»Der politische Wille ist entscheidend«
Um das Wettrüsten zu beenden, muß als erster Schritt ein umfassendes Abkommen über einen vollständigen und kontrollierten Entwicklungs-, Test- und Produktionsstopp atomarer Waffen geschlossen werden. Kein anderes Abrüstungsziel war Thema derart umfangreicher internationaler Diskussionen, Studien und Verhandlungen wie der Kernwaffenstopp.
In mehr als drei Dutzend Resolutionen hat die UN-Generalversammlung seit 1957 ein Ende der Atomwaffentests gefordert. Es scheint nun ein Punkt erreicht worden zu sein, an dem die internationale Gemeinschaft der Wissenschaftler die Aufgabe hat, die im politischen Bereich festgefahrenen Verhandlungen voranzutreiben. Denn aus technischer Sicht steht der Überwachung eines Vertrages, der ein vollständiges Verbot aller Kernwaffenversuche festlegt, heute nichts mehr im Wege.
Unterirdische Kernexplosionen sind, wie Erdbeben, Erschütterungen der Erde. Unabhängig von der Ursache breiten sich dabei elastische Wellen aus, die von Seismographen registriert werden können. Die Quelle der Erschütterung wird als Hypozentrum bezeichnet. Die Projektion dieses Punktes auf die Erdoberfläche ist das Epizentrum. Die Graphik auf Seite 119 zeigt diese beiden Punkte zusammen mit einem schematischen Aufbau der Erde.
Unter einer sehr dünnen, lediglich bis zu 50 Kilometer dicken Erdkruste liegt der Erdmantel. Er reicht bis zu 2900 Kilometer Tiefe hinab und ist in seinem unteren Teil wesentlich homogener aufgebaut als die Kruste.
Dieses sehr einfache Bild des Erdaufbaus wurde in den letzten 20 Jahren durch die plattentektonischen Vorstellungen verfeinert. Erdkruste und oberster Erdmantel bilden darin gemeinsam sehr komplex aufgebaute sogenannte Lithosphärenplatten, die auf dem tieferen Erdmantel schwimmen. Erdbeben treten vor allem an den Nähten und Kollisionszonen dieser Platten auf.
Vom Hypozentrum der Erderschütterung gehen zwei Grundtypen von Wellen aus: die Raumwellen und die Oberflächenwellen. Mit Raumwellen werden jene Schwingungen bezeichnet, die sich im Erdinnern ausbreiten, also durch den »Raum der Erdkugel« laufen. Die Oberflächenwellen laufen dagegen entlang der Erdoberfläche.
Die für die hier beschriebene Problematik wichtigen Raumwellentypen breiten sich wie die Schallwellen in der Luft aus. Die Oberflächenwellen sind mit jenen Wellen zu vergleichen, die auf der _(Mitte: der damalige US-Präsident John F. ) _(Kennedy. )
Wasseroberfläche entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Die von den Oberflächenwellen angeregten Schwingungen sorgen bei einem Erdbeben für den größten Schaden.
Seismographen, die Instrumente zur Messung elastischer Wellen, bestehen im Prinzip aus einem schweren Gewicht, das über eine sehr leichte Feder mit dem Erdboden verbunden ist. Beginnt der Erdboden beim Durchgang einer seismischen Welle zu schwingen, macht die Masse (des aufgehängten Gewichtes) auf Grund ihrer Trägheit die Bewegung nicht mit. Die Relativbewegung zwischen der Masse und dem Erdboden läßt sich aufzeichnen; die Registrierungen bezeichnet man als Seismogramme.
Mit drei zueinander senkrecht aufgestellten Seismometern kann man die Bewegung des Bodens vollständig beschreiben. Es werden dabei sowohl die Schwingungen in Nord-Süd-Richtung als auch jene in Ost-West-Richtung sowie die vertikalen Bodenbewegungen aufgezeichnet. Die stärksten Ausschläge im Seismogramm werden bei einem Erdbeben stets von den Oberflächenwellen verursacht (die später eintreffen als die primäre Raumwelle). Bei sehr starken Erdbeben können diese Oberflächenwellen mehrfach die Erde umrunden.
Unterirdische Atomwaffenversuche erzeugen ebenfalls seismische Wellen. Sie sind in ihrer Stärke durchaus mit mittleren Schadenbeben vergleichbar. Will man zwischen den einzelnen Erschütterungsquellen unterscheiden, muß man sich den »Herdvorgang« näher ansehen. Darunter verstehen die Seismologen die Beschreibung der physikalischen Vorgänge im Hypozentrum.
Bei einem Erdbeben bricht das Gestein, weil die tektonische Spannung die sogenannte Scherfestigkeit übersteigt. Der Bruch verläuft entlang einer nahezu ebenen Fläche, die mehrere Kilometer lang sein kann. Bei den großen Erdbeben von Chile (1960) und Alaska (1964) betrug diese sogenannte Bruchlänge sogar einige Hundert Kilometer.
Eine unterirdische Kernexplosion ist dagegen eine »punktförmige Quelle«. Der Atomsprengkopf, bis zu einigen Metern groß, wird bei einem solchen Test in ein Bohrloch versenkt.
Schon zehn Millionstel Sekunden nach der Zündung der Sprengladung steigt die Temperatur am Sprengpunkt auf einige Millionen Grad an. Ein Druck von mehr als 1000 Atmosphären Überdruck baut sich auf. Die freigesetzte Energie verdampft das umgebende Gestein. Es entsteht eine kugelförmige Kaverne von bis zu 30 Meter Durchmesser. In einem Bereich dahinter wird das Gestein durch die Druckwelle der Explosion zertrümmert. Der Radius dieser Region kann, je nach Größe der Sprengladung, bis zu einigen Hundert Metern betragen.
Außerhalb des zerstörten Bereichs entsteht eine elastische Kugelwelle, die sich als primäre Raumwelle im Erdinnern ausbreitet. In ihr ist jedoch, abhängig von der Gesteinsart im Testgebiet, nur ein Bruchteil der Detonationsenergie enthalten. In Festgestein, beispielsweise Granit, wird noch ein Hundertstel der Energie übertragen, in lockere Sedimente, wie Sand oder Schotter, dringt lediglich ein Promille der Explosionsenergie ein.
Die Druckwellen eines natürlichen Erdbebens werden in einem ganz bestimmten Muster (in Form eines Quadrupols) abgestrahlt. Je nachdem, unter welchem Winkel man auf der Erdoberfläche die von einem Erdbeben ausgesandten Wellen registriert, kann man entweder einen Schub von unten (posiviver Seismometerausschlag) oder einem Zug nach unten (negativer Ausschlag) wahrnehmen.
Da sich die Druckwelle einer Kernexplosion hingegen kugelsymmetrisch ausbreitet, erzeugt sie überall einen Schub. Im Seismogramm erhält man also immer einen positiven Ausschlag - eines der Unterscheidungsmerkmale für den Seismologen.
Die charakteristischen Unterschiede in den Aufzeichnungen eines Erdbebens und einer unterirdischen Kernexplosion sieht man in der Graphik auf Seite 121. Der obere Teil der Darstellung zeigt ein Erdbeben in China, aufgezeichnet von der Seismologischen Station Gräfenberg auf der Fränkischen Alb.
Die Aufzeichnung der Erdbebenwellen im oberen Teil der Graphik zeigt deutlich die starken Ausschläge der Oberflächenwellen (in der Graphik rechts). Diese fehlen jedoch im unteren Seismogramm, der Aufzeichnung einer sowjetischen Kernexplosion in Kasachstan.
Die - im Vergleich zu einer Kernexplosion - sehr viel größere Oberflächenwellenmagnitude _(Mathematisch drücken die Seismologen die ) _(Stärke einer Erschütterung in ) _(sogenannten Magnituden, einer ) _(logarithmischen Energieskala, aus. )
bei einem Erdbeben und ihr Verhältnis zur Raumwellenmagnitude liefert also ein scharfes Unterscheidungskriterium zwischen Erdbeben und Kernexplosion. (Die Wissenschaftler sprechen vom Magnitudenverhältnis oder »mb/Ms-Kriterium«.)
Ein anderes Unterscheidungsmerkmal ist für den Fachmann gleichfalls auf der Graphik (Seite 121) erkennbar, nämlich die unterschiedlichen Perioden in den primären Raumwellen bei Beben und Explosionen. Erdbeben strahlen noch bis hin zu sehr langen Perioden viel Energie ab. Nuklearexplosionen besitzen dagegen einen anderen »spektralen Charakter«.
Aus den bisher beschriebenen Unterschieden lassen sich drei physikalische Kriterien herleiten, nach denen man zwischen Erdbeben und nuklearen Explosionen unterscheiden kann: *___das Magnitudenverhältnis ("mb/Ms-Kriterium"); *___die Ausschlagrichtung des Seismometers beim ersten ____Ausschlag des Meßzeigers sowie *___die Form des Raumwellenspektrums. Eine weitere ____Möglichkeit, Beben von Kernexplosionen zu ____unterscheiden, ist die genaue Lokalisierung des ____Hypozentrums. Erdbeben ereignen sich in Tiefen bis zu ____720 Kilometern, unterirdische Kernexplosionen wurden ____bisher in maximal zwei Kilometern Tiefe gezündet. Die ____tiefsten Bohrlöcher reichen heute gerade bis zu zehn ____Kilometern hinab. Stellt man also fest, daß das ____Hypozentrum tiefer als zehn Kilometer liegt, so kann ____man sicher sein, daß es sich nicht um eine ____Kernexplosion handelt.
Ähnliches gilt für das Epizentrum: Befindet es sich weiter als 25 Kilometer von der Küste entfernt im Meer, ist ein
Atomwaffentest ebenfalls auszuschließen. Einerseits sind Versuche im Ozean verboten - alle Atommächte halten sich mittlerweile auch daran -, andererseits lassen sich solche Tests waffentechnisch viel schwieriger auswerten als die auf dem Festland.
Dennoch erfordern die prinzipiell einfachen Unterscheidungsmerkmale einen großen technischen Aufwand. Besonders bei schwachen Ereignissen ist eine Kombination mehrerer Kriterien zur Identifikation notwendig.
Die seismologische Meß- und Interpretationstechnik hat in den letzten Jahren von der Elektronik und den Möglichkeiten der Datenverarbeitung profitiert. Seismometer sind heute viel empfindlicher und genauer als früher. Mit ihnen können noch Bodenbewegungen in der Größenordnung von »Nanometern«, also Millionstel Millimetern, erfaßt werden.
Ihr Auflösungsvermögen wird nicht mehr durch eine unzureichende Technik begrenzt, sondern nur noch durch die Unruhe des Erdbodens. Diese immer vorhandene »Bodenunruhe« wird sowohl durch natürliche (zum Beispiel Wind, Meeresbrandung) als auch durch künstliche Quellen (zum Beispiel Industrie, Verkehr) hervorgerufen.
Die Miniaturisierung der Elektronik trug auch dazu bei, daß jetzt leistungsfähige Bohrlochseismometer zur Verfügung stehen. Bei Messungen in Bohrlöchern geht die kurzperiodische Bodenunruhe drastisch zurück, so daß solche Instrumente auch noch sehr schwache Erschütterungen registrieren können.
Ein Meßnetz von einigen Kilometern Ausdehnung, ein sogenanntes »Array«, senkt ebenso wie empfindlichere Instrumente die Detektionsschwelle für schwache Ereignisse. Wenn mehrere Meßstationen gleichzeitig arbeiten, lassen sich auch noch extrem schwache Signale mit Computerhilfe aus der Bodenunruhe herausfiltern.
Heute sind sogar schon Arrays in Betrieb, die mit Bohrlochseismometern arbeiten. Sie stellen zur Zeit den höchsten technischen Standard dar. Ein sehr leistungsfähiges Array ("Gräfenberg-Array") arbeitet seit März 1980 auf der Fränkischen Alb in der Nähe von Erlangen. Mehrmals betonten Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher vor den Vereinten Nationen, daß diese Station zur Überwachung von Kernexplosionen zur Verfügung stehe.
Das Gräfenberg-Array ist schon jetzt am weltweiten Austausch seismologischer Daten beteiligt, denn nur ein globales Stationsnetz liefert genaue Erdbebenlokalisierungen. Routinemäßig melden die Stationen eine Reihe von Kenndaten aus ihren Seismogrammen an die beiden »Weltdatenzentren« in Moskau und Boulder (US-Bundesstaat Colorado).
Diese Daten werden in den Zentren zu wissenschaftlichen Zwecken ausgewertet. Als Ergebnis erhält man die geographischen Koordinaten des Epizentrums, die Herdtiefe und die Stärke des Erdbebens. Diese Auswertungen gehen an die einzelnen Stationen zurück.
Ein erstes einheitlich ausgerüstetes Netz von Stationen, das sogenannte »World Wide Standard Seismograph Network« (WWSSN), wurde schon Anfang der sechziger Jahre von den Vereinigten Staaten eingerichtet. Eine der Stationen steht in Stuttgart. Die Instrumente wie auch die Registriertechnik entsprechen zwar nicht mehr dem neuesten Stand der Technik, das Netz arbeitet aber immer noch einwandfrei.
Ein modernes digitales Netz seismischer Stationen wurde Mitte der siebziger Jahre ebenfalls von den Amerikanern in 13 Ländern aufgebaut. Die Seismometer sind dabei in Bohrlöcher versenkt. Eine dieser SRO-Stationen (Seismic Research Observatory) arbeitet unabhängig vom Gräfenberg-Array auf der Fränkischen Alb.
Die Mittel für beide Netze stammen aus dem Etat des Pentagon, das damit auch sowjetische Kernexplosionen erkennen möchte. Die Daten beider Stationsnetze werden aber hauptsächlich zu zivilen wissenschaftlichen Zwecken benutzt, sie sind jedem Wissenschaftler zugänglich.
In der jetzigen Verteilung liefert das Netz eine Ortungsgenauigkeit für seismische Ereignisse von etwa 50 Kilometern. Durch Stationsergänzungen _(In der Seismologischen Station ) _(Gräfenberg. )
ließe sich die Genauigkeit auf zehn Kilometer verbessern. Das ist ausreichend, um die bekannten und vermuteten Plätze für unterirdische Kernexplosionen zu orten. Zusammen mit den Orten, über denen im Zweiten Weltkrieg schon Atomwaffen abgeworfen oder zur Erprobung gezündet wurden, bilden sie mittlerweile ein dichtes Netz über der Erde (siehe Graphik Seite 124).
Aus den verfügbaren Daten der bestehenden Seismometernetze stellte das schwedische Hagfors-Observatorium die entdeckten Kernwaffenversuche für 1982 zusammen. Von den insgesamt 55 unterirdischen Versuchen entfielen fünf auf das französische Testgebiet auf dem Mururoa-Atoll im Südpazifik, dem sogenannten »Centre d''Experimentation du Pacifique« (CEP). 19 Atomwaffentests wurden auf dem von den USA und Großbritannien gemeinsam betriebenen Testgelände in Nevada durchgeführt.
In der Sowjet-Union gab es 31 Atomexplosionen. 14mal wurden in Semipalatinsk in Ostkasachstan und einmal auf der Insel Nowaja Semlja, den beiden gewöhnlich für militärische Zwecke benutzten Testarealen, nukleare Explosionen ausgelöst. Die übrigen 16 sowjetischen Sprengungen ereigneten sich in anderen Gebieten. Es ist zu vermuten, daß sie für zivile Zwecke wie zum Beispiel Kavernenbauten zur Speicherung von Erdgas- und Erdölvorräten eingesetzt wurden.
Naturwissenschaftler hatten einen erheblichen Anteil daran, daß zwei Verträge zur atomaren Rüstungskontrolle unterzeichnet wurden. Einer der beiden ist der Antarktis-Vertrag. Die Verhandlungen über dieses Abkommen wurden durch das Internationale Geophysikalische Jahr 1957/1958 in Gang gebracht, das der Erforschung der Antarktis gewidmet war.
In dem Vertrag wurde vereinbart, daß dieser Kontinent nur zu friedlichen Zwecken erforscht werden darf und insbesondere atomare Testsprengungen und die Einlagerung nuklearer Abfälle verboten sind.
Mut zu deutlichem Engagement als Naturwissenschaftler macht auch der Erfolg, den der amerikanische Chemiker und Nobelpreisträger Linus Pauling im Januar 1957 hatte. Damals übergab Pauling eine von mehr als 9000 Wissenschaftlern aus 43 Ländern unterzeichnete Erklärung an den Uno-Generalsekretär. In ihr wurde wegen der akuten Gefahr der radioaktiven Verseuchung der Erde durch den Fallout oberirdischer Kernwaffentests der sofortige Stopp aller Atombombenversuche gefordert.
Das war ein wichtiger Anstoß zu Verhandlungen zwischen den Supermächten. Am 5. August 1963 wurde der Vertrag über das Verbot von Kernwaffentests im Weltraum, in der Atmosphäre und unter Wasser, der sogenannte »Partial Test Ban Treaty« (PTBT) von den USA, der UdSSR und Großbritannien unterzeichnet. Dieses Abkommen bannte zwar die Gefahr duch den radioaktiven Fallout, es war jedoch nur ein Teilerfolg.
Der Vertrag ist bis heute von 112 Staaten, darunter auch von der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, unterzeichnet worden, doch die beiden Atommächte Frankreich und China verweigerten ihren Beitritt und testeten auch später noch Kernwaffen oberirdisch. Die entscheidende Schwäche des Abkommens ist, daß es unterirdische Atombombentests ausklammert. So wurde die Weiterentwicklung der Atomwaffen kaum behindert.
Seit 1945 sind etwa 1400 Atomexplosionen von China, Frankreich, Großbritannien, Indien, der Sowjet-Union und den USA ausgelöst worden. Die meisten Explosionen waren Waffentests.
Eine auffallende Pause bei den Atomwaffentests gab es von 1958 bis 1961. Während dieser Zeit wurde intensiv über ein Teststopp-Abkommen verhandelt. Freiwillig verzichteten Großbritannien, die UdSSR und die USA auf Tests. Als ein Vertrag in Sicht war, zündete Frankreich seine erste Atombombe. Außerdem änderte der Abschuß eines amerikanischen Spionage-Flugzeugs über der Sowjet-Union ("U-2-Affäre") schlagartig die politische Atmosphäre. Die UdSSR reagierte mit der oberirdischen Detonation einer 58-Megatonnen-Atombombe, der größten Ladungsstärke, die jemals gezündet wurde. Die einmalige Chance, aus einer freiwilligen Testpause direkt zu einem Teststopp-Abkommen zu kommen, war dahin.
Als die Gespräche während der Amtszeit des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy wiederaufgenommen wurden, stand die Kontrollfrage im Mittelpunkt. Die USA bestanden zur Überprüfung eines Vertrages bei unterirdischen Tests auf Ortsbesichtigungen in einem Umfang, der von der Sowjet-Union abgelehnt wurde. Daher einigte man sich auf die Teillösung, den PTBT.
Die Zahl der Tests nahm nach der Unterzeichnug dieses Abkommens nicht ab. Der Vertrag führte nur dazu, daß die Versuche unter die Erde verlegt wurden. Die Abnahme der Ladungsstärken wird hauptsächlich auf die verbesserte Zielgenauigkeit der Trägersysteme zurückgeführt. Wir folgern daraus, daß nur ein vollständiger Stopp aller, auch der unterirdischen, Kernwaffentests einen wirkungsvollen Schritt zur Reduktion der Atomwaffenentwicklung darstellt.
Unterirdische Tests wurden beim Abschluß des PTBT nicht berücksichtigt, weil Zweifel an der Möglichkeit einer zuverlässigen Überprüfung herrschten. In der Machtkonstellation unserer Welt, die gekennzeichnet ist von einem labilen Gleichgewicht des Schreckens, setzt aber eine wirkliche Rüstungsbegrenzung eine zuverlässige Kontrolle voraus.
Unterirdische Kernexplosionen können am ehesten durch ein globales Netz seismischer Stationen überwacht werden. Die Aufgabe dieses Netzes bestünde einerseits darin, heimliche Kernexplosionen aufzuspüren (Detektion). Vor allem müßten sie von den rund 10 000 natürlichen Erdbeben, die alljährlich mit ähnlicher Magnitude auftreten, unterschieden werden (Identifikation). Dieser Herausforderung war die Seismologie 1963 noch nicht gewachsen.
Heute stellt die Kontrollfrage keinen ernsthaften Hinderungsgrund für einen vollständigen Kernwaffen-Teststopp dar: Mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten können auch Explosionen von verhältnismäßig geringer Ladungsstärke zuverlässig entdeckt werden.
Das ist das Ergebnis einiger hundert wissenschaftlich-technischer Veröffentlichungen
zur seismischen Überprüfbarkeit eines umfassenden Teststopps. Die Expertengruppe, die das Problem im Auftrag der Genfer Abrüstungkonferenz ab 1976 untersucht hat, kommt zu dem gleichen Schluß.
In einer der Genfer Abrüstungskonferenz im Jahre 1978 vorgelegten Studie wird zur Überwachung ein modernes Seismometernetz mit ungefähr 50 Stationen vorgeschlagen.
Ein solches System könnte jedes seismische Ereignis, das stärker als Magnitude 4 ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit entdecken. Für unterirdische Kernexplosionen entspricht das einer Ladungsstärke von einer Kilotonne TNT, gezündet in Festgestein. (Die Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki hatten je eine Sprengkraft von 15 bis 20 Kilotonnen TNT.)
Neben dem globalen Seismometernetz, das durch ein Datenübertragungssystem, wie es etwa der Weltwetterdienst betreibt, verknüpft ist, würden ein oder mehrere internationale Datenzentren zu dem System gehören. Wie die schon existierenden wissenschaftlichen Zentren würden sie die Meldungen der seismischen Stationen sammeln, daraus die Hypozentren der seismischen Ereignisse ermitteln und die Ergebnisse an alle Teilnehmerstaaten zurückmelden.
Die wichtigsten technischen Probleme von politischer Bedeutung, die einem Vertrag entgegenstehen, betreffen die Erkennung von Täuschungsmanövern, die Einbeziehung von Ortsinspektionen zur Verbesserung der seismischen Verifikation und die Behandlung von Kernexplosionen zu zivilen Zwecken. Häufig sind Möglichkeiten diskutiert worden, wie verhindert werden kann, daß das Abkommen technisch unterlaufen wird.
Als Täuschungsmanöver können seismische Signale von unterirdischen Kernexplosionen unter die Entdeckungsschwelle gedrückt werden. Durch eine geschickte Sprengfolge ließe sich ein Erdbeben vortäuschen. Jedes Überwachungssystem hat eine Entdeckungsgrenze, darunter sind seismische Signale so schwach, daß sie im Hintergrundrauschen der Bodenunruhe verborgen bleiben.
Die Ladungsstärke, die dieser Entdeckungsschwelle entspricht, hängt vom Umgebungsgestein und der Dimension der Sprengkammern ab, in der die Explosion gezündet wird. Seismische Signale von Sprengungen in trockenen, jungen Sedimentgesteinen haben bis zu zehnfach schwächere Amplituden als Sprengungen gleicher Ladungsstärke in kristallinem Festgestein.
Um Atomtests zu verheimlichen, muß die Entdeckung der seismischen Wellen vermieden werden. Es dürfen aber andererseits auch keine radioaktiven Stoffe entweichen, und die weiche Erdoberfläche darf nicht einstürzen. Aus geologischen Gründen müßten solche Täuschungsmanöver auf Ladungen von wenigen Kilotonnen beschränkt bleiben.
Eine andere Möglichkeit, seismische Wellen einer unterirdischen Explosion zu schwächen, besteht darin, sie in einer großen Sprengkammer auszulösen. Eine Explosion gilt dabei als völlig »entkoppelt«, wenn ihre Stoßwellen an der Kammerwand nur eine elastische Deformation hervorrufen, das Gestein also nicht zertrümmert wird.
Um eine Explosion von fünf Kilotonnen TNT Sprengkraft völlig zu entkoppeln, damit ihre seismischen Signale unter die Entdeckungsschwelle fallen, ist eine kugelförmige Sprengkammer mit einem Durchmesser von 100 Metern in einer Tiefe von 800 Metern notwendig.
Salzstöcke werden dazu als geeignete Sprengorte betrachtet. Man müßte aber mehr als 500 000 Kubikmeter Salzgestein aus der Tiefe herausholen, das sind mehr als eine Million Tonnen, ein Arbeitsaufwand, der mehrere Jahre erfordern würde. Unverfestigte Sedimente großer Mächtigkeit und Salzstockvorkommen sind an wenigen geeigneten Stellen der Erde zugänglich. Diese Gebiete können mit lokalen seismischen Meßnetzen genau beobachtet werden.
Die Simulation eines Erdbebens durch Mehrfachsprengungen und das Verstecken einer schwachen unterirdischen _(In den Yucca Flats, US-Staat Nevada. )
Kernexplosion in starken Erdbebenwellen sind weitere mögliche Täuschungsmanöver. Beide Techniken sind bisher praktisch nicht erprobt worden. Berechnungen und Modellversuche haben aber ergeben, daß die Daten eines weltweiten Seismometernetzes diese Täuschungsmanöver entlarven würden.
Neben den seismischen Verfahren sind auch andere Verifikationsmethoden vorgeschlagen worden. Vor allem die USA haben Ortsinspektionen für notwendig gehalten. Die UdSSR hielt dagegen nationale Überwachungstechniken für ausreichend. Diese prinzipielle Meinungsverschiedenheit besteht fort, wobei weder die UdSSR klar ausgeführt hat, was sie unter nationalen Überwachungstechniken im einzelnen versteht, noch die USA den technischen Vorteil von Ortsinspektionen gezeigt haben.
Ortsinspektionen können die Entdeckungsmöglichkeiten eines Überwachungssystems nicht erhöhen. Sie können allenfalls das Vertrauen in die seismische Identifikation verbessern, indem der Boden radiochemisch analysiert wird oder logistische Vorkehrungen für einen Test festgestellt werden. Jedenfalls ist die Notwendigkeit von Ortsinspektionen allein mit technischen Argumenten schwer zu begründen.
Unterirdische Kernexplosionen können auch bei industriellen Großprojekten wie Kavernen-, Tunnel- und Dammbauten zu nichtmilitärischen Zwecken eingesetzt werden. Testexplosionen dazu gab es sowohl in den USA als auch in größerem Umfang in der UdSSR. Auch der indische Atomtest 1974 diente, nach offiziellen Angaben, zivilen Zwecken. Umweltfragen und ökonomische Probleme haben in den USA das Interesse an solchen Peaceful Nuclear Explosions (PNE) stark vermindert. In den UdSSR scheint es jedoch weiter zu bestehen.
Es ist schwierig auszuschließen, daß nicht doch militärisch nutzbare Erkenntnisse aus solchen Kernexplosionen gezogen werden könnten, die offiziell zivilen Zwecken dienen. Um eine Überwachung zu gewährleisten, müßten Kernsprengungen für zivile Zwecke im Rahmen eines umfassenden Teststopp-Abkommens sehr genau nach Ladungsstärke, Typ und Kernmaterial beschrieben werden. Vor-Ort-Untersuchungen und radiochemische Analysen unter internationaler Aufsicht wären erforderlich.
Der beschriebene technische Kenntnisstand über die Möglichkeiten einer internationalen Überwachung ist in einem Entwurf für einen umfassenden Teststopp zusammengefaßt, den die Schweden im Juni 1983 der UN-Abrüstungskonferenz vorgelegt haben.
»Die Unterzeichneten«, heißt es im Entwurf der Präambel, »erklären ihre Absicht, das nukleare Wettrüsten alsbald zu beenden und wirksame Maßnahmen zur atomaren Abrüstung zu unternehmen, und fordern alle Staaten zur Mitarbeit zur Erreichung dieses Ziels auf.« In einem Protokoll sind die technischen Überwachungsmaßnahmen detailliert aufgeführt, wie sie hier beschrieben wurden.
So zeigt auch der schwedische Entwurf, daß alle technischen Fragen im Zusammenhang mit der Verifikation eines vollständigen Teststopps lösbar und vertraglich zu konkretisieren sind.
Auf dieser Grundlage kann ein wirksames Atomwaffentestverbot unverzüglich in Kraft treten, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. _(Bei einer Demonstration gegen Atomtests. )
[Grafiktext]
Aufbau der Erde und Wege der Erschütterungswellen (schematisch) OBERFLÄCHENWELLEN RAUMWELLEN Epizentrum Hypozentrum Seismograph Kruste Mantel äußerer Kern innerer Kern Erdbeben und Kernexplosionen Charakteristische Unterschiede im seismischen Erscheinungsbild RAUMWELLEN OBERFLÄCHENWELLEN Erdbeben in China - 19. 1. 1977 h. m. Minuten Kernexplosion in Kasachstan - 30. 11. 1977 h. m. Minuten Testgebiete für Atomwaffen UdSSR Frankreich USA Großbritannien Volksrepublik China Indien Amchitka-Insel USA Colorado Nevada Mississipi West-Küste New Mexiko Johnston-Insel Weihnachts-Inseln Ost-Pazifik CEP-Testzentrum im Pazifik (Mururoa und Fangataufa) Nowaja Semlja Großbritannien Frankreich Sahara Süd-Atlantik Ural UdSSR Semipalatinsk Lop Nor Volksrepublik China Indien Monte-Bello-Inseln Maralinga Emu Field Atombombenabwürfe 1945: Hiroschima, Nagasaki Bikini- und Eniwetok-Inseln
[GrafiktextEnde]
Mitte: der damalige US-Präsident John F. Kennedy.Mathematisch drücken die Seismologen die Stärke einer Erschütterungin sogenannten Magnituden, einer logarithmischen Energieskala, aus.In der Seismologischen Station Gräfenberg.In den Yucca Flats, US-Staat Nevada.Bei einer Demonstration gegen Atomtests.