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MITBESTIMMUNG Der Pattachon

Die Sozialdemokraten wollen den Regierungsentwurf zur Mitbestimmung nach den Wünschen der Liberalen verändern.
aus DER SPIEGEL 23/1975

In einer dunklen Nische des Hamburger Plaza-Hotels schockte Bonns SPD-Arbeitsminister Walter Arendt Freunde, die wie er in der vorigen Woche zum Kongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in die Hansestadt gekommen waren, mit düsteren Drohungen: »Irgendwo gibt es eine Grenze, wo ich nicht mehr mitmache.«

Mißtrauisch beobachtet der Arbeitsminister seit Wochen, wie die Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner (SPD) und Wolfgang Mischnick (FDP) sich bemühen, seinen 1974 eingebrachten Regierungsentwurf zur Mitbestimmung zu korrigieren. Denn der ehemalige Bergarbeiter-Führer fürchtet, daß die Sozialdemokraten dabei den FDP-Wünschen zu weit entgegenkommen.

Bereits sein eigenes Mitbestimmungsmodell hatte Arendt bei Gewerkschaftern und Parteifreunden gegen den Vorwurf verteidigen müssen, es sei zu FDP-freundlich geraten und erfülle nicht den SPD-Anspruch, wonach Arbeit und Kapital genau paritätisch im Aufsichtsrat die Geschicke der Großunternehmen lenken sollten. Jetzt will ein Bund prominenter Genossen, angeführt -- von Bundeskanzler Helmut Schmidt und Fraktionschef Wehner, noch mehr Forderungen der Liberalen erfüllen. Bei den DGB-Delegierten warb Kanzler Schmidt am vergangenen Mittwoch um Verständnis: »Wer lupenreine Modelle verwirklichen wollte, der bräuchte dafür lupenreine Mehrheiten, die haben wir nicht.

Nach dem Ergebnis der Schlüssel-Wahl in Nordrhein-Westfalen sei -- so argumentiert der Regierungschef -- auch dem letzten Sozialdemokraten klargeworden, daß die SPD nur mit Hilfe der FDP an der Regierung bleiben könne, sich mithin auch dem kleinen Partner gegenüber noch großzügiger als bisher erweisen müsse.

Überdies glauben die Sozialdemokraten, daß ein schlechtes Mitbestimmungsgesetz immer noch besser sei als gar keines. Nach den Schwierigkeiten mit der Konjunktur und dem Scheitern so wichtiger Vorhaben wie der überbetrieblichen Vermögensbildung und der Reform des Abtreibungsparagraphen 218 hätten sie gern irgendeinen Erfolgsnachweis. Kanzler-Staatssekretär Manfred Schüler: »Es ist besser, wenn wir etwas vorzeigen können -- selbst in moderater Form.«

In zahlreichen Gesprächen hat Wehner gemeinsam mit Mischnick, mal unter vier Augen, mal zusammen mit Experten wie den Abgeordneten Hermann Rappe (SPD) und Hansheinrich Schmidt-Kempten (FDP), Vorschläge entwickelt, wie Arendts Entwurf so verändert werden kann, daß die Liberalen ohne ordnungspolitische und wahltaktische Bedenken zustimmen.

Danach wird die Aufsichtsrats-Vertretung der leitenden Angestellten so konstruiert, daß die Gewerkschaften darauf so gut wie keinen Einfluß haben. Überdies soll den Aktionären -- oder zumindest den Banken. die das Eigentümerstimmrecht verwalten -- in künftig mitbestimmten Betrieben eindeutiger als bisher geplant die endgültige Entscheidungsgewalt zufallen.

Der bei einem Patt zwischen Arbeit und Kapital bisher vorgesehene komplizierte Einigungsmechanismus, der erst nach vier erfolglosen Abstimmungsgängen den Aktionären in der Hauptversammlung das letzte Wort gibt, soll verkürzt werden. Um der von Verfassungsrechtlern bereits vorhergesagten Klage zu entgehen, der uniständliche Schlichtungsvorgang behindere die Unternehmensführung und verstoße damit gegen die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, haben sich die Unterhändler der Koalition praktikablere Modelle ausgedacht -- alle zugunsten der Anteilseigner.

Entweder soll das dreiköpfige Präsidium des Aufsichtsrates oder ein besonderer Ausschuß oder ein dem Aufsichtsrat zugeordnetes weiteres Mitglied, das nur im Patt mitstimmt (SPD-Mitbestimmungsexperte Friedhelm Farthmann: »Der Pattachon"), die letzte Entscheidung haben. Was allen Modellen gemeinsam ist: Die Stich-Stimmen gehören immer den Anteilseignern.

Immerhin könnten die Sozialdemokraten diese gar nicht mehr paritätische Mitbestimmungsart bei den Gewerkschaften noch mit dem Hinweis auf eine andernfalls drohende Verfassungsklage verteidigen. Und außerdem könnten sie auf die Praxis in den Montan-Unternehmen (Eisen, Stahl, Kohle) verweisen, in deren seit 1952 paritätisch besetzten Aufsichtsräten ein neutraler Mann den Ausschlag gibt. Denn dort wird meistens einvernehmlich entschieden.

Die nun erwogene Änderung der bisher geplanten Technik bei der Wahl für die Aufsichtsratsvertretung leitender Angestellter. die auch nach dem vorliegenden Arendt-Entwurf mindestens einen der tantiemeträchtigen Sitze einnehmen sollen, können die Sozialdemokraten bei ihrer Gefolgschaft jedoch kaum mit juristischen oder praktischen Hinweisen entschuldigen. Es ist allzu deutlich, daß der neu erdachte Wahl-Modus vön der FDP diktiert wurde.

Die Liberalen haben zwar in den internen Fraktions-Gesprächen auf ihre Maximal-Forderung, wonach die leitenden Angestellten nicht nur ihre Kandidaten nominieren, sondern auch noch in einer Art Elite-Abstimmung allein wählen sollten, verzichtet. Generös räumte FDP-Wirtschaftsminister Hans Friderichs letzte Woche ein, dieses Gruppenwahlrecht könne man den Sozialdemokraten nicht zumuten.

Das Modell aber, über das SPD-Fraktionschef Wehner mit sich reden läßt, stellt den exklusiven Zirkel nicht schlechter. Arendt hatte in seinem ersten Mitbestimmungsentwurf -- damals mit Billigung der FDP -- hineingeschrieben, daß Kandidat für die sogenannte dritte Bank im Aufsichtsrat bereits jener leitende Angestellte werden könne, der von nur 20 Prozent seiner Kollegen nominiert würde. Dieses Quorum, so vermutete der Arbeitsminister, werde ausreichen, um einen gewerkschaftlich organisierten Halb-Manager als Kandidaten durchzubringen. der dann -- weil die Gesamtbelegschaft auch die Aufsichtsratsvertreter der Leitenden wählen sollte -- gute Chancen hätte. Nun soll nur noch Kandidat werden dürfen, wer die (in der Regel nicht gewerkschaftlich organisierte) Mehrheit der Leitenden hinter sich hat.

Ob dann die Gruppe der Leitenden (Gruppenwahlrecht) oder die Gesamtbelegschaft aus einem so zusammengestellten Kandidatenangebot auswählt, ist unerheblich -- im Sinne der FDP wird es meist der Richtige sein. Leichten Herzens können die Liberalen so auf das Gruppenwahlrecht verzichten.

Formal wären damit Walter Arendts Bedingungen erfüllt: Der Minister habe, das beteuern seine Vertrauten. stets nur für den Fall mit Rücktritt gedroht, daß die Leitenden ein eigenes Wahlrecht bekämen.

Noch sind Kanzler-Berater unsicher. ob dem Arbeitsminister diese Formalie ausreicht, um die eigene Glaubwürdigkeit zu retten. Der SPD-Fraktionsvorsteher Wehner jedenfalls ist fest entschlossen, noch vor der Sommerpause das neue Mitbestimmungsmodell in der Koalition zu verabschieden. »Es bedarf noch«, sagt ein Wehner-Mitarbeiter. »eines einzigen Spitzengesprächs.

Auf dem Hamburger DGB-Kongreß verkündete Wehner-Helfer Rappe. Vorstandsmitglied der IG Chemie. den Delegierten seiner Gewerkschaft in einem internen Zirkel sogar Genaueres: »In vierzehn Tagen ist alles vorbei.«

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