MALTA Der Quirl
Der Regierungschef eines winzigen Landes stahl den Chefs großer Länder die Zeit. Er sorgte für ein turbulentes Finale der Genfer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die fast zwei Jahre lang dahingetagt hatte.
Die 35 Delegationen aller europäischen Staaten (ausgenommen Albanien), Kanadas und der USA kamen nicht zum Schluß, weil Dominic ("Dom") Mintoff, Premier von Malta (300 000 Einwohner), das Genfer Protokoll mit einem Passus über Sicherheit und Zusammenarbeit aller Mittelmeerländer anreichern wollte -- auch Anrainer außerhalb Europas sollten mitarbeiten.
Damit verzögerte Mintoff die Terminierung der KSZE-Schlußzeremonie in Helsinki um ganze vier Tage, denn die Konferenz muß auch auf die kleinste Stimme Rücksicht nehmen.
Am zornigsten reagierte die große Stimme Moskaus, das die KSZE schon viel länger -- monatelang -- verschleppt hatte, ehe Kompromisse mit dem Westen möglich wurden. Jetzt bezichtigten die Sowjets Malta einer »Erpressung der 34 anderen Länder«.
Dom Mintoff, 58, kam wieder weltweit ins Gerede. Das ist der mit Oxforder akademischen Titeln versehene Ingenieur, Architekt und Sozialdemokrat gewohnt, seit er 1955 erstmals Regierungschef seiner als britischer Flottenstützpunkt wichtigen, sonst aber unterentwickelten Insel wurde.
Erst wollte er die britische Kronkolonie Großbritannien eingliedern, dann strebte er die Unabhängigkeit an, die London -- Mintoff war abgewählt worden -- 1964 auch gewährte, mit einem zehnjährigen Stützpunktvertrag gegen 42 Millionen Mark Jahresmiete, die durch Pfund-Krisen schnell entwertet wurden. Malta gewährte dem Nato-Hauptquartier »Seestreitkräfte Mittelmeer« Gastrecht, doch Maltas Antrag auf Mitgliedschaft lehnte die Nato ab.
1971 war Mintoff wieder Premier und sorgte wieder für Aufsehen: Er wies den italienischen Nato-Admiral Birindelli aus, verbat sich Besuche der US-Mittelmeerflotte und erklärte den Stützpunktvertrag mit England für ungültig. Briten-Premier Heath bot ihm 80 Millionen Mark Miete pro Jahr, Mintoff verlangte 150 und forderte schließlich London ultimativ zur Räumung der Insel auf.
London begann zu räumen -- doch 1972 einigte man sich auf eine Jahrespacht von 116 Millionen Mark. Ein gutes Drittel dieser Summe zahlt England, für den Rest kommen andere Nato-Staaten auf.
Zum Erfolg solcher Aktionen Mintoffs trugen seine zeitlich genau gezielten Auslandsreisen bei: Ende 1971 zu Libyens Oberst Gaddafi -- der Malta, wo man eine Art Arabisch spricht, angeblich mit Subventionen an die arabische Welt binden wollte, oder im April 1972 zu Mao (Peking: »Das Mittelmeer gehört den Mittelmeerländern") und abermals zu Gaddafi.
Um diese Schaukelpolitik auszutarieren, reisten Regierungsdelegationen aus China und Japan, dem Ostblock und mehreren Nato-Ländern auf Mintoffs Insel. Bonn zahlt inzwischen eine Kapitalhilfe von 32 Millionen plus technischer Hilfe von drei Millionen Mark.
Quirl Mintoff rührte nur weiter in der großen Politik. Schon beim KSZE-Außenministertreffen in Helsinki 1973 eckte er mit seiner Forderung an, die arabischen Mittelmeerländer einzubeziehen. Damals versuchten die Sowjets zum erstenmal, Malta von der Europa-Konferenz einfach auszuschließen -- wie vorletzte Woche wieder.
Jetzt wie damals ließ sich der Malteser Einzelgänger von Moskau nicht schrecken, und auch Beschwörungen von seiten der Finnen, der Gastgeber des KSZE-Schlußaktes, stimmten Dom Mintoff nicht um. Zeitweilig war er auf Malta einfach nicht zu erreichen, es hieß, er habe sich schlafengelegt, sei ausgeritten, baden gefahren, speise gerade -- fern vom Telephon.
Doch im Genfer Protokoll steht nun, daß die KSZE-Staaten beabsichtigen, unter Einschluß »aller« Mittelmeerländer für Frieden, Zusammenarbeit und Streitkräfte-Abbau in dieser Region zu wirken. Dom Mintoff, der Querulant, hat den Wert des wichtigsten Konferenz- Prinzips vorgeführt: die Einstimmigkeit aller Beschlüsse.