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Waffenhandel Der Weg des Teufels

Geheimdienstler und Staatsanwälte sind einem Bonner Waffenmakler auf der Spur. Er wird verdächtigt, dem Irak zu Atom-Technologie verholfen zu haben.
aus DER SPIEGEL 40/1990

Der Besucher, den der Bundestagsabgeordnete Norbert Gansel in seinem Büro empfing, war eine unauffällige Erscheinung: ein dezent gekleideter mittelblonder Mann von mittelgroßer Statur ohne aufdringliche Gesten - vom Typ her halt Mittelmaß.

Die Begegnung liegt zwar schon gut 13 Jahre zurück, doch der Sozi hat sie bis heute nicht vergessen. Denn der Gesprächspartner, der sich als Friedrich-Simon Heiner vorstellte, war alles andere als ein Biedermann. Was er sagte, hatte es in sich.

Er betreibe seit fast einem Jahrzehnt die Geschäfte der Wehrexport GmbH. Der Name war dem SPD-Rüstungsexperten durchaus geläufig. Die Waffenfirma gehörte zum Reich des wohl berühmtesten deutschen Waffenhändlers der Nachkriegszeit, Gerhard Mertins.

Er kenne, teilte Heiner dem verblüfften Genossen mit, die Innereien des schmutzigen Geschäftes, samt einiger delikater Fälle. Er wolle jetzt aussteigen, allerdings habe er Angst vor der Rache seiner Kollegen.

Gansel riet seinem Gast, eine Lebensbeichte zu Papier zu bringen, sie bei einem vertrauenswürdigen Anwalt zu deponieren und aller Welt davon zu erzählen. Dann werde er vermutlich in Ruhe gelassen und könne einen sauberen Neuanfang hinlegen.

Es scheint, daß der frühere Mertins-Mann den Ratschlag des Sozialdemokraten nicht so recht befolgt hat:

Heiner, 50, steht im Verdacht, als eine Art Generalunternehmer den waffenlüsternen Irak mit brisantem Gerät versorgt zu haben. Allerlei Teufelszeug soll über die Import-Export-Gesellschaft Inwako GmbH gemakelt worden sein, deren Geschäftsführer Heiner ist. Die Firma mit dem Sitz in der Bonner Feldstraße 29 gehört Ehefrau Elke. Mit nur wenigen Angestellten erreicht das Unternehmen Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe.

Für Heiner interessieren sich seit längerem die Späher diverser Geheimdienste. Der israelische Mossad ist ihm auf der Spur. Ende letzten Jahres setzten die Israelis ihre Kollegen vom Bundesnachrichtendienst (BND) über Heiner ins Bild. Die Pullacher Behörde schlug am 26. Februar bei der Bundesregierung Alarm.

Auch dem langjährigen Irak-Gegner Iran ist Heiner ein Begriff. »Im Namen des barmherzigen Allah« bedrohte ihn per Brief eine Fundamentalistengruppe namens »Vollstrecker von Chomeinis Vermächtnis«.

Wenn Heiner weiterhin »für den Satan Saddam Hussein« arbeite, werde sein Geschäft zerstört, und auch die Familie bleibe nicht verschont. Gnade gebe es nur, wenn der Händler »vom Weg des Teufels« umkehre.

Wortgleiche Briefe gingen an eine ausgewählte Gruppe deutscher Kaufleute. Neben Heiners Inwako wurden noch sechs weitere Unternehmen bedacht - eine illustre Reihe, von MBB bis Thyssen.

Für einige Zeit war Heiner in relativ sicherer Obhut. Kölner Zollfahnder und Bonner Staatsanwälte rückten am 22. August bei ihm an. Der Waffenhändler wurde wegen der angeblichen Irak-Lieferungen verhaftet; erst nach Tagen kam er gegen Zahlung einer Kaution aus der U-Haft frei. Gegen seinen Kieler Geschäftspartner Klaus Weihe wurde ebenfalls ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Hohe Gewinnspannen im Waffengeschäft bringen - wie der Fall Heiner zeigt - deutsche Kaufleute offenkundig immer wieder in Versuchung: Geschäft ist Geschäft, auch wenn der Kunde über Leichen geht.

In Sachen Irak ist eine unternehmerische Drei-Klassen-Gesellschaft am Werk. Bei Großprojekten mit Geschäftsvolumen in dreistelliger Millionenhöhe bleiben Unternehmen wie Ferrostaal aus Essen oder Gildemeister aus Bielefeld meist unter sich. Mit gespielter Naivität und Augenzwinkern reden die Verantwortlichen von angeblich harmlosen Geschäften - auch wenn es um Kanonenfabriken oder um Militärforschungszentren geht.

Branchenprofis wie die Ottobrunner Waffenschmiede MBB treten in der Regel erst gar nicht in Erscheinung. Ob bei Raketenprojekten oder bei der Superbombe für den Irak - MBB forscht und entwickelt bloß; mörderische Hardware wird von Nato-Partnern ins Ausland geliefert. Die Drecksarbeit im Irak machen häufig Firmen, in denen ehemalige MBB-Leute sitzen, der Konzern bleibt nach außen hin sauber.

So wurde letzte Woche nach der SPIEGEL-Veröffentlichung über die von MBB entwickelte FAE-Bombe, die nahezu die Vernichtungskraft eines kleinen atomaren Sprengsatzes hat, zwar ein Ermittlungsverfahren eingeleitet - aber nicht gegen die große Waffenschmiede: Die Fahnder widmen sich einer kleinen Firma, die in das Projekt eingestiegen war.

Die zweite Gruppe im Irak-Geschäft sind die Exoten. Die Lieferung von Bwie von C-Waffen-Anlagen ist Spezialisten vorbehalten.

Weil sich große Chemieunternehmen seit einiger Zeit nicht mehr an dubiosen Irak-Lieferungen beteiligen, sind die Einkäufer aus Bagdad auf Hinterhof-Betriebe oder skrupellose Exporteure wie die Manager der Hamburger W.E.T. oder der Dreieicher Pilot Plant angewiesen - ein alles in allem überschaubarer Haufen.

Vor allem vielseitig muß die dritte Gruppe sein: ein gutes Dutzend Makler, Männer wie Heiner. Viel Einsatz und Einfallsreichtum wird den Maklern von ihren Auftraggebern abverlangt. So versuchte Heiners Partner Weihe offensichtlich noch nach dem Embargo eine heiße Ladung über Jordanien in den Irak zu schleusen (SPIEGEL 37/1990).

Verdient wird klotzig in der Maklerbranche. Der Iraker Abdul Moneim Jebara etwa, Inhaber einer kleinen Münchner Export-Import-Firma, sackte während des Golf-Krieges für die Vermittlung westdeutscher Nachrichtentechnik in den Irak binnen drei Jahren Provisionen in Höhe von rund 4,2 Millionen Mark ein, Spesen extra.

Gute Verbindungen sind das Schmiermittel fürs Waffengeschäft. Jebara beispielsweise war mit dem irakischen Geheimdienstchef Fadel Barak befreundet. Ein Ramzi Al Khatib, Gesellschafter der Graeser GmbH aus dem hessischen Fischbachtal, ist mit dem irakischen Industrieminister Hussein Karmil, einem Schwiegersohn Saddam Husseins, gut bekannt - das hilft.

Die Fischbachtaler Firma, die neulich Besuch von der Zollfahndung bekam, soll das als Universalschmiede deklarierte Kanonenprojekt im irakischen Tadschi (SPIEGEL 28/1990) an Ferrostaal vermittelt haben. Die Beamten stellten einschlägige Unterlagen sicher, allerdings wurde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bloße Vermittlung gilt als moralisch verwerflich, ist aber juristisch nicht von Bedeutung.

Keiner aus der Maklerbranche indes scheint so vielseitig zu sein wie Heiner in Bonn - ein Mann für alle Fälle. Nach seinem Ausstieg aus der Waffenexport GmbH im Jahre 1977, als er sich dem SPD-Mann Gansel anvertraut hatte, stieg er zunächst ins Libyen-Geschäft ein. Manchem wurde da gleich ganz mulmig, zum Beispiel dem Rüdesheimer Chemiker Klaus Hoffmann, der im Auftrag der Inwako in Tripolis war.

Hoffmann glaubte zunächst über Entgiftungsanlagen und Gegenmittel für C-Waffen zu verhandeln. »Mit Erstaunen«, teilte er Heiner nach seinem dritten Besuch mit, habe er jedoch festgestellt, daß es »nicht, wie ursprünglich angenommen, um ABC-Schutzeinrichtungen, sondern um den Aufbau einer chemischen Kampfmittelproduktion« gehe.

Da mache er nicht mit, protestierte Hoffmann: »Sie können mich in keiner Weise dazu zwingen, gegen Gesetze zu verstoßen.«

Ob die Offiziere des Muammar el-Gaddafi tatsächlich bereits damals an einer Giftgasküche laborierten, ist selbst westlichen Geheimdienstlern nicht bekannt. Der Inwako-Mann bestritt gegenüber dem Chemiker (Thema der Doktorarbeit: Nachweis von chemischen Kampfstoffen im Trinkwasser) den Giftverdacht, aber Hoffmann war die Sache zu heiß. Er stieg aus, obwohl er »über 10 000 DM an Reisekosten etc. umsonst investiert« hatte.

Zu Beginn der achtziger Jahre fädelte die Branche Irak-Geschäfte in Serie ein. Heiner gelang gleich ein Coup: Anfang 1981 warb er den GSG-9-Mann Ludwig Heerwagen als Ausbilder für einen Irak-Einsatz an. Ziel war es, so der Grenzschützer, »eine Spezialeinheit aufzustellen, der es möglich ist, allen terroristischen Aktivitäten im Landesinneren entgegenzutreten«.

Die GSG-9-Schulung für die Irakis dauerte von Mai 1982 bis August 1982 und kostete Heerwagen viel Nerven. Die Irakis waren untrainiert, schossen »sehr schlecht, um nicht zu sagen katastrophal« (Heerwagen), und selbst an Munition haperte es: »Zur Verfügung standen 3000 Schuß, das allermindeste wären 15 000 Schuß gewesen.« Heerwagen: »Aufträge oder Befehle wurden zum Teil gar nicht aufgenommen, nur ungenau oder gar nicht durchgeführt.«

Immerhin: Heiners Ruf im Irak als Mann mit Verbindungen war dem Projekt förderlich. Mittlerweile mangelt es den Militärs zwischen Euphrat und Tigris weder an Munition noch an Gerät. Leute wie Heiner sollen dazu erheblich beigetragen haben.

Dem Bonner Händler wird vorgeworfen, wichtige Teile und Werkzeuge für die Verbesserung der irakischen Scud-B-Raketen sowjetischer Herkunft geliefert zu haben. An dem Projekt (Tarnbezeichnung: »1728") waren ein halbes Dutzend deutscher Firmen beteiligt. Es handelte sich, erläuterte Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann im August in vertraulicher Bonner Runde, »um Einzellieferungen« von »mittelständischen deutschen Unternehmen«.

Eine der Lieferungen macht vor allem die Israelis nervös. Gemeinsam mit einem englischen Partner soll Heiner Ringmagnete für das Rotorlager einer Gas-Ultrazentrifuge in den Irak geschafft haben. Solche Anlagen ermöglichen die Anreicherung von Uran 235 zu jenem Stoff, aus dem die Atombomben sind.

Der israelische Geheimdienst bleibt denn auch den Geschäften des Maklers Heiner auf der Spur. Bei der Londoner Technology & Development Group (TDG), der Frontorganisation der Irakis für Einkäufe in Westeuropa, entdeckte jüngst ein Besucher ein zerrissenes TDG-Fax an Heiner vom 8. September vergangenen Jahres.

Als die Fetzen zusammengesetzt waren, wurde erkennbar, daß die TDG bei Heiners Inwako 20 Tonnen eines Vorprodukts für Nervenkampfstoffe geordert hatte. In einem weiteren, ebenfalls zerrissenen Fax vom 5. Oktober wird ein Rabatt angemahnt.

Ob die Lieferung wirklich erfolgt ist, blieb auch den Diensten verborgen. Heiner mag derzeit Journalistenfragen nach seinen Irak-Geschäften nicht beantworten. Er bereite sich, so sein Anwalt, auf die Einlassung für »Gericht und Staatsanwaltschaft« vor.

Andere Händler-Kollegen sind derzeit besonders emsig. Al Khatib von der Firma Graeser beispielsweise, der so gute Beziehungen zu Husseins Schwiegersohn hat, müht sich, deutsche Geiseln aus dem Irak zu holen - diesmal ganz ohne Provision.

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