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Artikel 24 / 81

Der Orden unter dem Totenkopf

Von Heinz Höhne
aus DER SPIEGEL 47/1966

5. Fortsetzung

Im Sommer 1932 schreckte der Gauleiter von Halle-Merseburg, Rudolf Jordan, die Reichsleitung der NSDAP auf. Dem Gauleiter schwante Böses: In der nächsten Umgebung Adolf Hitlers, so hatte er erfahren, habe sich ein Partisan des jüdischen Weltfeindes eingenistet.

»Wie mir zu Ohren gekommen ist«, schrieb Jordan am 6. Juni 1932 an den NS-Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser, »befindet sich in der Reichsleitung ein Pg mit dem Namen Heydrich, dessen Vater in Halle wohnen soll. Es besteht Veranlassung zu vermuten, daß der als Vater bezeichnete Bruno Heydrich in Halle Jude ist... Vielleicht wäre es angebracht, daß die Personalabteilung einmal diese Sache prüfen könnte.«

Strasser ließ sich die Personalakten kommen und erfuhr: Ein SS-Sturmbannführer Reinhard Heydrich saß tatsächlich seit dem 1. Oktober 1931 in der Oberleitung der Reichsführung SS und beaufsichtigte eine ebenso winzige wie geheimniskrämerische Organisation, die sich »Sicherheitsdienst Reichsführer SS« nannte. Sollte Heinrich Himmler just einem Juden die Sicherheit der Antisemiten-Partei anvertraut haben?

Organisator Strasser mobilisierte den renommiertesten Ahnenforscher der Partei, Dr. Achim Gercke, und setzte ihn auf die genealogischen Spuren des Verdächtigen. Zwei Wochen benötigte der Doktor, bevor er das Ergebnis seiner Recherchen in einem »Gutachten über die rassische Herkunft des Oberleutnants zur See a. D. Reinhardt Heydrich« niederschreiben konnte.

Bilanz: »Aus beiliegender Ahnenliste geht hervor, daß Oberleutnant... Heydrich deutscher Herkunft ist und frei von farbigem und jüdischem Bluteinschlag... Sämtliche Angaben beruhen auf urkundlichen Belegen, die auf ihre Stichhaltigkeit hin geprüft worden sind.«

Das Gerücht von der jüdischen Abstammung Heydrichs, so Gercke am 22. Juni 1932, sei dadurch entstanden, »daß Oberleutnant Heydrichs Großmutter Ernestine Wilhelmine Heydrich geborene Lindner in zweiter Ehe mit dem Schlossergehilfen Gustav Robert Süß verheiratet war und als Mutter einer zahlreichen Kinderschar aus der Ehe mit ihrem ersten Mann Reinhold Heydrich sich des öfteren Süß-Heydrich genannt hat«.

Der Partei-Ahnenforscher glaubte, damit die Affäre Heydrich geklärt zu haben. In Wirklichkeit begann sie eben erst, denn je höher Reinhard Heydrich die steile Leiter der nationalsozialistischen Hierarchie erklomm und zum »jungen, bösen Todesgott« des Dritten Reiches (so der Schweizer Burckhardt) wurde, desto hartnäckiger haftete ihm das Gerücht an, der SS-Mann Nummer Zwei sei jüdischer Abstammung.

Nach dem Ende des Hitler-Regimes behauptete Dr. Wilhelm Höttl, einst stellvertretender Gruppenleiter im Ausland-SD, Reinhard Heydrich habe Mitte der dreißiger Jahre drei erfolgreiche Zivilklagen gegen Deutsche angestrengt, die ihn öffentlich zum Nichtarier erklärt hatten, und habe alle belastenden Unterlagen über seine Herkunft beseitigen lassen, darunter auch den Grabstein seiner jüdischen Großmutter Sarah Heydrich auf dem Leipziger Friedhof.

Der Berliner Pianist und ehemalige Abwehr-Mitarbeiter Helmut Maurer wollte noch 1940 auf dem Standesamt von Halle inkriminierendes Material über die Heydrich-Familie bekommen haben, das Admiral Canaris in die Lage versetzt habe, den Rivalen Heydrich zu erpressen und seine Abwehr-Dienststelle vor SD-Angriffen zu bewahren.

Kaum jemandem aber fiel auf, daß die Eingeweihten einander oft widersprachen: Abwehr-Maurer hatte Belastungsmaterial gefunden, das SD Höttl von Heydrich längst beseitigt wußte; Höttl versteifte sich auf die mütterliche Linie Heydrichs, in der er den Nichtarier vermutete, Maurer aber beteuerte, es sei die väterliche Linie gewesen.

Als in den fünfziger Jahren die Fleißarbeit des Dr. Gercke bekannt wurde, brach ein weiterer Stein aus der Mosaiktheorie vom vermeintlichen Juden Heydrich heraus. Nun war offenkundig: Eine Sarah Heydrich hatte nie existiert.

Doch die Theoretiker blieben unverzagt. Der ehemalige Nürnberger Ankläger Robert Kempner brachte die Version auf, die Ahnentafel des Nazis Gercke besage überhaupt nichts, weil sie »offensichtlich in Einklang mit der vorher von Hitler und Himmler gefällten Entscheidung (stand), Heydrich zu decken«. Kempner übersah dabei nur, daß Gerckes Gutachten vom Juni 1932 stammt, Hitlers Entscheidung aber, nach einem Bericht des Himmler-Masseurs Kersten, frühestens im März 1933, also fast ein Jahr später, gefallen sein soll.

Der britische Heydrich-Biograph Charles Wighton wies einen letzten Ausweg aus der Sackgasse der lästig gewordenen Tatsachen: Gercke habe Heydrichs Großmutter mütterlicherseits und deren Vorfahren völlig ignoriert, und das sei kein Wunder, denn diese Frau »war entweder Jüdin oder hatte zumindest jüdisches Blut«.

Der israelische Junghistoriker Shlomo Aronson widerlegte auch diese Argumentation. Er fand, daß Wighton »den Sinn des ganzen Gutachtens nicht verstanden hat. Er übersah, daß die mütterliche Linie überhaupt nicht ... zur Diskussion stand. Da diese im NS-Sinne 'einwandfrei' war, befaßte sich das Gutachten nur mit der väterlichen Linie, dessen 'Rassenreinheit' dann auch nachgewiesen wurde«.

Doktorand Aronson, Verfasser einer im Sommer 1966 abgeschlossenen Dissertation über »Heydrich und die Anfänge der Gestapo und des SD«, muß es wissen. Er untersuchte Heydrichs Ahnenreihe, die väterliche bis 1738 und die mütterliche bis 1688, und

entdeckte nicht einen einzigen jüdischen Blutstropfen.

Die wunderliche Hartnäckigkeit, mit der manche Historiker an der Juden -These festhielten und noch, heute festhalten, spiegelte das Verlangen wider, hinter der nordischen Herrenmenschen -Maske Reinhard Heydrichs ein wohlgehütetes Geheimnis zu entdecken, eine innerliche Monstrosität, einen untilgbaren Makel, der den Stellvertreter Himmlers und Chef der deutschen Sicherheitspolizei wie unter einem typnotischen Zwang zu dem gnadenlosesten Verfechter der nationalsozialistischen Staatsdoktrin gemacht hatte, zu dem »fanatischsten aller Rassisten«, wie der Brite Gerald Reitlinger formulierte.

Irgendwo mußte in dieser zweifellos reich angelegten Figur, »eine der großen Verbrechergestalten der Geschichte« (Michael Freund), ein innerlicher Bruch liegen, und was erschien da plausibler, als die Bruchstelle in jenem vermeintlichen Herkunftsmakel zu wittern, der für einen Nationalsozialisten selbstmörderisch war und einer Todsünde gleichkam.

Der Amateurhistoriker Reitlinger sah denn auch prompt in Heydrich einen »pathologischen jüdischen Haß gegen das eigene Blut« walten, der ihm den Schlüssel zum Verständnis des angeblichen Fanatikers Heydrich zu liefern schien. Selbst Himmler kolportierte in vertrautem Kreis, eigentlich sei Heydrich »ein armer Mensch gewesen, innerlich völlig gespalten, wie man das oft bei Mischlingen finde«.

Ebenso empfand der Völkerbundskommissar Carl J. Burckhardt; ihm fiel auf, daß Heydrichs Gesicht aus zwei ganz unterschiedlichen Hälften zusammengesetzt war: »Es schauen mich zwei Personen gleichzeitig an, sagte ich mir.«

Buckhardt notierte sich auch, was ihm SS-Männer über Heydrich erzählten. Eines Tages sei der SD-Chef angetrunken in sein taghell erleuchtetes Badezimmer getorkelt und vor dem großen Wandspiegel seinem Ebenbild gegenübergetreten. Da habe er die Pistole aus dem Halfter gerissen und auf den Doppelgänger zwei Schüsse abgefeuert mit dem Ruf: »Hab ich dich endlich, Canaille!«

So fleißig aber auch die Biographen Detail um Detail über die »blonde Bestie«, wie man Heydrich manchmal auch bei der SS nannte, zusammentrugen, am Ende stand oft die Erkenntnis des alten Weisen Georg Christoph Lichtenberg, man könne sehr viel mit einem Manne umgehen und ihn doch nicht kennenlernen.

Denn: Reinhard Heydrich war nicht der Saint-Just der braunen Revolution, er war kein Fanatiker des Rassismus, und in ihm fand auch nicht, wie Historiker Freund wähnt, »der Gesinnungsverbrecher luziferisches Format«.

Gewiß, die Historie verlockte dazu, das Paar Himmler-Heydrich mit dem Terroristen-Duo der Französischen Revolution, Maximilien Robespierre (1758 bis 1794) und Antoine Saint-Just (1767 bis 1794), zu vergleichen. Im Verbrechen übertrumpfte der SD-Chef sein französisches Vorbild, aber er wußte sich fern von dem schaurigen Idealismus des Doktrinärs und Revolutions-Fanatikers Saint-Just.

Heydrichs Gott war die Macht um ihrer selbst willen, in ihm verkörperte sich die Technologie nacktester Staatsräson, jenes Mißtrauen der Herrschenden, das Heydrich den Spitznamen des »Oberverdachtschöpfers« eintrug. Aber ihm fehlte der Haß, der noch einen Saint-Just mit seinen Guillotine-Opfern verbunden hatte; Heydrich verabscheute nicht die Juden, für ihn waren sie nur Gegenstand planungstechnischer Vorgänge, seelenlose Figuren in einer von der Staatsführung beschlossenen »Säuberungsaktion« grausigsten Ausmaßes.

Haß kannte er nur als Ausdruck persönlicher Ressentiments. Für Weltanschauungen, die der Nazis nicht ausgenommen, hatte er nur Verachtung. Der sportbesessene Heydrich, Fechter, Reiter, Flieger, Skiläufer und Moderner Fünfkämpfer, außerdem Inspekteur für Leibesübungen beim Reichsführer SS, schützte sogar gelegentlich jüdische Sportler: Er ermöglichte dem Deutschen Meister im Fechten Paul

Sommer die Ausreise nach Amerika und versah den polnischen Olympiakämpfer Kantor mit Geld und Papieren.

Ihm fehlte offensichtlich auch die kritiklose Hitler-Gläubigkeit, das Lebenselixier seines Reichsführers, das den Kleinbürger Himmler gleichsam zu Übermenschengröße aufschießen ließ; Heydrich dagegen konnte sich ein Deutschland ohne Hitler, freilich nicht eines ohne Heydrich vorstellen.

Seine engeren Mitarbeiter sind noch heute überzeugt, daß ein lebender Heydrich am 20. Juli 1944 möglicherweise im Lager der Putschisten gestanden hätte - getreu seiner Ankündigung in Bad Kreuznach im Jahre 1941, an die sich zwei Sportfechter erinnern können: Er würde der erste sein, der Hitler unschädlich machen werde, falls »der Alte Mist baut«.

Einem solchen Technologen der Nützlichkeit aber konnte nichts mehr ergrimmen als das haltlose Schwadronieren des Ideologen Himmler, zumal er sich bewußt war, wie sehr er von diesem seltsamen Ordensmystiker abhing. Mochte er dem SS-Chef intellektuell überlegen sein, keine Minute lang vergaß Heydrich, mit seinem Reichsführer so umzugehen »wie ein preußischer Leutnant mit einem älteren General verfährt« - so der SS-Gruppenführer Bruno Streckenbach.

Himmler dagegen überkam oft ein heimliches Grauen, wenn sein engster Mitarbeiter zum Vortrag herannahte. Kersten notierte sich: »Ich hatte zuweilen den Eindruck, daß Himmler nach einem solchen Vortrag sich wie vergewaltigt vorkam.«

Zuweilen trotzte der eingeschüchterte Reichsführer mutig auf - wenn Heydrich wieder gegangen war. Dann griff Himmler zum Telephon und erklärte Heydrich, er müsse über die bereits vereinbarte Maßnahme noch mit dem Führer sprechen. Kurz darauf erließ Himmler eine anderslautende Order, nicht ohne sie vor dem Mitarbeiter als Führerbefehl getarnt zu haben.

Einmal steigerte sich Himmlers Mut zu offener Rebellion. Er schrie Heydrich an, die Worte stotternd herausgestoßen: »Sie, Sie ... und Ihre Logik. Immer nur kommen Sie mit Ihrer Logik. Alles, was ich vorschlage, machen Sie mit Ihrer Logik herunter. Ich habe genug von Ihnen und Ihrer ewigen kalten Kritiksucht.« Heydrich gab sofort nach. Himmler war wieder versöhnt.

Ein innerlich so unsicherer, ständig zwischen Aggressivität und Sucht nach Anerkennung rochierender Mensch war wie geschaffen dazu, Himmlers Juniorpartner zu sein, ohne, die Vormachtstellung des Reichsführers zu gefährden. Beide wußten, daß keiner vom anderen lassen konnte - aus Selbsterhaltung.

Zunächst hatte es allerdings den Anschein gehabt, als sollte die Partnerschaft zwischen den beiden Männern recht einseitig verlaufen. Der junge Mann, den Himmler im Juni 1931 auf dem Krankenlager im Waldtruderinger Heim empfangen und für die Arbeit im Sicherheitsdienst angeworben hatte, war offensichtlich ein Gebrochener gewesen, dem man das Liebste genommen hatte: den Offiziersberuf.

Die Karriere des Reinhard Tristan Eugen Heydrich, geboren am 7. März 1904 in Halle an der Saale, hatte begonnen wie die Laufbahn so mancher Bürgersöhne im republikanischen Nachkriegsdeutschland. Der Abkömmling eines Opernsängers und einer Schauspielerin, Zögling des Reformgymnasiums in Halle, lief den wirtschaftlichen Nöten des von Krieg und Inflation getroffenen Elternhauses davon und trat als Sechzehnjähriger in das Freikorps des Generals Maercker ein.

Als er zurückkam, wußte er, was er werden wollte: Offizier. Er wählte die Marinelaufbahn. 1922 meldete sich Heydrich in Kiel und zog die Uniform eines Seekadetten an.

Ohne sonderliche Leistung kletterte er das schmale Fallreep der Marinekarriere empor: Anfang 1926 Oberfähnrich, Ende 1926 Leutnant zur See, Besuch der Marinenachrichtenschule, Zweiter Nachrichtenoffizier des Flottenflaggschiffes »Schleswig-Holstein«, Offizier in verschiedenen Nachrichtenabteilungen der Marinestation Ostsee.

Der 1928 zum Oberleutnant beförderte Heydrich, der auch eine Prüfung in Russisch abgelegt hatte, galt als ein talentierter Marineoffizier, der bei seinen Kameraden freilich nicht sehr beliebt war und wegen seiner Fistelstimme als »Ziege« gehänselt wurde, bei den Mannschaften aber ob seiner rüden Vorgesetztenmanieren zu den verhaßtesten Offizieren zählte.

Ihm schien dennoch eine aussichtsreiche Laufbahn sicher. Da zerstörte ein amouröses Abenteuer seine Karriere. Er hatte eine blonde Schüler-Schönheit kennengelernt, die 19jährige Lina Mathilde von Osten, Tochter des Schulmeisters der Ostsee-Insel Fehmarn. Aus der Bekanntschaft entwickelte sich eine Liaison, die am 9. Dezember 1930 - gegen den Widerstand des Vaters von Osten - zur Verlobung gedieh. Indes, Lina war nur eine Erwerbung des pathologischen Frauensammlers Heydrich. Bald meldete sich eine andere Dame, die ältere Ansprüche erhob.

Heydrich ließ die Petentin kaltblütig abblitzen, doch die Dame, Studentin der Kolonialschule Rendsburg und Tochter eines IG-Farben-Direktors, wußte Wege, den Fall vor den Chef der Marineleitung, Admiral Erich Raeder, zu bringen. Die Vorgesetzten legten Heydrich nahe, auf Lina von Osten zu verzichten; als er ablehnte, setzte Raeder die militärische Justiz in Bewegung.

Anfang 1931 trat ein mit vier Marineoffizieren besetzter Ehrenrat zusammen, der den Oberleutnant Heydrich wochenlang durchleuchtete. Der Verlobte der Lina von Osten fertigte die Rechercheure mit so hochmütigen Antworten ab, daß sich der Ehrenrat Heydrichs naßforschen Ton verbat.

Was den Ehrenrat tatsächlich gegen Heydrich aufbrachte, war der durchsichtige Versuch des Funkers, die einflußreiche Kolonialstudentin zu belasten und der Lüge zu bezichtigen, sich selber aber von jeder Verantwortung freizusprechen. Das jedoch widersprach dem Ehrenkodex der hohen Mariner.

»Neben Heydrichs nicht entschuldbarem Verhalten«, entsann sich später Vizeadmiral Gustav Kleikamp, Erstes Mitglied des Ehrenrates, habe »besonders seine bei der Aufklärung des Falles stark in Erscheinung tretende Unaufrichtigkeit den Ehrenrat veranlaßt, in seinem abschließenden Urteil in entsprechender, die Entscheidung offen lassender Form die Frage anzuschneiden, ob das Verbleiben eines solchen Offiziers in der Reichsmarine noch möglich sei.«

Der Puritaner Raeder verneinte die Frage und warf Heydrich aus der Marine hinaus. Ende April 1931 wurde dem Oberleutnant zur See das Urteil zugestellt. Es lautete: »Schlichter Abschied wegen Unwürdigkeit.«

Die Fama später: Heydrich habe die Studentin, die von ihm ein Kind erwartete, mit dem Argument abgewiesen, er könne kein Mädchen heiraten, das sich ihm bereits hingegeben habe.

Der Raeder-Ukas schleuderte Heydrich von den Höhen der konservativen Marine hinab in das Heer von Millionen Erwerbsloser, die damals Deutschlands Arbeitsämter belagerten. Da wußte seine Schwester Elisabeth Rat. Sie erinnerte sich einer Patentante Heydrichs, deren Sohn hoher SA-Führer in München war und bald zu den maßgeblichen Männern der SS zählen sollte. »Karlchen«, der Jugendfreund Friedrich Karl Freiherr von Eberstein, mußte »Reini« helfen - und er half.

Dank dem Freiherrn und dessen Unvermögen, Funkoffiziere von Nachrichtenoffizieren zu unterscheiden, fand Heydrich im Juni 1931 den Weg in das hölzerne Heim des Heinrich Himmler, der gerade einen Abwehr-Mann für seinen Sicherheitsdienst suchte. Trotz der anfänglichen Enttäuschung, nur einen Funkoffizier vor sich zu haben, heuerte der SS-Chef den ehemaligen Mariner an.

Himmler hatte schon Anfang 1931 von Hitler den Auftrag bekommen, einen Sicherheitsdienst zum Schutz der NS-Führer aufzustellen. Er war sogleich darangegangen, in der Oberleitung der SS die Abteilung Ic zu schaffen, so genannt nach dem alten deutschen Generalstabs-Schema, in dem die Abteilung Ic die Funktionen der Feindaufklärung wahrnimmt.

Der SS-Chef behielt auch nach der Berufung Heydrichs die Leitung von Ic, dennoch überließ er dem Ex-Mariner von Anfang an die praktische Arbeit.

Schon Ende August stellte er sich auf einer Tagung im Braunen Haus Münchner SS-Führern als der künftige Geheimdienstchef vor und zeichnete das Schreckgespenst einer Partei, die von vielen Spitzeln gegnerischer Parteien und Polizeibehörden durchsetzt sei. Folgerung: Die NSDAP müsse von allen Agenten und Saboteuren rücksichtslos gesäubert werden.

Anfang 1932 hatte Heydrich seinen Mitarbeiterapparat so weit ausgebaut, daß er zu neuen Ufern streben konnte. Der lose Kontakt zu einigen Spähern und Zuträgern befriedigte ihn nicht mehr. Im April machte er sich zu einer Deutschlandreise auf, um herauszufinden, wie man dem gewonnenen Mitarbeiternetz organisatorische Gestalt geben könne. Allmählich entstand die große Organisation, die später den Namen Sicherheitsdienst (SD) annahm.

Heydrich zog aus den SS-Einheiten alle als Abwehrleute und Spitzel tätigen Männer heraus und unterstellte sie seinem Dienst. Daraus erwuchs die erste Sonderformation der SS. Die neue Gliederung blieb eine Einheit der Schutzstaffel, auch wenn sie eine exklusive Einrichtung, mithin eine SS in der SS war.

Er schuf eigene Territorialorganisationen, die sich wie Schatten auf die Oberabschnitte und Abschnitte der SS legten. Die Männer der SD-Abschnitte und SD-Oberabschnitte sollten parteifeindliche Elemente in der NSDAP aufspüren und die gegnerischen Parteien observieren. Jedes Detail, jede Beobachtung, jede Personalie wurde sorgfältig in Heydrichs Spezialkartei eingetragen.

Doch Heydrichs Ehrgeiz griff weiter aus. Ihm genügte nicht, den Parteigegner zu beobachten - das taten auch andere Abwehrorgane in Partei und SA. Er wollte höher hinaus: Der SD sollte so hervorragend arbeiten, daß es gelang, die partei-internen Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen und dem SD die Monopolstellung als einzigem Nachrichtendienst der Gesamtpartei zu sichern.

Erstaunt, ja verblüfft bewunderte der Kleinbürger Himmler den peitschenden und federnden Tatendrang seines Geheimdienstchefs. Verflogen schien die selbstquälerische Melancholie des geschaßten Marineoffiziers; mit dem wütenden Eifer des frisch überzeugten Konvertiten trieb Heydrich seine Männer an - herrisch, ungeduldig und mit einer nervös-abgehackten, merkwürdig hohen Stimme.

Reinhard Heydrich schien dazu geboren, Geheimdienstchef eines totalitären Staates zu werden. SD-Obersturmbannführer Höttl glaubt, Heydrich habe als erster Himmler »darauf aufmerksam (gemacht), was man mit der Stellung eines Reichsführers SS anfangen konnte«; von ihm stamme auch die Idee, die Schutzstaffel zur Polizeimacht des Dritten Reiches zu erheben.

Heydrich konzipierte das Muster eines engmaschigen Überwachungssystems, das jeden Bereich des nationalen Lebens beschatten und die totale Herrschaft der NSDAP sichern sollte, beaufsichtigt einzig und allein vom Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, dirigiert von niemand anderem als dem SS-Oberführer Heydrich.

In groben Strichen entstand das Bild einer Politischen Polizei, die sich von ihren Vorgängern in einem entscheidenden Punkt unterschied: Die Polizei früherer Systeme hatte sich damit begnügt, Staatsfeinde gleichsam auf frischer Tat zu ertappen, sie griff ein, wenn objektive Gefahr drohte; Heydrichs Polizei aber sollte den Gegner aufspüren, noch ehe er einen oppositionellen Gedanken, geschweige denn eine Tat des Widerstandes erwogen hatte.

Der Polizeibegriff eines Heydrich weitete sich ins Uferlose aus, umschloß jede Lebensäußerung des Volkes. Die Polizei hörte auf, ein defensives Abwehrorgan des Staates zu sein, sie ging zum Angriff über - mehr noch: Sie wurde zum »Erzieher« des Volkes, zum allmächtigen Säuberungskommissar, der die Nation von allen unliebsamen Ideen befreite.

Aufgabe der Polizei sollte es nun laut SD-Hauptsturmführer Alfred Schweder sein, »die Aktivität der im Volke ruhenden Kräfte durch Gleichrichtung nach einheitlichen Gedanken bis zum letzten zu steigern ... dabei aber unter konsequenter Durchführung des völkischen Gedankens alle volksfremden und daher destruktiv wirkenden Energien auszuschalten«.

Aber konnte man derartig schrankenlose Aufgaben einer Polizei überlassen, der von der Weimarer Republik immer wieder eingepaukt worden war, Gesetz und Verfassung zu achten? Keineswegs! Heydrich wußte, wie man es macht: Der SD mußte die Schlüsselstellungen der neuen Politischen Polizei besetzen, diese Sonderpolizei mußte dann aus dem Gesamtzusammenhang der inneren Verwaltung herausgebrochen werden, schließlich aber sollte die gesamte Polizei mit der SS zu einem Staatsschutzkorps vereinigt werden.

Schon bot Bayern einen Exerzierplatz, auf dem Heydrich seine Ideen in die Tat umsetzen konnte. Am 3. März 1933 hatte der nationalsozialistische Umsturz in Bayern den Reichsführer und seinen Tschekisten mit der Polizei liiert: Himmler rückte als kommissarischer Polizeipräsident in die Münchner Polizeidirektion ein, Heydrich übernahm das Politische Referat der Abteilung VI des Polizeipräsidiums.

Die beiden probten in der bayrischen Provinz, was sie Jahre später im ganzen. Reich durchexerzierten. Himmler schuf im Bayrischen Innenministerium die Dienststelle »Der Politische Polizeikommandeur Bayerns«, während Heydrich begann, eine Bayrische Politische Polizei (BayPoPo) aufzubauen und sie mit Männern des SD zu besetzen.

Heydrich kam es vor allem darauf an, die BayPoPo von Partei und staatlicher Verwaltung unabhängig zu machen. Bis dahin war die Politische Polizei Teil der allgemeinen Polizeiverwaltung gewesen, jetzt nahm sie Heydrich aus dem administrativen Zusammenhang heraus: Die Politische Polizei schied aus der Münchner Polizeidirektion aus und erhielt den Status einer Sonderbehörde.

Die von Heydrich und Himmler konzipierten Befugnisse des Politischen Polizeikommandeurs reichten aber noch weiter, sie griffen auch in die Reservate der Justiz ein: Dem Kommandeur wurden die Konzentrationslager unterstellt, jene Schutzhaft-Unterkünfte, die Bayerns Innenminister, der rabiate Gauleiter Adolf Wagner, zur Entlastung der mit politischen Gefangenen überfüllten Justizgefängnisse hatte errichten lassen.

Da die vom Reichspräsidenten erlassene Notverordnung »zum Schutz von Volk und Staat« der Polizei ermöglichte, Bürger schon auf den bloßen Verdacht staatsfeindlicher Betätigung hin »vorbeugend« in ein Konzentrationslager einzuweisen, wuchs dem KZ-Herrn Himmler ungeahnte Macht zu.

Zwar war er formell dem Innenminister-Gauleiter Wagner unterstellt, aber seine Doppelfunktion als Reichsführer SS und als Politischer Polizeikommandeur ermöglichte es Himmler, sich seinen jeweiligen Vorgesetzten zu entziehen:

- Der Innenminister Wagner konnte

dem Polizeikommandeur Himmler Befehle erteilen, nicht aber dem SS Chef Himmler, der als Führer einer Parteigliederung über dem Gauleiter Wagner stand;

- der SA-Stabschef Röhm konnte

dem ihm partei-intern unterstellten Reichsführer SS Orders geben, nicht aber dem im staatlichen Bezirk waltenden Politischen Polizeikommandeur.

Himmler und Heydrich nutzten ihre nahezu unabhängige Stellung rigoros aus. Der Schreckensname Dachau wurde zum Signum einer barbarischen Tüchtigkeit, die selbst überzeugte Nationalsozialisten irritierte, trieben doch die beiden Runenmänner immer mehr Gefangene in ihre bayrischen Lager, als im übrigen Reich die erste große Terrorwelle der neuen Machthaber längst verebbt war.

Den beiden SS-Polizisten wurde freilich das bayrische Experimentierfeld schon bald zu eng; sie strebten hinaus ins Reich, noch waren die übrigen 15 deutschen Länderpolizeien herrenlos, zumindest nicht in einer einzigen Hand vereinigt. Die Zeit aber drängte, in Preußen hatte bereits Hermann Göring in der Gestapo eine Politische Polizei geschaffen, die ähnlich strukturiert war wie der Himmler-Heydrich-Apparat: herausgelöst aus der Verwaltung, einem Mann unterstellt, unabhängig von Staat und Partei.

Der Machtkampf unter den neuen Potentaten brachte Himmler und seinen Helfer schneller an das Ziel ihrer Wünsche als sie selber erwartet hatten. Der schwache Reichsreformer Wilhelm Frick wußte in seiner Fehde mit dem preußischen Separatismus Görings keinen anderen Ausweg, als den SS-Chef zu Hilfe zu rufen, denn in einem stimmten Frick und Himmler überein: Beide wünschten eine zentrale Reichspolizei.

Frick ließ den bayrischen Polizeikommandeur eine Länderpolizei nach der anderen in den Griff nehmen. Die preußische Feste aber fiel den beiden SS-Polizisten zu, als Göring in seinem Kampf gegen die immer mächtigeren SA-Kohorten einen Bundesgenossen benötigte. Göring schloß mit Himmler Frieden, lieferte ihm die Gestapo aus und gewann dafür die Unterstützung der Schutzstaffel für die blutige Abrechnung mit dem SA-Stabschef Röhm.

Ende April 1934 ergriffen Himmler und Heydrich auch in Preußen die Zügel der Polizei: Himmler wurde stellvertretender Chef und Inspekteur der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), also der preußischen Variante der BayPoPo, Heydrich übernahm als Stellvertreter des Stellvertreters die Leitung des Geheimen Staatspolizeiamtes (Gestapa).

Heydrich erkannte allerdings, daß der SD schon zahlenmäßig nicht in der Lage war, das Gerippe einer neuen Polizei auszufüllen. Er wußte einen anderen Weg, Macht zu bewahren. Heydrich: »Jetzt brauchen wir die Partei nicht mehr. Die hat ihre Rolle gespielt und hat den Weg zur Macht eröffnet. Jetzt soll die SS in die Polizei eindringen und mit ihr eine neue Organisation bilden.«

Eben dies war sein Ziel, als er sich im Auftrage Himmlers anschickte, an der Spitze des Geheimen Staatspolizeiamtes die Länderpolizeien Deutschlands unter dem Zeichen der Sigrunen zu vereinigen: Umwertung der erfahrenen Polizeifunktionäre in regimetreue, nur notdürftig braungesprenkelte Apparatschiks.

Für den Pragmatiker Heydrich zählten nicht Gesinnungstüchtigkeit, sondern in erster Linie fachliches Können. Und das fand er in einer Gruppe Münchner Kriminalisten, die kaum ein Hehl daraus machten, daß ihnen der neumodische SD recht degoutant war.

Kriminaloberinspektor Reinhard Flesch und seine Kollegen, unter ihnen Heinrich Müller, Franz Josef Huber und Josef Meisinger, saßen in der Abteilung IV der BayPoPo und warteten darauf, von den Emporkömmlingen des SD aus dem Amt gejagt zu werden. »Heini« Müller machte sich stark: »Laßt sie nur kommen. Denen besorgen wir es schon!«

Die alten Profis mußten in der Tat befürchten, von den neuen Herren hinausgesäubert zu werden, weil sie, mit Ausnahme Meisingers, bis 1933 auf der anderen Seite gestanden hatten. Außer dem Alten Kämpfer Meisinger, der schon am 9. November 1923 an der Münchner Feldherrnhalle mitmarschiert war, galt jeder in der Flesch-Gruppe als Anhänger der katholischen Bayerischen Volkspartei (BVP).

Das traf auch auf den untersetzten und ungebildeten Kriminalinspektor Müller zu, der mit der Tochter des BVP Verlegers Dischner ("Der Würmtalbote") verheiratet war. Heinrich Müller, Jahrgang 1900, ehemaliger Westfront-Flieger und Unteroffizier, seit Ende 1919 bei der Münchner Polizeidirektion, hatte den Ruf, der grimmigste Kommunistenfresser der bayrischen Kriminalpolizei zu sein.

Die Münchner NS-Führung zweifelte jedoch, ob der »System«-Polizist und frömmelnde Kirchgänger Müller, der immer nur 40 Pfennig für die braune Eintopfspende opferte, im neuen Deutschland eine berufliche Zukunft habe. Das war nicht die Art von Polizeibeamten, die den Nazis vorschwebte.

Die Münchner Gauleitung zeichnete Müllers Charakterbild am 4. Januar 1937 so: »Er geht rücksichtslos vor, bedient sich seiner Ellenbogen und versteht es jederzeit, seine Tüchtigkeit zu zeigen, schmückt sich aber auch ungeniert mit fremden Federn.« Und der Ortsgruppenleiter von München-Pasing bekräftigte: »Wir können ihn uns nicht gut als Parteigenossen vorstellen.«

Doch der SD-Chef Heydrich hatte genügend Phantasie und Kaltschnäuzigkeit, just diesen Routinier in seine Dienste zu nehmen - ihn und die anderen Mitglieder der Flesch-Gruppe. Selbst den in der Partei verhaßten Nazi-Riecher der Polizeidirektion, Kriminalsekretär Huber, akzeptierte er.

Müller und die Seinen waren bereit, soviel Toleranz mit »härtester Einsatzbereitschaft« zu entgelten. Statt der Verjagung aus dem Amt harrte der Münchner Kriminalisten eine unerwartete Rangerhöhung: Sie wurden sämtlich in den SD aufgenommen.

Die Männer um Heinrich Müller waren nicht die einzigen Profis, mit denen Heydrich seinen Beherrschungsapparat aufbaute. Der Münchner Kriminalisten-Brigade entsprach eine Berliner Gruppe, deren Anführer, der Oberregierungsrat Arthur Nebe, dem Bajuwaren Müller an fachlichem Können und an Opportunismus nicht nachstand.

Nach Nebes Zusammenspiel mit den Männern des 20. Juli 1944 zeichnete Heydrich-Nachfolger Ernst Kaltenbrunner von dem einzigen SS-Gruppenführer, der jemals wegen Widerstandes gegen das NS-Regime hingerichtet wurde, ein Charakterbild, das dem von der Münchner Gauleitung angefertigten Müller-Porträt nicht unähnlich war: »eine zwiespältige Natur, mit einem geradezu krankhaften Ehrgeiz ... der auch die Veranlassung war, daß Nebe rücksichtslos alles beiseite schob, was ihn auf seinem Wege nach oben hätte behindern können«.

Gewiß führte die Wut auf den »Verräter« den Griffel Kaltenbrunners, dennoch war das Nebe-Bild in den Grundlinien kaum verzeichnet: Der Berliner Volksschullehrerssohn, Jahrgang 1894, ehemaliger Pionier-Oberleutnant und seit 1920 bei der Berliner Kriminalpolizei, erwies sich nicht selten als gelehriger Schüler des ihn umgebenden Ganoven-Zynismus, und er zitierte gern Balzac: »Es gibt keine Überzeugungen, es gibt nur Umstände.«

Immerhin hatte der mißtrauisch-undurchsichtige Kriminalkommissar Nebe, abwechselnd im Rauschgift- und im Raubdezernat tätig, schon 1931 den Weg in die Partei gefunden. Nebe wurde Förderndes Mitglied der SS, trat außerdem in die SA ein und ließ sich zur Gestapo versetzen, wo er die Leitung der Exekutive (Abteilung III des Gestapa) übernahm.

Seine Verbindung mit der Gestapo sollte er freilich bald bedauern, denn Nebe geriet schnell in den Heckenschützenkampf zwischen dem herannahenden Gespann Himmler-Heydrich und dem ersten Gestapo-Chef, dem Göring-Protege Rudolf Diels, dessen akademischen Hochmut der Not-Abiturient Nebe nicht ertragen konnte. Er lieferte Heydrich Belastungsmaterial gegen Röhm und hoffte, sich damit den Austritt aus der Gestapo erkaufen zu können.

Neben den beiden Kriminalisten -Teams, dem Münchner und dem Berliner, zog Heydrich eine dritte Gruppe geschulter Sachkenner an sich heran. Beamte und Juristen aus allen Teilen Deutschlands, angeführt von dem Mann, der zum engsten Mitarbeiter und schließlich zum Gegner Heydrichs werden sollte: von dem ehemaligen hessischen Amtsrichter Dr. Werner Best.

Der Postbeamtensohn Karl Rudolf Werner Best, geboren am 10. Juli 1903 in Darmstadt, nach Rechtsstudium an den Universitäten Frankfurt, Freiburg und Gießen in die Richterlaufbahn gelangt, war Anhänger einer herrischen Staatsräson und gläubiger Nationalist, Schüler von Ernst Jünger und Romantiker jener Freikorpsmentalität, die den Krieg - so Best - für »eine notwendige und natürliche Form des gesamten Lebensprozesses« hielt.

1930 veröffentlichte er einen Aufsatz, der sich wie eine Programmstudie für den kommenden Machtstaat las. Bei »leidenschaftlicher Bejahung des Staates als der höchsten überindividuellen Steigerung des Willens zur Macht« entsagte Best radikal dem Ideal des liberalen Rechtsstaates.

Als im Weimarer Deutschland das Gespenst des kommunistischen Umsturzes umging, entwickelte der Nationalsozialist Best in Wort und Schrift einigen Parteigenossen in dem bei Worms gelegenen Gasthaus »Boxheimer Hof« Ende 1931 Ideen für einen nationalsozialistischen Gegen-Umsturz, die bald unter dem Namen »Boxheimer Dokumente« berüchtigt wurden.

Nach dem »Wegfall der seitherigen obersten Staatsbehörden und nach Überwindung der Kommune« ergreifen laut Best SA und Landeswehren die »verwaiste Staatsgewalt« und sichern rücksichtslos die »schärfste Disziplin der Bevölkerung«; Waffenbesitzer seien »ohne Verfahren auf der Stelle« zu exekutieren.

Die nationalsozialistische Machtübernahme verband den Theoretiker des Polizeistaates auch physisch mit der Polizei. Der hessische Landespolizeipräsident Best stieß allerdings schnell mit dem Hessen-Gauleiter Sprenger zusammen, dem die sachlich-kritische Distanz des Dr. Best gegenüber Anliegen der Partei mißfiel - im Herbst 1933 mußte Best gehen.

Seither stand der Name des Werner Best, der 1932 in die SS eingetreten war und nach seiner Vertreibung in Hessen die SD-Oberabschnitte Süd und Süd -West leitete, auf der Personalliste Heydrichs. Der SD-Chef holte sich den Hessen, als er nach dem Röhm-Eklat daranging, das Instrument zu schärfen, dessen bloße Erwähnung Millionen Deutsche erschauern ließ: die Gestapo.

Daß sie Angst und Schrecken verbreitete, hielt Heydrich für erforderlich, denn nur das Renommee, alles zu wissen und erbarmungslos zuzuschlagen, konnte die Geheime Staatspolizei zur größten Abschreckungswaffe der Führerdiktatur stempeln und jedwede Opposition gegen das Regime ersticken.

Die Grundlagen der Gestapo stammten noch von Preußen-Premier Göring. Er hatte die politischen Sonderabteilungen der Kriminalpolizei, die Politische Polizei (Bekämpfung des Hochverrats) und die Abwehrpolizei (Bekämpfung des Landesverrats), von der Kripo getrennt und sie zu einer neuen Organisation zusammengefaßt, der Geheimen Staatspolizei.

Ursprünglich gehörten die politischen Polizeiaufgaben in den Kompetenzbereich des Preußischen Landeskriminalpolizeiamtes (LKPA). An seine Stelle trat das Geheime Staatspolizeiamt, genannt Gestapa, das die politischen Polizeiorgane zu einer Behörde vereinigte.

Die LKP-Stellen in den Provinzen mußten neuen Staatspolizei-Stellen weichen, die den Regierungspräsidenten, und das war der entscheidende Punkt, nur noch formell unterstellt wurden. Denn die Gestapo erhob ab Ende 1933 den Anspruch, eine selbständige Behördenorganisation zu sein, unabhängig von der Inneren Verwaltung und nur dem Preußischen Ministerpräsidenten verantwortlich.

Weil überdies die am 28. Februar 1933 erlassene Notverordnung des Reichspräsidenten »zum Schutz von Volk und Staat« alle Grundrechte aufgehoben hatte und mithin der Polizei ermöglichte, ohne richterlichen Befehl Haussuchungen und Verhaftungen vorzunehmen, Eigentum zu beschlagnahmen, Telephongespräche abzuhören und Briefe zu öffnen, war kaum eine mächtigere Polizei denkbar als die Gestapo Görings.

Doch das genügte dem Überwachungsperfektionisten Heydrich noch nicht. Er wurde nicht müde, die Gefahren für das Regime in den grellsten Farben auszumalen und befolgte damit jenes Rezept, nach dem die Polizeichefs der Diktaturen den Aufbau ihres Terrorapparates zu rechtfertigen pflegen: Er konstruierte den Staatsfeind.

Der Ausbau der Beherrschungsmaschine konnte beginnen. Die Abteilungen des Gestapa wurden in drei Hauptabteilungen zusammengefaßt, dann ergriff der Generalstab des Terrors die Macht: SS-Obersturmbannführer Best besetzte mit seinen Beamten die Hauptabteilung I (Verwaltung und Recht), im Sommer 1935 dann auch die Hauptabteilung III (Abwehrpolizei).

Heydrichs Bajuwaren-Brigade okkupierte die eigentliche Gestapo. SS-Untersturmführer Flesch übernahm die Hauptabteilung II, seinen Spezis fielen die wichtigsten der zunächst sechs Abteilungen der Hauptabteilung II zu, darunter die Abteilungen »Marxismus« (Müller), »Rechtsopposition, Kirchen« (Huber), »§ 175, Rassenschande« (Meisinger).

Die Neuen machten sich daran, das von Göring geschaffene Überwachungsnetz noch enger zu knüpfen. Ein ausgeklügeltes Listen- und Karteisystem sollte jeden Regimegegner registrieren. Das Gestapa in Berlin und seine Stellen in der Provinz führten eine sogenannte A-Kartei, die alle im Sinne der Gestapo gefährlichen Staatsfeinde in drei Gruppen festhielt:

- Zur Gruppe A 1, kenntlich durch einen roten Reiter auf der linken Seite jeder Karteikarte, gehörten Regimegegner, die schon bei der Einleitung getarnter Vorausmaßnahmen für eine allgemeine Mobilmachung festgenommen werden sollten;

- zur Gruppe A 2 (blauer Reiter) zählten Personen, die bei der öffentlichen Ankündigung einer Mobilmachung zu verhaften waren;

- zur Gruppe A 3 (grüner Reiter) rechneten Bürger, die zwar keine Sicherheitsrisiken darstellten, dennoch, wie Heydrich in einem Befehl erläuterte, »in Zeiten schwerer Belastungsproben... als politisch so gefährlich angesehen werden müssen, daß ihre Festnahme oder ihre besondere Überwachung ins Auge gefaßt werden muß«.

Eine derartig detaillierte Beobachtung dessen, was man in der Gestapo Staatsfeind nannte, erforderte jedoch eine schier pausenlose Expansion der staatspolizeilichen Macht und Funktion. Mit 60 Mann aus dem Berliner Polizeipräsidium hatte das Gestapa begonnen, Anfang 1935 zählte es bereits 607 Beamte und Angestellte; 1933 hatten sich die jährlichen Gestapo-Ausgaben auf eine Million Reichsmark belaufen, 1937 erreichte der Etat die 40-Millionen -Grenze.

Die Gestapo-Stellen in jedem Regierungsbezirk und die (1937 entstehenden) Gestapo-Leitstellen am Sitz eines Oberpräsidenten oder einer Landesregierung wurden erweitert. Die Abwehrpolizei drang immer mehr in die Reservate der militärischen Spionageabwehr ein.

An Hitler-Deutschlands Grenzen rasselte ein eiserner Vorhang herunter. Ein sorgfältig ausgetüfteltes Fahndungssystem sollte garantieren, daß kein Flüchtiger der Gestapo entkam.

Die Fahndungsarbeit der Gestapo wurde auf manchen Gebieten leichter, je mehr Macht die Polizei usurpierte. In späteren Jahren überstellte das Gestapa Staatenlose, die des Landes verwiesen werden sollten, bis zur Abwicklung der Formalitäten in ein Konzentrationslager.

Mit dem Privileg, Schutzhaftbefehle zu erlassen und Menschen in Konzentrationslager zu werfen, hielt die Gestapo eine mörderische Waffe in der Hand. Sie untergrub jede Justiz in Deutschland, denn kein Richter, kein Staatsanwalt, kein Verteidiger konnte verhindern, daß Menschen hinter den Stacheldrahtzäunen der Konzentrationslager verschwanden.

Dr. Best formulierte: »Jeder Versuch, eine andere politische Auffassung durchzusetzen oder auch nur aufrechtzuerhalten, wird als Krankheitserscheinung, die die gesunde Einheit des unteilbaren Volksorganismus bedroht, ohne Rücksicht auf das subjektive Wollen seiner Träger ausgemerzt.«

Je unheildrohender sich aber die Macht der Gestapo ausbreitete, desto mehr wuchs auch die Zahl ihrer Gegner. Juristen und Verwaltungsbeamte versuchten den Siegesmarsch der Gestapo zu stoppen, zumindest aber zu verlangsamen.

Die Gegner beabsichtigten nichts weniger, als der Geheimen Staatspolizei die liebste Waffe aus der Hand zu schlagen: den Terror der Schutzhaftbefehle Mutige Rechtswahrer deckten Verbrechen und Mißstände in den Konzentrationslagern auf, um die maßvolleren NS-Führer für die Auflösung der Prügelstätten zu gewinnen.

Anfang 1935 klagte der sächsische Staatsanwalt Dr. Walther, selber SA Mann, die verantwortlichen Leiter des Konzentrationslagers Hohnstein wegen schwerer Gefangenenmißhandlungen an, in die auch die Gestapo verwickelt war; Walther bereitete auch ein Separatverfahren gegen den verantwortlichen Gestapo-Beamten, Oberregierungsrat Erich Vogel, vor.

Als die KZ-Schergen zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wurden, setzte der Sachsen-Gauleiter Mutschmann das Gericht unter Druck und verlangte Freispruch. Doch Reichsjustizminister Dr. Franz Gürtner protestierte: »Derartige an orientalischen Sadismus erinnernde Grausamkeiten können auch in der größten kämpferischen Erbitterung keine Erklärung und Entschuldigung finden.«

Das Gericht blieb bei seinem Urteil, doch die Rache der Nazis folgte sofort. Die beiden Schöffen des Gerichts wurden aus der Partei hinausgeworfen, dem Staatsanwalt wurde der Austritt aus der SA nahegelegt. Dann intervenierte Gerichtsherr Hitler: Er begnadigte die Verurteilten und schlug das Verfahren gegen Gestapo-Vogel nieder.

So geartete Willkür ließ den im Grunde seines Herzens nationalliberal eingestellten Justizminister Gürtner auf ein waghalsiges Unternehmen sinnen: Den Despotismus der Führerdiktatur und der Gestapo, so schien ihm, konnte man nur zügeln, wenn es gelang, das Recht auf nationalsozialistische Art zu verkürzen, zugleich aber ein Mindestmaß an rechtlichen Normen zu schaffen, die auch den Diktator und dessen Werkzeuge band.

Der Reichsjustizminister liierte sich mit dem härtesten der nationalsozialistischen Rechtswahrer, dem neuen Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank. Der Eiferer Frank wollte zwar das ganze Strafrecht radikal entliberalisieren und auf einen neuen, verschwommenen Begriff - den Schutz der sogenannten völkischen Werte - fixieren, aber die Willkür einer allmächtigen Polizei hielt auch er nicht für Recht.

Frank und Gürtner gründeten Ende 1933 eine »Amtliche Strafrechtskommission«, die ein neues Strafgesetzbuch ausarbeiten sollte. Zugleich aber gewann Gürtner den Dr. Frank für sein vordringlichstes Ziel: die Abschaffung der Konzentrationslager. Im Sommer 1934 wagten Frank und Gürtner »einen direkten Vorstoß bei Hitler«, wie Frank berichtet. Die beiden Juristen argumentierten im großen Kabinettssitzungssaal der Reichskanzlei in Anwesenheit Hitlers und Himmlers gegen das KZ-System.

»Ich beantragte«, erzählt Frank in seinen Memoiren, »daß ein Endzeitpunkt für dieses ganze 'System' bestimmt werden müsse, der so nahe wie möglich zu liegen hätte und daß ab sofort sämtliche Weiterverhaftungen einzustellen und alle bisher vorgenommenen und aufrechterhaltenen Inhaftlerungen sowie alle Klagen wegen Mißhandlungen juristisch, also durch die ordentlichen Gerichte, nachgeprüft werden sollten.«

Hitler lehnte den Antrag ab und behauptete, es sei »verfrüht«, die Konzentrationslager abzuschaffen. Auch Franks neues Strafrecht ließ er später zu den Akten legen. Die Opposition des schwachen und allzu vorsichtigen Justizministers zerschellte am granitenen Durchsetzungswillen Himmlers und Heydrichs.

Sie scheiterte aber auch an der Instinktlosigkeit vieler im Gesetzespositivismus des 19. Jahrhunderts aufgewachsenen Juristen, die sich schnell und dienstbeflissen der Euphorie des nazistischen Führerkults unterwarfen. Deutschlands Richter begannen, auch die Macht der Gestapo immer bedenkenloser auszulegen.

Zug um Zug robbte sich das Gros der Richter an Bests Polizeidefinition heran, die da schlicht lautete: »Die 'Polizei' handelt nie 'rechtlos' oder 'rechtswidrig', soweit sie nach den ihr von ihren Vorgesetzten - bis zur Obersten Führung - gesetzten Regeln handelt. Solange die Polizei diesen Willen der Führung vollzieht, handelt sie rechtmäßig.«

Justizminister Gürtner resignierte: »Es ist zum Verzweifeln!« Er traue sich, erzählte er Berlins Oberbürgermeister Dr. Sahm, in keine Gesellschaft mehr, weil ihn ständig ausländische Journalisten nach den KZ-Verhältnissen fragten. Der OB wollte wissen, was denn der Reichsinnenminister Dr. Frick dazu sage. Gürtner winkte ab: »Göring und Heydrich wiegen mehr als 100 Frick.«

Gürtner wußte nicht, daß just zur selben Zeit der zaghafte NS-Konservative Wilhelm Frick versuchte, den Zauberlehrling wieder loszuwerden, den er einst gegen Göring zu Hilfe gerufen hatte: Der Reichsinnenminister (RMdI) hatte plötzlich Bedenken bekommen, einem so gefährlichen Mann wie Himmler das Kommando über eine vereinigte Reichspolizei zu überlassen.

Fricks Bemühungen wären in einem völligen Mißerfolg geendet, hätten sich dem Minister nicht einflußreiche Bürokraten des Reiches angeschlossen, denen es trotz aller Anpassung an das Regime nicht gefiel, daß die Gestapo immer größere Macht gegenüber der Verwaltung beanspruchte.

Die Ironie wollte, daß die Anführer der Anti-Gestapo-Fronde zwei Männer waren, die eng mit der SS verbunden schienen: der Aachener Regierungspräsident Eggert Reeder, Förderndes Mitglied und später Gruppenführer der SS, und sein Kölner Kollege, der SS Standartenführer Rudolf Diels, eben jener ehemalige Göring-Günstling, der mehr als jeder andere Bürokrat zur Machtentfaltung der Gestapo beigetragen hatte.

Das Gestapo-Gesetz vom 30. November 1933 hatte den Ober- und den Regierungspräsidenten jeden Einfluß auf die Gestapo-Stellen genommen; jetzt aber galt es, die Vorposten des Gestapa auf dem Lande wieder stärker unter Kontrolle zu bringen. .

Frick eröffnete am 16. Juli 1934 den Feldzug mit einem Rundschreiben an alle Ober- und Regierungspräsidenten, das einen seltsamen Satz enthielt. Da stand, es bestehe »Übereinstimmung darüber«, daß die Selbständigkeit der Gestapo »lediglich eine Übergangsregelung« sei, »die infolge der durch die Röhm-Revolte angespannten politischen Lage notwendig geworden ist«.

In diesem Schreiben ordnete der Innenminister an, es müsse »engste Zusammenarbeit« zwischen Gestapo und Verwaltung »sowie die fortlaufende Berichterstattung der Staatspolizeistellen an die Herren Ober- und Regierungspräsidenten gesichert« sein. Mit anderen Worten: Frick konstruierte eine Unterstellung der Gestapo unter die Verwaltung.

Aachens Regierungspräsident Reeder forderte daraufhin prompt, der Regierungspräsident habe die »tatsächlich unteilbare, politische Verantwortung für seinen Bezirk zu übernehmen«, während sein Kölner Kollege Diels in einem Schreiben vom 4. November 1934 gegen die »Zerbröselung der inneren Verwaltung« wetterte und gegen »alle die Schwierigkeiten, die durch die Herrschaft der Partei über den Staat heraufbeschworen worden sind ... Tummelplatz für das hündische Mißtrauen, das der Staatsverwaltung die Arbeit erschwert«.

Die Bürokraten setzten den Polizeiapparat so lange unter Druck, bis sich Himmler und Heydrich einverstanden erklärten, mit dem Reichsinnenministerium ein neues Gestapo-Gesetz auszuhandeln.

Nach monatelangem Feilschen wurde am 10. Februar 1936 das Gesetz erlassen, das praktisch den bestehenden Zustand bestätigte, jedoch im Paragraphen 5 besagte: »Die Staatspolizeistellen sind gleichzeitig den zuständigen Regierungspräsidenten unterstellt, haben den Weisungen derselben zu entsprechen und sie in allen politischpolizeilichen Angelegenheiten zu unterrichten.«

Der Teilerfolg machte die RMdI-Beamten angriffslustig. Als nun Himmler und Heydrich vom Innenministerium forderten, ihre Konzessionen gegenüber der Verwaltung durch eine gesetzliche Regelung der organisatorisch noch immer ungelösten Frage der Reichspolizei zu honorieren, zogen die Bürokraten eine neue Widerstandslinie.

Die RMdI-Beamten spielten mit dem Gedanken, die vereinigte Polizei dem Reichsinnenminister zu unterstellen und den zu mächtig gewordenen Himmler durch dessen Berliner Konkurrenten, den SS-Obergruppenführer und General der Polizei Kurt Daluege, ausbooten zu lassen.

Fricks Taktik, so urteilt der Historiker Hans-Joachim Neufeldt, habe »augenscheinlich zum Ziele gehabt, Himmler mehr in eine nur politisch-repräsentative Rolle zu verweisen, die tatsächliche Leitung der gesamten Polizei aber durch Daluege ausüben zu lassen«.

Himmler wies Fricks Vorschläge zurück. Am 9. Juni 1936 forderte SD-Chef Heydrich im Namen seines Reichsführers die ganze Macht: Himmler müsse Ministerrang erhalten, den Oberbefehlshabern der Wehrmachtteile gleichgestellt und unter der Dienstbezeichnung »Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei« zum nahezu alleinigen Befehlshaber des Polizeiapparates ernannt werden, dem Reichsinnenminister persönlich« (also nicht der Sache nach) unterstellt.

Frick war empört und ließ sich sofort bei Hitler melden, um Protest einzulegen. Er kam als ein gebrochener Mann zurück - Hitler hatte ihm zu verstehen gegeben, daß Himmlers Berufung beschlossene Sache sei.

Der Minister führte nur noch einen hinhaltenden Kampf. Er monierte, daß ein Parteiamt (Reichsführer SS) mit einem Staatsamt (Chef der Deutschen Polizei) verbunden werden solle. Er schrieb in den Gesetzesentwurf viermal zu Himmlers Polizeititel die Worte hinzu: »im Reichsministerium des Inneren«. Er hielt zäh an seiner Forderung fest, Daluege müsse »ständiger Vertreter« Himmlers werden.

Der SS-Chef wich um einige Zentimeter zurück. Er verzichtete auf den Ministerrang. Er unterstellte sich dem Reichsinnenminister »persönlich und unmittelbar«, was in der NS-Terminologie wenig besagte. Und er ließ Daluege seinen ständigen Vertreter nennen, freilich nur »für den Fall seiner (Himmlers) Abwesenheit«.

Kaum aber hatte Hitler am 17. Juni 1936 den Erlaß über die Einsetzung des Chefs der Deutschen Polizei unterzeichnet, da demonstrierte Heinrich Himmler, wie er seine neue Macht verstanden wissen wollte. Er forderte nicht nur die gesamte Polizeiabteilung des Ministeriums für sich, er zog auch wesentliche Kompetenzbereiche des Innenministeriums an sich: die Sachgebiete

Presse- und Waffenrecht, Verkehr mit Waffen, Paßangelegenheiten, Personalien aller Beamten der Polizeiabteilung, einschließlich der Polizeipräsidenten und Polizeidirektoren.

Heinrich Himmler hatte es abermals geschafft. Die Polizei Hitler-Deutschlands befand sich in seinem Griff. Jetzt

konnte er mit seinem Intimus Heydrich

in den zweiten Abschnitt des großen Plans eintreten: Er forcierte die Vereinigung von SS und Polizei zum Staatsschutzkorps des Dritten Reiches.

IM NÄCHSTEN HEFT:

Löcher in Heydrichs Überwachungs -System - Himmler stoppt den Gestapo-Chef - Der Spitzelapparat des SD - »Das Schwarze Korps« gegen Parteibonzen

SD-Chef Heydrich (r.), Chef Himmler: »Ein junger, böser Todesgott«

Geschwister Reinhard, Maria Heydrich: »Ein armer Mensch ...

Großmutter Ernestine Heydrich

... innerlich völlig gespalten...

Vater Bruno Heydrich

... wie so oft bei Mischlingen«

Himmler-Masseur Kersten (r.), Freunde* (1933): Gespräche belauscht

Seeoffizier Heydrich

»Schlichter Abschied ...

Lina Heydrich, Ehemann

... wegen Unwürdigkeit«,

Fechter Heydrich (l.): Mit zwei Gesichtern die Gegner irritiert

Nebe

Müller

Best

SS-Polizeichefs: »Denen besorgen wir es schon«

NS-Propagandaphoto vom KZ Dachau (1934): Signum barbarischer Tüchtigkeit

Hof dies Berliner Polizeipräsidiums. Den Gegner ...

... vor der Tat ertappen: Polizeichef Himmler, Zuhörer*

* Vorsitzender der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Sonntag, Frau Sonntag (l.), türkische Prinzessin Djavidan. * Bei einer Tagung des Polizeirechtsausschusses in der Akademie für Deutsches Recht. Neben Himmler (stehend) von links: Staatssekretär im Reichsinnenministerium Stuckardt, Heydrich, Akademiepräsident Dr. Frank, Dr. Best, Daluege.

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