübeck gesagt, sein Interesse sei nur gering, ausgerechnet für die Hansestadt, in der noch immer an einer ärgerniserregenden Regierungskoalition zwischen SPD und FDP festgehalten werde, einen Kanal zu bauen.

Kanal-Gegner Seebohm (l.): Hamburg stellte eine Falle

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