WEST-KONTAKTE Der west-östliche Teppich
Was sich der Minister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, unter gesamtdeutscher Kontaktpflege vorstellt, wurde in diesen Tagen aus einem Briefwechsel klar, den er mit dem Kultusminister des Landes Niedersachsen, Richard Langeheine, führte. »Sehr geehrter Herr Langeheine«, schrieb Jakob Kaiser nach Hannover, »ich habe mit lebhaftem Befremden von dem Beschluß des niedersächsischen Landesministeriums Kenntnis genommen, den Croy-Teppich an die Universität Greifswald zurückzugeben.«
Dieser Teppich wurde bis vor kurzem Im Kunstlager Schloß Celle aufbewahrt. Der Neffe des letzten Pommernherzogs Bogislaw XIV., Ernst Bogislaw von Croy, der 1684 starb, hatte der Universität Greifswald unter anderem das 690X446 Zentimeter große Webwerk vermacht, »eine aus dem fürstlichen pommerschen Hause herkommende Tapezerey, darin Dr. Luther auf einem Predigtstuhl und etliche Herzoge von Pommern mit ihren Gemahlinnen in Lebensgröße gewirket«.
Der Croy-Teppich bekam für Pommern geschichtliche Bedeutung. Er ist, wie es der Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts in Westberlin, Professor Dr. Erich Boehringer, formuliert, für das protestantische Pommern »eine Art Schweißtuch der Veronika"*. Im Frühjahr 1945, als sich die Sowjetarmee auf Greifswald zuwälzte, verlud die Universität den Croy-Teppich zusammen mit anderen Wertsachen auf einen Lastzug der nach Westen davonrollte.
Nach Osten, den Sowjets entgegen, fuhren bald darauf - in der Nacht vom 29. zum 30. April 1945 - zwei Personenwagen, in denen der Rektor der Universität, Professor Engel, und der Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin, Professor Dr. Gerhardt Katsch, mit einem Offizier, Dolmetschern und Fahrern saßen.
Sie hatten sich nicht nach Westen abgesetzt. Nachdem die Schätze der Universität in westliche Sicherheit gebracht worden waren, wollten die beiden Gelehrten
- nach Absprache mit dem Stadtkommandanten - der Roten Armee die kampflose Übergabe der völlig unzerstörten Universitätsstadt anbieten. In ihren Kapitulationsvorschlag hatten die Gelehrten den Passus eingefügt- »Universität und Schulen erteilen weiter Unterricht.«
Am 30. April 1945 nachts um 2.17 Uhr standen die Professoren vor dem Sowjet-General Fjeduninski und boten die Übergabe an.
Sie waren nicht zu früh gekommen: Um drei Uhr wollte die Sowjet-Armee mit massivem Artilleriebeschuß den Angriff auf Greifswald eröffnen. Nun aber blieb die Stadt unzerstört. Professor Katsch, als »Magen-Katsch« eine international bekannte medizinische Kapazität, blieb in Amt und Würden, und 1954 wurde er zum Rektor gewählt.
Sein Amtsantritt stand unter keinem guten Stern. Ende März 1955 kam es zu Tumulten in der medizinischen Fakultät - Greifswald hat außerdem eine theologische, eine philosophische und eine mathematischnaturwissenschaftliche Fakultät -, weil die Studenten dagegen waren, daß in Zukunft überwiegend angehende Militärärzte der kasernierten Volkspolizei zum Studium zugelassen werden sollten. 250 Kommilitonen wurden von der Volkspolizei festgenommen. Am 30. März 1955 stand am schwarzen Brett der medizinischen Fakultät:
Die medizinische Fakultät der Ernst-Moritz -Arndt-Universität hat davon Kenntnis genommen, daß der Regierungsbeschluß über das Medizinstudium von Angehörigen der Volkspolizei an unserer Universität unabänderlich ist.
Ihre Zustimmung kommt dadurch zum Ausdruck, daß jeder Angehörige der Fakultät nach besten Kräften zur Durchführung dieses Beschlusses beitragen wird. Die Fakultät fordert die Studenten auf, Ruhe und Ordnung zu bewahren und das Studium ordnungsgemäß weiterzuführen.
Der Rektor: Prof. Katsch
Der Dekan: Prof. Bommer.
Die Studenten wurden bis auf zwei wieder freigelassen. Den beiden Studenten, die zu acht und zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurden, konnte Rektor Katsch freilich nicht helfen. Sie hatten vor Gericht zugegeben, daß sie Verbindungen zur Nachrichtenorganisation Gehlen hatten.
Die 500-Jahr-Feier der Universität - die für Oktober 1956 geplant war - hielt Rektor Katsch dann für den rechten Anlaß, den Croy-Teppich, der für den pommerschen Protestantismus von so hohem Symbolwert ist, und einen zweiten, den sogenannten Esther-Teppich, der eine biblische Szene darstellt, wieder in die Universität zurückzuholen. Auf besondere Unterstützung der staatlichen und SED-Stellen konnte er freilich kaum hoffen: Martin Luther und pommersche Herzöge konnten den Kommunisten nicht der rechte Schmuck für die Universität sein. So wandte sich die Universität zunächst an den Archäologen Professor Erich Boehringer in Westberlin, der das Wort vom pommerschen Schweißtuch der Veronika geprägt hat: Die Rückgabe der Teppiche würde das moralische Rückgrat der alma mater stärken.
Weil die Teppiche nach mancherlei Irrfahrten im niedersächsischen Celle gelandet waren, fuhr Boehringer im Spätsommer 1956 nach Hannover zum niedersächsischen Kultusminister Langeheine und trug den Wunsch der Greifswalder vor. Gleichzeitig leitete der Landesbischof der Evangelisch -Lutherischen Landeskirche Hannover, D. Dr. Harms Lilje, ein Gesuch des Bischofs von Pommern, D. Krummacher, um Rückgabe der Teppiche mit wärmster Befürwortung an die niedersächsische Regierung weiter. Der Präsident der westdeutschen Rektorenkonferenz hatte schon vorher an Langeheine geschrieben: ».. wären die Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen der Bundesrepublik sehr dankbar, wenn der alten und traditionsreichen Universität Greifswald zu ihrem Jubiläum ein Wunsch erfüllt werden könnte... Würden Sie, hochverehrter Herr Minister, eine Möglichkeit sehen, die in Celle befindlichen Teppiche der Universität anläßlich ihres Jubiläums zurückgeben zu lassen oder zurückzugeben?«
Kultusminister Langeheine verwies den Bittsteller Boehringer zunächst nach Bonn. Dort geriet er im Kaiser-Ministerium an den Ministerialrat von Zahn, einen Bruder des Radio-Sprechers Peter von Zahn, und an den Staatssekretär Thedieck. Und dort biß Boehringer sich fest. Jakob Kaisers Leute wollten den Wunsch der Greifswalder, der westdeutschen Rektoren und der evangelischen Bischöfe Lilje und Krummacher unter keinen Umständen erfüllen: Allenfalls sei ein Austausch gegen westdeutsche Kunstgegenstände möglich, die jetzt in der »DDR« lagern. Vergeblich ging Boehringer gegen dieses merkantile Argument mit der Bemerkung an, nicht der sowjetdeutsche Staat, sondern die Universität wolle die Teppiche haben.
In dieser hoffnungslos scheinenden Lage kam der Entwicklung nun der Umstand zugute, daß der Greifswalder Rektor Katsch einen Bonner Bundestagsabgeordneten zum Schwager hat, nämlich den Vorsitzenden der DP-Fraktion im Bundestag, Professor Dr. Ernst-Christoph Brühler aus Freiburg im Breisgau. Zur DP aber gehört auch der niedersächsische Kultusminister Langeheine, und der niedersächsische Ministerpräsident Heinrich Hellwege ist gar Vorsitzender der DP.
Katsch-Schwager Brühler hatte sich ohnehin schon über den Beschluß der westdeutschen Rektorenkonferenz geärgert, die zwar die Teppiche zurückgeben, einer Einladung der Universität Greifswald zum Jubiläum aber nicht folgen wollte, solange der SED-Staat die verurteilten Medizinstudenten nicht freigelassen hat. DP-Fraktionschef Brühler sagte: »Die deutschen Professoren, die in der Mehrzahl im Dritten Reich auch nur hinhaltenden Widerstand geleistet haben, sollen sich mal nicht so anstellen.«
Brühler fragte den Jakob Kaiser, was er eigentlich für Gesamtdeutschland tue, wenn er nicht einmal Kulturgüter zurückgeben wolle, und setzte sich mit seinen hannoverschen Parteifreunden Hellwege und Langeheine in Verbindung. Die Landesregierung faßte einen Teppichauslieferungsbeschluß, die Zweigstelle des Bundeswirtschaftsministeriums für den Interzonenhandel in Frankfurt erteilte eine Ausfuhrlizenz, und wenige Tage vor dem Jubiläum machten sich der Greifswalder Kunsthistoriker Clasen und der Universitätssyndikus Schwandt mit einem Lastauto auf den Weg nach Niedersachsen. Sie bekamen nicht nur den Croy-Teppich, sondern auch noch den Esther-Teppich. Die westdeutschen Rektoren konnten sich freilich nicht entschließen, ihrem Greifswalder Kollegen Katsch durch eine Teilnahme an der Jubiläumsfeier den Rücken zu stärken.
Der Croy-Teppich wurde im Greifswalder Universitäts-Hauptgebäude ausgestellt. »DDR«-Ministerpräsident Otto Grotewohl erklärte, seine Regierung werde aus der Rückgabe Folgerungen ziehen, die eine Begnadigung der beiden Medizinstudenten vom März-Aufstand 1955 beträfen.
Jakob Kaiser aber hielt es für richtig, dem niedersächsischen Kultusminister Langeheine wegen der Teppichrückgabe sein »lebhaftes Befremden« auszusprechen.
* Das Schweißtuch Ist die Abbildung eines Christus-Gesichts auf einem Leinentuch, das in der Peterskirche in Rom aufbewahrt wird und religiöse Verehrung genießt. Nach einer alten Legende soll Christus im Ölgarten sein Antlitz darin abgetrocknet haben. Vielfach wird es auch in Verbindung gebracht mit einer Frau namens Beronike oder Berenike oder Veronika, in der alte Legenden die im Evangelium erwähnte blutflüssige Frau sehen, die von Christus geheilt wurde und die das Bild noch zu Lebzeiten Christi habe anfertigen lassen. Nach einer anderen Legende soll Christus selbst ihr begegnet sein und sein Antlitz darin abgedrückt haben. Wahrscheinlich kommt der Name von einer alten Inschrift auf einem solchen Bilde »vera ikon« = wahres Bildnis, nämlich Christi.
Eheleute Grotewohl, Croy-Teppich: Folgen für inhaftierte Studenten
Bonner DP-Fraktionschef Brühler
Dem Schwager im Osten...
Greifswalder Universitätsrektor Katsch
...zwei Teppiche zur Rückenstärkung