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BONN / ADENAUER Der Zivilist

aus DER SPIEGEL 18/1967

Nutzen Sie die Zeit, solange ich noch lebe; wenn ich nicht mehr bin, ist es zu spät.«

Das brach damals aus Konrad Adenauer heraus, als seine Europa-Konzeption in Trümmer sank, als -- vier Wochen zuvor -- im Palais Bourbon die Franzosen den Vertrag über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu Fall gebracht hatten, als sein Versuch, die Deutschen auf europäische Ideale und Institutionen zu fixieren, jenen »furchtbaren Schlag« erhielt, von dem er noch nach elf Jahren nicht ohne Erregung zu sprechen vermochte.

Das war in der Nacht vom 28. auf den 29. September 1954, im Claridge's Hotel zu London, wo dann der Eintritt der Bundesrepublik in die Nato, die Souveränität Bonns und die Gründung der Bundeswehr vereinbart wurden -- ein karges Ergebnis, gemessen an dem, was er gewollt hatte.

Henri Spaak, der Belgier, Joseph Bech, der Luxemburger, und Lothar Ruehl, der SPIEGEL-Redakteur -- der letzte ungeladen, unerkannt und unbeabsichtigt -, waren Zeugen dieser für Konrad Adenauer einzigartigen Eruption.

Ob ihn der Alptraum von damals, die Angst vor dem Wiedererstehen des deutschen und französischen Nationalismus, bis an jene Schwelle verfolgt hat, die er am letzten Mittwoch um 13.21 Uhr, 91 Jahre und 104 Tage alt, überschritt?

Wenig wahrscheinlich. Ihm fehlte die Neigung, sich selbst zu dramatisieren. Er liebte das Große vom Kleinen her zu sehen -- wie etwa an jenem Nachmittag des 9. Dezember, als er das letzte Mal mit Rudolf Augstein sprach.

Daß da »ein Vögelchen« an das To-Fenster seines Büros im Bundeshaus »was Menschliches« gemacht hatte und wie die Gesellschaft von heute so einen Klecks wieder wegkriegt -- ein Problem in Spott und Ernst und eine Heiterkeit getaucht, die man olympisch nennen könnte, wenn er nicht ein so guter Christ gewesen wäre. Gewiß war sein Christentum aufrichtig, doch freilich von rheinischer Art: durchsetzt mit der quicken Latinität, welche römische Legionäre und Priester, französische Besatzer und Advokaten in Köln hinterlassen haben.

Zwischen der Geselligkeit des Tennisklubs »Pudelnaß«, mit dessen Damen er im Heuhaufen schäkerte, und dem Ernst des Kölner Doms klaffte für ihn kein Abgrund. Ihm machte es nichts aus, gelegentlich die »Jebeine der Heiligen Ursula« mit Christine Teusch, seiner Parteigenossin, in einem seiner Kölschen Witze unterzubringen.

Dem Kardinal Frings, der im Dom seine sterblichen Überreste aussegnen wird, zupfte er gar zu gerne an der Soutane. Den Ring des Bischofs mochte er nicht küssen, weil das »so unhygienisch ist« -- wahrscheinlicher: weil ihm die Devotion nicht behagte.

Er war kein Titan mit neurotischen Zügen wie der Preuße, Protestant und Reichsgründer Otto von Bismarck, noch weniger ein Neurotiker mit titanischem Ehrgeiz wie der Österreicher, Apostat und Reichszerstörer Adolf Hitler und am Ende auch kein bürokratischer Neuerer wie der Sachse, Kommunist und DDR-Konstrukteur Walter Ulbricht, sein Gegenspieler.

Er war gesund und einfach -- in einer Weise, die, wie die Londoner »Times« einmal über seine Sprache schrieb, »nach Vergebung schreit«.

Einfach, entwaffnend einfach, war denn auch sein Deutschland-Konzept, das immer zugleich auch ein Europa-Konzept war. Er formulierte es zu einer Zeit, als Preußen -- dieses strenge, ernste Kunstgebilde des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm und des Atheisten Friedrich, welches Bismarck zum Modell Deutschlands erhob -- jenen Schlag erhielt, von dem es sich nie wieder erholte: als im Herbst 1918 das geschlagene deutsche Heer über die Kölner Rheinbrücke heimwärts rumpelte.

Am 1. Februar 1919 sagte er, was not tat: Deutschland in »friedensfreundlichem Geist beeinflussen«, Deutschland dem Westen »sympathisch« machen. Seine Mittel: Preußen zerschlagen, einen Rhein-Ruhr-Staat (im Reichsverband) gründen, der den westlichen Einfluß auf das Reich garantieren sollte.

Die Weimarer Republik sperrte sich gegen sein Konzept. Oberhaupt war sie ihm zu rot und zu preußisch, zu intellektuell und zu heidnisch in einem

auf jeden Fall zu kompliziert. Gustav Stresemanns gewagte Politik auf dem schmalen Grat zwischen Ost und West war ihm unbehaglich: »Dieses Unstete und Schaukelnde«.

Sein Konzept von 1919 war auch seines von 1945: den »engen Nationalstaat« überwinden (auf dem Petersberg 1949), Deutschland in eine übernationale Ordnung einbauen, Deutschland »friedensfreundlich« und »sympathisch« machen.

Vieles mißlang ihm: Westeuropa zu integrieren, den Kommunismus aus Deutschland zu verdrängen, eine christliche Gesellschaftsordnung zu schaffen.

Doch gelang ihm eines: Er führte die Deutschen mit Kraft und Würde in das Bewußtsein nationaler Kleinheit.

Bismarcks Stiefel »sind mir viel zu groß«, hat er den Besatzer-Kommissaren auf dem Petersberg gesagt -- und zweifellos waren sie das.

Doch er zeigte -- den Deutschen ein Wunder -, daß auch ein Zivilist einen geraden Rücken behalten kann.

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