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Des Kanzlers neuer Gürtel

RUDOLF AUGSTEIN
Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 8/1997

Kanzler Kohl findet für sich selbst meist das passende Wort. Im französischen Fernsehen sagte er, die Deutschen müßten den Gürtel enger schnallen. Die Franzosen auch?

Die Arbeitnehmer sollen, so denkt Kohl sich das, auf reale Lohnerhöhungen verzichten, damit man der Arbeitslosigkeit besser Herr werde. Ihm sagt wohl keiner, daß er etwas fordert, was längst Realität ist. Die Arbeitenden haben schon seit Jahren nicht mehr Geld in der Tasche, und die Arbeitslosigkeit steigt.

Ist das so schwer zu begreifen? Wer sparen muß, konsumiert weniger. Können aber die Unternehmen ihre Waren im Inland nicht absetzen, entlassen sie Beschäftigte. Dazu der in Oberndorf erscheinende schwarzwälder bote: *___Mit seiner Forderung möchte er von der eigenen Unzulänglichkeit ____ablenken. Kohl macht die Arbeitnehmer, die auch durch ständig ____steigende Abgaben geschröpft werden, für die Arbeitslosigkeit ____verantwortlich. Das ist ökonomischer Unsinn, der an Hohn ____grenzt.

Kohl muß ja kein Volkswirtschaftler sein wie der italienische Ministerpräsident Prodi, den er erst kürzlich wieder vor den Kopf gestoßen hat. Die Italiener wollen nicht gerade von den Deutschen hören, wie sie ihre Wirtschaft in Ordnung bringen sollen. So schlecht wie heute waren die Beziehungen seit Gründung der EG noch nie. Joschka Fischer ruft nach einem deutschen Prodi, wo doch auch der deutsche Riese kräftig rudern muß.

Die Verwirrung ist grenzenlos. Kann man den Belgiern, die für den ersten Schub nicht in Frage kommen, zumuten, im eigenen Land am Sitz der Kommission mit dem Euro anstatt dem gewohnten belgischen Franc zu bezahlen?

Es wäre interessant, die Meinung des früheren Bundesbankpräsidenten Karl- Otto Pöhl zu hören, der 1992 in das Bankhaus Sal. Oppenheim eintrat.

Pöhl hielt am 13. Januar vor der Handelskammer Hannover-Hildesheim einen Festvortrag. Er ist jetzt Privatbankier, nicht notwendig muß er die Meinung seines Nachfolgers Hans Tietmeyer teilen. Banken und Industrie streben ja nach Maastricht. Pöhl meint, der Zug sei abgefahren, es plagen ihn aber im Abteil viele Zweifel.

Nicht, wie früher, sorgt er sich um die inflationsgefährdeten Südländer, sondern um Deutschland und, weit erstaunlicher, um Frankreich.

Obwohl er die deutschen Wachstums- und Steuerschätzungen für »recht optimistisch« hält, fordert er, ganz Voluntarist, eine »signifikante Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums«. Wie sie herbeizwingen?

Der Musterschüler Deutschland könne sich eine klare Verfehlung der Kriterien von Maastricht nicht erlauben. Das wäre vielleicht ökonomisch richtig, würde aber als »schwerer Vertrauensbruch« angesehen, und das im Wahljahr. Trotzdem, in der Praxis hält er für kaum vorstellbar, daß die Währungsunion an Deutschland scheitert.

Bei Frankreich hält er das sehr wohl für vorstellbar ("immer für eine Überraschung gut"). »Äußerst besorgt« ist Pöhl, und warum? Er fürchtet, daß Paris den Vertrag von Maastricht nicht einhält (oder nicht einhalten kann). Er sieht eine von ganz oben abgestimmte Kampagne. Sie war noch von Mitterrand angestiftet worden ("Technokraten"), was Kohl nichts sagte.

Pöhl: »Chirac und Juppé fordern nicht weniger als eine politische Institution als Gegengewicht zur Europäischen Zentralbank. Diese Institution solle der Notenbank nicht nur Weisungen erteilen und sie kontrollieren, sondern auch die Wechselkurspolitik der Union vor allem gegenüber dem Dollar und dem Yen bestimmen.

»Diese Vorstellungen stehen eindeutig im Widerspruch zum Geist und Buchstaben des Maastricht-Vertrages. Das Statut der ESZB besagt klar und deutlich, daß es den Mitgliedern der ESZB nicht erlaubt ist, Weisungen von irgendeiner Seite, auch nicht vom Europäischen Rat, entgegenzunehmen.«

Eine »Klärung« dieser Frage hält Alain Juppé für »vital«. Darum geht es, um eine Schwächung der »technokratischen« Zentralbank.

Noch wirtschaftet man mit dem »Franc fort«. Wenn der frühere Staatspräsident und gute Europäer Giscard eine Abwertung des Franc empfiehlt, so ist wohl klar, daß die Befolgung dieses Rates das Ende der Franc-fort-Politik bedeuten würde, Währungsunion ade.

An wen würde man sich dann halten? Man darf raten. Vermutlich an den Mann mit dem neuen, zu engen Gürtel.

Mit seiner Forderung möchte er von der eigenen Unzulänglichkeit

ablenken. Kohl macht die Arbeitnehmer, die auch durch ständig

steigende Abgaben geschröpft werden, für die Arbeitslosigkeit

verantwortlich. Das ist ökonomischer Unsinn, der an Hohn grenzt.

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