UN-ORGANISATIONEN Der Wolf ist da
Als einzigartig unter den Tochter-Institutionen der Vereinten Nationen galt die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) in Genf schon immer: In den Gremien des Uno-Ablegers haben neben Regierungs-Vertretern auch Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Repräsentanten der Mitgliedsländer Sitz und Stimme.
Dieser »Tripartismus« trug dazu hei, daß die IAO nun mit einer weiteren Besonderheit aufwarten kann. Die IAO ist die einzige Uno-Institution, in der die USA -- gleichrangig mit dem Vatikan und der Palästinensischen Befreiungsorganisation -- demnächst nur einen Beobachter-Status haben werden.
Vor allem auf Drängen der Gewerkschaften und Unternehmer-Verbände gab Präsident Jimmy Carter vergangenen Dienstag den Austritt der Vereinigten Staaten aus der um Verbesserungen in der Arbeitswelt bemühten 135-Mitgliedsländer-Organisation bekannt.
Die US-Regierung werde sieh künftig darauf beschränken, präzisierte William Vanden Heuvel, Washingtons Uno-Botschafter in Genf, durch Beobachter hei allen wichtigen IAO-Konferenzen zu prüfen, ob die UN-Sonderorganisation sich wieder »auf ihre eigentlichen Prinzipien und Vorschriften« besinnen werde.
Die Amerikaner hatten sieh schon seit Jahren geärgert, daß Resolutionen der von Ostblock- und Entwicklungsländern beherrschten IAO immer weniger mit den satzungsgemäßen Aufgaben der Organisation in Einklang zu bringen, dafür aber um so treffsicherer gegen die USA und Israel gerichtet waren.
So hatte die IAO 1974 auf Betreiben der Araber das Mitgliedsland Israel wegen Diskriminierung arabischer Arbeitnehmer in den von Israel besetzten Gebieten verurteilt, ohne die für eine solche Resolution vorgeschriebene Prüfung der Vorwürfe abzuwarten.
Westliche Unternehmer und Gewerkschaften, besonders die stramm antikommunistisch ausgerichteten US-Delegierten, störte zudem, daß sie aufgrund des »Tripartismus«-Prinzips in den IAO-Gremien mit Gewerkschafts- und Arbeitgeber-Funktionären der Ostblock- und Dritte-Welt-Diktaturen zu verhandeln hatten, die nur als Marionetten ihrer Regierungen agierten.
Schon vor einem Jahrzehnt hatte deshalb der amerikanische Unternehmer-Verband National Association of Manufacturers aus Protest gegen die politische Entwicklung innerhalb der IAO seine Mitarbeit aufgekündigt. Die amerikanischen Arbeitgeber lassen sich seither durch die U. S. Chamber of Commerce in Genf vertreten.
Auch Amerikas ranghöchster Gewerkschafter, George Meany, machte aus seiner Abneigung gegen die zum Forum sowjetischer und arabischer Attacken gegen die USA umfunktionierte Organisation nie ein Hehl. »Ich hatte in Plenarversammlungen der IAO zu sitzen«, berichtete er über das Rede-Ritual der Delegierten, »in denen sie den Generalsekretär zu seinem wundervollen Bericht beglückwünschten. Und dann ließen sie einen Angriff gegen die USA vom Stapel.«
Als die IAO 1975 den Palästinensern satzungswidrig Beobachter-Status gewährte, war das Maß für die Amerikaner voll. Im November 1975 kündigte Außenminister Henry Kissinger die IAQ-Mitgliedschaft der USA fristgemäß zum November dieses Jahres. Kissinger begründete diesen Schritt mit > der »wachsenden Politisierung« der
Sonderorganisation,
* der lediglich »selektiven Anprangerung von Menschenrechtsverletzungen,
* der Aushöhlung des »Tripartismus«-Prinzips und
* der Mißachtung der IAO-Bestimmungen durch eine »automatische Majorität« von Ostblock- und Entwicklungsländern.
* Vor der Genfer IAO-Zentrale.
Doch Kissinger war keineswegs zum endgültigen Bruch mit der IAO entschlossen. Geschockt durch die US-Kündigung, so Kissingers Kalkül, werde die Mehrheit der IAO-Mitglieder zu sachlicher Arbeit zurückfinden. Die US-Regierung könne dann vor Ablauf der Zwei-Jahresfrist ihre Kündigung widerrufen.
Denn auf ihren eigentlichen Aufgabengebieten -- etwa der Entwicklung von Normen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in aller Welt, der Förderung gewerkschaftlicher Aktivitäten oder dem Aufbau internationaler Arbeits- und Sozialstatistiken -- hatte die schon 1919 als Völkerbund-Tochter gegründete und 1946 von den Vereinten Nationen übernommene Organisation durchaus erfolgreiche Arbeit geleistet.
Die IAO erarbeitete 152 Konventionen und Empfehlungen für internationale Standards zum Schutz der Arbeitnehmer, die nach Ratifizierung durch die Parlamente für die Mitgliedsländer bindend sind. Die IAO-Palette reicht von Urlaubs- und Arbeitsstunden-Standards bis zu Empfehlungen für die Eindämmung von Berufskrankheiten und die Nicht-Diskriminierung von Frauen.
IAO-Experten halfen den USA 1934 bei der Einführung eines Sozialversicherungs-Systems. 1969 wurde die Institution sogar mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Gegen Mitglieder, die im Verdacht stehen, IAO-Normen zu mißachten, führen unabhängige Fachleute Untersuchungen durch. So will das Genfer IAO-Büro beispielsweise prüfen, ob die tschechoslowakischen Behörden Unterzeichner der »Charta 77« bei der Arbeitsplatzwahl behindern und ob der Radikalen-Erlaß in der Bundesrepublik gegen Nicht-Diskriminierungsregeln der Organisation verstößt.
In der von Kissinger gesetzten Bewährungsfrist verkniff sich die IAO-Majorität zwar weitere Resolutionen gegen Israel. Aber einen Reform-Vorschlag, mit dem die USA künftig propagandistische Beschlüsse verhindern wollten, schmetterte die IAO-Jahreskonferenz im Juni 1977 ab.
Zudem nahm sie den Bericht einer IAO-Kommission nicht an, der Verstöße gegen die IAO-Normen in Ostblock- und Entwicklungsländern aufzeigte und eine Stellungnahme der israelischen Regierung zu arabischen Vorwürfen enthielt.
Danach sah der Chefdelegierte der US-Handelskammer Charles H. Smith »keine andere Wahl, als auszutreten«. Auch Smiths Arbeitnehmer-Pendant Irving J. Brown bestand nun darauf, mit der Kissinger-Kündigung Ernst zu machen: »Man kann nur einmal schreien, der Wolf ist da.«
Mit der massiven Unterstützung von Arbeitsminister Ray Marshall setzte sich die geballte Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Lobby bei dem zaudernden Jimmy Carter durch -- gegen den Rat der Chef-Außenpolitiker Cyrus Vance und Zbigniew Brzezinski und aller EG-Regierungschefs.
Die europäischen Carter-Kollegen und die Außenpolitiker im Carter-Kabinett argumentierten, die IAO verdiene trotz aller politischen Entgleisungen noch weitere Chancen, ihren Reformwillen zu beweisen. Die notwendigen Reformen aber seien leichter durchzudrücken, wenn Amerika Druck von innen statt von außen auf die IAO ausüben könne. Durch einen Austritt der USA werde vielmehr der sowjetische Einfluß in einer der wichtigsten Uno-Sonderorganisationen übermächtig.
Fest steht, daß die Sowjets nach dem US-Exodus zum größten Beitragszahler der IAO avancieren werden (US-Anteil am IAO-Budget: 25 Prozent; UdSSR-Anteil: rund 13 Prozent). Denn finanzkräftige westliche Industrieländer wie die Bundesrepublik (bisheriger Anteil: 7,7 Prozent) werden entgegen der Hoffnung des IAO-Generalsekretärs Francis Blanchard wohl kaum bereit sein, die durch den US-Austritt gerissene 42-Millionen-Dollar-Lücke im Etat 1978/79 durch höhere Beitragsanteile zu schließen.
Einschneidende Einsparungen bei IAO-Projekten und -Personal sind daher nun unvermeidlich. Blanchard und seinem Stab bleibt da nur der Trost, daß von 19 Ländern, die vor den USA ausgetreten waren, sich 16 wieder mit der IAO versöhnten -- vielleicht finden auch die USA schon bald zurück.