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DDR Der rechte Pfosten

Westdeutsche DDR-Forscher liegen in Fehde, Bonner Subventionen und politischer Ansichten wegen. Die Gründung einer konservativen Gesellschaft verschärft die Polarisierung.
aus DER SPIEGEL 20/1978

Sorge ums rechte Deutschland-Verständnis trieb sechzehn Herren und eine Dame unlängst nach West-Berlin: Gerade noch rechtzeitig vor der in dieser Woche in Bergisch Gladbach stattfindenden Jahrestagung der westdeutschen DDR-Forscher gründeten sie in einem Hinterzimmer, hundert Meter von der Mauer und vom Ost-Berliner »Haus der Ministerien« entfernt, eine »Gesellschaft für Deutschlandforschung«.

Bereits der Ort des Gründungstreffs -- das »Deutschlandhaus« -- zeugte vom Sinn der Veranstalter für gesamtdeutsche Symbolik, denn neben dem Portal prangen die Firmenschilder zahlreicher einschlägiger Organisationen: Der »Bund der Mitteldeutschen« ist dort ebenso zu Hause wie der »Zentralverband politischer Flüchtlinge und Ostgeschädigter e. V.«, die »Deutsche Jugend des Ostens«, ein »Verband der heimatvertriebenen Wirtschaft« und, obenan, eine »Interessengemeinschaft der in der Zone enteigneten Betriebe«.

So tritt denn auch die in dieser Herberge gezeugte »Selbstorganisation der DDR-Forscher«, wie der Mitbegründer und frischgebackene Vorsitzende Siegfried Mampel, 64, seine Gesellschaft versteht, »im Bewußtsein der offenen deutschen Frage« an. Wer auf diese Formel nicht zu schwören vermöge, grenzte Mampel sich und seinen Verein bei der Diskussion über die entsprechende Satzungspassage ab, »wer die deutsche Frage nicht mehr für offen hält, also gewissermaßen auf DDR-Standpunkt steht, also der natürlich, wissen Sie, der kann natürlich nicht ...«

Doch die in Sprachlosigkeit endende Abwehr-Tirade erwies sich als überflüssig. Zur Gründung waren ohnehin nur Rechtgläubige erschienen, etwa der Kölner Völkerrechtler Jens Hacker und der emeritierte Volkswirtschaftler Karl C. Thalheim -- beides von der CDU gern geladene Sachverständige beim letzten Hearing des innerdeutschen Bundestagsausschusses.

Ebenfalls mit von der Partie: der West-Berliner Historiker Professor Georg Kotowski« einst CDU-Bundestagsabgeordneter, und Ministerialdirektor Hermann Kreutzer, Berliner Abteilungsleiter des Innerdeutschen Ministeriums und, so ein Bonner Kreutzer-Kollege, »seit Jahren rechter Begrenzungspfosten der SPD«.

Jurist Mampel, der auf der letzten DDR-Forschertagung im Mai 1977 eigenhändig ein gerade erworbenes »Prof.« in Teilnehmerliste und Namensschild hineinkorrigieren konnte, zog bundesweite Bilanz: 31 Hochschullehrer und 39 wissenschaftliche Mitarbeiter hätten inzwischen Beitrittsbereitschaft erkennen lassen sowie »vierzehn sonstige Persönlichkeiten«.

Ursprünglich hatte die Gesellschaftsgründung schon vor einem halben Jahr stattfinden sollen. Damals jedoch legte sieh Egon Frankes Deutschland-Ministerium quer und qualifizierte die Initiative der zumeist konservativ gesonnenen Wissenschaftler als bedauerlichen »Alleingang«.

Zahlreiche DDR-Forscher reagierten ähnlich. So erinnerte der West-Berliner Rechts-Professor Herwig Roggemann den Kollegen Mampel daran. daß »die Frage, wie offen die deutsche Frage sei, ihrerseits selbst offen und jedenfalls umstritten« ist. Und Politologe Hartmut Zimmermann, am Zentralinstitut der Berliner Freien Universität für den Arbeitsbereich DDR-Forschung zuständig, gab zu bedenken. daß »jede straffere organisatorische Zusammenfassung« die unter DDR-Forschern ohnehin »bereits vorhandenen Konkurrenzen, Gegensätze und Spannungen verstärken muß«.

Ablehnung gegenüber dem Berliner »Fraktions-Unternehmen« äußerte auch der Münchner Sozialforscher Peter Christian Ludz, prominentester westdeutscher DDR-Kenner, dreimaliger »Materialien«-Sammler »zur Lage der Nation« und Leiter eines Wissenschaftler-Gremiums, das Egon Franke erst Mitte März mit einem dickleibigen Gutachten zum Stand der DDR-Forschung versorgte. »Die meisten, die in der DDR- und Deutschlandforschung einen Namen haben«, so prophezeite Ludz bereits Ende vergangenen Jahres, »werden nicht kommen.«

Sie kamen wirklich nicht. Nur zwei der 21 Mitglieder des Ludz-Arbeitskreises mochten sich zum Mittun bei Mampel entschließen, obwohl mancher mit dem Primus Ludz auch nicht mehr ganz glücklich ist.

Gründe für diese Vertrauens-Trübung gibt es viele: So beklagten sich einige Wissenschaftler über Ludz' »autoritär-eitlen Führungsstil« während der dreijährigen Zusammenarbeit, andere verübeln ihm, daß die der Öffentlichkeit vorgestellten »Ergebnisse und Empfehlungen« aus dem Gutachten »zum Stand der DDR- und vergleichenden Deutschlandforschung« auf dem Deckblatt nur noch einen Namen trugen -- Peter C. Ludz.

Einerseits hatte Ludz schon vor Jahren beklagt, der wissenschaftlichen Arbeit ginge erhebliche Effizienz durch »Konkurrenzkämpfe zwischen den DDR-Forschern« verloren. Andererseits gewann er schon früh jene finanziell interessante Konkurrenz um die wissenschaftliche Belieferung der seit 1969 in Bonn regierenden sozialliberalen Ost- und Deutschlandpolitiker.

Als vor zwei Jahren, mit Minister-Vorwort und unter Ludz-Leitung erstellt, ein neues »DDR Handbuch« erschien, artikulierte sich allenthalben erste Kritik der »Ludz-Geschädigten«, wie die spöttische Zunft-Bezeichnung für die Mampelsche Sammlungsbewegung seitdem lautet. So monierte beispielsweise »Zeit«-Korrespondent Joachim Nawrocki, inzwischen Vorständler der neuen Gesellschaft, die »systemimmanente Methode« der Fleißarbeit, die auf knapp tausend Seiten zwischen den Stichworten »Arbeiter- und Bauern-Fakultät« und »Zwei-Staaten-Theorie« das Wichtigste über die DDR-Wirklichkeit versammelt.

Nawrocki fuhr schwerstes Geschütz auf: Häufig sei die »Kritikfähigkeit« in dem Handbuch »völlig auf der Strecke« geblieben. Unter dem Stichwort »Marxismus-Leninismus« etwa würde lediglich »die Lehrmeinung der Moskauer Schule« wiedergegeben.

Solche und ähnliche Vorwürfe stehen nicht nur für persönliche Eifersüchte; sie sind zugleich symptomatisch dafür, wo und wie die Fronten zwischen westdeutschen DDR-Forschern verlaufen: Die Veteranen aus der Totalitarismus-Schule »rot gleich braun« beschuldigen die meist jüngeren, systemimmanent forschenden (Branchenjargon: »Immanzen"), sie gingen immerzu der SED-Propaganda auf den Leim, wenn sie nicht überhaupt selbst verkappte Kommunisten seien.

Die Angegriffenen kontern. eine solche Argumentation wolle die DDR-Forschung wieder in den Kalten Krieg zurückdrängen: Statt vorurteilsloser Analyse produzierten die rechten Forscherkollegen in Wahrheit wissenschaftlich verbrämte Kampfschriften gegen die DDR.

Tatsächlich kommt bundesdeutsche DDR-Forschung aus eben dieser Tradition. Noch Jahre nach Kriegsende handelte sie über den zweiten deutschen Staat wie über eine historische Panne, die mit politischen Bordmitteln bald behoben werden könnte. So sah der 1962 beim damaligen Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen installierte »Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands« noch nach dem Bau der Berliner Mauer seine vornehmste Aufgabe darin, »im Wirtschaftlichen wie im Sozialen die Wiedervereinigung Deutschlands gedanklich vorzubereiten«.

Erst vor drei Jahren wurde der längst zum Anachronismus gewordene Beirat aufgelöst. Lediglich eine Forschungsstelle »für gesamtdeutsche, wirtschaftliebe und soziale Fragen« blieb in West-Berlin bestehen unter Leitung von Professor Thalheim, der nun gleich zwei seiner Mitarbeiter in Mampels Gründerkreis mitbrachte.

Immerhin hat Bonns innerdeutsche Verwaltung von 1970 bis 1976 rund 18 Millionen Mark an Förderungsmitteln für die DDR-Forschung ausgeworfen. Knapp zweieinhalb Millionen Mark waren es allein im vergangenen Rechnungsjahr. Kaum ein Wunder, daß in Forscher-Kreisen rasch die Vermutung aufkam, die neue »Gesellschaft für Deutschlandforschung« spekuliere mit ihrer einseitigen Zusammensetzung auf diese Geldquelle »für den Fall«, so ein Erlanger DDR-Spezialist, »daß es in Bonn politisch mal anders kommt«.

Diesen Vorwurf schnöder Berechnung weist der Vorsitzende Mampel allerdings entschieden zurück: Seine Gesellschaft sei vielmehr eine »echte Bürgerinitiative«. Sogar das Porto für die Werbe-Briefe habe er einstweilen aus eigener Tasche bezahlt. Außerdem bestehe nach wie vor »die Absicht, zu einem großen Arrangement zu kommen«, denn schließlich verpflichte ja die -- 17:0 angenommene -- Satzung zum »wissenschaftlichen Pluralismus«.

Sogar ein Arrangement mit der Ministeriumsspitze sei in Sicht, verkündet Mampel stolz seinen Mitstreitern: Staatssekretär Dietrich Spangenberg habe Ende März geradezu zur Gründung geraten, »tiefe Sympathie« gezeigt und »wohlwollende Neutralität« zugesichert. Freilich, Egon Franke halte die Veranstaltung nach wie vor für »noch nicht zweckmäßig«, lege aber -- so der Minister in einem Brief an die Gründer -- »keine Hindernisse in den Weg«.

Wo soviel Privat initiative und Grundgesetz-Treue beieinander ist, hoffen die Berliner Aktivisten unbeirrt, werde die Republik den finanziellen Beistand auf Dauer nicht versagen. Die hilflosen Reaktionen des zuständigen Bonner Ministeriums lassen solche Hoffnung begründet erscheinen. »Wenn der Staat sieht, da kommt was raus«, kalkuliert Mampel, »dann wird er auch fördern.«

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