»Der Preiskrieg ist offiziell ausgebrochen«
Margaret Thatcher, Regierungschefin des Vereinigten Königreichs, hielt sich an die Regieanweisungen der mächtigsten Öl-Monarchie der Welt. Die Briten senkten, wie von dem saudiarabischen Ölminister Ahmed Saki el-Jamani dreieinhalb Wochen zuvor angesagt, am Freitag der vorvergangenen Woche den Preis für ihr Nordsee-Öl um drei Dollar.
Statt 33,50 Dollar kostet ein Barrel (159 Liter) Briten-Öl nun nur noch 30,50 Dollar - und liegt damit 3,50 Dollar unter dem Preis für Saudi-Öl. Nach dem Plan Jamanis sollte der Außenseiter Großbritannien damit ein Signal für eine etwa gleich große Preissenkung der Opec-Staaten setzen.
Doch es kam anders, als Jamani geplant hatte. Die Preise gerieten stärker ins Rutschen, als der Saudi und seine Verbündeten im Kartell hinnehmen wollten. Verzweifelt mühten sich die besonnenen Mitglieder des Ölkartells vergangene Woche um eine einheitliche Politik, aber der Preiskampf jeder gegen jeden scheint kaum noch vermeidbar.
Für die Opec könnte es das Ende bedeuten. Ökonomen in aller Welt dagegen hoffen auf billigere Energie und damit Auftrieb für die Konjunktur.
Schon einen Tag nach der Bekanntgabe des neuen britischen Ölpreises hatte sich ein Opec-Land nicht mehr um die Kartell-Strategie des saudischen Ölministers geschert. Die Nigerianer verbilligten ihr Öl weit stärker als die Briten. Ihr Öl, das bislang 35,50 Dollar gekostet hatte, wird jetzt schon für 30 Dollar angeboten.
Jamani und seine Mitstreiter im Kartell sahen den Alleingang der Nigerianer als offene Kampfansage an. »Die haben jedes Recht verwirkt«, zürnte der kuweitische Ölminister Scheich Ali Chalifa el-Sabah, »noch über Opec-Preise mitzureden.«
Doch schreckte die Opec-Majorität vergangene Woche noch davor zurück, den Vorstoß der Westafrikaner durch einen ebenso großen oder gar durch einen noch größeren Preis-Abschlag zu kontern. Nach mehrtägigen Beratungen in Riad beschlossen die wichtigsten Förderländer in der vergangenen Woche, sich mit den Nigerianern und anderen Kartell-Sündern wie den Iranern und Libyern noch einmal an den Konferenztisch zu setzen.
Auf einem Opec-Treffen in dieser Woche, dem dritten in zweieinhalb Monaten, wollen die Linientreuen im Kartell ein letztes Mal versuchen, zu verbindlichen Preis- und Produktionsabsprachen mit den Abweichlern zu kommen. »Wir haben genügend Gewicht und Kraft«, drohte Jamani vergangene Woche. »Die anderen müssen zweimal nachdenken, ehe sie einen Preiskrieg gegen uns führen.«
In den Industrieländern rechnen die meisten Fachleute jedoch kaum damit, daß es Ölländern tatsächlich gelingen wird, den von Nigeria ausgelösten Preisrutsch abzufangen. »Der Ölpreiskrieg«, meint Rudolf v. Bennigsen-Foerder, Chef des deutschen Mineralölkonzerns Veba, »ist jetzt offiziell ausgebrochen.«
Die New Yorker Chase Manhattan Bank präsentierte vergangene Woche sogar schon drei Studien, in denen die Folgen einer Ölpreissenkung auf 26 Dollar durchgerechnet werden. Nach dem starken Preisabschlag der Nigerianer hat auch die Schar der Petro-Propheten zugenommen, die den Ölpreis auf 20 Dollar oder gar noch weiter stürzen sehen.
Denn es sind längst nicht mehr die Opec-Herren, die den Preis für den wichtigsten Schmierstoff der industrialisierten Welt festsetzen. Es sind die Käufer, die jetzt bestimmen können, zu welchem Preis sie sich mit Öl eindecken.
In den goldenen Jahren des Kartells von 1979/80 hatte allein die Angst der Opec-Kunden vor künftiger Ölknappheit den Preis binnen kurzem von 13 auf über 30 Dollar je Faß hochgetrieben. Umgekehrt hat nun die Zurückhaltung der Ölkäufer, die alle auf niedrigere Preise warten, dazu geführt, daß diese tatsächlich auf Talfahrt gehen: Auf den freien S.121 Ölmärkten war das Barrel Nordsee-Öl vergangene Woche schon für 27,50 Dollar zu haben.
Und so wie einst die Ölteuerung den Verbrauch von Benzin und Heizöl erst nach längerer Zeit gedrosselt hatte, werden nun die sinkenden Preise den Absatz auch erst mit starker Verzögerung anheben. Was die Opec beim Preis verliert, kann sie zunächst über höhere Mengen nicht wieder hereinholen.
Das Kartell ist inzwischen viel zu schwach, um die Mengen knapp und die Preise hoch zu halten. Weil die Käufer ausblieben, mußte die Produktion bereits so stark zurückgenommen werden, daß etliche Ölländer am Rand des Bankrotts jonglieren.
Venezuela etwa führte vergangene Woche Devisenkontrollen ein, um den raschen Abfluß der Währungsreserven zu unterbinden. In Indonesien schlitterte die staatliche Ölgesellschaft Pertamina in finanzielle Schwierigkeiten. Die Libyer, die den Opec-Preis bereits seit längerem durch heimliche Rabatte unterlaufen, gerieten bei der Begleichung ihrer Import-Rechnungen in Milliarden-Rückstand.
Das schwächste Glied in der Opec-Kette ist derzeit Nigeria. Durch den Rückgang der Produktion auf nur noch 460 000 Barrel täglich (Förder-Kapazität: 2,4 Millionen Barrel) schmolzen die Währungsreserven so rasch dahin, daß die Westafrikaner ihre Einfuhren auf die Hälfte drosseln mußten. Der potentiell reichste schwarzafrikanische Staat jagte Millionen Zuwanderer aus den Nachbarländern erbarmungslos über die Grenzen zurück, weil diese angeblich schuld an der Wirtschaftsmisere seien.
Wie allgemein erwartet, waren es denn auch die Nigerianer, die als erste offen aus der Preisfront des Kartells ausbrachen. Die Saudi-Araber hatten zwar den Alleingang der Westafrikaner durch Hilfszusagen zu verhindern versucht. Aber auch die Mittel des weitaus reichsten Opec-Landes sind nicht unerschöpflich.
Saudi-Arabien kann gegenwärtig nur noch so wenig Öl absetzen, daß es in diesem Jahr mit einem Leistungsbilanz-Defizit rechnen muß. Zudem reicht in dem Land, ebenso wie in Kuweit, das als Nebenprodukt bei der Ölförderung anfallende Gas nicht einmal mehr für die Versorgung der heimischen Elektrizitätswerke, Meerwasser-Entsalzungsanlagen und Industriebetriebe aus.
In den Industrieländern dagegen jubeln die Ökonomen bereits über die vermeintlich günstigen Folgen der Ölpreis-Wende. Die japanische Regierung errechnete beispielsweise, daß durch eine Ölpreis-Senkung von zehn Prozent das Wachstum der japanischen Wirtschaft in den nächsten Jahren um 0,2 bis 0,7 Prozent beschleunigt wird.
Auch nach Ansicht des Bonner Wirtschaftsministeriums wirkt ein niedrigerer Ölpreis wie ein »kostenloses Konjunkturprogramm«. Ein Opec-Richtpreis von 30 Dollar, so kalkulierten die Volkswirte Otto Graf Lambsdorffs durch, bringe der bundesdeutschen Wirtschaft in diesem Jahr 0,3 Prozent mehr Wachstum.
Zudem wird die deutsche Ölrechnung (bei einem Dollarkurs von 2,42 Mark) um sieben Milliarden Mark jährlich verringert. Die Inflationsrate in den Industrieländern nimmt nach Bonner Rechnung um 0,5 bis 1,1 Prozentpunkte ab.
Nur Bankiers und Ölmanager in den USA und in Westeuropa können sich über niedrigere Ölpreise nicht so recht freuen. Die Banken bangen um die Milliarden-Kredite, die sie im Vertrauen auf ständig steigende Ölpreise an Ölexportländer wie Mexiko, Venezuela und Nigeria gegeben haben.
Diese Staaten sind allein schon dadurch in arge Zahlungsnot geraten, daß die Ölpreise in den vergangenen beiden Jahren nicht mehr stiegen, sondern schon leicht zurückgingen. Kaum möglich scheint daher, daß sie nun einen Preissturz ohne Staatsbankrott oder weitere Milliarden-Spritzen der Kreditgeber überstehen werden.
Der zunehmende Verfall des Opec-Kartells, so meint die Chase Manhattan Bank, wird auch die Ölgesellschaften treffen. Bei einem Preisrückgang von acht Dollar je Barrel würden die Firmen in den Jahren bis 1990 rund ein Drittel weniger Gewinn erzielen.
Denn bei niedrigeren Opec-Preisen läßt sich auch mit dem Öl, das aus konzerneigenen Quellen gefördert wird, S.123 nicht mehr soviel verdienen. Die sogenannten Windfall-Profite werden sinken.
Margaret Thatcher hatte das offenbar richtig vorausgesehen. Noch rechtzeitig vor dem Preis-Rutsch hatte sie im vergangenen Herbst einen Teil des britischen Nordsee-Öls privatisiert.
Die Aktien, die damals verkauft wurden, sind heute nicht einmal mehr die Hälfte wert.