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NOVOTNY Der Unbestechliche

aus DER SPIEGEL 24/1968

Der Alptraum wurde Wirklichkeit: Fremde Soldaten rollten in Lastwagen-Kolonnen über die tschechoslowakische Grenze und faßten Posten im Land der Reformer.

Sie kamen nicht, wie von den Tschechen befürchtet, als Feinde, sie kamen nicht als Besatzer, sie wollen den Krieg nur proben: Auf dem Territorium der verbündeten -- und zugleich abtrünnigen -- Tschechoslowakei rücken sowjetische, polnische und ungarische Truppen ins Manöver.

Die Tschechoslowaken hatten zugestimmt -- sie tauschten den Einmarsch gegen einen Abtritt: Ungestraft durften sie einen Mann jetzt auch noch aus der Partei entfernen, der das Volk an der Moldau 14 Jahre lang drangsaliert hatte -- Diktator Antonin Novotný.

Novotný, so sagen die Prager, habe das Herz Europas in den Leib der Sowjet-Union transplantiert. Nun verbannte ihn, am Donnerstag vor Pfingsten, in einem revolutionären Akt das CSSR-ZK aus dem CSSR-ZK

wozu das Zentralkomitee nach dem Partei-Statut gar nicht befugt war. Die Partei-Mitgliedschaft des ehemaligen Parteichefs ruht jetzt für die Dauer einer Untersuchung seiner Vergehen.

Für die Tschecboslowaken ist der Tausch ein Verlustgeschäft: Der pensionierte Ex-Stalinist Novotný zog sich keineswegs in die innere Emigration zurück, sondern kurbelt schon wieder an einem Comeback.

Öffentlich verwahrte sich der gelernte Schlosser, dessen Tugend Unbestechlichkeit war, bereits gegen einen ihn besonders kränkenden Vorwurf -- er habe sich auf einem Amerika-Trip aus Staatsmitteln eine 1000-Dollar-Kamera geleistet.

Novotný gegenüber der Zeitung »Lidová demokracie": »Das ist nicht wahr.« Uno-Delegierte der Tschechoslowakei hätten ihm den Luxusartikel geschenkt. Wer den Delegierten die Devisen für das Mitbringsel genehmigte, sagte der Unbestechliche nicht.

Während sich der geschallte Parteichef freier in Prag bewegt, als es den neuen Machthabern lieb ist, fordern die Sowjets ihren Preis von Novotnýs Nachlaßverwaltern: Wie einst Ungarns Reform-Parteichef Kádár den sowjetischen Verzicht auf Einmischung in Ungarns innere Angelegenheiten mit dem sichtbaren Beweis der Treue zum Moskauer Militärpakt bezahlen mußte, so müssen nun auch Dubcek und Genossen die Präsenz von Sowjettruppen akzeptieren.

Noch am Abend nach dem Novotný-Ausschluß aus dem ZK gab das CSSR-Verteidigungsministerium die Ankunft neuer Statthalter bekannt: »Einige Einheiten und vor allem Nachrichtentruppen der sowjetischen Armee« rückten zu »Stabskommando-Manövern« in die von Sowjet-Garnisonen bislang verschonte Tschechoslowakei ein.

Oberstleutnant Frantisek Kudrna, Pressechef des Verteidigungsministeriums, erläuterte, es seien »Stabsübungen, die auf den Landkarten mit einer minimalen Anzahl von Truppen durchgeführt werden«, vorbereitet von einer »kleinen Gruppe von Stabsoffizieren«.

Doch offenbar tragen viele Sowjetarmisten einen Offiziersstab im Tornister: Schon das Vorkommando war ein ganzes Bataillon.

Eine Woche zuvor noch hatte Kudrna-Chef Dzúr, Verteidigungsminister der CSSR, die bevorstehende »Unterbringung« fremder Truppen auf CSSR-Gebiet dementiert, und Außenminister Hájek hatte Manöver ohne »Kampftruppen« versprochen.

Vorige Woche tauchten sowjetische Panzer auf dem Truppenübungsplatz Libava bei Hranice auf. Sowjetische Militärkonvois stießen bis nach Böhmen vor.

Anders als der vor zwölf Jahren in Ungarn abgesetzte Parteichef Rákosi braucht der gefeuerte Novotný nicht in die UdSSR zu emigrieren. Seine sowjetischen Beschützer sind zu ihm gekommen.

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