PRESSE / KONZENTRATION Der zwölfte Mann
Am Montag letzter Woche stellte Kanzler Kiesinger dem Parlament ein 253 Seiten starkes Dokument zu. Es enthält jene Vorschläge, die eine von der Bundesregierung beauftragte Pressekornmission entwarf, um die Konzentration in der deutschen Presse einzudämmen,
Doch schon heute ist zweifelhaft, ob die Empfehlungen Empfehlungen sind: Das Kommissionsmitglied Dr. Anton Betz, Verleger der Düsseldorfer »Rheinischen Post«, behauptet, die Beschlüsse des Gremiums seien satzungswidrig und daher nichtig.
Vor mehr als Jahresfrist hatte das Bonner Kabinett dem Kartellamts-Präsidenten Eberhard Günther aufgetragen, die Ursachen wirtschaftlicher Gefährdung von Presse-Unternehmen und die Wirkungen der Konzentration auf die Meinungsfreiheit zu untersuchen. Neben Günther nahmen 16 Gutachter Platz: sechs Verleger, drei Rundfunk- und Fernsehintendanten, drei Journalisten und vier Vertreter der Wirtschaft.
Am 22. Mal dieses Jahres verabschiedete die Kommission ihren Bericht. Kernstück des Dokuments: Die Marktanteile der Verleger sollten kontrolliert und notfalls gesetzlich beschränkt werden. Großverleger sollen nur so lange vor einer Zwangsentflechtung durch den Gesetzgeber sicher sein, wie ihr Anteil auf dem Markt von Tages- und Sonntags-Zeitungen unter 40 und auf dem Markt für Publikumszeitschriften unter 15 Prozent beträgt (SPIEGEL 22/1968).
Als die Kommission zur Schlußabstimmung aufgerufen wurde, gebot Springer über 38,2 Prozent der deutschen Tages- und Sonntagszeitungen sowie über 18,2 Prozent der Illustrierten und Journale. Erst durch Verkauf seiner Unterhaltungsblätter »Jasmin«, »Eltern«, »Bravo«, »Twen« und »Das Neue Blatt« schnitt Springer in diesem Sommer sein Imperium auf Kornmissionsmaß zurück: Er senkte seinen Illustrierten-Markt-Anteil auf 9,6 Prozent ("Hör zu«, »Funk-Uhr«, »Kicker").
Heute ist nun fraglich, ob das Kornmissionsmaß überhaupt ein echtes Maß war. Springers Vertrauensmann in der Kommission, der Düsseldorfer Verleger Anton Betz. und dessen Gehilfe Edgar Kuli, vordem Geschäftsführer des Zeitungsverlegerverbandes, erklärten, die Günther-Empfehlung sei nicht mit der von der Geschäftsordnung vorgeschriebenen Zweidrittel-Mehrheit der Pressekommissare gebilligt worden.
Denn bei der Schlußberatung der Kommission stimmten nur elf der 17 Mitglieder mit Ja. Einer lehnte ab, einer enthielt sich der Stimme. Drei fehlten entschuldigt, einer blieb unentschuldigt zu Hause: Axel Springer, der die Kommission schon im September 1967 unter Protest verlassen hatte und seither nicht mehr an den Verhandlungstisch zurückgekehrt war.
Da Axel Springer zu jener Zeit trotz einer entsprechenden Bitte von dem damaligen Innenminister Paul Lücke nicht von seinem Mandat entbunden wurde, gehörte er, so meint Betz, weiterhin formal der Kommission an.
Somit waren zwölf Ja-Stimmen nötig, um eine Zweidrittel-Mehrheit (bei 17 Stimmberechtigten) zustande zu bringen.
Stundenlang hatten die Kommissare schon vor ihrer Schlußabstimmung über diese Verfahrensfrage debattiert. Schließlich verzichtete Günther auf eine Entscheidung: Er war sich der zwölften Ja-Stimme des entschuldigt fehlenden Stuttgarter IG-Druck-Justitiars Dr. Erich Frey sicher.
Denn: »Binnen einer Woche nach der Kommissionssitzung«, so Paragraph 2 Absatz 7 der Geschäftsordnung, ist »die nachträgliche schriftliche Stimmabgabe zulässig«.
Doch statt des erhofften Ja kam vor Ablauf der Frist mit der Post nur ein weiteres Nein: von Dr. Anton Betz, der gerade aus Japan zurückgekehrt war. Frey dagegen rührte sich lange nicht.
Eilends stellten Günthers Kartell-Beamte deshalb jene 208 Einzelanträge zusammen, über die der IG-Druckmann noch abstimmen sollte, und schickten sie nach Stuttgart. Am 29. Mai kam das Aktenpaket dort an. Noch am selben Tage stimmte Frey telephonisch zu. Aber das formell erforderliche schriftliche Ja traf -- über Telex -- erst am Nachmittag des 30. Mai in Berlin ein, zwölf Stunden nach Ablauf der Frist.
Kommissions-Chef Günther ließ Freys Stimme trotzdem gelten. »Bei vernünftiger Auslegung der Vorschriften« habe die Frist erst begonnen, als die Unterlagen in Stuttgart eintrafen.
Springer-Freund Betz hingegen protestierte schriftlich bei Günther und Innenminister Benda. »Unter seriösen Juristen« (Kull) könne es keinen Zweifel darüber geben, daß der Kornmissionsbericht nicht die nötige Mehrheit gefunden habe. Das von Günther unterschriebene Papier, so Betz, sei lediglich eine persönliche Stellungnahme des Vorsitzenden. Ihr stehe seine Minderheiten-Meinung gleichrangig gegenüber: Die Entflechtungsdrohungen könnten »meiner Überzeugung nach weder mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland noch mit meiner nahezu 50jährigen Lebenserfahrung in der Presse in Übereinstimmung gebracht werden«.
Dazu Gerd Bucerius, Kommissionsmitglied und Teilhaber von Gruner + Jahr: »Ein ganz dummer Trick.«