»Der Papst, das bin ich«
An diesem Mittwoch abend hatten Westdeutschlands Zocker schlechte Karten. Gegen Mitternacht war in zahlreichen Etablissements zwischen Schwarzwald und Ostsee plötzlich das Spiel aus, nichts ging mehr.
Polizisten stürmten das Kasino »Monaco« in Mönchengladbach, den Spielsalon »Le Trou« im rheinischen Jülich, die »Eden«-Bar in Ulm. Kripo-Leute beschlagnahmten die Chips im Kasino »Elefant« im schwäbischen Mengen und stellten im »Atlantik« in Reutlingen den Roulettkessel ab.
Auf der Ostseefähre »Peter Pan«, die gerade von Travemünde nach Trelleborg tuckerte, sorgten Beamte in Zivil diskret für klar Schiff im bordeigenen Spielsalon: Sie sammelten die Zocker-Karten ein und verhafteten den Klubbetreiber.
Zu Wasser und zu Lande durchkämmten 1600 Polizisten, 200 Steuerfahnder und 9 Staatsanwälte 23 Spielsalons, filzten rund 200 Wohnungen, Büros und Bankkonten. Ergebnis: 30 Festnahmen und mehrere Wäschekörbe mit sichergestellten Dokumenten.
Die Großaktion Ende April, deren Resultate derzeit ausgewertet werden, galt einer dubiosen Branche, die sich selbst gern als harmlosen Zweig der Freizeitindustrie definiert, von Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch eher der organisierten Kriminalität zugerechnet wird: den privaten Spielkasinos, in denen Zehntausende von Bundesbürgern Woche für Woche viele Millionen Mark verlieren. Experten haben ausgerechnet, daß die Klubbetreiber dort pro Jahr fast eine Milliarde Mark verdienen.
Erstmals sei es gelungen, kommentiert der Stuttgarter Kriminaldirektor Franz Pfiszter die Aktion, im Glücksspielbereich »die Existenz einer bundesweiten kriminellen Vereinigung« zu beweisen. Auch für das Wiesbadener Bundeskriminalamt (BKA) ist bei der Razzia »ein Stück Mafia« sichtbar geworden.
Die Fahnder haben, wie Kriminalist Pfiszter stolz versichert, »ein verzweigtes Imperium« ausgeräuchert, das sich hinter der Firma »Hauschild GmbH« des Ulmer Unternehmers Manfred Hauschild, 42, verbirgt. Dem Geschäftsmann, der auch in Holland, Belgien und Frankreich Hotels und Spielbetriebe besitzt, wird vorgeworfen, in der Bundesrepublik ein Netz illegaler Spielkasinos aufgebaut zu haben. Seit dem Polizeicoup im April sitzt Hauschild in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft. Auch zwölf seiner engsten Mitarbeiter sind noch hinter Gittern.
Hinter einem Schleier verwirrender Pacht- und Beteiligungsverhältnisse soll Hauschild trickreich »wie ein Marionettenspieler« (BKA-Fahnder) über Dutzende von Spielklubs und Kasinos geherrscht haben. Er beschäftigte nach Kripo-Erkenntnissen 1700 Mitarbeiter, darunter zahlreiche Strohmänner und einige hundert Croupiers. Der monatlich anfallende Millionen-Reibach soll elegant an den Finanzämtern vorbeilanciert, willfährige Beamte sollen mit Barem geschmiert worden sein.
Bei seinen Untergebenen habe der Boß »Furcht und Schrecken wie ein Mafia-Pate« verbreitet, erfuhren die Fahnder. Mitarbeiter, die nicht spurten, ließ Hauschild, wie aus den Ermittlungen der Kripo zu schließen ist, feuern oder zusammenschlagen. Wer zuwenig Kasse machte, wurde zwangsbeurlaubt oder versetzt. Wenn in Westdeutschlands Spielhöllen von Hauschild die Rede war, sprachen die Zocker ehrfürchtig vom »Papst«.
Die jüngste Polizeiaktion hat offenbar die gesamte Branche aufgeschreckt. Auch Spielbuden, die nicht zum Hauschild-Imperium gehören, werden seither schärfer observiert. In Süddeutschland, aber auch im Saarland und in Rheinland-Pfalz stehen die privaten Zocker-Lokale jetzt unter strenger Beobachtung. In Nürnberg etwa wurden letzten Monat bei einer Razzia 7 von 15 Kasinos dichtgemacht und drei Spielklubbetreiber verhaftet.
Angesiedelt sind die schummrigen Etablissements, die sich »Casino-Roulette«, »Spielclub 95« oder »Monaco« nennen, vorwiegend in den Rotlicht-Biotopen der Großstädte, etwa im Frankfurter Bahnhofsviertel oder im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Seit Aids-Angst die Prostitutionsprofite drastisch dezimiert hat, drängen sich laut BKA-Erkenntnis »zunehmend Zuhälter« ins Glücksspiel-Metier.
Doch selbst durch die Provinz weht ein Hauch von Las Vegas. Auch in Orten wie Öhringen, Waiblingen oder Winnenden hat sich klammheimlich ein Gewerbe etabliert, das es von Rechts wegen überhaupt nicht geben dürfte. Denn Glücksspiele aller Art sind in Westdeutschland verboten - mit einer Ausnahme: Nur in den 33 staatlich konzessionierten Spielbanken dürfen Bundesbürger mit ausdrücklicher behördlicher Billigung ihr Geld verspielen und sich gegebenenfalls ruinieren.
In den Staatskasinos, darunter feudale Prunkburgen aus der Kaiserzeit wie etwa in Wiesbaden, Bad Homburg oder Baden-Baden, werden jährlich rund vier Milliarden Mark umgesetzt. Doch gegen Korruption und Betrug sind auch diese Betriebe nicht gefeit.
Weil die Erlaubnis, eine Spielbank zu betreiben, der Genehmigung zum Gelddrucken sehr nahe kommt, hat es bei Konzessionsvergaben häufig Durchstechereien und Mauscheleien gegeben. Spielbankskandale in Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, wo Beamte, Politiker und Parteien in den Ruch gerieten, bei der Vergabe von Betriebserlaubnissen von windigen Geschäftemachern bestochen worden zu sein, markieren nur die Spitze eines Eisbergs.
Und seit bekanntgeworden ist, daß in einigen renommierten Kasinos Spielgeräte präpariert wurden und Croupiers mit reisenden Falschspielern gemeinsam Schmu machten (SPIEGEL 32/1989), ist auch der Ruf ramponiert, in den Staatsbetrieben würden die Spieler nicht übers Ohr gehauen.
Gewahrt wurde dabei nur die Etikette. Nach wie vor herrscht in den offiziellen Spielbanken Krawattenzwang: Wer sich keinen Schlips umbindet, muß draußen bleiben. In den illegalen Klubs sind dagegen selbst Zocker im Blaumann willkommen, sofern sie nur liquide sind.
Auch die rund 20 000 Suchtspieler und Betrüger, die in den staatlich konzessionierten Betrieben Spielverbot haben, bevölkern mit Vorliebe die zwielichtigen Pseudo-Kasinos. Es sind oft arme Teufel, die, getrieben von krankhafter Spielleidenschaft, verzweifelt ihr Glück zwingen wollen und meist doch nur ihre letzten Groschen verlieren.
Bis es soweit ist, werden die Spieler hofiert. Cola, Kaffee, Zigaretten und Häppchen gibt es häufig gratis, auch mal ein Steak von der Kneipe gegenüber. »Der Mann könnte ja sonst weglaufen«, verrät ein Nürnberger Croupier, »und bei der Konkurrenz weitermachen.«
Schlepper, die einen zahlungskräftigen Suchtspieler anbringen, kassieren bis zu 1000 Mark Erfolgshonorar. Zocker, denen das Bargeld ausgegangen ist, werden scheinbar großzügig behandelt, dürfen auch Schuldscheine oder ihre Armbanduhr gegen Jetons eintauschen. Wenn jedoch Verlierer nicht zahlen können, treiben rauhe Inkasso-Spezialisten mit Gewalt die Schulden ein.
Sowohl die Kasino-Bosse als auch ihre Opfer machen sich vielfach strafbar. Denn wer »ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet« oder »die Einrichtungen hierzu bereitstellt«, kann mit Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren bestraft werden. Auch Zocker, die anderswo als in einer vom Staat sanktionierten Einrichtung ihrer Leidenschaft frönen, riskieren nach Paragraph 284 a des Strafgesetzbuches »Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten«.
Um die Strafvorschriften zu umgehen, werden in den meisten der rund 400 privaten Kasinos die verbotenen Glücksspiele als sogenannte Geschicklichkeits- und Beobachtungsspiele getarnt, die nach der Gewerbeordnung erlaubt sind. Bei genehmigten Spielen wie »Roulette-Opta I«, »Hadja-Kis-Rouletta 24« oder »Balla balla« kommt es angeblich nicht auf den Zufall, sondern auf ein gutes Auge oder ein gutes Gedächtnis an.
Die Teilnehmer sollen zum Beispiel die Laufbahn kreisender Kugeln vorhersagen oder sich an die Positionen von Spielkarten erinnern, die ihnen zuvor gezeigt wurden. Die Regeln lassen nur Einsätze bis 20 Mark zu.
Doch mit derart harmlosen Spielereien ist kein Geschäft zu machen. Allein die Grundausstattung einer Spielhölle kostet mindestens 30 000 Mark. Mit amtlich zugelassenen Geschicklichkeitsspielen, schätzt das BKA, lassen sich monatlich allenfalls 7000 Mark erwirtschaften, ohne Personalkosten.
»Da kommen gerade mal die Miete und das Lichtgeld rein«, hat der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Henry Littwitz ausgerechnet, der Spielklubbetreiber verteidigt. Die Erteilung von Gewerbeerlaubnissen sei deshalb »absolut sittenwidrig«. »Praktisch«, folgert Kriminaloberrat Jürgen Albrecht vom BKA-Betrugsdezernat, lasse sich ein Kasino »also nur illegal betreiben«.
Die Wiesbadener Kriminalisten schätzen, daß »in 95 Prozent dieser Etablissements« neben Roulett verbotene Kartenspiele wie »Baccarat« oder »Black Jack« Usus sind und daß dort auch nach amerikanischem Vorbild hart gepokert wird - mit nach oben offenen Einsätzen.
Die Chancen der Teilnehmer sind nicht gut. Fair play ist in den meisten Zocker-Buden die Ausnahme. »Manche Betreiber denken nur darüber nach«, weiß ein BKA-Mann, »wie man verhindert, daß die Spieler etwas gewinnen.«
Gezinkte Karten, präparierte Würfel und manipulierte Glücksräder gehören nicht selten zur Grundausstattung. In ihren Asservatenschränken sammelt die Polizei beschlagnahmtes Handwerkszeug professioneller Falschspieler als Anschauungsmaterial: *___Herrenringe und Feuerzeuge mit eingearbeiteten ____Minispiegeln, mit deren Hilfe Mitspielern in die Karten ____geguckt werden kann; *___Karten mit fluoreszierenden Buchstaben wie »A« oder »K« ____auf der Rückseite, die von Falschspielern mit ____speziellen Infrarot-Kontaktlinsen als »As« oder »König« ____identifiziert werden können; *___Kartenschlitten mit nachträglich eingebauter ____Elektronik, die auf Funksignale eines Minisenders aus ____einem zweiten Schlitz bestimmte Karten, zum Beispiel ____Asse, auswerfen; *___mit Quecksilber präparierte Würfel, die garantiert nur ____auf die Nummern sechs oder eins fallen, sowie Würfel, ____auf denen bestimmte Zahlen, etwa die Vier oder die ____Fünf, doppelt abgebildet sind.
Den größten Profit machen die Kasino-Unternehmen mit roulettähnlichen Wettbewerben - vor allem deshalb, weil sie die Unterschiede zum richtigen Roulett, wie es in Staatskasinos gespielt wird, in der Praxis aufheben.
Während in den staatlichen Spielbanken auf 36 Felder und die Null (Zero) gesetzt werden kann, sind die Spieltische in den privaten Zocker-Klubs auf 24 Nummern sowie die Fächer »O« und »X« beschränkt. Und während in den Staatsbetrieben Einsätze bis zu 21 000 Mark pro Spiel möglich sind, darf in den Privatklubs offiziell nur jeweils ein Jeton im Wert von maximal 20 Mark auf eine Zahl gesetzt werden.
Weiterer Unterschied: In herkömmlichen Roulettkesseln wird der Lauf der Elfenbeinkugel durch rhombische Hindernisse derart verändert, daß nicht vorhersehbar ist, wohin sie rollt. In den Kesseln der Privatklubs dagegen, wo der Rundlauf nicht behindert wird, soll für genaue Beobachter erkennbar sein, wohin die Kugel fällt. Einsätze sind erst erlaubt, wenn die Kugel eine besonders markierte Umlaufbahn unmittelbar über dem Zahlenkranz erreicht hat.
Doch am langweiligen Beobachtungsroulett gemäß Gewerbeordnung haben weder Betreiber noch Spieler Interesse. Wer die Kugel nach Vorschrift rollen lasse, weiß der Münchner Kriminalrat Günter Hauch, »kann gleich zusperren, weil er keine Kunden kriegt«.
Das Publikum strömt auch nur, wenn verbotene hohe Einsätze getätigt werden dürfen. Im »Fortuna« in der Nürnberger Luitpoldstraße etwa wurden, wie sich Ex-Croupier Olaf Machule erinnert, von den täglich 200 Zockern »bis zu 500 Mark« pro Spiel und Gast gesetzt - der Laden war stets proppenvoll.
Zwar ist die Betriebserlaubnis davon abhängig, daß »gewährleistet ist, daß der Spieler keine unangemessen hohen Verluste in kurzer Zeit erleidet« (Spielverordnung) - aber nur auf dem Papier.
Im »Fortuna«, berichten Machule-Kollegen, habe sich ein »hoher Herr« aus dem Bankgewerbe innerhalb von Wochen »um Kopf und Kragen gespielt«. Und ein weiterer Stammgast, Technischer Direktor eines Fußball-Bundesligavereins, sei bei seinen wöchentlichen Besuchen öfter mal »bis zu 15 000 Mark pro Abend« losgeworden.
Nacht für Nacht wurden vom Kasino rund 10 000 Mark Gewinne kassiert. Nach Abzug von Angestelltengehältern und der Gewinnbeteiligung der vier Croupiers blieben für »Fortuna«-Chef Wolfgang Harand und seine Kompagnons täglich 7000 Mark Reingewinn übrig - oft nur erzielt mit den branchenüblichen Tricks:
Damit das Spiel ebenso unberechenbar lief wie beim richtigen Roulett, wurden mal schwerere, mal leichtere Kugeln benutzt, deren unterschiedliche Umlaufbahn jedes Kalkül beim Setzen unmöglich macht. Und um das Spiel abwechselnd schnell oder langsam zu machen, wischten die Croupiers häufig eine Kesselhälfte mit Tüchern aus, die mit Spiritus oder Klebmasse getränkt waren.
Solche Eingriffe sollten dazu dienen, etwaige Beobachtungsspieler zu irritieren. Überdies hatte Croupier Machule »den Auftrag, zugunsten des Hauses zu manipulieren« (Vernehmungsprotokoll). Um hohe Gewinne zu verhindern, stellte er im Bedarfsfall »mit einem Hebeltrick« den Roulettkessel schief, damit die Kugel auf Zahlen liegenblieb, die nicht hoch gewettet waren.
Wenn es trotz der faulen Tricks mal Verluste für das Kasino gab (Insider-Jargon: »Es hat gebrannt") und ausnahmsweise mal die Spieler abkassierten, soll »Fortuna«-Boß Harand, wie ein Untergebener sich erinnert, seine Croupiers als »Deppen« und »Dilettanten« bezeichnet oder sie des Jeton-Diebstahls bezichtigt haben.
Ausgerechnet das Bundeskriminalamt fungiert für Privatkasinos wie das »Fortuna« als eine Art Technischer Überwachungs-Verein. Denn die Drehscheiben und Filztische, mit denen das Publikum beschummelt wird, werden von BKA-Beamten im Jahresturnus technisch untersucht und abgenommen.
In einer Turnhalle in Wiesbaden-Dotzheim messen dann BKA-Regierungsamtmann Gustav Urban und zwei Kollegen mit Schublehre und Wasserwaage die Spieltische und Kessel aus, prüfen das Gewicht von Kugeln und testen mit einer Stoppuhr die Spieldauer. Entspricht das vorgeführte Gerät den Vorschriften, wird den Betreibern nach Paragraph 33 e der Gewerbeordnung eine »Unbedenklichkeitsbescheinigung« erteilt - eine Art Persilschein, den sich die Spielhölleneigner zur Irreführung ihrer Kundschaft an die Wand ihres Ladens hängen können.
Denn in Wahrheit, das wissen auch die Kriminalisten, ist die Kontrolle eine Farce. Hinterher, so Chefprüfer Urban, »werden die Kugeln wieder ausgetauscht«, wird an den Kesseln gesägt und gehämmert und werden Vorrichtungen eingebaut, mit denen per Knopfdruck der Kessel manipuliert werden kann. Urban nach Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung an zwei norddeutsche Spielklubbosse: »Die fahren jetzt gleich irgendwo hin und bosseln die Dinger wieder um.«
Weil die meisten Geräte nach der BKA-Abnahme doch wieder manipuliert werden, mutet die Genehmigungspraxis an wie ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Polizei und Justiz.
Zuständig für die Betriebserlaubnis von Kasinos sind freilich nicht die Wiesbadener Kriminalisten, die nur die Technik testen, sondern die Ordnungsämter vor Ort. Die wiederum können eine Genehmigung in der Regel nur versagen, wenn Feuerwehr oder Gesundheitspolizei Einwände haben - etwa weil der Notausgang fehlt oder die Klos verdreckt sind.
Immerhin dürfen die Betreiber laut Gewerbeordnung nicht wegen Erpressung, Hehlerei, Betruges oder Untreue vorbestraft sein. Doch diese Vorschrift läßt sich leicht umgehen. Immer wieder, hat die Polizei ermittelt, tauchen auf den Anträgen die Namen von Strohmännern oder Strohfrauen auf, die pro forma und gegen ein Monatssalär von 2000 Mark ihren Namen hergeben.
Wer über die Tricks plaudert, lebt gefährlich. »Wenn einer zur Polizei geht und redet«, warnte einer der Nürnberger Bosse seine Angestellten, »lassen wir einen von Holland kommen, der schießt ihm die Kniescheiben weg.«
Als Croupier Machule der Polizei den »Hebeltrick« verriet, versuchten es seine Arbeitgeber zunächst auf die sanfte Tour: Für den Widerruf seiner Aussage kassierte der Croupier 30 000 Mark »Prämie«. Erst als er im August erneut bei der Kripo petzte, wurde die Tonart schärfer. Auf Machules Telefon-Anrufbeantworter ging die Drohung ein: »Deine Stunden sind jetzt gezählt.«
Ähnlich rauhe Umgangsformen kennzeichneten das Kasino »Eden-Bar« in Ulm. Als dort ein Grieche, der 100 000 Mark verspielt hatte und sich betrogen fühlte, bei Geschäftsführer Peter Öser »zumindest die Hälfte« seines Einsatzes zurückforderte, kassierte er statt Bargeld Hiebe. Ein Unbekannter schlug den Zocker windelweich und gab ihm den Ratschlag, »stillzuhalten, sonst bist du ein toter Mann«.
Nach der Abreibung bekam das Opfer noch ein Billett. Der Schläger richtete »schöne Grüße« aus - »vom Papst«.
Der Hinweis brachte die Polizei auf eine entscheidende Spur. Denn als Kripo-Beamte in einschlägigen Etablissements nach dem geheimnisvollen Pontifex maximus fragten, meldete sich der Gesuchte persönlich. Im Spielkasino »Calypso« in Waiblingen gewährte er Fahndern eine überraschende Audienz: »Sie suchen den Papst, das bin ich. Mein Name ist Hauschild.«
Flugs war ermittelt, daß der selbsternannte Würdenträger ein umfangreiches Sündenregister im Ausland hatte. Interpol Brüssel suchte ihn per Haftbefehl wegen allerlei Betrügereien. Von der belgischen Polizei kam der Hinweis, daß Hauschild seit Jahren illegal »jeden Tag 100 000 Mark verdient«.
Verdeckte Observationen ließen den Schluß zu, daß der Unternehmer mit harter Hand über mehr als 30 illegale Spielkasinos herrschte und dabei steinreich wurde. Er fuhr stets die allerneueste Mercedes-Limousine, reiste im Privat-Jet und sonnte sich auf der eigenen Jacht in Frankreich.
Regelmäßig pendelte Hauschild zwischen dem Sitz seiner Familie in und um Ulm und der Villa einer Vertrauten in Mönchengladbach, wobei er stundenlang telefonierte. Flog er von Aachen nach Düsseldorf oder Salzburg, hatte er stets ein tragbares Fernsprechgerät dabei; nachts pflegte er seine Geschäfte über drei Autotelefone abzuwickeln.
Der rege Telefonverkehr wurde dem Spielhöllen-Papst zum Verhängnis. Die Polizei ließ 21 Anschlüsse anzapfen und abhören. Die Mitschnitte offenbaren, wie Hauschild sein Imperium regierte.
Um seine Gewinne unterzubringen, ließ Hauschild nach Erkenntnissen der Fahnder von Untergebenen immer neue Spielklubs eröffnen. Damit er nicht als Drahtzieher auffiel, wurden die Etablissements entweder als »Vereine für Geschicklichkeitsspiele« im Vereinsregister eingetragen oder auf die Namen von Strohmännern zugelassen.
Nacht für Nacht überwachte der Papst per Telefon, wie die Geschäfte liefen. In einem roten Notizbuch, das der Polizei als wichtigstes Beweisstück zum Vorwurf »kriminelle Vereinigung« in die Hände fiel, notierte er penibel die Gewinne der einzelnen Dependancen. Die Eintragung »Zwölf plus« zum Beispiel bedeutete 12 000 Mark Tagesgewinn.
Was da zusammenkam, erlauschten Kripo-Beamte, als der ahnungslose Hauschild am Autotelefon ins Plaudern geriet. »Ein gutes Kasino«, prahlte er gegenüber einem Geschäftspartner, »bringt mir 800 000 Mark in sechs Wochen.«
Leitende Angestellte, nach Gepflogenheiten von Mafia und Camorra streng voneinander abgeschottet, schafften, wie die Polizei erfahren haben will, die Kasino-Gewinne per Kurier oder Blitzgiro auf Bankinstitute in der Provinz. Allein auf Hauschilds Konten bei der Kreissparkasse Waiblingen gingen pro Monat mal 443 000 Mark, mal 343 000 Mark, mal 118 000 Mark ein. Bei der Stadtsparkasse Aachen wurden monatlich 710 000 Mark oder 450 000 Mark gutgeschrieben, die nicht versteuert wurden.
Steuerfahnder haben herausgefunden, daß Hauschild seit 1986 allein im »Calypso«, in der »Eden-Bar« und in zwei Spielklubs in Nordrhein-Westfalen Umsatzsteuer in Höhe von 17 Millionen Mark hinterzogen haben soll.
Damit das illegale Geschäft reibungslos funktionierte, soll Hauschild eine eigene Schutztruppe kommandiert haben. Eine Garde gestrenger Inspektoren reiste in einer Daimler-Benz-Flotte von Etablissement zu Etablissement.
Herren fürs Grobe, fanden die Fahnder heraus, malträtierten unzuverlässige Mitarbeiter und meuternde Zocker mit Muskelkraft, technisch versierte Kontrolleure tüftelten zwecks Manipulation an den Spielgeräten. Auf den Umgang mit hartleibigen Beamten getrimmte Hauschild-Vertraute verteilten offenbar Bakschisch. In einem Bericht des Stuttgarter Landeskriminalamtes ist jedenfalls der Verdacht festgehalten, »daß maßgebliche Bedienstete bei Behörden bestochen wurden«.
Papst Hauschild, der sich wohl im nächsten Frühjahr wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten muß, ist nicht der erste, der in Westdeutschland illegale Spielklubs förderte. Einer seiner Vorgänger war Hans-Georg Haupt, heute 58, Ex-Hauptkommissar beim Bundeskriminalamt und einer der ersten Undercover-Agenten in der Geschichte der Bundesrepublik.
Unter dem Vorwand, nur auf diese ungewöhnliche Art Erkenntnisse über geplante Rauschgift-, Falschgeld- und Waffengeschäfte gewinnen zu können, hielt Haupt - angeblich mit Billigung seiner Vorgesetzten - seine Hände schützend über ein Netz illegaler Zocker-Buden: die »Sonnenschein GmbH«.
Immer wenn zwischen Reeperbahn und Schweizer Grenze Sonnenschein-Etablissements von Razzien bedroht waren, tauchte der BKA-Mann bei Betrugsdezernaten und Staatsanwaltschaften auf und bat um Aufschub. Prompt wurden Durchsuchungen so lange hinausgezögert, bis Wiesbaden grünes Licht gab. Ergebnis: Wenn schließlich die Kripo kam, waren die Kasinos entweder »heute geschlossen«, oder es wurde brav nach den Vorschriften gespielt.
Die Hilfsbereitschaft hatte freilich keine polizeitechnischen, sondern sehr persönliche Gründe: Haupt, der einen luxuriösen Lebensstil liebte, ließ sich seine Dienste von der Sonnenschein GmbH mit Barem entgelten.
Seine Agenten-Karriere war erst zu Ende, als er sich bei dem Duisburger Staatsanwalt Gerd Schnittcher heftig über die plötzliche Schließung des Oberhausener Spielklubs »Domino« erboste. Dort sei infolge der Polizeiaktion eine Quelle »wertvoller Hinweise über Heroinhandel« versiegt.
Der Staatsanwalt wurde stutzig. Der BKA-Beamte wanderte 1981 für 20 Monate in Untersuchungshaft. Später wurde er wegen Untreue, Betruges und Strafvereitelung zu acht Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt.
Daß Ermittler und Spielbuden miteinander mauscheln wie im Fall Haupt, ist die Ausnahme. Üblich scheint dagegen, daß lokale Polizeidienststellen die Lasterhöhlen stillschweigend dulden.
Grund: Dort gehen meist auch die örtlichen Halb- und Unterweltler ein und aus, es fällt mithin für die Kripo immer mal wieder ein Tip ab. »Wenn wir einen suchen«, verrät ein hessischer Fahnder, »schauen wir zuerst im nächsten Puff oder im nächsten Kasino nach.«
Und obgleich die Nähe zur kriminellen Szene geradezu greifbar ist, wird die Ansiedlung der obskuren Kasinos mitunter ausdrücklich gewünscht. Vor allem in abgelegenen Kurorten, wo ahnungslose Gemeinderäte ihren Gästen zu abendlichem Nervenkitzel verhelfen wollen, werden oft anstandslos Neueröffnungen genehmigt.
Beim Bundeskriminalamt sind in den letzten Jahren immer wieder freundliche Briefe von Ortsbürgermeistern und Kurverwaltungen eingegangen, in denen mit warmen Worten die schnelle und unbürokratische Zusammenarbeit mit dem BKA gepriesen wird: Dankschreiben für die prompte Erteilung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen für private Spielkasinos. f